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Was ich an mir hasse
Was ich an mir hasse
"Ich habe eine Liste gemacht" sagte Iris.
"Alle Sachen die ich an mir nicht mag. Und ein Bild hab ich auch gemalt."
Sie strich sich ihr schönes braunes Haar aus dem Gesicht. Sie kramte in einem Haufen loser zerknitterter Papierblätter herum. Auf den meisten davon waren Zeichnungen von leicht bekleideten Damen zu sehen, die alle ein wenig Ähnlichkeit mit Iris aufwiesen. Sie schien den Gegenstand ihrer Suche gefunden zu haben. Sie reichte Lara einen karierten Zettel, auf dem zwei sehr unterschiedlich aussehende junge Frauen abgebildet waren. Offenbar stammte das Bild ebenfalls aus Iris' Feder. Lara runzelte die Stirn während sie das Bild betrachtete. Auf der linken Seite stand ein fülliges Mädchen mit Pickeln im Gesicht und auf ihren dicken Oberschenkeln. Ihre Mundwinkel waren demonstrativ nach unten verzogen. Die rechte Seite zierte ein schlankes Weib mit ellenlangen Beinen, überdimensionalen Brüsten und blonden Haaren bis zum Arsch. Die Überschriften lauteten :
Linke Seite "jetzt" und rechte Seite "wanna be". Ungläubig verglich Lara ihre Freundin mit deren Selbstportait. Iris saß auf ihrem Schminktisch-Hocker und zog sich gerade den Lidstrich nach, obwohl sie nicht gedachte das Haus an diesem Tag noch zu verlassen. Ein riesiger Spiegel hing über ihrem Schminktisch. Er war einer von fünf anderen Spiegeln, die im Raum verteilt hingen. Während Iris sich herausputzte beobachtete Lara sie in diesem Spiegel. Sie war wunderschön. Ihr Gesicht war perfekt, fand Lara. Nein, sie WUSSTE dass es so war. Warum sonst sollten alle Jungs auf sie stehen? Sogar all die Zwanzigjährigen? Wieso sonst sollte sie so beliebt sein? Sie legte den Zettel beiseite.
“Ich hab in letzter Zeit so ekelhaften Ausschlag an der Muschi”, verkündete Iris beiläufig.
“Ich glaub ich vertrag dieses Enthaarungszeug nicht”.
Lara brummte ratlos zur Antwort. Geständnisse dieser Art brachten sie immer ein wenig in Verlegenheit. Iris dagegen schien keinerlei Hemmungen zu haben, was ihre Intimsphäre betraf. Lara warf selbst einen Blick in den Spiegel - was eigentlich auf Dauer in diesem Zimmer unvermeidlich war. Was sie sah versetzte sie in düstere Stimmung. Düster war Laras bevorzugte Stimmung. Iris tanzte zu dem lauten Hip-Hop, der aus ihrer Stereoanlage dröhnte. Für Iris ertrug Lara gerne mal ein paar Stunden Aggro Berlin. Während sie tanzte besah Iris sich in einem ihrer Spiegel. Sie schien zufrieden mit sich. Sie schien überheblich . Wie selbstgefällig sie sich bewegte.
“Sie kann es sich auch leisten, eingebildet zu sein”, schalt Lara sich selbst in Gedanken, obwohl sie wusste wie es wirklich um Iris' Selbstachtung stand. “Du bist doch nur neidisch”. Es war sehr anstrengend mit Iris.
Letzten Sommer hatte Iris sich die Pulsadern aufgeschnitten, als einer ihrer flüchtigen Fick-Freunde mit ihr Schluss gemacht hatte. Aus Versehen, hatte sie gesagt. Im Krankenhaus war die Wunde genäht worden. Lara war natürlich wieder die Einzige gewesen, die sich darum gekümmert hatte. Sie hatte sie im Krankenhaus besucht. Sie wollten sie wegen Suizidgefahr dabehalten. Die Narbe war noch heute deutlich zu sehen. Die Psychologin hatte Iris als “dissozial” eingestuft. Iris tanzte vor ihrem Spiegel und war schön. Es war schwer zu sagen was sie von sich selbst hielt. Lara glaubte es zu wissen. Sie glaubte zu verstehen, was vielleicht nicht mal Iris selbst verstand. Iris war jähzornig. Iris war egozentrisch. Sie war nicht in der Lage, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Man konnte nie wissen was sie als nächstes tun würde, sie war unberechenbar. Es war sehr anstrengend für Lara, ständig auf sie aufzupassen.