Was ist neu

Was Heine vergaß

Seniors
Beitritt
10.10.2006
Beiträge
2.635
Zuletzt bearbeitet:

Was Heine vergaß

Sangen drei Schwalben Nachtigallenlieder hoch droben über Belsazars Hof.
Sagte die eine Schwalbe: „Alles ist eitel. Wir sind nur Schwalben und wären doch gern mehr. Wer wird uns besingen, wenn wir gegangen sind?“
Sang die zweite: „Tschilp-tschilp.“
Machte die dritte: „Zirrbit-zirrbit.“
Sagte die eine Schwalbe: „Dort unten das Nest ist stämmig und fest, es wird die Zeiten überdauern.“
Sang die zweite: „Tschilp-tschilp.“
Machte die dritte: „Zirrbit-zirrbit.“
Sagte die eine Schwalbe: „Kommt, Freunde. Lasst uns Geschichte schreiben, auf dass man uns nie vergessen möge.“
Sang die zweite: „Tschilp-tschilp.“
Machte die dritte: „Zirrbit-zirrbit.“
Drei Schwalben sangen Nachtigallenlieder hoch droben über Belsazars Hof.

Und als König Belsazar das Menetekel an der Wand sah, da richtete er seinen Blick nur auf die flammenden Worte und es entging ihm der Anblick einer verbrannten Schwalbe zu seinen Füßen, noch mit genug Phosphor im Schnabel, um „gezeichnet: eine verärgerte Schwalbe!“ zu schreiben.

 

Das nenne ich mal eine wirklich seltsame Geschichte. Zu kurz, um schwer verdaulich zu sein, aber trotzdem verwirrend. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber drei schreiben unbemerkt Geschichte - oder wusste Heine davon und hats unterschlagen? Und warum ausgerechnet Schwalben? :eek:
Bizzar, aber amüsant und wenns da ne versteckte Ebene drin gibt, hab ich sie nicht bemerkt.

Achja:

da richtete er seinen Blick nur auf die flammenden Worte

edit: Gemein, jetzt hast du's schon von selbst korrigiert.

Ginny

 

Hallo Quinn,

wirklich gelungen und gut verpackt. Bin begeistert:thumbsup:

Nun zum Verständnis zum Vorposter: Die Geschichte bezieht sich auf den König Belsazar, der ein Menetekel (unheilverkündende Warnung) an der Wand geschrieben sieht, die er nicht entziffern kann und noch in der gleichen Nacht wird der besagte König ermordet. In einer Ballade von Heine niedergeschrieben.
sehr gerne gelesen, hoffe in der Art noch etwas von dir zu lesen.

lieben Gruß aus der Weltflucht

 

Öhm, ja, den Hintergrund mit Heines Gedicht und König Belsazar kenne ich ... wäre auch schlimm als Germanistin. ;) Ich konnte sie sogar mal auswendig. <g>
Ich wusste nur nicht, ob darüber hinaus noch eine versteckte Bedeutung drin ist.

 

Hi Quinn,

jemand hat mal gesagt, alles unter 15k Zeichen ist eine doofe Pointengeschichte. Er hatte Recht.

Fand es aber trotzdem gut geschrieben; allerdings kenne ich weder Heines Gedicht noch König Belsazar.

Bruder Tserk

 
Zuletzt bearbeitet:

Tach Quinn,

jo, eine kurze "außergewöhnliche" Geschichte und ich bin Fan von außergewöhnlichen bzw. seltsamen Geschichten.
Hier muss ich jedoch gestehen, keine Ahnung was du damit bezwecken wolltest, gibt es einen tieferen Sinn bei der Geschichte, bitte kläre mich auf.
Oder ist das einfach eine seltsame Geschichte?
Würde ich sie verstehen bzw. wenn es etwas zu verstehen gibt, würde ich gerne mehr dazu schreiben, so bleibt mir nur, tadellos geschrieben, nur die Geschichte an sich.... What the Fuck?
Muss zu meiner Schande aber auch gestehen das Heines Werk, was hiermit in Zusammenhang steht, mir völlig fremd ist.
Vielleicht sind die nötigen Vorraussetzungen, die Geschichte zu verstehen, hiermit wohl nicht erfüllt.

