Was ist neu

We feed the World

Mitglied
Beitritt
11.04.2005
Beiträge
281
Zuletzt bearbeitet:

We feed the World

Georg hielt die Dose Fleisch in seiner linken Hand. Er saß am Küchentisch, vor ihm stand ein leerer, leidlich sauberer Teller. Im Licht der nackten Glühbirne, die über seinem Kopf baumelte, las er das Etikett.
WFW – Fleischstückchen in Tomaten-Sauce. Abgefüllt Juli 2462. Und darunter in geschwungenen grünen Lettern We feed the World.
Er rammte den Büchsenöffner in den Deckel und schnitt den Rand auf. Blubbernd ergoss sich die dünne rote Brühe mit den Fleischstückchen in den Teller. Er nahm die Gabel, piekste ein Stück auf und schob es in den Mund. Es war wie üblich zäh und schmeckte widerlich. Neben dem Teller lag die aufgeschlagene Zeitung von vorgestern. Georg hatte sie aus dem Altpapier gefischt.
Sozialminister Schrattmann verteidigt umstrittenes Ernährungsprogramm
Georg hatte den Inhalt der Dose zur Hälfte heruntergewürgt. Sein Hunger war fast so grässlich wie das Fleisch.
…Immerhin, so Schrattmann im Plenum, sei das Verantwortungsgefühl in der Gesellschaft gewachsen. Das Programm habe sich zudem als wegweisend in der Bekämpfung des Ernährungsproblems erwiesen…

*

„Ich begrüße Sie ganz herzlich zu einer kurzen Führung durch unseren Betrieb. Sind Sie auch alle warm angezogen? Sie wissen, im Kühlraum herrschen minus 15 Grad. Wäre doch zu blöd, Herr Minister Schrattmann, wenn Sie sich mitten im Sommer einen Schnupfen holen. Wenn Sie mir bitte folgen möchten.“
Holger Gobelik, der Mann mit dem WFW-Logo auf dem gefütterten blauen Kittel und dem akkuraten Mittelscheitel, drückte auf die Fernbedienung. Eine schwere Eisentüre glitt lautlos zur Seite. Die Gruppe aus dem Sozialministerium folgte seinem flotten Schritt durch einen langen Gang. Hinter abgedunkelten Scheiben waren polternde Geräusche zu hören. Ein Mann wollte es genau wissen. „Was wird dort gemacht? Gekeult?“
„Bei uns wird nicht gekeult. Bei einer Keulung werden Tiere vorsorglich getötet, um das Ausbreiten von Seuchen zu verhindern. Bei uns wird zuerst betäubt. Dies geschieht durch einen Bolzenschuss knapp über den Augen. Übrigens die Erfindung eines Straubinger Schlachthofdirektors aus dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Damals sollte den Tieren unnötiges Leiden erspart werden. Diese Technik hat sich im Grunde bis heute nicht verändert. Sie dient, wie gesagt, der Betäubung. Danach werden die großen Blutgefäße mit dem Öffnen der Brust durch einen Schnitt zum raschen Ausbluten gebracht. Also, diesen Anblick wollten wir Ihnen dann doch ersparen … Bitte hier hinein.“
Erneut öffnete sich automatisch eine schwere Tür. Eiseskälte schlug der Gruppe entgegen. „Wie Sie sehen, sind hier die Köpfe bereits entfernt. Und wie Sie dem elektronischen Thermometer entnehmen können, herrschen hier drinnen minus 15,8 Grad. Wir sollten uns nicht zu lange in der Saukälte aufhalten.“
Gobelik hatte seine Gruppe genau beobachtet. Die Staatssekretärin neben Schrattmann begann heftig zu würgen, blitzartig hatte ihr der WFW-Manager eine Tüte aus festem Papier gereicht und ein dampfender brauner Schwall beulte sie aus.
"Alles nur eine Frage der Gewöhnung." Gobelik bugsierte die Besucher an tiefgefrorenen Lagerräumen entlang durch eine weitere Eisentüre in eine große Halle. Der gekachelte Boden war penibel sauber, Fließbänder transportierten gefüllte Wannen vorbei an Tischen mit hektisch werkelnden WFW-Mitarbeitern.
„Hier wird sortiert. Knochen für die Gewinnung von Mark, Hirn, Darmhaut für die Würste … das Muskelfleisch kommt da drüben an.“ Gobelik deutete mal dahin, mal dorthin. Schließlich gab er Zeichen, ihm weiter zu folgen. An den hinteren Tischen wurde das Fleisch in kleine Portionen zerteilt. Am Ende der Halle standen allerlei Maschinen.
„Unsere Zubereitungs- und Abfüllstation. Hier wird alles gekocht, mit verschiedenen Soßen versehen, gewürzt und – voila! – abgefüllt. Noch Fragen?“

*

Georg hatte sein Abendessen beendet. Heute war sein letzter Tag auf dieser Welt. Er verwarf den Gedanken an einen Abschiedsbrief. Wer sollte ihn schon lesen? Er zog seinen zerschlissenen Mantel an und ließ das Licht brennen, als er die Türe hinter sich ins Schloss fallen ließ. Zum Abschluss wollte er sich den berühmten WFW-Hamburger gönnen, die Belohnung für sein verkorkstes Leben. Mit echtem Rindfleisch, einer frischen Tomate, einer Gurkenscheibe und geschmolzenem Käse. Einen Hamburger, wie es ihn früher an jeder Straßenecke gegeben hatte, bevor das Virus NB7 die Rindviecher weltweit stark dezimierte. Zuvor hatten Wellen von Schweinepest und Vogelgrippe die Fleischversorgung von 24 Milliarden Menschen auf ein Minimum reduziert. Die Ozeane waren so gut wie leergefischt und so ruhten die Hoffnungen der Nahrungsproduzenten auf den ausgedehnten Anbau von resistentem Genmais. Bis sich die Sorte, die sich durchgesetzt hatte, durch einen genetischen Defekt nicht mehr reproduzieren konnte. Die Klimaerwärmung sorgte für Ernteausfälle und es war erstaunlich, wie sich die Menschheit dennoch weiter hatte vermehren können.
Der Bus spuckte Georg neben der WFW-Zentrale aus. Er sah die lange Schlange vor der Essenausgabe.
24 Stunden geöffnet.
Er stellte sich hinten an, wühlte in seiner Tasche und fand den Ausweis. Die Plastikkarte hatte er vor drei Tagen beantragt, und schon heute war sie in seinem Briefkasten gelandet. Er zählte die vor ihm Wartenden. Noch 20 bis zum frischen Fleisch … noch zehn … noch einer. Endlich war er an der Reihe. Eine dicke Frau saß in einer Art Kassenhäuschen. „Ihren Ausweis bitte!“
Georg schob ihn durch das halb geöffnete Glasfenster. „In Ordnung. Noch hier unterschreiben, dann bitte da vorne durch.“
Georg kritzelte seinen Namen auf ein Stück Papier. Drei Minuten später saß er auf einem Plastikstuhl neben anderen Gestalten und stopfte sich einen Hamburger zwischen die Zähne. Georg sah sich kauend um. Über ihnen hingen ein paar Glühbirnen. Er fühlte sich fast wie zu Hause, mit dem Unterschied, dass er nicht allein war. Er ließ das Hackfleisch zwischen Zunge und Gaumen zergehen, die Tomate erschien frisch, die Gurke war knackig. Georg bedauerte, den letzten Bissen herunter zu schlucken. Immerhin blieb der angenehme Geschmack noch ein wenig erhalten. Nun hieß es wieder anstellen. Noch 20 … noch zehn … noch einer bis zur Betäubung. We feed the World

 

Hallo nicita,

der Plot ist, um es mal vorsichtig auszudrücken, abgedroschen (Soylent Green). Und unglaubwürdig, in Zeiten von genmanipulierten Nahrungsmitteln und sonstigen künstlichen Erzeugnissen. Wenn so ein Plot, dann aber auch bitte mit einer mehr oder weniger plausiblen Erklärung. Dass da "Rindviecher" wegen einer Seuche nicht mehr existent sind bzw. unter Artenschutz stehen, okay, aber was ist mit Geflügel, Schweinen und den Hunden? Und ist Fleisch überhaupt noch notwendig? Ich denke, dieser Text ist nicht besonders ausgereift. So faszinierend der Gedanke "Menschen essen Menschen" auch sein kann, so dürftig habe ich ihn selten umgesetzt erleben müssen.

Gruß,
SV

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sebastian

Muss man "Soylent Green" kennen? Ich habe es gerade gegoogelt. Ein Siebziger Jahre Film mit wirklich ganz erstaunlichen Parallelen zu meiner soeben erfundenen Geschichte.
Mit Charlton Heston und Edward G. Robinson. Sollte man vielleicht doch kennen... ist wirklich ärgerlich.

in Zeiten von genmanipulierten Nahrungsmitteln und sonstigen künstlichen Erzeugnissen.
Das sind doch eher die heutigen Zeiten...

aber was ist mit Geflügel, Schweinen und den Hunden?
Der Einwand ist völlig richtig: nur ohne Rinder würde es vielleicht klappen. Ich habe daher einige Ergänzungen vorgenommen. Aber Hunde?? Hunde sind, mit Verlaub, noch mehr als Menschen, fast reine Fleischfresser. Die gibt's da oben schon lange nicht mehr...

So faszinierend der Gedanke "Menschen essen Menschen" auch sein kann, so dürftig habe ich ihn selten umgesetzt erleben müssen.
a) sooo häufig ist das Thema nun auch wieder nicht
b) finde ich nicht :)

Besten Gruß
nic

 

Hallo nicita,

eigentlich geht es auch nicht darum, dass die Idee neu ist. So ein Kriterium ist total gaga und sollte auch nicht wirklich ernst genommen werden. Wenn es hier in diesem Forum jemanden geben sollte, der ständig das Rad neu erfindet, warum ist dieser Jemand dann noch hier?

Enttäuschend ist halt die hier vorliegende Umsetzung. Alles irgendwie zu schnell, zu auf Teufel komm raus, und die Location... Keine Ahnung, warum zwanghaft neuerdings immer deutschsprachige Länder herhalten müssen. Also bitte, Holger... Holger ist doch kein Name für eine Geschichte.

Das mit den Hunden war ein Klischeescherz auf Kosten unserer chinesischen Mitbürger.

Die Änderungen lassen es rudimentär plausibler klingen, wirklich schlüssig ist es jedoch noch immer nicht.

Jetzt warten wir mal die Meinungen der anderen ab.

Ach, bevor ich es vergess: Wo ist der Horror? Denn wirklich gegruselt hat es micn nicht, ganz im Gegenteil. Vielleicht könnte man noch die Angst von Georg beschreiben, auf dem Weg zu seiner Betäubung, vielleicht aber auch generell Gedanken der Personen, die vorkommen. Erschreckend ist das Gesellschaftsszenario schon, nur leider völlig missraten, was das Auslösen von Gefühlen des Lesers betrifft. (Naja, Ärger schon.)

Gruß,
SV

 

Hallo Sebastian,

Kritik in Ehren, aber ich finde Deine Zeilen teilweise etwas ... seltsam. Dies war gleich mal der Einstieg zu Deiner ersten Kritik:

der Plot ist, um es mal vorsichtig auszudrücken, abgedroschen
Und dann das hier:
eigentlich geht es auch nicht darum, dass die Idee neu ist. So ein Kriterium ist total gaga und sollte auch nicht wirklich ernst genommen werden.
Immerhin teile ich diese (zweite) Meinung zu 100%

Also bitte, Holger... Holger ist doch kein Name für eine Geschichte.
Ein stinknormaler Name, wo ist das Problem? Eine Nullkritik. Der eine mag den Namen nicht, der andere jenen.

und die Location... Keine Ahnung, warum zwanghaft neuerdings immer deutschsprachige Länder herhalten müssen.
Auch dieser Punkt ist - mit Verlaub - blanker Unsinn.

Wo der Horror steckt? Na, in der Fantasie des Lesers. Ist ja doch recht ausführlich beschrieben, was da mit denen im Schlachthaus geschieht. Wenn im Kühlhaus lauter geköpfte Leiber hängen ... kein Horror? Oder sollte ich Sachen schreiben wie "es war ein grauenhafter Anblick". Reicht doch, wenn sich eine Person übergeben muss.

Dennoch: eine innere Stimme sagt mir, dass Du in einigen Abschnitten Recht hast. Ich werde die Geschichte vermutlich an einigen Stellen überarbeiten. Und Du hast sie noch ein zweites Mal gelesen. Auch dafür meinen ehrlichen Dank.

Besten Gruß
nic

 

Richtig, Namen und Orte sind Geschmackssache. Und auch möglich, dass manche durch den bloßen Gedanken des Szenarios eine Gänsehaut bekommen, bei mir hat es leider nichts bewirkt.

SV

 

Servus nicitita (nicita klingt trotzdem besser :dozey: )

Mal wieder eine äußerst gut geschriebene Kg von dir mit, sagen wir mal, einem gehörigen Schuss Gesellschaftskritik. Die Umsetzung der Thematik hat mich dezent an meine erste hier veröffentlichte Geschichte erinnert :Pfeif: aber der Hinweis auf Soylent Green ist auch nicht ganz falsch.

Dass Fleisch ein Grundnahrungsmittel ist, dürften vor allem Menschen mit der Blutgruppe 0 bestätigen und ein globaler Fleichmangel würde in jedem Fall eine ersthafte Krise auslösen, insofern ist die "Lösung" des Problem angesichts der noch immer zunehmenden Überbevölkerung ja naheliegend.

Etwas einfallslos fand ich hingegen den Titel, der ziemlich eindeutig an den Doku-Film Feed the World angelehnt ist. Auch hätte ich mir für die Horror-Rubrik eine detailierte Schilderung der Fleischproduktion gewünscht :D.

Na, wie auch immer, alles in allem hat's mir (mal wieder) gut gefallen und ich habe durch deine Geschichte Hunger auf einen Hamburger bekommen. Was verwursteln die eigentlich bei McDoof für ihre Patties? :hmm:

MfG, Marvin

 

Hallo und danke Marvin für Deine Kritik. In der Tat, ich sehe kaum fern und komme seit ein paar Jahren nicht mehr ins Kino (wenn die Kinder größer sind, wird das wieder). Blöd, dass ich "Soylent Green" nicht kannte und mir der Titel von dem Dokumentarfilm "We feed the World" nicht in den Sinn kam (obwohl ich von dem schon mal was gelesen hatte). Nun ist "Feed the World" eigentlich schon fast eine Redensart, hier zum Beispiel:
http://www.abc.net.au/rural/wa/content/2006/s1742078.htm
so gab es die bayerische Redensart "schau mer mal" schon laaange vor Beckenbauer :teach:

Als ich mir überlegte, wie die Geschichte heißt, habe ich mir diesen Titel mühsam ausgedacht, denn er sollte am Schluss sowohl als Slogan der Firma als auch als Motto der freiwilligen Schlachtopfer stehen.

Beste Grüße
nic


 

Keine Ahnung, warum zwanghaft neuerdings immer deutschsprachige Länder herhalten müssen.

Aber echt. Als ob nicht jeder wüsste, dass die wirklich spannenden Sachen nur in Amerika passieren. Sonst würden die da doch nicht ständig Filme drüber drehen. Denk doch mal mit. Du Pfeife.

 

@nictita:

Nur so als Idee (die es auch schon zigmal gab): Wie wäre es, den Freiwilligen bei ihrem Tod etwas zu versprechen? Also, dass die Geschichte etwas in die religiöse/fundamentalistische Richtung tendiert? So nach dem Motto: Wenn du dich opferst, dann erwarten dich Reichtum und tausend Jungfrauen im nächsten Leben. Der gesellschaftskritische Gedanke ist lobenswert und sollte ausgebaut werden. Und wenn nichts versprochen werden sollte, dann müßte vielleicht die Verzweiflung besser gezeigt werden. Jeder Mensch hat schließlich so etwas wie einen Selbsterhaltungswillen.

@Proof:

Aha.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo

@Sebastian
ich hatte mir auch schon gedacht, dass es zu wenig ist, Selbstmordwillige mit einer kleinen "Henkersmahlzeit" zu locken. Allerdings sollte sie nicht zu üppig ausfallen, weil sich der "Einsatz" ja sonst nicht lohnt...
Der religiöse Ansatz klingt interessant, den gesellschaftskritischen werde ich etwas anders verpacken, weniger beschreibend. Zur Verzweiflung: ich wollte eher eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben auszudrücken, indem alles wie beiläufig passiert. Bei einer massiven Überbevölkerung tritt der Einzelne extrem in den Hintergrund. Viele vegetieren vor sich hin, keine Ziele mehr vor Augen, alles sinnlos. Man fährt halt mit dem Bus zum Abschlachten, weil das Leben sonst nix mehr bereithält - außer einer Portion echtem Rindfleisch...und die nimmt man noch mit.
Mit entsprechenden Veränderungen wird es hoffentlich gelingen, die Geschichte deutlicher von diesem Film abzusetzen. Dort gings, so entnehme ich einer Inhaltsangabe, eher um Profit aus Leichenfleisch.

Grüße
nic

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom