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Warum brennen nachts die Lichter?
Ich habe mich immer gefragt, warum die Lichter im Schaufenster nachts an sind, obwohl nur die Penner unglücklich in die Läden glotzen. Nachts, wenn sonst niemand mehr in der Fußgängerzone läuft. Nachts, wenn es so dunkel ist und man nur schnellstmöglich nach Hause will und gar keinen Blick mehr auf die Sachen im Schaufenster verliert. Nachts, wenn die Läden Strom sparen könnten. Nachts, wenn nur besoffene Partygänger durch die leeren Passagen torkeln. Nachts, wenn die Kunden im Bett liegen und schlafen. Eigentlich.
In einer solchen Nacht wurde mir plötzlich klar, warum.
Ich war stinksauer. Ich war wütend auf alles und jeden, auf Gott und die Welt, auf mich und vor allem auf meinen Freund. Ich stieß wütend die Vase um, die ich ihm zu unserem zweiten Jahrestag geschenkt hatte und sie zerbrach in tausend Stücke. Ich riss im Vorbeistürmen den Gardarobenständer um, knallte die Türe hinter mir zu und stand zitternd vor Wut im Hausgang. Ich hörte die Stimme meines Freundes, Er versuchte mir zu folgen, doch ein dumpfer Schlag und ein lautes Klirren verrieten mir, dass er den Boden küsste. Der Gardarobenständer bot ein perfektes Hindernis. Es geschah ihm ganz recht so. Schmerzen sollte er spüren, genau die, die ich in diesem Augenblick empfand. Ich wartete noch einen kurzen Moment im Flur und als die Türklinke nach unten gedrückt wurde, stürmte ich die Treppen hinunter. Er sollte mich einholen. Jeder sollte es mitkriegen. Jeder sollte ihn sehen, wenn er halb nackt auf der Straße stand. Und jeder sollte wissen, was für ein Arschloch er war.
Und er folgte mir tatsächlich. Der Idiot folgte mir. Warum? Tat es ihm wirklich Leid? War die Nummer mit der kleinen Schlampe denn so langweilig? Lag ihm denn noch etwas an mir? Warum betrog er mich dann?
Ich wollte nur noch Rache. Ich wollte ihn bloßstellen und ihn lächerlich machen für diesen Fehler. Und die ganze Nachbarschaft sah zu, als wir im Hof standen. Ich sagte ihm - nein ich schrie ihn an - wie es mich verletzt hatte, ihn mit einer anderen im Bett zu erwischen. Er hatte mich betrogen und war auch noch so dumm sich erwischen zu lassen. Ich machte ihm klar, dass unserer Beziehung beendet war. Meine Wut war so groß, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich eigentlich sagte. Und er bettelte, flehte, halb nackt, kniend auf dem Asphalt. Es war mir so was von egal. Ich empfand nur noch Abscheu und Hass für diesen Mann, der da so jämmerlich, um Gnade flehte. Ich wollte nichts mehr davon hören. Es gab keine Entschuldigung dafür. Es war geschehen und ich wollte nur noch weg.
Also ging ich, lief ich, rannte ich die Straße entlang durch die kleinen, engen Gassen. Ich floh. Und als die Rufe hinter mir verstummten, wurden meine Schritte langsamer. Mein Puls beruhigte sich und ich setzte mich in einen Hauseingang und fing an zu weinen. Das war eigentlich genau das, was ich vermeiden wollte. Tränen vergießen wegen eines solchen Mistkerls. Er war es doch nicht wert. Einfach so hatte er drei Jahre Beziehung in den Sand gesetzt. Vielleicht wollte er ja die letzten Tage in seiner Wohnung ausnutzen. Nächsten Monat hatten wir vor ein gemeinsames Apartment zu beziehen, doch das konnte er sich nun aus dem Kopf schlagen. Ob es das erste Mal gewesen war, dass er mich betrogen hatte? War ihm der Sex mit mir nicht gut genug? Gab es noch andere Nächte? Andere Frauen? Vielleicht trieb er es mit meiner Schwester oder sogar mit meiner Mutter! Hatte der Mann überhaupt ein Gewissen? Und wenn, dann wohl keinen Respekt vor Treue.
Dabei wollte ich die Nacht bei ihm verbringen, wollte ihn spät nachts nach einer Geburtstagsparty noch besuchen. Als ich mit freudiger Erwartung meinen Freund zu sehen, der mit Kopfschmerzen zu Hause geblieben war, den Schlüssel ins Schloss steckte, vorsichtig umdrehte, die Türe hinter mir schloss und ich mich leise zum Schlafzimmer schlich, hörte ich plötzlich diese Geräusche. Erst dachte ich er würde sich einen Porno ansehen und öffnete neugierig die Schlafzimmertür und schaute hinein. Es war tatsächlich ein Porno. Jedoch ein realer, mit ihm als Hauptdarsteller. Ich weiß gar nicht mehr, was ich in diesem Moment dachte. Ich stand wie unter Schock, als ich die zwei sah, wie sie sich in dem großen Bett schlängelten und betatschten, sich küssten und befriedigten. Als die Wut meine Gehirnwindungen wieder zum arbeiten brachte, erwachte ich aus meiner starren Ohnmacht und ein Schrei entwich meinem offenen Mund. Die beiden nackten Wesen erschraken und wussten gar nicht, was in diesem Moment geschah. Ich wusste es irgendwie selbst nicht. Ich wünschte es sei ein Traum, doch es war keiner, denn es war meine Cousine, die dort mit ihm im Bett lag. Und als ich meine zittrigen, weichen Beine endlich überredet hatte, sich zu bewegen, stürmte ich zornig auf den Gang.