Es grüßt dich herzlich,

Jekyll and Hide

 

Hallo noch mal,

ja, die Geschichte ist schwer zu verstehen, ich denke, dass es Schwalben sind ist sekundär. Dass Schwalben Nachtigallenlieder singen ist schon recht bizarr, dann verbrennt die Schwalbe in den flammenden Worten, mit Phosphor gelingt es der Schwalbe „gezeichnet: eine verärgerte Schwalbe!“ zu schreiben, dies nur im Dunkeln zu entziffern ist.

So habe ich es verstanden, wäre nett, wenn der Autor selbst sich dazu äußert.
lieben Gruß bis neulich Weltflucht

 

Hey zusammen,
freut mich, dass die Geschichte so positiv angenommen wird.

Jetzt groß was zur Intention zu sagen oder die Geschichte zu erklären, würde ja viel kaputt machen, es ist keine große Rätsel-Geschichte, einfach ein bisschen bizarr. Es ist ja nur eine Schwalbe, die wirklich was macht. Die anderen tschilben und zirbitten ja nur. ;) Und die arme Schwalbe verbrennt, bevor sie fertig mit Schreiben ist, weshalb ihr Opfer nicht in die Geschichte eingeht (außerdem haben Schwalben natürlich keine Namen, was auch ein Problem darstellen würde, und über die Schrift müsste auch noch nachgedacht werden).

Gruß
Quinn

 

G'nabend Quinn!

Kurz schlaugemacht, um schlau einzuleiten: Gelesen, gewogen, mitgeteilt.

- Fisch hat Deine Geschichte gelesen.
- Du wurdest auf einer Waage gewogen und für unterhaltsam befunden.
- Dir sei mitgeteilt, dass ich zu keiner Interpretation fähig bin.

Aber ich tu mal so, als wär ich wieder in der Schule, und müsste einen Aufsatz schreiben. Wohlan denn ...

Der Autor der Geschichte "Was Heine vergaß" bezieht zu den aktuellen politischen und religiösen Umständen in der Welt Stellung, und persifliert diese auf eine ironisch , sarkastische Weise, die an die Satiren denken lässt, die wir von Kurt Tucholsky im letzten Jahr gelesen haben. So singen die Schwalben zum Beispiel Nachtigallenlieder. Das bedeutet, dass sie von etwas singen, das sie nicht verstehen können, so wie die Menschen in Arabien das immer von Gott machen. Es gibt aber auch Christen, die viel von Gott reden. Im Grunde ist das dasselbe. Menschen, die von Gott reden, sind wie Schwalben, die Nachtigallenlieder singen. Die Schwalbe, die das Menetekel an die Wand schreibt, ist die Darstellung eines Selbstmord-Attentäters. Hierauf weisen Phosphor und Flammen hin, und natürlich der Opfertod des gefiederten Agitators. Obwohl die beiden anderen Flugtiere nicht mitziehen, bleibt die Aktion der einzelnen Schwalbe allerdings nicht wirkungslos. Belsazar wird sterben, sein Reich geteilt werden. Nur weiß halt keiner, dass es die Schwalbe war, die es herbeiführte. So wird Geschichte von den Siegern geschrieben. Und der kleine Mann ist wie immer der Vergessene.

Bis denne,
Fisch

 

Jau, Fisch. Deine Interpretation hat mir die Sprache verschlagen.
Freut mich sehr, wenn der Text solche Gedankenketten auslöst - zumindest bei dir. ;)

Gruß
Quinn

 

„Kommt, Freunde. Lasst uns Geschichte schreiben, auf das man uns nie vergessen möge.“ (Quinn)


Hallo, Quinn,

gestern Deine Geschichte gelesen und für fantastisch & a. o. gut befunden.

