Was ist neu

Warum kümmert sich niemand um Niemand?

Mitglied
Beitritt
22.12.2009
Beiträge
3
Zuletzt bearbeitet:

Warum kümmert sich niemand um Niemand?

Warum kümmert sich niemand um Niemand?

Mein Name ist unwichtig. Ich habe ihn nie gebraucht. Nur für die Behörden. Name, Vorname, Anschrift hieß es immer. Wohnhaft da und da. Geboren dann und dann. Verheiratet. Zwei Kinder.
Im schlaganfallfähigem Alter. Gelegenheitstrinker. Nichtraucher. In der Verwaltung tätig. Das bin ich. In nackten Fakten. Nicht sehr groß, auch nicht zu klein. Etwas untersetzt. Kleiner Dickbauch, ganz klein. Übernächtigt. Arbeitssam und tüchtig, aber nicht immer motiviert.

Meine Frau ist größer als ich. Hat mich immer geliebt. Ich verdiene auch viel Geld. Kann mir Liebe leisten. Schreibtischtäter sind ihr die Liebsten, sagt sie immer. Da weiß man, was man hat. Unsere Kinder sollen auch Schreibtischtäter werden. Bürohengste. Oder Stuten. Sie haben schreckliche Doppelnamen. Wollte Frauchen so. Ich vermeide es, mit ihnen zu reden. Mag die Namen nicht, die Kinder natürlich. Auch wenn es schwer ist, wenn sie sprechen können. Hat meinen Arbeitsalltag ganz schön über den Haufen geworfen. Mist.

Heute bin ich davon gelaufen. Es gab Sauerkraut mit Speck. Wie immer, wenn Montag ist. Ich hasse Sauerkraut. Das schmeckt so faserig, nicht edel. Und den Speck lässt sie immer anbrennen. Ganz schwarz ist der. Ich hasse schwarzen Speck. Immer schon. Meine Mutter hat den schon gehasst. Ich habe gesagt, dass ich den Speck nicht esse und Sauerkraut hasse. Sie meinte nur, ich soll nicht immer nörgeln. Immer nörgel ich, meint sie. Wenn sie neue Schuhe kauft. Die Kinder Taschengeld brauchen. Sie über das Schicksal des Freundes der Cousine ihrer Freundin spricht. Ihre Mutter Geburtstag hat oder gar zu Besuch kommt. Über ihre Kochkünste nun auch. Immer meckere ich, meint sie. Da bin ich aufgestanden und hab gesagt, das esse ich nicht. Meinte sie, ich solle abhauen. Habe ich gemacht.

Ich sitze in der Kneipe. Ich war nie Kneipengänger. Am Abend mal ein Wein, daheim. Oder ein, zwei Bier auf Betriebsfeiern. Ein Schuss Schnaps. Das machen doch alle so. Das hat meine Mutter auch immer so gemacht. Mein Vater sowieso. Der war Alkoholiker. Und ist es immer noch. Tut aber so, als ob er es nicht mehr wäre. Nie war. Sammelt wohl leere Schnapsflaschen im Schrank, hinter den Socken und Unterhosen. Ich habe es gesehen.

Gegenüber von 'Zum armen Tropf' ist ein Jugendhaus. Die trinken auch immer. Und rauchen. So Zeug und sowas. Sind alle minderjährig. Viele jedenfalls. Die einen auf hart machen. Auch wenn die Mädchen viel älter aussehen. Und sich so geben. Alterchen, heißt es dann, hast du mal Kippen. Spendier mir ein Bier. Darf ich nicht. Ich bin nicht pädophil. Zwar Beamter, aber nicht pädophil. Ich hasse Kinder. Nur meine eigenen liebe ich. Natürlich. Wer tut das nicht. Kühltruhen mag ich auch. Die sind so kühl und umschließend. So majestätisch. Wie der Schoß der Mutter. Ja. Seltsame Gedanken. Kommt vom Bier. Das ist der Rausch. Ich bestelle lieber kein zweites Bier mehr. Das Bier ist ja gerade erst halb leer. Das Bier. Tochter, wo bist du? Im Keller? Im Eispalast?

Im Jugendhaus feiern sie. Linksautonome oder sowas. Randale. Krawall. Sicher rauchen die da was. Drogen. Tun sie alle. Verfilztes Pack. Politisch blind. Denken, sie verändern, doch werden alle gleich. Ich war auch so. Damals. In meiner Jugend. Als ich dumm und naiv war. Und alles gelaubt habe. Da gab es noch falsche Ideale. Und Feindbilder. Amerikanische. Amerikaner sind immer böse. Schon immer gewesen, meinte meine Mutter schon. Und meine Oma. Die war im Krieg zuhaus. Opa ist gefallen. War bei der SA. Das war noch ein Kerl. Ein richtiger Mann. Ich habe ihn nie kennengelernt. Aber Oma sagt, er war ein echter Mann und Mutter lobt ihn auch immer. Der hat sich was getraut. Der war kühn. Der war ein Mann. Ein Echter Mann.