Nun saß ich in diesem dunklen Hauseingang, irgendwo in der Stadt. Und die Überreste meiner Wimperntusche brannten in meinen verheulten Augen. Mein Hintern schmiegte sich an die kalten, feuchten Stufen und der Wind blies mir kalt die Haare ins Gesicht. Vielleicht war es ja mein Arsch, der ihm zu dick war. Vielleicht waren die Brüste dieser Schlampe schöner als meine. Vielleicht hatte ich ihm zu wenig Freiraum gelassen. Vielleicht hätte ich ihn doch überreden sollen, an diesem Abend mit auf den Geburtstag zu gehen. Vielleicht hätte ich ihn nicht überraschen sollen. Vielleicht hätte ich ihm meine Cousine nie vorstellen dürfen. Vielleicht hätte ich ihr nicht vorschwärmen sollen, wie toll er küsst.
Es gab so viele „vielleichts“ und keines war besser als die anderen Thesen, die ich mir in dieser eisigen Nacht zusammensponn. Als mein Körper mir dann doch signalisierte, dass es definitiv zu kalt war, um die Nacht auf der Straße zu verbringen, machte ich mich ziellos auf den Weg. Es zog mich in die Innenstadt. Dort in der Einkaufspassage sah alles so perfekt aus. Die Werbemodels strahlten mich mit einem weißen Lächeln an. Die Schaufensterpuppen präsentierten die neuste Winterkollektion und in den Spielzeugläden grinsten mich hässlich fröhliche Barbies an. Im Schaufenster der Apotheke warb eine schöne, perfektaussehende Frau für faltenfreies Altern. Und so wurde ich von diesen Gestalten begleitet - auf meinem Weg durch die Fußgängerzone.
Es war schon drei Uhr. Kein Mensch ließ sich blicken. Die Passage war leer und still. Ich war allein. Eigentlich war ich froh darum, andererseits hätte ich meine Einsamkeit in die Welt hinausschreien können. Er hatte mich so verletzt und es tat so weh, dass es weniger ausgemacht hätte, mir mein Herz gleich ganz rauszureißen. Ich war in meine, mich quälenden Gedanken völlig vertieft und versuchte das Chaos meiner Gefühle zu ordnen.
Da löste sich ein Schatten von der Wand. Ohne genau zu wissen, was geschah, legte sich eine Hand über meinen Mund und erstickte meinen Schrei. Eine Stimme presste Luft mit stummen Worten an mein Ohr. Ich fühlte die trockene, rissige Haut seiner Hand und roch den Tabak unter den Fingernägeln. Ich konnte mich gegen die starke Gestalt nicht wehren. Es war, als wäre ich eine Gefangene, die wehrlos verdammt war. „Psssst“ durchsauste es meinen Gehörgang. Und der Fremde drückte mich an die Scheibe eines Geschäftes. Während ich, unfähig zu schreien, meinen Atem am Glas beschlagen sah, tastete sich die Hand hastig unter meinen Pulli und die Panik stieg in mir hoch. Mein gebrochenes Herz zerriss in ein Puzzle aus Angst und Hilflosigkeit. Mein Körper gehorchte mir nicht. Ich war wie gelähmt und die Hand erfasste meine Brust und krallte sich, wie fünf scharfe Klingen, in sie hinein. Ich wollte schreien, versuchte es, doch der Ton verstummte in meiner Kehle. Die Stille verschluckte ihn und die Gestalt presste mein Gesicht immer fester an das kalte Glas. Verschwommen sah ich die schönen und glücklichen Gesichter im beleuchteten Schaufenster. Hastig öffnete die fremde Hand meine Hose. Griff in meinen Slip und riss ihn mit samt der Jeans dem Boden entgegen. Die Tränen putzten den Dreck von der Scheibe. Meine stummen Schreie zerfraßen mein Inneres und der Schmerz und die Angst durchfuhr mich, bevor der Fremde schmerzhaft in mich eindrang. Was hatte ich falsch gemacht? Warum denn nur ich? War der Abend nicht schon schlimm genug gewesen? Vielleicht hätte ich meine Wohnung nie verlassen sollen. Der Schock übermannte mich. Ich war plötzlich in einer anderen Welt, in keiner schönen Welt. Die Bettszene meines Freundes spielte sich dort ab. Alles andere kam mir nicht real vor.
Auch nicht, als mich der Fremde plötzlich los ließ. Ich hörte nicht die Rufe. Ich hörte nicht die Schreie, die Schläge, den Kampf. Ich stand nur starr da, an die nasse, kalte Scheibe gelehnt und das helle Licht im Schaufenster gab mir Trost. Jemand hatte mich bemerkt. Jemand hatte es gesehen. In der Dunkelheit rettete mich das Schaufensterlicht.
Der Fremde lag am Boden. Ein anderer über ihm. Ein freundliches, besorgtes Gesicht kümmerte sich um mich. Benommen zog ich die Hose wieder hoch. Das Blaulicht flackerte über mein Gesicht und die grünen Männer schleppten den bedrohlichen Fremden zum Auto. Man hatte mich gesehen. Mir war plötzlich klar, warum.