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- 01.01.2015
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Was die Späher fanden
Severins Blick springt zwischen weißen Margeritenblüten und der langsam dichter kommenden Schneefront hin und her. Während noch Bienen und Hummeln schwirren, bildet sich am Bachlauf eine Eisschicht, geht die Sonne hinter einem im Raureif glitzernden Baum auf.
Mit sorgenvoller Miene tritt der Anführer des Spähtrupps aus dem Zelt. Wo bleibt nur Malte, er war heute früh aufgebrochen, um den besten Weg zu erkunden? Die fünf Späher haben den Auftrag für ihr Dorf Wanderfels den Osten zu erkunden. Es fehlt an Nahrung und auf Dauer ist das Leben auf dem schwebenden Felsen zu unsicher, denn niemand versteht die Magie der goldenen Adern. Noch hebt Wanderfels jedes Mal ab, wenn Gefahr droht, die Natur sich gegen die Menschen wendet. Doch früher haben die Menschen auch auf dem Boden gelebt, sich nicht auf die Götter verlassen. Severin wischt sich über die Stirn, sucht mit den Blicken die anderen der Gruppe. Grübeln bringt nichts.
Eva tritt aus dem Schatten der Bäume. Sie hält seit einer Stunde auf der Ostseite der Lichtung Ausschau nach Malte. Der Älteste in ihrer Runde kümmert sich um alle, schlichtet und sorgt sich ständig.
Gestern Abend gab ein Wort das andere und schon lagen Severin und Smutje auf dem Boden. Während Severin versuchte dem kleineren Mann nicht unnötig weh zu tun, hatte Smutje wiedermal alle Tricks genutzt. Als er anfing, schmutzige Bemerkungen über Eva und ihren Lebenswandel fallen zu lassen, schritt Malte ein. Es hat Smutje einfach daran erinnert, dass er noch immer bei seiner Mutter lebt. „Du hast doch genug damit zu tun, selbst eine Frau zu finden, oder?“ Ein ruhiger Blick von oben herab, lässt den sowieso eher feigen Smutje auf sicheren Abstand gehen.
„Aber die Götter sind gegen diese Erkundung, lasst uns umkehren.“
„Ach, Du willst unter die Röcke deiner Mutter flüchten? Vor ein bisschen Kälte?“ Severin schlägt sich theatralisch auf die Brust.
Malte schob Finn auf die andere Seite der Feuerstelle und schüttelte den Kopf. „Er ist frisch verliebt, lasst ihn.“ Dabei rollt er in Severins Richtung mit den Augen, ohne das Finn es sehen kann. Der Anführer winkt ab. Es lohnt nicht, Finn steht im Rang soweit unter ihm, er sollte darüberstehen. Aber er kann es nicht ertragen, wenn über Eva hergezogen wird. Ziehen in Severins Bauch lässt ihn an vergangene Nächte mit der schönen Frau denken, aber das ist Monate her. Sie hat sich für den Priester entscheiden, jedenfalls sagen das die Stimmen im Dorf. Und aus diesem Grund musste er sie auch mitnehmen – als Vertreterin des Glaubens.
„Er kommt!“ Evas Ruf schallt über die Lichtung und alle Blicke wenden sich ihr zu. Neben ihr taucht eine taumelnde Gestalt auf, schwankt und fällt in den Schnee. Alle hasten auf den am Boden liegenden Malte zu. Mit offensichtlich letzter Kraft, steckt der ihnen eine geschlossene Hand entgegen, atmet stockend aus und erstarrt. Eva streicht vorsichtig über Maltes Haare. Sie splittern, Eiskristalle wuchern im Bart und an den Augenbrauen.
Eva fällt auf die Knie, fleht zu den Vieren und bittet um Schutz, doch tief in ihr klingt die Frage, wovor?
Gemeinsam tragen sie Malte ins Zelt, das Schneetreiben wird mit jeder Minute heftiger. Finn und Smutje sammeln die Ausrüstung zusammen. Sie versinken bereits knöcheltief im Schnee, des Zeltdach senkt sich unter der Last. Eva schnuppert, Veilchenduft wabert durchs Zelt. Unmöglich, und doch ist es dieser Frühlingsbote, der aus Maltes Hand bröselt – starr, eisig und genauso tot wie er. Schnell schlägt sie ein Schutzzeichen, tastet nach Severins Hand.
„Wir müssen zurück, das Dorf warnen.“
„Nein, wir haben die Pflicht, herauszufinden, was hier los ist. Und wenn wir dabei sterben.“ Severins Gerede reizt Eva zum Widerspruch, doch sie beißt sich auf die Lippe.
Sie schaut die andern an, fleht mit den Augen um Unterstützung. Die Männer wenden sich ab. Mühsam zerreißt sie ein buntes Tuch zu Streifen, knotet je einen an die Rucksäcke. Die bunten Stoffbänder sollen die Götter von dem Verstorbenen wissen lassen und um Hilfe für die Trauernden bitten.
„Wir müssen ihn bestatten. Oder ihn nach Wanderfels zurückbringen.“ Immer wieder blickt sie zurück auf Malte. „Finn, Smutje, sagt doch auch endlich was!“ Die beiden Angesprochenen ziehen die Köpfe ein.
Finn schaut sie böse an. „Du und deine Götter, ihr habt es nicht verhindert.“
Eva blinzelt die Tränen weg. „Das waren nicht die Götter, die Natur hat ihn genommen.“
„Wäre ich gegangen, ich hätte es geschafft.“
Alle schauen ihn erstaunt an, Malte ging freiwillig, denn eigentlich war das Los auf Finn gefallen. Der hatte ängstlich gezaudert.
Smutje macht ein Schutzzeichen gen Himmel und murmelt was von Helden werden und dem Winter in den Arsch treten.
Eva schüttelt den Kopf und schaut aus dem Zelt. Dort, wo gestern Abend noch Hasen über eine frisch grüne Wiese hoppelten, breitet sich eine geschlossene Schneedecke aus. Der Wasservorrat im Hirschmagen ist gefroren, der Himmel fällt ihnen in dicken Flocken auf die Köpfe. Es ist Juni.
„Wir brauchen wärmere Kleidung, in unseren Sommersachen erfrieren wir.“
Severin runzelt die Stirn und nimmt einen der gestern erlegten Hasen aus dem Vorratskorb. „Zum Abbalgen reicht die Zeit nicht, also müssen sie unsere Köpfe schützen. Mit diesen Worten zieht es sich den steifen Hasen über seine langen blonden Haare, bis tief über die Ohren. Keinem der Späher ist zum Lachen zumute. Zusätzlich wickeln sie sich in ihre Schlafdecken.
Der Winter folgt ihnen seit ihrem Aufbruch aus Wanderfels.
„Das ist nur ein kurzes Aufbegehren von Väterchen Frost. Die Götter strafen uns für irgendetwas.“
Severin zeigt auf einen Berghang weit vor ihnen. „Dort taut es, seht, die Bäche stürzen über die Berghänge.“
„Dann dreh dich mal um, wie erklärst du das?“ Eva zeigt auf die weiße Wand aus Schnee hinter ihnen, undurchdringlich für ihre Blicke. „Finn sagt, er hat Wanderfels abheben sehen.“
„Der sagt viel, wenn er mit Weibern spricht.“ Smutje, der vierte des kleinen Spähtrupps grinst, weicht aber Evas Blick aus.
„Und warum gehen wir nicht zurück?“ Wieder bleibt Eva stehen und zwingt die Männer sie anzusehen. „Wanderfels hebt nur ab, wenn der Winter zurück ist und sie das Dorf retten wollen.“
„Genau und deshalb können wir nicht zurück, wir müssen helfen, das Dorf zu retten.“ Severin drängt sie weiter. „Harlan hat uns beauftragt, den Osten nach Wild und anderer Nahrung zu erkunden. Und das machen wir!“
„Aber Malte hat sich nicht einfach schlafen gelegt!“ Eva wedelt mit dem bunten Stoffstreifen vor seiner Nase.
„Nein, aber er hat nach Osten gezeigt, dahin sollen wir uns wenden.“
„Oder uns vor etwas fürchten,“ murmelt Smutje.
„Auf! Wir werden beweisen, dass die Vier auf unserer Seite sind, dass wir dem Winter trotzen.“ Ihr Häuptling Harlan hatte sich mit seinem Bruder, dem Priester über den günstigsten Zeitpunkt für die Erkundung beraten. Laut dem Orakel standen die Sterne gut, die Vier würden ihnen helfen. Wobei? Beim Sterben? Severin flucht leise, er will jetzt keine Schwäche zeigen, doch die Situation ängstigt ihn. Kein Gott wird ihnen hier beistehen, sie müssen sich selber helfen. Vor vier Tagen waren sie im Frühsommer aufgebrochen und nun liefen sie vor einem eisigen Winter davon. Davon ja, aber wohin?