Sie spielen ihre Lieder. Lieder von Bier. Lieder von Freundschaft. Krawallen. Falschen Idealen. Ich weiß nicht, wer dieser Che ist. Aber sie sagen, dass er cool ist. Sie wissen auch nicht, wer er ist. Aber er ist cool. Ein echtes Idol halt. Darauf ein zweites Bier, Herr Wirt! Oder Alter? Wie sagt man zu einem Wirt? Chef? Wirt? Barkeeper? Verfluchte Sprache. Verfluchtes Zwischenmenschliches. Ich will wie auf der Arbeit sein. Wunsch gleich Bier. Dann kommt die hübsche Sekretärin und bringt mir Bier. Oder Kaffee. Für meine Herztabletten. Ich glaube, ich habe auch Diabetis. Und irgendwas mit der Lunge. Ich bin immer so schlapp. So lustlos. Ein falsches Idol eben. Oder das wahre Idol?

Ein Mädchen kommt in die Kneipe. Oder Bar? Egal. Ein Mädchen. Verfilzte Haare. Ein Punker. Haste mal 'nen Euro – Generation. Die enden alle noch in der Gosse. Wo sie auch herkommen. Hartz IV. Sieht man auf den ersten Blick. Und auf den zweiten Blick sieht man die Pupillen. Und die Arme. Nadelstiche. Junkies. Wie es alle sind. Die Pharmaindustrie belebt die Welt. Ohne sie wäre die Welt so bevölkert wie China. Insgesamt. Auf allen Kontinenten. Dann müssten wir kein Geld mehr spenden. Für arme Kinder in Afrika. Wenn die arbeiten würden, hätten die auch Geld. Immer nur herumsitzen. Hungern. Traurig aussehen. Die wollen doch nur Mitleid. Und dann klagen, wir beuten sie aus. Die können sich freuen. Wollen arbeiten, aber nicht für Geld. Es ist nicht viel Geld, aber habe ich immer viel Geld verdient? Ich hatte auch mal nur 1500 Netto. Am Anfang. Das verdienen die vielleicht in zwanzig Jahren. Aber die sind ja auch keine Beamte. Die arbeiten nicht hart. Sterben bald aus. Faulpelze. Man merkt, dass es Weihnachten wird. Spendenspots im Fernsehen.

Ich hasse Fernsehen. Falschinformationen. Mediengeilheit. Vertuschung. Hass. Nackte Haut. Ich hasse es, nackte Menschen zu sehen. Immer schon. Meine Mutter meinte auch immer, das gehört sich nicht. Nur die eigene Frau darf nackt sein. Und hat das auch. Weibliche Pflichten, nannte sie das. Mein Vater hat betrunken zugestimmt. Und sie dann genommen. Ich musste es sehen. Erleben. Mitfühlen. Ich hasse ihn. Ich hasse nackte Frauen. Vor allem Junkies. Wertloser Abschaum. Müll. Untermenschen.

Sie fragt nicht nach einem Euro. Nein. Sie will ein Bier. Ob sie schon so alt sei. Dass sie das dürfe. Frage ich. Der Alkohol, der Alkohol. Ich werde tollkühn. Wie Opa. Sie fragt, was mich das angehe. Ich Bonze. Ich Snob. Ich werde wütend. Doch kann ihr nicht böse sein. Sie ist rebellisch. Ich werde doch böse. Ich hasse Rebellen. Revolution ist der Schritt in die falsche Richtung. Wehret den Anfängen.

Ihr Gesicht. Es erinnert mich an jemanden. Es gibt eine Frau. Sie hasse ich nicht. Nein, nicht meine Frau. Auch nicht meine Tochter. Mit dem Doppelnamen. Der wie eine Nierenerkrankung klingt. Unheilbar ist beides. Armes Kind. Armer Vater. Es war im Urlaub. Ich weiß nicht mehr wo. Ich war alleine dort. Ich war jung. Vielleicht gerade volljährig. Da traf ich sie. Bei einem Ausflug mit irgendwas. Ich weiß nicht mehr was. Unwichtig. Ja. Sie meinte, sie sei immer dabei. Sie war glaube ich leicht osteuropäisch in den Wurzeln. Sprach aber einwandfrei deutsch. Minka oder Milka. Irgendwie so hieß sie. Glaube ich. Erinnerung ist vernebelt. Sie liebte mich. Aufrichtig. So wie ich war. Ich musste mich nicht verstecken. Das war neu. Ich war ich. Das hat mir Angst gemacht. Angst. Ich war nicht mehr kühn. Nie gewesen.

Sie war schön. Hatte ein Gesicht. Das war schöner. Wir schäkerten. Dann schmusten wir. Dann liebten wir uns. Der Abschied war tränenreich. Monate später war ich wieder da. Ich suchte sie. Fand sie nicht. Der alljährliche Ausflug war seit knapp zehn Tagen vorbei. Ich hatte sie verpasst. Ich lief umher. Da traf ich sie. Sie meinte irgendetwas. Ich habe es verdrängt. Ich glaube, es war etwas Gutes. Sie hatte mich auch gesucht. Sie wusste, dass ich da war. Die Liebe. Unergründliche Pfade. Ich werde melancholisch. Der Alkohol. Sie war großartig. Die beste Frau, die es für mich geben konnte. Leider war es nur ein Traum. Ein seltsamer Traum, der eben mehrere Monat später einen Anschlusstraum hatte. Es war unbeschreiblich.

