Was tun mit einem Metzgermeistertitel?
Lasse schreckte schweißgebadet aus dem Bett hoch. Sein Traum hatte wieder einmal vor Blut und Blutrünstigkeit nur so getrieft. Im Spiegel an der Wand gegenüber konnte er sogar jetzt, mitten in der Nacht, seine dicken Tränensäcke und schwarzen Augenringe sehen. Kein Wunder, er schlief seit Jahren schlecht. Dabei war er doch erst 25.
Er versuchte noch einmal zu schlafen. Doch kaum schloss er die Augen- zack- da sauste vor seinem inneren Auge wieder irgendein Beil auf einen der blöden Fleischertische.
Lasse stand auf, ging in die Küche und nahm eine noch größere Dosis seiner Beruhigungstabletten als am Vorabend.
Mit dieser Menge der weißen Perlen intus gelang es ihm diesmal in einen sehr unruhigen Schlaf zu verfallen. Er träumte besser. Diesmal war es die bloße Erinnerung an einen Tag kurz vor seinem Abitur, die den Traum beherrschte...
Erzählen Sie doch mal von sich, von ihren Interessen, ihren Fähigkeiten, dann sollte es doch kein Problem sein, einen passenden Beruf für Sie zu finden. Während Sie erzählen, gebe ich dann das ganze in den Computer ein, und der spuckt uns dann eine Berufsneigungsinformation aus sowie eine lange Liste mit Berufsvorschlägen. Nun aber mal los, erzählen Sie, frisch und frei, so wie es Ihnen einfällt!
Lasse rutscht verlegen auf der Sitzfläche des Stuhls hin und her.
Hm, ja also, ich wollte früher immer Arzt werden, am liebsten Chirurg, hm, und mein Berufspraktikum habe ich auch im Krankenhaus gemacht, bei ´ner Operation war ich auch schon dabei.
-Ach, das ist ja interessant. Und haben Sie denn ruhige Hände?
Dumpf betrachtet Lasse seine im Schoß flugs gestreckten Hände.Ja, an und für sich schon.
Dann hebt er den Blick.So was geben Sie in den Computer ein??!
Jetzt ist die Reihe der plötzlich unbequemen Sitzhaltung an dem Herrn Berufsberater, und er rutscht seinerseits auf dem Stuhl hin und her. Aber er, als der Erfahrene und Ratgebende überspielt es natürlich leicht. Dabei wendet er den Blick nicht vom Bildschirm.
-Nein nein, es gibt da nur ein kleines technisches Problem, habe ich gerade gemerkt, aber das wäre doch gelacht, wenn wir das nicht auch ohne Computer hinkriegten, was?
Kumpelhaftes Lachen...
-Ja gut, also dann mache ich mal weiter?! Also, aber eigentlich ist Chirurg doch nicht so das Richtige. Zu viele Menschen um einen rum ständig, und so. Und die Verantwortung. Naja, also ich mach sonst noch viel Sport, spiel halt Fußball und so, keine Ahnung, echt, ich hab mir noch nicht so die Gedanken gemacht.
Der Berufsberater grunzt verärgert und hämmert unablässig auf die Tastatur des Computers ein. Ab und zu brummt er ein "aha" in Lasses Richtung, um diesen zwischendurch geistesabwesend anzuschauen. Schließlich, nachdem eine Zeit beiderseits schweigend verstrichen ist:
-Chirurg. Aha. Kommt also nicht mehr in Frage. Aber hören Sie mal, von Computern verstehen Sie nichts zufälligerweise?
Lasse bemerkt, dass es keine echte Aufforderung ist. Langsam wird ihm die Sache angenehmer. Er hatte schon die Befürchtung gehabt irgend so ein Psycho-Fuzzi würde ihn die ganze Zeit durchleuchten wollen, nach seinen Neigungen. Aber das lief ja alles ganz locker. Er fühlte sich fast wörtlich unbeobachtet. Dieser Herr hier fuhr bloß immer weiter fort:
Wieso ist denn hier... also ich versteh das nicht. Schauen Sie mal hier, hier ist mir gerade per E-mail die Anfrage von Metzger Hengstebeck eingegangen, der Ausbildungsplätze frei hat und mich bittet ihm ein paar Leute zu vermitteln. Und die nimmt plötzlich den ganzen Bildschirm ein... also, ich weiß auch nicht. Ausgerechnet heute ist hier die Sekretärin krank.
Aber fahren Sie doch fort... Ich höre zu.
-Ja also ich weiß jetzt auch gar nicht, was Sie noch hören wollen. Vielleicht fragen Sie mich einfach noch konkreter. Was müssen Sie denn von mir wissen?
-Bitte? Ein unverwandter Blick. Ach... äh, erzählen Sie mir doch von Ihrem Wunsch, Chirurg zu werden noch ein bisschen.
- Das ist ja gar nicht mehr mein Wunsch. Das war nur so ´n Gedanke.
-Äh...ja,... und wie sieht´s mit Tieren aus?
Lasse war erstaunt. Tja, sie hatten zuhause eine Katze und seine kleine Schwester ging reiten, aber sein Traum war es nicht gerade, eine Tierpraxis zu eröffnen.
-Und den Herrn Hengstebeck kennen Sie nicht?
Jetzt dämmerte es Lasse. Oh, nein! Das war zuviel, nein, nicht Metzger!
-Entschuldigung, mein Berufswunsch ist nicht Metzger!
-Ah, schauen Sie mal hier, jetzt geht hier wieder was am Bildschirm. Also, gehen wir das ganze doch mal nur so durch. Hier haben wir doch ein Formular. Passen Sie auf, das geht folgendermaßen. Sie würden dann hier... (...) und mit 25 Jahren hätten Sie schon Ihren Meister. Gute Berufsaussichten, ganz gute Berufsaussichten. In Zeiten von BSE findet man wirklich kaum noch Leute, die bereit sind in solchen ja doch körperlich fordernden und chirurgisch angehauchten Berufen mit Tieren vollen Einsatz zu zeigen. Bei Ihnen sehe ich da ein großes Potential. Sie kennen sich nicht mit Computern aus- und Metzger ist einer der wenigen Berufe, wo Sie die edv-Kenntnisse nicht zwingend benötigen, Sie sind körperlich belastbar durch Ihr Fußballtraining, Sie sind dem Beruf des Chirurgen nicht abgeneigt- und was sind Chirurgen schon anderes als Metzger? Großes Potential... jaja, ganz großes Potential....
Hier weckte Lasse der Wecker. Er fuhr auf. Verdammtes Ding. Da war man einmal gut eingeschlafen, schon musste man aufstehen. Aber für einen Metzger begann der Tag früh. Und früher noch für einen Metzgermeister wie Lasse. Als solcher musste man ja noch die Übersicht wahren und die Kontrolle über die dummen Anfänger ausüben.
Aber heute- so beschloss Lasse- sollte sein Weg ihn nicht in seine Metzgerei führen. Er hatte noch etwas zu erledigen... Heute endlich, wo sein Psychiater ihm eine stabile Willensstärke und vergrößertes Selbstbewusstsein bescheinigte, da wollte er sich rächen, dass man ihn so verkorkst hatte. Heute hatte er die aufgestaute Wut jahrelanger Albträume...
Und als er das Haus Richtung Arbeitsamt verließ, begleitete ihn - sein Schlachtermesser...
Blieb nur zu hoffen, dass der gute Herr Berufsberater nicht schon anderen mittlerweile rachsüchtigen Menschen einen Beruf aufgeschwatzt hatte!
[Beitrag editiert von: Pandora am 27.02.2002 um 13:56]