„Spinnt ihr? Die Götter sagen eindeutig, dass wir heim sollen.“ Smutje deutet mit den Armen auf all das braune Laub an den Buchen, die am Wegesrand liegenden steifen Glockenblumen und die aus einem Nest gestürzten Jungvögel – alles erfroren. „Zurück zu unseren Lieben ist das einzig Richtige.“ Eva nickt heftig, doch die Männer schütteln den Kopf.
„Du weißt genau, dass wir am Erdboden einen Winter nicht überleben, uns bleibt nur, schneller als der Frost zu sein, vielleicht finden wir einen anderen schwebenden Felsen.“ Severin beharrt auf seiner Führungsrolle und drängt sie vorwärts. Der zügige Laufschritt lässt sie schnaufen, sie treiben sich gegenseitig an. Manchmal schaffen sie es in noch nicht gefrorene Regionen vorzudringen, ein Hoffnungsschimmer, solange sie sich nicht umdrehen. Doch die kürzeste Rast bringt eisige Nebel und knirschende Kristalle an den Pfützenrändern. Der Winter folgt ihnen nach Osten.
Sie hasten bis zur Dämmerung durch unwegsames Gelände. Eine Ricke flieht mit letzter Kraft vor ihnen, dass gerade erfrorenes Rehkitz sammelt Eva widerstrebend als Proviant auf. Wasser tragen sie mittlerweile unter der Kleidung, um es flüssig zu halten. Niemand traut sich zu diskutieren, Severins ernste Blicke halten sie ab. Die Nacht zieht auf, immer dringlicher suchen ihre Blicke einen geschützten Rastplatz.
„Hier draußen werden wir die Nacht nicht überleben, der Wind peitscht den Tod übers Land.“ Smutje wischt die Eiskristalle von den Wimpern, versucht seine tränenden Augen vor dem Wind zu schützen.
Severin hält die Karte hoch, um das letzte Tageslicht einzufangen.
„Hinter der Klamm dort liegt eine Höhe. Es muss Höhlen geben, die Sagen erzählen von einem Labyrinth.“
Eva beugt sich in Richtung der zerfledderten Karte. „Und von riesigen Gefahren und dem Tod.“
„Du bist doch diejenige, die an die Vier glaubt, die den Priester umschwärmt. Fang an zu beten!“ Er würde sie so gerne trösten, aber das darf er nicht mehr. Eva wirft einen hilfesuchenden Blick zu Smutje, normalerweise verwehrt er sich gegen ketzerische Reden. Doch auch er schaut voll Zweifel, alle fühlen sich von den Göttern verlassen.
Endlich liegt der Eingang zu dem Höhlensystem vor ihnen. Trotz des schnell schwindenden Lichtes ist Eva das Warnzeichen, ein geviertelter Kreis, nicht entgangen. Die Männer zucken nur mit den Schultern, ein Blick in das Schneegestöber hinter ihnen zeigt, dass es keine Alternative gibt.
Sie drängen in den schmalen Tunnel, schieben sich gegenseitig den abfallenden Weg in die Finsternis hinunter. Sie bleiben stehen, tauschen verwirrte Blicke. Hier dürfte es nicht so warm sein. Smutje zeigt tiefer in die Höhle, ruft mit sehnsüchtiger Stimme: „Dort ist Licht. Und Wärme.“ Mit weit ausholenden Schritten stürmt er vorwärts, lässt sein Gepäck und die schützende Decke fallen, reißt sich den Hasenkadaver vom Kopf und strebt dem warmen Schimmer entgegen.
Ein Brüllen zerreißt die Luft. Erschrocken lassen sich die Zurückgebliebenen zu Boden fallen, schützen ihre Köpfe. Smutje verschwindet in einer Wolke aus Qualm und herumfliegenden Gesteinssplittern.
Eva liegt noch mit über dem Kopf gekreuzten Armen auf dem Boden und schnuppert. Veilchenduft? Vogelgezwitscher? Kurz vergisst sie ihre Trauer um Malte, richtet sich mit einem Lächeln auf. Sofort drückt Severin sie nieder. Einen Finger auf die Lippen gepresst, zeigt er mit weit aufgerissenen Augen nach vorne. Smutjes Stiefel liegen mitten im Weg. Nur seine Stiefel.