Betrunken schwanke ich heimwärts. Also in das Nirgendwo. Nirwana, wie das Junkie-Mädchen gesagt hätte. Klopfen. Stille. Eine Ewigkeit später öffnet meine Frau. Wütend. Fuchsteufelswild. Mindestens zwei neue Krampfadern. Wo ich gewesen sei, fragt sie. Ob ich wisse, wie spät es sei. Was mir einfiele, so spät zurückzukehren. Betrunken. Ich bin nicht betrunken. Ich habe nur ein paar Bier getrunken. Ganz normal. Meine Mutter meinte, Bier macht nicht betrunken. Schnaps macht betrunken. Siehe mein Vater. Sie schimpft mit mir. Sie brüllt. Die Nachbarn brüllen zurück. Es sei Nachtruhe. Die fette Kuh solle die Schnauze halten. Zitat. Wie recht sie haben. Wo ich gewesen bin? In Utopia.

Ich bin ein Niemand. Warum kümmert sich niemand um Niemand?

 

Hallo Herr Peingebreck,

herzlich willkommen hier!

Dein Erzählstil gefällt mir.

Heute bin ich davon gelaufen. Es gab Sauerkraut mit Speck. Wie immer, wenn Montag ist. Ich hasse Sauerkraut. Das schmeckt so faserig, nicht edel. Und den Speck lässt sie immer anbrennen. Ganz schwarz ist der. Ich hasse schwarzen Speck. Immer schon. Meine Mutter hat den schon gehasst.
Kurze, aussagestarke Sätze.
Solche Dopplungen hast du öfter im Text, die könnten raus.

Was mir im Text fehlt ist die Geschichte. Da gibt es zwar eine (Rahmen-) Handlung, aber es passiert nix.
Dein Protagonist mag das Essen nicht, ist sauer, geht ein Bier trinken, kommt nach Hause, wird angemeckert, stimmt den Nachbarn - seine Frau sein eine fette Kuh und solle die Schnauze halten - zu, ist also immer noch sauer auf seine Frau.
Wo ist da die Geschichte? Wo reift eine Erkenntnis und findet ein Wandel statt? Ich finde nicht den Hauch einer Differenz zwischen Ausgangssituation und Ende.

Der Rest des Textes, diese ganze Querbeetnörgelei und Jammerei, übt auf den Verlauf der Rahmenhandlung keinen Einfluss aus und ist somit für die "Geschichte" nicht relevant. Wie ein Fluss, der in der Wüste versickert, bevor er auch nur einen Grashalm genährt hat.

hasse ihn. Ich hasse nackte Frauen. Vor allem Junkies. Wertloser Abschaum. Müll. Untermenschen.
Das würd ich streichen. Diese Bezeichnung ist der Art negativ aufgeladen, das sie nicht nur die Zielgruppe verunglimpft, sonder den Benutzer des Wortes ebenso. Bildlich gesprochen: Wer mit diesem Wort mal eben auf die Kacke hauen will, dem spritzt die Scheiße in eigene Gesicht.

Naja, ich hoffe, ich konnte deutlich machen, wo es meiner Meinung nach hakt.

Gruß

Asterix

 

Fasse das ganze mal als eine Art ... naja, unterschwellige Kritik am Leben, der Gesellschaft, an der 'Unerträglichen Leichtigkeit des Seins', meinetwegen auch an der Dekadenz auf - Vielleicht ist es dann weniger nebulös und die Details gehen auf, ich habe mir Mühe gegeben, sie einzuweben :)

 

Hej Herr Peingebreck,

der Anfang ist toll, da hat dieser Herr Niemand ein unheimlich zynisches und erfrischendes Potential. Man könnte ihn für recht schlau das System/die Gesellschaft und auch seinen Anteil daran durchschauend halten. Selbstkritisch, bestimmt und nicht ganz ohne Humor.

Mein Name ist unwichtig.
Damit kann man sich ziemlich wichtig machen. Stell Dir vor, er nennt seinen Namen.
Niemand will mehr irgendetwas von ihm wissen.

Im Laufe der Zeit und im Gewehrfeuer der kurzen Sätze wirkte er zunehmend verloren und hilflos und vielleicht auch der minimal gehaltenen Handlung wegen verwaschener, irgendwie zerfasert.
Natürlich kannst Du jetzt sagen, das soll so sein, er ist ja auch nur ein Niemand. Aber um die Spannung am Anfang der Geschichte, die Gesellschaftskritik und vor allem die Person, die du so gut eingeführt hast, tut es mir ein bisschen leid.

Die sind so kühl und umschließend. So majestätisch. Wie der Schoß der Mutter.
Wenn ich kühl und umschließend lese, denke ich eher an ein Grab als an einen Mutterschoß, der, egal wie auch immer das Verhältnis zur Mutter war, warm gewesen sein sollte.

Herzlich willkommen und viele Grüße
Ane

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom