Mitglied
- Beitritt
- 07.11.2003
- Beiträge
- 148
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Was lange währt …
Der Tod kam nicht unverhofft über Johannes Tickl. Eigentlich hatte er schon längere Zeit damit gerechnet, dass ihm etwas Übles widerfahren würde.
Johannes saß auf einer Wolke, und sah sich ein letztes Mal die vertraute Heimat an. Da unten waren sein Haus, der kleine Garten, ein paar Pflanzen und der Baum; und da konnte er auch seine Frau sehen, die es sich im Schatten gemütlich machte. Die missratene Tochter war vermutlich in der Schule. Undankbares Gesindel. Oh, du schreckliches Weib. Was hatte er nicht alles getan, um sie stets milde zu stimmen. Hatte ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen, sie in allem unterstützt, ihr seine ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Nichts war ihr gut genug gewesen.
Tief traurig saß Johannes Tickl auf seiner Wolke, eigentlich eine Wolke für jedermann und jede Frau, aber für Johannes war es eben „seine“ Wolke.
Doch da es im Himmel nicht lange dauert, bis einem Engel Trost widerfährt, schwebte da bald ein lustiger Geselle auf Johannes zu. Ein freundlich dreinblickendes Bürschchen mit aufgeweckten Augen und einem entwaffnenden Lächeln. Eigentlich unnötig, da es im Himmel ja gar keine Waffen gab. Nur die kleine Rauchwolke, die der Lustige hinter sich herzog, wollte nicht so recht ins Land der Wattebäuschchen passen.
„Was gibt’s? Weshalb so traurig, Angereister?“
„Ach, da unten, auf der Gartenliege, mein Weib. Was hab ich nicht alles Gutes für sie getan, und wie hat sie‘s mir gedankt?“
„Ja, wie bloß?“
„Ist sie doch so wild auf mir herumgehüpft, dass mir das Herz stehen blieb.“
„Ja, ja, Gevatter. Auf alten Pferden mag das Reiten gut zu erlernen sein, doch ist die Fesche erst geübt, dann geht dem alten Gaul schon bald die Puste aus.“
„Ach, was weißt du denn schon? Hier im Himmel gibt’s ja keine Sünden, und sicher auch keine fleischlichen Gelüste.“
„Oh, eure dummen Märchen von der Erde. Sicher glaubst du auch, dass sich Vampire vor Knoblauch ekeln. Wo doch zwei Wolken weiter Graf Dracula mit diesen Dingern handelt.“
„Ach, wirklich?“
„Pah! Was denkst du denn, glaubst du, der Teufel lügt dich an?“
„Der Teufel, nein, was du nicht sagst. Du, hier oben.“
„Was ist oben, wo ist unten? Das Leben spielt sich ab, da drunten.“
Und Johannes Tickl musste erkennen, dass Belzebub vollkommen Recht hatte.
„Ei, was seh ich denn da? Ich bin noch nicht einmal richtig kalt, da ist das Weib schon wieder in den Steigbügeln.“
„Den Hengst musst‘ Sie wohl nicht lang bitten, in der Art wie er nun wird beritten.“
„Ach, hör endlich auf mich zu verspotten, und deine billigen Reime kannst du dir an die Hutschnur stecken.“
„Na, ganz ruhig, Alterchen. Ist ja schon gut. Aber mit so einem jungen Ding, da musste dir doch klar sein, dass dein Glück nicht von langer Dauer sein konnte. Und – siehst du? Das kleine Fläschchen, dort, im Medizinschrank?“
„Aiieh! Dieses Teufelsweib.“
„Na, davon wüsst ich aber was.“
„Ach, sei doch still. Schau lieber hin! Wieder scheint für die da unten ein Tag vergangen zu sein. Wieder liegt sie faul auf der Liege herum, in Gedanken sicher schon beim nächsten Hengst. Jetzt, da sie mich aus dem Weg geschafft hat. Ich hab mich an alles gehalten, was ein Mann tun sollte: Ein Haus hab ich gebaut, einen Baum gepflanzt und eine verzogene Göre gezeugt. Was ist das für dummes Zeug, dass man uns Männern einredet? Was hat es mir gebracht? Ach, was würd ich darum geben, könnt ich’s dem Teufelsweib irgendwie heimzahlen.“
„Hmm – vielleicht war ja doch nicht alles umsonst. Mein Blick dringt tiefer als du denkst. In die Seelen und ins Erdenreich. Ich sehe da unten etwas, das uns weiter helfen könnte.“
„Ach, wirklich?“
„Na, glaubst du vielleicht, der Teufel lügt dich an?“
„Und was willst du dafür?“
„Nur dein – Lächeln.“
„… komm, lass uns den Fall abschließen.“
„Trotzdem, in meiner ganzen Laufbahn ist mir so etwas noch nicht begegnet. Es ist zwar rein theoretisch möglich, aber die Chancen, dass es passiert, stehen eins zu einer Million.“
„Falls das überhaupt ausreicht. Aber der Fall scheint dennoch klar. Die Spurensicherung hat Anzeichen dafür gefunden. Da fällt mir übrigens ein Sprichwort ein. Nur müsste man in diesem Zusammenhang sagen: ‚Was lange währt, tut dir nicht gut‘. Und Zeit war so ziemlich das Einzige, was das Ding ausreichend zur Verfügung hatte. 60 lange Jahre hat es gewartet, um dann plötzlich loszuschlagen, 250 Pfund geballte Ladung.“
„Ja, und wie gespenstisch ist denn das? Schau dir nur mal den Krater auf dieser Luftaufnahme an. Mit ein bisschen Phantasie erscheint es einem so, als blickte man auf die schmerzverzerrte Fratze eines alten Mannes. Recht mysteriös, das Ganze.“
„Tja, wer konnte auch ahnen, dass eine harmlose Baumwurzel eine solche Katastrophe auslösen würde?“
„Die Tote mit Sicherheit nicht.“