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Warten
Jasmin... Oder Flieder? Eine neue Spur im Dschungel der Gerüche, die sie umgeben. Parfüm, Schweiß, Druckerschwärze, Kaffee - und immer wieder Parfüm: zitronig, in Erinnerung an saure Drops den Mund zusammenziehend; blumig, Vorstellungen von Muttertagssträußen und dem damit verbundenen schlechten Gewissen über das "banale" Geschenk weckend; süßlich, wie Frauen mit zu schrillem Lachen und zu langen Fingernägeln.. Warum kann es in dieser Welt der Vorschriften keine Regelung geben, die Frauen den Kampf ihrer Düfte gegeneinander verbietet. Seltsame Ideen schlendern durch das Bewusstsein, wenn es ungebunden ist.
Wie spät wird es sein? Ein Blick auf die Uhr würde genügen, deren Metallband sich in die durch Hitze und Feuchtigkeit gedunsene Haut eingeprägt hat. Sie sieht nicht hin. Die Strecke auf dem Zeitstrahl, die sie überwinden muss, wird nicht kürzer, wenn sie ihre genaue Position kennt. "To travel hopefully is a better thing than to arrive." Welche Hoffnung erfüllt sie auf dieser „Reise“?
Andere Frauen begleiten sie; junge, alte, schöne, unscheinbare... Viele kommen in Gesellschaft einer anderen Frau, einer Schwester im Geiste, mit der sie leise reden und lachen. Andere sind allein, blättern in einem der gerade gekauften Kunstbände, beobachten das Geschehen oder warten einfach nur, in ihre Gedanken und Wünsche eingesponnen wie sie selbst.
Ist es die Schläfrigkeit der Nacht, die die Wartenden besänftigt? Keine angriffslustige Stimmung liegt über der Schlange, nicht dieser zischelnde, böse summende Geräuschteppich, der typisch ist für eine Ansammlung von Menschen, denen die prompte Wunscherfüllung durch die pure Menge der Mitwünschenden verweigert wird.
Ein kaum spürbarer Luftzug lässt sie aufschrecken. Etwas hat sich verändert... Einen Lidschlag lang braucht sie, um es wahrzunehmen: Die rothaarige Frau vor ihr, deren massige, sommersprossige Schultern in den letzten Stunden zur vertrauten Kulisse geworden waren, ist mit einer jähen, fast stürzenden Bewegung nach vorn getreten und verdeckt nun die Sicht auf den Tisch am Ende des Raumes. Besitzergreifend, fast so, als wollte sie ihn abschirmen vor allen anderen, niemanden teilhaben lassen an ihrem Moment der Begegnung, stützt sie sich auf die Kante. Die im Takt ihrer ruckartigen Kopfbewegungen tanzenden Haarspitzen spiegeln die Fülle ihres Redeflusses, während die perlmuttlackierten Nägel ihres rechten Sandaletten-Fußes unablässig an der Wade des anderen Beines kratzen.
Mit einem kurzen, klirrenden Auflachen klappt die Frau ihr signiertes Buch zu und richtet sich wieder auf. Mit deutlichem Widerstreben tritt sie vom Tisch zurück, wendet sich zögernd ab, geht zum Ausgang. Sie sieht der Frau nach, die noch einmal in der Außentür stehenbleibt, sich umdreht und einen langen Blick zurück wirft, doch sie nimmt sie nicht wirklich wahr. Auch ihre Reise ist zu Ende.
Seltsam leer fühlt sie sich, gleichzeitig fern von ihrer Umgebung und dennoch jedes Detail wahrnehmend, als sie auf den Mann hinter dem Tisch zugeht. Schmal sieht er aus, müde, mit tiefen Schatten unter den Augen und Wangenknochen. Abwesend fährt er mit der Hand durch die Haare und schließt für einen Moment die Augen.
Nie hätte sie erwartet, dass ein Gefühl körperlich schmerzen kann. Wie ein Schlag ist sie, die Scham, die das Gesicht brennen lässt und Tränen in die Augen treibt – diese erniedrigende Selbsterkenntnis: Auch sie ist ein Teil dieser hechelnden Meute, die ihn bis zur völligen Erschöpfung hetzt, ihn attackiert, in die Ecke treibt mit ihrem Begehren, ihn zu HABEN, wenigstens als Spur seiner Schrift und Fingerabdruck auf ihrem Buch.
„Hello, thank you for waiting so long.“ So vertraut ist die murmelnde Stimme, die sie doch noch nie angesprochen hat... „What do you want me to write?“ ‚Schreib, was ich dir bedeute! Schreib, dass du mich begehrst! Schreib, dass du dein Leben mit mir verbringen willst!‘ Wie soll sie diese Schreie in ihrem Kopf ersticken, am Herausdringen hindern?
Sie schmeckt schon das Salz ihrer Tränen auf den blutig gebissenen Lippen, als sie die Tür erreicht, ihr Buch, das sie mit einer fast trotzigen Geste vom Tisch gerissen hatte, an sich gepresst wie ein Kind, das sie aus dem Feuer gerettet hat. Nicht Hoffnungen hatten sie auf ihrer Reise begleitet – nur Illusionen.