Eva schnappt nach Luft, schluckt den aufsteigenden Schrei herunter. Gemeinsam mit Finn und Severin kriecht hektisch rückwärts. Sie verharren, wenn die brummenden und schmatzenden Geräusche leiser werden, bewegen sich vorsichtig. In Evas Kopf schwirren die Gedanken durcheinander, wo ist Smutje, was schmatzt da, wer spricht …?
Eigentlich will sie es aber gar nicht wissen.
Hinter der Tunnelbiegung, kurz vorm Höhlenausgang stößt sie rückwärts gegen Severin. Erschrocken fährt sie herum, will schreien, schluckt ihre Panik aber tapfer herunter, als sie Severins weißes Gesicht sieht. Finn sitzt neben ihm. Er wiegt sich vor und zurück, wimmert leise in seine Fäuste. Eva kriecht dichter an ihren Anführer heran. Lässt zu, dass er sie wortlos umarmt. Fast tonlos wispert sie: „Und nun?“
Sie lauschen. Die Schmatzlaute sind verklungen, Schaben und Knirschen begleitet Stimmen. Finn hat sich zu einer Kugel zusammengerollt und brabbelt leise vor sich hin. Irritiert schaut Eva zu ihm. Sie hat ihn noch nie beten hören, doch offensichtlich fleht er die Vier um Rettung an. Aber wovor?
Eva versucht den Duft zu erfassen, atmet tief ein. Veilchen! Aus den Tiefen der Höhle erklingt neben Vogelgezwitscher das Blöken von Lämmern. Verwirrt schauen sich Severin und Eva an. Mit Handzeichen verständigen sie sich auf vorsichtiges Anschleichen. Erst jetzt nehmen sie die feinen Adern im Gestein wahr. Auf Wanderfels erstrahlen breite Bänder in Gold, doch hier laufen Fäden in Rot und Grün, blaue Bäche und mächtige Adern in Honiggelb durch den Felsen. Eva fährt mit den Fingerspitzen eine blaue Linie entlang, erschrocken zieht sie die Hand zurück, pustet auf die Fingerspitzen und klemmt sie sich unter die Achseln. Doch schon reckt sie ihr Gesicht wieder dichter an die Steine, eine rote Ader verströmt sanfte Wärme, lässt darüber rinnendes Wasser verdampfen. Was ist das hier?
Sie schieben sich sachte bis hinter eine Steinmauer, lauschen und versuchen einen Blick auf das Geschehen in der sich weit öffnenden Höhle unter ihnen zu erhaschen. Im Moment dringt die Stimme eines Jünglings herauf, auch wenn sie nur einzelne Wörter aufschnappen. „Winter gestraft,“ und „Regeln der Natur akzeptieren“. Eva zuckt mit den Schultern, sucht Severins Blick. Das Wort „Opfer“ lässt sie zusammenzucken. Endlich gibt Severin das Zeichen zum Rückzug. Außer Stimmen und Geräuschen von Frühling haben sie nur einen Blick auf einen Baum erhascht. Einen Baum voll roter Äpfel.
Zurück am Höhleneingang suchen sie Finn. Eine Schleifspur Richtung Ausgang und das Flattern eines Lederfetzens zeigen seinen Fluchtweg – raus in die Kälte. Das Aufeinandertreffen milder Höhlenluft auf die eisigen Winde der Außenwelt lässt eine wabernde Nebelwand entstehen. Eva drängt Finn zu helfen, ihn zurückzuholen, doch Severin schüttelt resignierend den Kopf.
Beide schauen hin und her, es gibt keinen richtigen Weg. Vor ihnen die unheimlichen Geschehnisse, hinter ihnen der Winter. Severin packt seinen Stock fester, geht mit langsamen Schritten voran. Eva murmelt ein Bittgebet an die Vier.
Der Weg schraubt sich in sanften Kurven zum Höhlenboden, der Wärme und den Stimmen entgegen.
„Kommt näher, ihr könnt Eurem Volk dienen und sterben.“ Eine warme Frauenstimme tönt zu ihnen herauf, begleitet von Wellenrauschen und dem Duft reifen Getreides. Eva dreht sich immer wieder um, will fliehen oder sich verstecken, doch Severin fasst nach ihrer Hand, zieht sie mit sich. Er betet nicht, brummt etwas von Pflicht und Feigheit und geht aufrecht weiter. Aber Eva zieht die weißen Knöchel und die verkrampften Finger am Wanderstab. Nach der letzten Kurve bleiben sie stehen und versuchen zu erfassen, was vor ihnen liegt. Die Höhle erscheint geviertelt, ein Schneegestöber und das Klirren von Eiszapfen, grüne Büsche und Vogelgezwitscher, warmes Sonnenlicht mit dem Duft reifen Getreides und raschelndes Laub mit schwertragenden Apfelbäumen. Panisch schlägt Eva ein Schutzzeichen, reißt sich los, hastet den gewundenen Weg zurück.
