Was Werbung bewirken kann
Was Werbung bewirken kann
Ich wusste schon bald, dass dies ein besonderer Tag werden würde. Oft hatte ich so etwas im Gefühl. Draussen wurde es immer wärmer, der Frühling war nahe. Die Sonne wärmte mein Gesicht schon in den Morgenstunden, als ich versuchte, mich an den gestrigen Tag zu erinnern. Erst nachdem mir wieder eingefallen war, warum ich hier sass, merkte ich, dass die Sonne in meinem Gesicht brannte. Ich seufzte und erhob mich. Im Innern des fremden Hauses begann ich, mich an gestern zu erinnern.
Der Tag war sonnig wie jeder andere zu dieser Zeit, und veranlasste mich, einen langen Spaziergang durch den Stadtpark zu machen. Mit jedem Schritt fühlte ich mich besser, lebendiger und fröhlicher. Das war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb ich mich von ihm überreden liess. Er war ein gutaussehender Mann Mitte dreissig, und konnte, warum auch immer, meine Neugier sofort wecken. Ich weiss nicht mehr, wie wir ins Gespräch fanden, aber er fragte mich bald, ob ich Lust hätte, ihm bei einem Werbespot zu helfen. Er sei ein Werbeagent und arbeite bei einer berühmten Firma. „Ich suche jemanden Junges, so wie du, der in meinem neuen TV-Spot eine einfache Nebenrolle spielen könnte“, sagte er. Dabei müsse man kein Schauspieltalent haben, behauptete er. „Worum geht es denn genau in dem Spot?“, fragte ich neugierig. „Du müsstest nur dastehen, im Hintergrund, und das Produkt anschauen. Es geht um ein Getränk.“ „Ich wollte schon immer einmal im Fernsehen auftreten, das finde ich super“, lachte ich. „Dies ist deine Chance, die wirst du nicht so schnell wieder bekommen. Es ist wirklich nicht schwierig und dauert auch nicht lange. Du könntest noch heute kommen“, versuchte er mich zu überzeugen.
Dass ich mich so schnell entschieden habe, hatte wahrscheinlich auch mit meiner momentanen abenteuerlustigen Phase zu tun. Mir war in letzter Zeit oft langweilig, weshalb ich mir wünschte, etwas Spannendes zu erleben.
„Okay, ich bin dabei“, sagte ich und lachte ihn an.
Wenn ich mich heute an jenen Moment erinnere, fällt mir auf, dass ihm die Freude fast allzu sehr ins Gesicht geschrieben stand. Ich dachte wahrscheinlich, dass er lange nach jemandem hatte suchen müssen, und deshalb einfach froh war, mich gefunden zu haben. Ich wurde misstrauisch.
Bald darauf fuhren wir in seinem Sportwagen in die nächste Stadt, wo die Firma stand, wie er sagte. Die Fahrt dauerte nicht lange und er erzählte mir von seiner Arbeit und dass er solche Spots mit Laien öfters machen müsse. Darum mache ihm diese Arbeit auch so Spass.
Am Anfang war ich ein wenig nervös, aber schon nachdem ich das erste Mal vor der Kamera stand, wurde mir wohler. Meine Aufgabe war es, im Hintergrund mit einer Flasche in der Hand zu stehen und ab und zu einen Schluck davon zu trinken. Das Getränk schmeckte sehr süss, aber ich spürte deutlich den Alkohol in meinem Hals. Es machte mir nichts aus. Im Vordergrund spielte eine junge Frau, ihre Aufgabe war es, von hinten nach vorne zu laufen, mit dem Getränk in der Hand. Danach musste sie auf der Party tanzen, die Flasche im Vordergrund. Die Stimmung war sehr locker, ich fühlte mich wie auf einer richtigen Party. Trotzdem mussten wir den Spot mehrmals drehen, weil der Regisseur jedes Mal mit einem anderen kleinen Detail nicht ganz zufrieden war. Als wir endlich fertig waren, wozu ich gar keine Lust hatte, war es draussen schon dunkel geworden. Als ich an die frische Luft kam, spürte ich sofort den Alkohol in meinem Körper und ich fühlte mich nicht mehr so gut. Der Werbeagent merkte es mir bald an, nachdem er mich für meine Arbeit gelobt und sich bei mir bedankt hatte. Er gab mir sogar nach fünfzig Franken, welche ich dankend annahm.
