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Thema des Monats Warum Kinder später mal in Therapie müssen

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24.04.2003
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Warum Kinder später mal in Therapie müssen

Nachdem Renate über Norberts Witz zuende gelacht hatte, verschüttete sie ihr Glas über Birgits Rock, was diese mit einem "Oh nein" kommentierte.
Alfons und Norbert prusteten los, als hätte jemand einen unsichtbaren "Wie-sehe-ich-erfolgreich-dämlich-aus" Schalter an den beiden umgelegt.
"Ach Mensch, Renate. Mein neuer Rock. Alles voller Schnaps!"
Es war neun Uhr. Eine Zeit, zu der die Treffen der beiden befreundeten Ehepaare für gewöhnlich zu eskalieren drohten.
Renate und Alfons, verheiratet seit 1975, drei Kinder. Birgit und Norbert, verheiratet seit 1976, kinderlos. Das Dream-Team örtlicher Kegelabende und Saufgelage.
"Ach, den hast du doch eh beim Kik gekauft", versuchte Norbert zu beschwichtigen. Ein schiefes, lippenstiftverschmiertes Grinsen entblößte gelbe Zähne, als Birgit ihrem Mann eine lieb gemeinte Ohrfeige verpasste, die allerdings etwas zu heftig ausfiel, um noch liebevoll zu wirken.
Kurz wurde es ruhig im Wohnzimmer.
"Wir sollten vielleicht mal aufs Bier umsteigen", bemühte Alfons sich darum, die Situation zu retten und stand vom Sessel auf.
"Recht hast du Schatz", merkte Renate an.
Alfons wankte zur Tür, stolperte auf dem Weg zur Küche über den an der Vorderseite hochgeschlagenen Teppich im Flur und alle mussten über seine Tollpatschigkeit lachen. Der Frieden war wieder hergestellt.
"Tut mir Leid wegen deinem Rock."
"Ach, nicht so schlimm. Norbert hat ja recht. Der war eh im Sonderangebot."
Von nebenan konnte man die Kühlschranktür quietschen hören. Kurz darauf das klirrende Geräusch aneinander geratener Bierflaschen.
"Überheb dich nicht", scherzte Norbert lautstark.
"Wart du nur, bis ich wiederkomme", kam es gleichfalls scherzend von nebenan.
Vollbepackt kehrte Alfons in den Flur zurück und stieß mit seiner Schulter den Lichtschalter an. In der Küche wurde es dunkel.
"Du hättest Artist werden sollen", rief Birgit, und alle stimmten in ihr albernes Gegackere mit ein.
"Hahaha", erwiderte Alfons und stolperte erneut über die hochgeschlagene Seite des Teppichs.
Ungebremst fiel er durch die dicke Buntglasscheibe in der Tür und schleuderte die Bierflaschen von sich weg, die mit den scharfkantigen Splittern der Scheibe zusammen auf den Kacheln zerschellten. Irgendwo zwischen dem allgemeinen Scherbenregen schlug Alfons Körper dumpf auf, und begann augenblicklich aus dutzenden Wunden zu bluten. Als er den Kopf hob, hatte sich ein Flaschenhals in sein linkes Auge gebohrt.
Alfons machte: "Ööööhhhrrrr". - Dann versuchte er aufzustehen.
Wortlos beobachteten die anderen ihn dabei, wie er mit beiden Händen in zerbrochenes Glas griff, zur Seite glitt, und erneut auf die Kacheln schlug. Der Flaschenhals rutschte seitlich ab und riss ihm die linke Hälfte des Gesichts ab. Die Haut landete wie ein unrasierter Lappen auf dem Boden. Eine heil gebliebene Bierflasche rollte Birgit vor die Füße, als wolle sie sagen: Trink mich!
Norbert war der erste, der schrie. Eigentlich klang es eher wie das Heulen eines kleinen Kindes, dem man die Süßigkeiten geklaut hatte. Aber unter den gegebenen Umständen konnte man es auch als Schrei durchgehen lassen.
Alfons indess machte immer noch "Ööööhhrrr".
Sein Frau sprang vom Sofa auf und lief zur Tür. Auf den nassen Kacheln wegrutschend riss sie die Arme nach oben und fiel rücklings in einen aufrecht stehenden, besonders großen bunten Splitter.
Sofort konnte sie ihre Beine nicht mehr spüren.
"Wir müssen die Polizei rufen", schrie Birgit und schleppte sich schwindelig zum Telefon.
"Ruf lieber den verdammten Notarzt!"
Panisch griff sie nach dem Hörer, und dachte über die Nummer nach.
Jetzt sprang auch Norbert auf. - "Mensch, wähl die eins eins null, du blöde Kuh!"
Nach zweimaligem Vertippen begann Birgit aufgeregt zu erzählen: "Wir haben hier einen Notfall! Wir brauchen dringend Hilfe ... unsere Freunde sind ... sind ... ja ... ja ... das ist die ... Alfons, Renate ... wie heißt die Straße hier noch gleich?"
Sie bekam synchrones Röcheln zur Antwort.
"Norbert! Die Adresse!"
Ihr Mann wehrte ab. - "Keine Ahnung, ich kenn den Weg doch auch nur so."
"Dann lauf halt raus und schau nach!"
"Dafür muss ich an den beiden erstmal vorbei kommen. Scheiße, können die den Anruf nicht einfach zurück verfolgen?"
"Was ist denn mit Mama und Papa?" - Sabrina stand ratlos im Flur, ihren Teddybären fest umklammernd.
Birgit ging in die Knie. - "Scheiße, das ist ein verdammter Albtraum!"
Ihr Mann war inzwischen durch die Terrassentür nach draußen und brüllte "Regentenweg Nummer 24!"
"Ja, haben Sie das gehört ... Regentenweg 24! Unsere Freunde sind schwer verletzt!"
Sie legte auf und lächelte Sabrina lippenstiftverschmiert an. - "Mama und Papa geht es gut. Es geht ihnen gut."
Alfons machte "Ööööhhhrrrr".

