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Was für ein herrlicher Tag!
Hand in Hand ging ich mit meiner Freundin durch die klare Nacht, den Abend hatten wir am Ufer des Flusses genossen, den auf den Kieselstrand platschenden Wellen gelauscht und die wunderbaren Sterne bestaunt, wie es nur Verliebte können. Und das waren wir tatsächlich: verliebt, Hals über Kopf, wie am ersten Tag, dabei waren wir schon seit knapp drei Jahren liiert. Der Sommer hatte gerade begonnen und sie sah wieder einmal wie ein Engel aus, das dunkelblonde, knapp über die Schultern gelockte Haar, ihre grünen Funkeläugchen, in deren Pupillen ich mich winzigklein gespiegelt sah, wenn ich hineinschaute. Ihre Nase aber war mir das Liebste an ihr, sanft und zärtlich küsste ich von ihrem Ansatz zur Spitze hinunter, dass sich schließlich unsere beiden Zungen wie zwei Lilien ineinander verwirrten. Ihr Kopf lehnte auf meiner Brust und ich umfasste sie mit meiner Hand, spürte dabei, dass sie leicht zitterte, begann zu frösteln. Ich fragte sie, ob sie denn lieber gehen wolle, bevor sie sich erkälte und sie nickte zart und schwach, so dass ich ihr über ihr Jäckchen noch meinen Mantel hängte, ehe ich sie auf ihre Beine stellte, ganz eng an mich drückte und versprach, sie nach Hause zu begleiten.
Es war wirklich kühl geworden, zwar leichter, dennoch kalter Frühsommerwind blies in unsere Gesichter, als wir gerade auf die Hauptverkehrsstraße abbogen, von der aus wir noch die Kreuzung überqueren und etwa fünfhundert Meter gehen hätten müssen, um zum Haus ihrer Eltern, wo sie noch wohnte, zu kommen. Als wir zur Fußgängerampel kamen, war diese merkwürdigerweise noch angeschaltet, normalerweise wird die Ampelanlage um zehn Uhr heruntergefahren und es war schon nach elf. Aus den Kneipen und Bars drang tosender Lärm nach draußen, auch das ungewöhnlich für diese Kleinstadt, an einem Sonntagabend. Autos sausten in Scharen an uns vorüber, doch der Kälte wegen machten wir uns hierüber keine weiteren Gedanken und drückten gemeinsam, ihre Hand warm in meiner liegend, den gelben Knopf am Mast der Ampel, damit diese auf grün schaltet. Die Autos stoppten, hupten dabei aber, als wäre es ihnen fremd, dass ein Paar so spät die Straße zu überqueren gedachte. Als das Ampelmännchen uns dann schließlich einlud, loszulaufen, folgten wir seiner Weisung und schritten gemeinsam, aneinander gekuschelt, Richtung andere Straßenseite.
Doch noch ehe wir diese erreicht hätten, schoss ein dunkler Nobelfahrzeug aus den hinteren Reihen an den wartenden Wagen vorbei, wild hupend, der Fahrer ebenso wild gestikulierend. Wie durch ein Wunder erlitt ich nur einige Schürfwunden und Prellungen, wurde durch den Aufprall lediglich ein paar Meter weiter fort geschleudert. Der Fahrer wankte aus seinem Wagen, schrie mich an, machte mir Vorwürfe, was wir denn in dieser Nacht den Verkehr aufhielten, seine Bierfahne roch ich gleich, obwohl ich noch etwas wirr im Kopf, nicht ganz bei Sinnen war, überrascht des Zusammenstoßes. Meine Freundin lag da auf der Straße, rührte sich nicht, Blut strömte aus ihrem Hinterkopf, der Wagen stand beinahe auf ihr drauf. Sofort rannte ich zu ihr, um ihren Puls zu fühlen. Ich hatte ihn oft gespürt, als wir beisammen waren und stets hatte es mich glücklich gemacht, doch nie so glücklich wie in diesem Moment, als ich endlich das Schlagen in ihrer Ader fand. Ich versuchte erste Hilfe zu leisten und telefonierte einen Rettungswagen herbei, welcher auch binnen weniger Minuten an der Unglücksstelle eintraf. Den Fahrer, der noch immer daneben stand und mir im Trunkenzustand Vorwürfe machte, ignorierte ich eben wie das Hupen der umstehenden Autos, meine Freundin war mir selbstverständlich das Wichtigste, etwas anderes, als dass sie es überstehen würde, kam gar nicht in meinen Kopf hinein. Tränen quollen aus meinen Augen, als ich den Sanitätern schildern musste, was passiert war. Diese luden meine Freundin in den Rettungswagen und baten mich mitzukommen, mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn fuhren wir die Straße entlang. Erst als sie im Radio von einem deutschen Triumph erzählten, fiel mir ein, dass es der Abend des Weltmeisterschaftsfinales war, was auch die hupenden Autokolonnen, den Lärm aus den Kneipen und die vielen Deutschlandfahnen, die mir zuvor gar nicht aufgefallen waren, erklärte.
Im Krankenhaus angekommen wurde ich gebeten, zu warten, sie müssten meine Freundin notoperieren, es stehe schlecht um sie, ich solle die Hoffnung dennoch nicht aufgeben. Im Wartesaal lief ich auf und ab, meine Prellungen konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht verarzten lassen, mein Gesicht war inzwischen zu einem Meer voller Tränen geworden, voller Angst um sie, meine Freundin, die ich über alles liebe.
Just in dem Moment, als der operierende Arzt zu mir kam, sagte, dass er alles für sie getan habe, jede Hilfe aber zu spät kam, just in diesem Moment hatte ich auf den Fernseher geblickt, der oben an der Wand hängend Bilder des Finalorts übertrug.
Ein Moderator stand da mit seinem Mikrophon in der Hand, hinter ihm die jubelnde Menschenmenge:
„Nur mit Hilfe dieser großartigen Fans, hier im Stadion und vor den Fernseher zu Hause, in Kneipen und Sportlokalen oder vor den Großbildleinwänden, haben wir es geschafft, lange haben sie gezittert, mit unserer Manschaft gelitten und haben es jetzt natürlich verdient, ausgelassen zu feiern. Was für ein herrlicher Tag für dieses Land! Was muss das für ein herrliches Gefühl sein, all seine Bürger in diesen unglaublichen Freudentaumel versetzt zu haben! Dieser Tag geht in die Annalen“, seinen Satz konnte er nicht zu Ende sprechen, von hinten kam einer der Spieler gelaufen, der ihm einen Humpen voll Bier über die sauber gescheitelten Haare schüttete. Der Gerstensaft aus seinem Gesicht, vom schicken Designeranzug tropfend, übergab er zurück ins Studio, verabschiedete sich jubelhochjauzend vom Publikum mit den Worten: „Natürlich sollten wir auch nicht vergessen, den treuen Sponsoren zu danken, ohne die das alles niemals möglich gewesen wäre.“, während genau das Wagenmodell über den Bildschirm fuhr, das meine Freundin erfasst hatte, der Kofferraum voll von dem Bier, das auch in unserer Stadt überall ausgeschenkt wurde, von dem wohl auch der Fahrer mehr als ein, zwei Gläschen in sich hineingeschüttet hatte.