„Ich glaube, du solltest etwas essen, damit es dir wieder besser geht“, sagte er zu mir. „Gute Idee“, antwortete ich, und kurz darauf war das ganze Drehteam in einem Restaurant um einen Tisch versammelt. Wir feierten die gelungene Aufnahme mit Champagner. Essen konnte ich nicht viel, ich verspürte keinen Hunger. Ausserdem hatte ich keine Ahnung, welche Zeit es war, denn ich trug nie eine Uhr.
Nach dem Essen standen wir draussen und schauten in die Dunkelheit. „Es ist schon so spät, ich kann dich heute Abend nicht mehr nach Hause bringen, das wäre zu weit. Wenn du willst kannst du bei mir übernachten“, fragte er müde. „Ich weiss nicht, aber es wäre wahrscheinlich vernünftiger. Du kannst mich immer noch morgen nach Hause fahren“. Ich war nicht mehr imstande, klar zu denken und hielt seine Idee für logisch.
Dass er stark alkoholisiert mit mir zu sich nach Hause fuhr, wurde mir erst heute klar. Jedenfalls ging die Fahrt gut, daran kann ich mich erinnern.
Bei ihm zu Hause, er wohnte in einer gemütlichen, grossen Wohnung, zeigte er mir, wo ich schlafen konnte und wünschte mir dann eine gute Nacht. Bald darauf wurde es ruhig in der Wohnung und ich schlief im Wohnzimmer auf der Couch sofort ein.
Als ich aufwachte, erschrak ich zuerst. Wo war ich? Ich stand auf, spürte ein Pochen im Kopf und lief auf die Veranda. Die Sonne schien und es war schon angenehm warm. Ich setzte mich auf einen Gartenstuhl und versuchte, mich zu erinnern.
Später war ich wieder im Wohnzimmer und hörte dort ein ungewohntes Geräusch. Nach ein paar Sekunden merkte ich, dass es der Werbeagent war, der in seinem Zimmer schnarchte. Ein Schauer lief mir kalt den Rücken hinunter und somit war die Müdigkeit endgültig weggewischt. Warum bloss übernachtete ich bei ihm? War ich denn von allen guten Geistern verlassen? Ich bekam es mit der Angst zu tun, weil mir bewusst wurde, was mir alles hätte passieren können. Jetzt war die Erinnerung wieder ganz da, und ich fragte mich, wie ich nur so naiv sein und mit einem fremden Mann mitgehen konnte.
Das alles sprang auf einmal in meinen Kopf und setzte mich in Bewegung. Ich suchte meine Tasche und machte, dass ich aus der Wohnung kam. Ich lief nach draussen und konnte mich erst nach einer Weile wieder beruhigen. Mit leicht geröteten Wangen atmete ich ein paar Mal tief durch und machte mich zu Fuss auf den Heimweg.
Die nächsten Tage war ich sehr unruhig und ärgerte mich unendlich über mich selbst. Ausserdem war ich total froh, dass ich heil nach Hause gekommen bin. Ich hatte mehrmals Albträume, welche ich danach immer vergebens zu verscheuchen versuchte.
An einem Sonntagmorgen fand ich mich wieder einmal grübelnd über dieses Erlebnis, obwohl ich eigentlich in den Fernseher schaute. Per Zufall wurde ich auf eine Werbung aufmerksam, welche mir sofort irgendwie bekannt vorkam. Ich sah die junge Frau, wie sie tanzte, das Getränk im Vordergrund. Und tatsächlich entdeckte ich mich im Hintergrund. Das Ganze sah wahnsinnig professionell aus und verleitete einem wirklich, das Produkt zu kaufen. Mich überkam ein Gefühl von Stolz und es fühlte sich an, als wäre ich plötzlich wichtig. Ich war glücklich darüber, dass ich tatsächlich im Spot vorkam, denn ich hatte nach diesen schlimmen Tagen gar nicht mehr daran geglaubt.
Nach ein paar Minuten Nachdenken wurde mir klar, dass ich wahrscheinlich überreagiert hatte und das Ganze wohl doch nicht so gefährlich war. Ich war in den Händen von Profis gewesen und hätte nichts zu befürchten gehabt. Komischerweise ärgerte ich mich jetzt nicht noch einmal über mich. Ich war einfach nur glücklich über meinen Erfolg und meine Leistung, denn ein Traum war in Erfüllung gegangen. Ich war im Fernsehen.