- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 19
Weiße Kerzen
"Ich... puh... ich kann nicht mehr."
"Streng dich an, du bist unsere einzige Chance."
"Aber ich bin einfach satt. Muß das wirklich sein?"
"Das Wohl der ganzen Welt hängt davon ab. Das hier ist eh die letzte."
"Na gut... dann weiter."
Fred rülpste leise mit vorgehaltener Hand und der Geist schickte die nächste Jungfrau in die große Halle. "Einmal den Hals freimachen und den Kopf in den Nacken legen bitte. Und nicht zucken, das piekt gleich ein wenig", sagte er und löste sich diskret in Luft auf. Er hatte eine Menge Bücher über Vampire gelesen - wenn man tausend Jahre in einer Bibliothek eingesperrt ist, gibt es nur wenige Beschäftigungsmöglichkeiten - und wußte daher, daß das Aussaugen einer Jungfrau für einen Vampir einen äußerst erotischen Akt darstellte, bei dem der lieber alleine gelassen werden würde.
Die Jungfrau zitterte am ganzen Körper, als Fred langsam seine scharfen Zähne in ihre zarte Haut grub, aber sie wußte, daß sie sich opfern mußte. Genauso, wie alle anderen Frauen dieses kleinen Dorfes am Rande der Welt. So stand es schließlich geschrieben. Irgendwo...
Nachdem ihr blutleerer Körper schlaff auf den Boden gesunken war, schmatzte der Vampir einmal laut und machte sich auf den Weg zur Toilette. Er mußte die viele Flüssigkeit irgendwie wieder loswerden. Jetzt, nachdem die Gefahr von der Welt abgewendet war, hatte er endlich Zeit zum Pinkeln.
...
Es gibt eine Menge Theorien über das Ende der Welt. Früher hatten die Menschen geglaubt, die Erde wäre eine Scheibe, an deren Rand das Wasser einen gigantischen Abfluß hinterläuft. Wer über den Rand segelte, so hieß es damals, würde vorbei an den Elefanten fallen, von denen die Erde getragen wird, und irgendwann hart auf dem Boden der tiefsten Höllenschlunde aufprallen.
Das ist natürlich vollkommener Unsinn. In Wirklichkeit schwebt die Erdenscheibe in einem luftleeren Raum irgendwo zwischen Himmel und Hölle.
"Reich mir doch mal bitte das Messer", sagte der Teufel zu seinem obersten Handlanger.
"Das hier?"
"Nein, nicht das zum Aufschlitzen. Das Schnitzmesser." Der Teufel nahm den Kürbis in seine linke Klaue und ritzte mit dem Messer ein hübsches Muster in die harte Schale hinein. Um seine äußerste Konzentration zu verdeutlichen, ließ er die gelbe Zunge neckisch zwischen seinen Lippen hervorlugen. Als er fertig war, stellte er den Kürbis, der nun mit dem Bild einer Schwalbe verziert war, zu den anderen ins Fenster.
"So, das war der letzte. Hast du die Kerzen besorgt, um die ich dich gebeten habe?"
"Ja, Herr. Ich habe ein paar Gräber geplündert und..."
"Och nö... doch nicht diese roten Grablichter! Die konnte ich noch nie leiden. In so einem Kürbis wirken einfach nur weiße Kerzen. Na gut, dann gehe ich halt selbst. Du bleibst hier und paßt auf, daß die Dämonen nicht wieder Asche in den Plätzchenteig backen. Ich möchte, daß dieses Jahr alles perfekt wird an Halloween."
"Ja, Herr."
"Und sorg dafür, daß wir genügend Bonbons im Haus haben, falls die Kinder klingeln."
Es war so gegen acht Uhr abends, als die Erde sich direkt neben der alten Kirche in der Dorfmitte auftat und der Teufel die Welt betrat. Entgegen aller Vermutungen, die man in einschlägigen Fachblättern und Filmen immer wieder vorgesetzt bekommt, tat er das vollkommen unspektakulär. Es gab weder meterhohe Feuerwände, noch Maden- und Rattenschwärme, die sich seuchenartig über die Welt verbreiteten. Auch das angeblich so typische Donnergrollen und Blitzen fehlte und es war totenstill. Naja, nicht ganz still. Der Teufel pfiff ein fröhliches Liedchen. Er liebte Halloween und war daher allerbester Laune.
"Hallo Onkel", sagte ein dünnes Stimmchen hinter ihm. "Als was bist du denn verkleidet?"
"Verklei...? Ach so, ja... natürlich bin ich verkleidet. Immerhin ist ja Halloween, und da verkleidet man sich nunmal. Nicht wahr?" Der Teufel lächelte freundlich und die beiden Kinder sahen ihn bewundernd an.
"Wie hast du denn die tollen Hörner hinbekommen?"
"Proteine. Ich nehme viele Pro... nein, ich meine... ich habe sie aus Pappmaschee gebastelt. Das war eine Heidenarbeit, kann ich euch sagen."
"Und der Schwanz?"
"Och naja..." Der Teufel grinste verlegen und zeichnete mit seinem Huf kleine Kreise in den Matschboden. Beinahe wäre er rot geworden. "Das ist doch nichts besonderes, oder?"
"Aber deine Strohgabel hat nur drei Zacken. Mein Papa sagt, daß sowas unpraktisch ist, weil das ganze Stroh da immer durchrutscht."
"Ich gabel ja auch kein Stroh damit."
"Sondern?"
"Die Seelen der in Unehre gefallen Krieger der Dunkel... ich meine... die habe ich auch für das Kostüm gebastelt und sie hat nur drei Zacken, damit ich sie nicht aus Versehen mit meiner echten Heugabel verwechsel."
"Aber die Farbe ist falsch, Onkel. Seit wann hat denn der Teufel grüne Beine?"
"Ach, das ist eine lange Geschichte, Kinder. Aber als was habt ihr euch denn verkleidet?"
"Ich bin eine gefährliche Hexe", sagte eines der Mädchen stolz und präsentierte seinen Besen.
"Ui, das ist aber ein schöner Besen. Kann der denn auch fliegen?"
"Natürlich. Siehst du das denn nicht?" Das Mädchen klemmte den Besen zwischen ihre Beine und rannte ein paar Runden um den Teufel herum, wobei sie leise Zischgeräusche von sich gab.
"Oh ja, der fliegt ja wirklich. Du mußt eine echte Hexe sein. Hier, ich habe ein paar Kekse dabei." Der Teufel kramte in seinen Hosentaschen und förderte neben einer kleinen Wollspinne, drei Wählt Bush - Ansteckbuttons und einem Labellostift tatsächlich ein paar Kekse zutage, die er den Kindern feierlich überreichte.
"Danke, Onkel. Du bist ein netter Teufel."
...
Es klopfte an der Tür.
"Geh du mal, ich muß mir noch schnell die Hände waschen."
"Eine gute Idee. Ich kann die Tür ja mit reiner Ektoplasmatik öffnen... Außerdem möchte ich noch mal ins Dorf fliegen, um zu sehen, ob wir wirklich alle Frauen haben."
"Zu was bist du eigentlich nütze? Gut, dann geh ich halt selbst", grummelte Fred, wischte sich die Hände notdürftig an seiner Hose ab, verließ das Badezimmer und öffnete das Schloßtor. "Du bist aber ein großes Kind. mal sehen, ob wir noch Süßes im Haus haben."
"Nein nein, ich bin kein Kind", beeilte sich der Teufel zu sagen. "Ich bin zwar kostümiert, aber gewiß kein Kind."
"Dann solltest du aber eigentlich wissen, daß der Teufel nicht grün ist."
"Jaja, schon gut. Lange Geschichte das. Eigentlich wollte euch nur fragen, ob ihr zufälig weiße Kerzen dahabt. Wir wollen eine Halloweenparty feiern und da sind uns die Kerzen ausgegangen."
"Kleinen Moment, ich schau mal in der Küche."
Nachdem der Vampir gegangen war, drückte sich der Teufel heimlich zwischen Tür und Rahmen hindurch und betrat das Schloß. Er war einfach neugierig und hatte sich zudem schon immer für Architektur interessiert. Neben der Schwalbenzucht sein größtes Hobby. An der Wand hingen große Teppiche, die mit Stickereien über gewaltige Schlachten verziehrt waren und ein gigantischer Kronleuchter baumelte von der Decke. Der Teufel bedauerte zutiefst, seinen Fotoapparat vergessen zu haben. Die Halle war ansonsten ziemlich leer, abgesehen von einem Haufen Körper, der in der Ecke lag. Frauenkörper.
"Sag mal", begann der Teufel, als der Vampir zurückgekommen war und tatsächlich ein paar Kerzen in der Hand hielt, "was machst du hier eigentlich?"
"Ach das... das sind nur Puppen. Wir proben für ein Theaterstück und..."
"Fred, ich hab doch noch eine Jungfrau gefunden und... Scheiße!", fluchte der Geist, der soeben durch die Wand hereingeschwebt kam. "Er ist schon da."
"Wer ist schon da?"
"Du."
"Ja, ich habe eben deinen Freund gefragt, ob ihr Kerzen... hey, Moment! Für einen Schauspieler kannst du verdammt gut durch Wände schweben."
"Schweig, Unseliger! Niemals wirst du deine dunklen Pläne in die Tat umsetzen können!"
"Heißt das, ihr braucht die Kerzen selbst?"
"Kerzen?"
"Ja, ich hab doch gesagt, daß ich nur gekommen bin, weil uns die Kerzen ausgegangen sind und..."
"Du willst keine Jungfrau aus dem letzten Dorf am Rande der Welt entführen um einen Stammhalter zu zeugen?"
"Zeugen? Nein, das würde meine Frau nie erlauben. Sie ist da ein wenig altmodisch... Übrigens kommt sie aus diesem Dorf. Vor zwei Jahren habe ich sie bei einem Holzschuhtanz kennengelernt. Ulrike. Kennt ihr sie vielleicht?"
"Verdammt nochmal!" entfuhr es dem Geist. "Das Buch der tausend Wahrheiten hatte Recht. Der Teufel wollte ein Kind zeugen, das die Menschheit unterjochen wird. Wir sind einfach nur zwei Jahre zu spät."
...
"Herr, wir haben eine Problem mit den Girlanden. Die lösen sich in der Hitze auf."
"Dann dreh doch einfach die Heizung runter."
"Eine gute Idee, Herr. Habt Ihr die Kerzen?"
"Nein, die wollten mir keine geben. Komische Bande da oben. Schauspieler. Der eine konnte durch Wände... na, ist ja auch egal. Nehmen wir einfach die roten."
"Da bist du ja endlich! Was hast du da oben denn so lange getrieben? Etwa wieder eine Jungfrau abgeschleppt?" Ulrike betrat das Wohnzimmer, im Arm ein kleines Baby, das zufrieden an seiner Flasche nuckelte. Brandwein.
"Nein, mein Puffelchen. Du weißt doch, daß ich nur dich alleine liebe. Dich und den süßen Rufus natürlich."