Wie läuft das hier mit den Empfehlungen, Aufsicht?!

Ich bin noch nicht lange hier bei Kurzgeschichten.de, was mir aber vom ersten Tag an aufgefallen ist, ist die Tendenz des Publikums, wenn es mit der Interpretation nicht zu Rande kommt, den Autor nach seiner Intention oder - besser noch - Deutung zu fragen.

Ja, Leute, dann lassen wir’s doch, Geschichten zu schreiben und schreiben stattdessen Interpretationen. Aber die sind i. d. R. weniger unterhaltsam als die Geschichten (hier gibt’s wie überall sonst auch Ausnahmen). Eine gute Geschichte lässt viele Interpretationen zu und selbst ein Autor muss nicht die einzig gültige Interpretation abgeben. Es reicht, dass die Geschichte den Leser gefangen nimmt und unterhält, vielleicht sogar beschäftigt. Da ist nicht nur Konsumieren, sondern auch Arbeit am Text angesagt. Ist halt nicht alles Gartenlaube, Lebenshilfe und/oder Ratgeberliteratur!

Dann will ich mich mal versuchen:

Die Geschichte kommt in strengem Maß als Prosatext daher, versucht aber den „Belsatzar“ des jungen Heine weiterzuspinnen, was ihm auch auf gerade mal einer halben Seite Manuskript m. E. gelingt.
Ob Nachtigallen tschilpen oder „Zirbitten“ gen Himmel senden oder ob das die Vorstellung von Schwalben ist, dass Nachtigallen also musizierten, weiß ich nicht, ist aber auch nebensächlich & etwas für Vogelkundler.
Die Geschichte sagt, was die erste Schwalbe behauptet: Alles ist eitel. Also auch Schwalben, insbesondere die geschilderten, die am Hof einer Weltmacht sich eingenistet haben und Nutzen daraus ziehen wollen, dass der Glanz des Hofes auf sie abfärbe.
Selbst Vögel geben vor, mehr zu sein als sie sind und spekulieren auf die Ewigkeit, wollen Geschichte schreiben und geben ein Abbild des größenwahnsinnigen Regenten der Weltmacht Babylon, deren Ende abzusehen ist. Das Ende der „hoffärtigen“ Nutznießer kommt früher als das Ende der Weltmacht.

Wer Heines „Belsatzar“ (Heine hat den Namen genau so geschrieben) nicht kennt, schau ins Buch der Lieder/Junge Leiden/Romanzen unter römisch 10 nach. Seine Vorlage ist das Buch Daniel im AT. Danach erschienen dem Babylonier Belsazar die aramäischen Worte „Mene mene tekel upharsin“ (Menetekel! Weltflucht sei dank!), die den Untergang Babylons ankündigten. Hier kommt auch das Wort her, dass jemand oder etwas gewogen und zu leicht befunden wird (siehe Fischstäbchen).
Heines Gedicht ist ’ne schöne Geschichte, hätte aber keine Chance, hier veröffentlicht zu werden. Aber das ist wieder eine andre Geschichte.

Der historische Belsazar ist in jedem Fall umgekommen, als die Perser und Meder unter Kyros Babel eroberten. Wie lang das Reich der Perser hielt, sollte bekannt sein.

Mit dem ganzen Hintergrund AT, Heine, Geschichte misst die Geschichte wesentlich mehr als 15k.

Noch 'ne Frage: wieso soll die Geschichte seltsam sein? Dann sind die USA das auch, die ja einen Präsidenten haben, der ja nur meint, dass das, was er spricht, Englisch wär.

Gruß Friedrichard

 

Hallo Friedrichard,

ich hab deine Kritik -nicht nur weil sie sehr lobend ist - gerne gelesen. Und gerade das, was du über die Interpretierei sagst, trifft es auch für mich. Es sind ja Texte und keine Gleichungen, wo der Lehrer (bzw. der Autor) dann hinterher sagt: Richtig gelöst oder falsch. Der Autor hat mit dem "fertigen" Text nichts mehr zu tun.
Insofern finde ich es auch sehr interessant, wie verschiedene Menschen den Text interpretieren. Kollege Nick, der Fisch, hat da einen ganz anderen Ansatz gefunden als du, indem er es als Gleichnis auf die heutige Welt, zu Terroranschlägen, gelesen hat, du siehst den Verfallsprozess und ein wenig die Hybris im Vordergrund.