 
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Hallo Cerberus,
mir hat dein Text gut gefallen. Allerdings war er für mich überhaupt nicht gruselig, viel mehr witzig und das trotz des wirklich bösen Themas. Aber du erzählst zwischen drin in einem für mich ironisch-distanzierten Zug, der zusammen mit dem Gedanken an Slapstick, der mir beim Lesen kam, dafür gesorgt hat, dass ich andauernd lachen musste. Auch bei dem "Ööööhhhrrrr" muss ich eher an einen Elch denken als an einen schwer Verwundeten.
So, nun zum Inhalt. Du erzählst viel von den beiden Paaren und ihrem Streit,der Horrorteil kommt da fast ein wenig kurz. Besonders das Mädchen auf das der Titel anspielt könnte näher beschrieben werden.

Ein weiterer Punkt ist, dass du an manchen Stellen ein übertreibst (auch ein Grund, warum das ganze nicht ganz ernsthaft sonder eher komisch bei mir ankam.)

gendwo zwischen dem allgemeinen Scherbenregen schlug Alfons Körper dumpf auf, und begann augenblicklich aus dutzenden Wunden zu bluten.
Dutzende Wunden sind schon echt viele. Außerdem würde es horrermäßiger kommen, wenn du einfach nur von viel Blut schreibst, als dieser distanzierte Fakten bericht.

Der Flaschenhals rutschte seitlich ab und riss ihm die linke Hälfte des Gesichts ab
Ich weiß nicht, ob das realistisch ist. Da ist doch der Schädelknochen dazwischen oder?

Sein Frau sprang vom Sofa auf und lief zur Tür. Auf den nassen Kacheln wegrutschend riss sie die Arme nach oben und fiel rücklings in einen aufrecht stehenden, besonders großen bunten Splitter.
Ab da habe ich ehrlich darauf gewartet, dass die anderen auch noch drauf gehen. Außerdem können doch Glassplitter, zu mal es sich um einen großen handelt, nicht aufrecht stehen, die kippen doch um, besonders wenn die durch die gegen geschleudert werden, wie es bei so einem Unfall durchaus der Fall sein dürfte.

Allgemein gefällt mir der Text wie gesagt sehr gut, auch wenn wirklich nicht die leiseste Spur von Horror bei mir Aufkam.

Gruß Eldrad

 

Hey Cerb,

so muss die Welt sein. Absurd. Nein - so ist sie bereits. Dein Text bringt auf komische Art und Weise die Tatsache ans Licht, dass der wahre Grund für den Humor nicht die Freude ist, sondern die Verzweiflung. Irgendwer hat das mal behauptet, und ich finde, der hat Recht.

Sehr schöner Text, auch ich musste bei fast jedem Satz lachen und habe gegen Ende hin erwartet, dass einfach alle sterben.

Schöne Grüße,

yours

 

Hm, Cerb, das ist schon eher schwarzer Humor - auch wenn ich beim ersten Splitter im Auge gezuckt habe, wie ich zugeben muss. *g Aber der zombiehafte Stil hat mich doch eher zum Lachen gebracht und das Mädchen am Schluss: :rotfl:

:D
Kasimir

 

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