„Halt!“, donnert es ihr hinterher und gleichzeitig verwandelt sich der felsige Weg in einen reißenden Bach. „Ihr seid freiwillig ins Reich des Jahres gekommen. Niemand geht ohne unseren Willen.“ Eva schreit, ruft die Vier um Schutz und schlägt haltlos gegen die Felswände. Die Fluten begraben sie.
Severin versucht zu ihr zu gelangen, brüllt ihren Namen, klammert sich an die Zweige der Birken. Eine Sturmböe faucht auf ihn zu, wirbelt Laub vor sich her, wirft ihn um.
Eva findet sich in der Mitte einer Lichtung wieder, umgeben von sattem Grün, Unmengen an Blumen und summenden Insekten. Eine Hitzewelle drückt sie nieder, Wind zerrt an den Haaren und nur mühsam kommt sie zu Atem. Endlich erreicht Severin sie und Rücken an Rücken stellen sie sich, nach allen Seiten sichernd, auf. Leise, mit ruhiger Stimme fragt Severin in die Höhle hinein: „Was können wir tun?“
Eva runzelt die Stirn, doch aus der Höhlenmitte erklingt ein Stimmgemurmel.
„Überraschend!“, „Trick“ und „… probieren?“, lassen sich heraushören.
Bevor Severin nachfragen kann, faucht die Frauenstimme: „Die Menschheit hat doch schon genug getan, Dankeschön!“
„Was …?“ Weiter kommt Severin nicht.
„Ihr habt in eurem blinden Glauben an Geld, Macht und seltsame Götter den Planeten fast auseinandergerissen, die Überreste hängen außerhalb aller Naturgesetze herum, nichts folgt mehr den gegebenen Regeln. Doch niemand widersetzt sich auf Dauer der Natur!“ Eine Windhose erfasst die beiden letzten Späher, wirbelt sie hoch. Ihre Glieder verdrehen sich, jegliche Orientierung verliert sich im Fauchen des Windes. Dann nichts mehr. In der Stille der weiten Höhle schlagen sie hart auf den Felsen.
Eva entweicht ein zartes „oh“, der Kopf knickt in einem scharfen Winkel weg, ihre Augen bleiben starr auf Severin gerichtet.
„Nein!“ Auf allen vieren robbt er auf die leblose Gefährtin zu, wimmert und klagt. „Warum sie auch noch, habt ihr nicht genug genommen?“ Seine Hände krallen sich in den Boden, reißen Pflanzen und Blüten aus.
„Nein, noch lange nicht.“ Donnernd vereinen sich drei Stimmen und drücken ihn mit ihrer Gewalt zu Boden. „Geh und berichte es den Deinen. Winter ist schon dort, doch auf ihn hören sie schon lange nicht mehr.“
Severin wiegt Evas Körper, die letzte der ihm anvertrauten Späher und sein Haar ergraut. Das Gesicht verwischt hinter Falten, der Rücken beugt sich und nichts erinnert mehr an den dynamischen Mann.
Er stemmt sich hoch, ächzt. Ein letzter Blick auf die Überreste von Evas Körper, den bereits Wurzeln des Waldes umfangen, Käfer und Larven verzehren.
Langsam, ohne Kraft schleppt sich Severin zum Ausgang der Höhle. Die Hände voll Schlamm und blauen Blüten. Der Nebel ist gewichen, das Land liegt friedlich verschneit vor ihm. Ein schwerer Schatten fällt auf ihn, lässt ihn den Kopf einziehen. Dicht neben ihm schleifen die schweren Metallglieder der Ankerkette vorbei, die Wanderfels bei jedem Abheben in Position gehalten hat. Ein Pfeifen, Rauschen und immer wieder schlägt Eisen auf Fels. Dann erbebt die Erde, Schnee und Fels spritzen in einem Ring hunderte Meter in die Höhe, es reißt Severin von den Füßen.
Am Horizont schlägt die Felsplattform mit Wanderfels auf. Severin stützt sich schwer auf den Wanderstock und humpelt heim. Die Veilchen in seiner Hand duften.