Hat mich sehr gefreut
Quinn

 

„Kommt, Freunde. Lasst uns Geschichte schreiben, auf dass man uns nie vergessen möge.“ (Quinn)

Kleine Korrektur vorweg, die mir doch vordem durchgegangen ist, vor Dudens Zeiten auch sicherlich keine Rolle gespielt hätte. Wichtig ist, dass man weiß, was gemeint ist. Aber wenn die Regel dazu kommt, erleichtert's(ie) schon Zweifelsfälle.

Jetzt Schluss mit dem Gelaber!

’n abend, Quinn!

Sag ich ja, es gibt bei jedem guten Stück Literatur mehr als eine Interpretation und selbst der Autor muss nicht unbedingt wissen, wie sein Text zu endgültig deuten ist. Aber die beiden Interpretationen liegen gar nicht so weit auseinander. Oder glaubt irgendwer, dass ich Nebukadnezars Nachfahr’n von ihrem/seinem (wahrscheinlich selbstverschuldeten) Schicksal her bedau’re?

Das trifft auch fürs neue Rom zu. Insofern ist Bush sr. Jacke wie Hose mit Bush jr. oder wie die Fuzzies irgendwann und irgendwo geheißen haben. Bei den beiden wissen wir halt, dass Oil die Interessen der politischen Eliten zu bestimmen vermag, und Oil hat sehr wenig mit Menschenrechten und/oder Demokratie zu tun, wie immer auch die vorgeschobenen Interessen heißen mögen. Oil ist halt zähflüssiger als Blut.

Aber ich schweif’ ab (hab auf den frz. Nationalfeiertag getrunken, bin aber noch nicht ganz in Melancholie versunken.)

Wo bleibt die Aufsicht?

Was ist mit der Empfehlung?

Gut Nacht!

Friedrichard

 

Hey lea,

Aus Schwalbenperspektive muss sowas großes, aus Stein gemeißeltes wie die Burg natürlich für die Ewigkeit gedacht sein. ;)
Außerdem ist die Schwalbe ein ziemlicher Idiot, sie labert ja auch ihre beiden Kumpel voll, obwohl die offensichtlich kein Interesse an ihren Plänen zeigen.
Du hast aber recht, das "alles ist eitel" ist widersprüchlich zu dem "es wird die Zeiten überdauern", das ist aber durchaus so gedacht, eine Frage der Perspektive sozusagen.

Dank dir ;)

Hallo Friedrichard,

öhm, ich glaube, hier gibt's keine Aufsicht. Wenn du die Geschichte wirklich empfehlen möchtest, dann musst du auf den kleinen "Empfehlungs"-Button oben rechts über der Geschichte klicken.

Huch, das ist ja schon fast unethisch solche Hinweise zu geben. Am besten lösch ich das und zwinge wen anders, es zu erklären.

Den Fehler werd ich korrigieren.

Gruß
Quinn

 

Hallo Friedrichard,

um etwas zu empfehlen musst du auf den kleinen "Empfehlungs"-Button, dargestellt durch einen Daumen, oben rechts über der Geschichte klicken. Und deinen Empfehlungstext dort eingeben.

So, Quinn, du bist aus dem Schneider ;)

 

Leute, da bin ich noch mal,

was ich nämlich bei allem vergessen hab zu sagen ist:

die erzählte (erfundene) Geschichte de drei Schwalben ist so genial einfach, dass sie schon wieder genial ist!

& alle, die ich ungerechtfertigterweise (dieses Monstrum lässt der Duden zu!) angesprochen habe ("Aufsicht") mögen mir verzeih'n!

FR

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom