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Weißer geht’s nicht
Jeden Tag, nicht nur einmal die Woche, wünsche ich mir Kuchen. Mein Herz verlangt nach dem süßen Gebäck.
Rastlos, ratlos, zwickt mich ein Hunger, der nicht gestillt werden kann. In meinem Zimmer, auf dem Fensterbrett, steht neben dem Kugelkaktus Brot.
Wolken am blauen Himmel ziehen Fäden wie die Zuckerwatte auf dem Rummelplatz.
Das Fenster ist ein Viereck aus Licht. Die Welt draußen ist durch das Glas wie abgeschirmt. Nur leise dringen Außengeräusche zu mir durch. Dann und wann höre ich bei Ostwind den Regionalzug. Er fährt stündlich auf neu verlegten Gleisen, der Schotter ist noch hell. Die Trasse glänzt im Sonnenlicht. Bis ans Meer führt sie. Meine Hand umschließt einen Schotterstein, den Micha, mein Bruder mir vor Jahren geschenkt hat. Sein Funkeln besticht, er ist kein Granit, und weil nur Diamanten so funkeln können, gestatte ich ihm, mich auf seinem blauschwarzen Teppich davonzutragen.
Meine Welt schaut dann klein und begrenzt aus, zeigt die andere Wirklichkeit, in der der Kosmos gigantisch, mein Zimmer nur ein ionisierendes Teilchen, kleiner, als ein Staubkorn ist. Es verwahrt, indem es alles Licht reflektiert und den anderen nur das zeigt, was sie sehen dürfen. Es gibt eine Tür. Mit einem Schlüssel im Schloss. Der wurde vor langer Zeit umgedreht. Ich wache am Tag und auch in der Nacht. Auch wenn die Nächte wolkenlos sind, werden die Sterne verschluckt.
Ich lehne mich aus dem Fenster, weit hinaus, atme rosige Luft und Schwefelwasserstoff ein. Rußige Flocken tanzen bei Südwind. Sie werden, wenn der Wind nicht dreht, morgen auf die weißen Riesen fallen. Faule Eier kündigen den Frühling an. Mir wird komisch, nicht vom Geruch, denn er gehört zu den Schornsteinen am Horizont wie der Ruß auf die sauberen Laken, die grau trocknen.
Das Fallrohr neben meinem Fenster, trägt es mich?
Es fühlt sich an, wie ein Sprung vom Fünferbrett, mehr Tiefe ist unter dem Fenster nicht zu sehen. Der Höllenschlund darunter zählt nicht. Flau im Magen weiche ich zurück. Nacht für Nacht sitze ich am Fenster. Jedes Scheinwerferpaar erzählt mir seine Geschichte, woher es kommt, wohin es geht. Die blanken Augen, die ich erwarte, scheren auf dem Parkplatz ein. Als die dunkle Gestalt unter der Laterne einen Schatten auf die Häuserwand wift, lecke ich mir die Lippen. Die Schritte klingen hohl in der Nacht. Sie hallen dumpf, bis vor meiner Tür. Ein Schlüssel rührt im Schloss, wie man sonntags einen Kuchenteig ansetzt.
„Bille, bist du ...?“ Ich ersticke Michas Frage, als ich ihm das Brot in den Mund schiebe.