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Weißhaupt
Reich die toolische Kultur an Sagen und Legenden, die seit Jahrhunderten weitergegeben werden und in den dicken Geschichtsbänden verewigt worden sind. Reich an ihrer Zahl und ihrer Bekanntheit im Westen, im Osten, im tiefen Süden und sogar in den dunklen Einöden des Nordens, wohin nur die Barbaren ihren Fuß zu setzen wagen.
Aber eine der Erzählungen, die von dem tapferen Mädchen von Isar handelt, ist nicht unter den alten Mythen und Märchen verzeichnet. Geschrieben steht sie nur in einem gut gehüteten Ledereinband auf einem verstaubten Regal eines guten Gedächtnisses, von denen es nur sehr wenige auf dieser Welt gibt. Doch wie der Herr es will, besitze ich eines davon.
Die Geschichte spielt zu den Zeiten der großen Invasion in der Provinz Tsera inmitten der grünen Weiden und Auen, auf die der mächtige Fluss seine Ufer im Frühling weiten lässt. Fruchtbar sind die Böden der grünen Ebenen wie nirgendwo sonst auf dieser Welt, die Tiere wohlgenährter und gesünder als in allen anderen Provinzen des Landes zusammen. An wenigem mangelte es den Bewohnern des Grünlandes, als der nordische Herr die friedlichen Dörfer und Städte zu erobern begann.
Die Burg Isar bildete die letzte Festung, die die Barbaren einzunehmen brauchten, um sich die Herrschaft über die grünen Ebenen zu sichern. Doch der Tag, an dem die Ritter von Isar kampflos aufgeben würden, sollte niemals kommen, denn berühmt waren diese für ihre Tapferkeit und ihren Mut, der sich sogar auf ihre Frauen zu übertragen schien. Und so sammelten die Barbaren ihre Streitkräfte, um sie in einem letzten Schlag gegen die verbliebenen Rebellen zu schicken.
In dieser Zeit kam ein Mädchen namens Elena Weißhaupt in den Kasernenhof der Burg.
„Ich werde mitkämpfen, Herr“, sprach sie mit Bestimmtheit zu dem Hauptmann. Sie hatte ein wunderschönes Gesicht und eine schlanke mittelgroße Figur eines jungen Fräuleins. Ihr schwarzes langes Haar war zusammengeknotet.
„Es kämpfen hier nur Männer. Mädchen arbeiten auf dem Feld. Dort sind sie nutzvoller.“
„Aber ich kann kämpfen, Herr!“, entgegnete sie. „Ich kann ein Schwert führen. Seht!“ Sie griff sich eine der stumpfen Klingen von dem Waffenständer und wirbelte sie in der Luft. Der Griff entglitt fast ihren Fingern, bevor sie die Waffe keuchend in den Boden stach.
„Du bist ein hübsches Mädchen. Hast du keine Kinder, die deiner Aufmerksamkeit bedürfen?“, sprach der Hauptmann.
„Nein, Herr. Es ist meine Schwester, die Kinder hat. Ich wurde nicht verheiratet.“
„Warum nicht? Du hast ein hübsches Gesicht. Ich kenne eine Handvoll Männer, die so ein hübsches Mädchen wie dich gerne zur Frau hätten.“
„Meine Eltern verstarben, bevor sie mich verheiraten konnten, Herr. Ihre Karawane wurde von barbarischen Nomaden überfallen, als sie nach Tauren unterwegs waren.“
„Das tut mir leid“, sagte der Hauptmann. „aber ich bilde hier nur Männer aus.“
So wurde Elena weggeschickt. Sie ging zurück zu ihrem Haus, das direkt am Hang unter der Burgmauer lag und holte verschieden große Rundhölzer und Bretter aus der Scheune. Daraufhin schlug sie jeden Tag mehrere Stunden mit einer Klinge auf das Holz ein. Sie hob sie und fuhr herum, sie stach und sie warf sich mit ihrem Körper gegen ihren imaginären Feind, solange, bis Schweiß aus jeder Pore ihres Körpers drang.
Der Hauptmann stand oft an der Burgmauer und schaute hinunter auf das Mädchen, verblüfft von der Standhaftigkeit und der Anmut seines, mit welcher es die spitze Klinge nicht ungeschickt hob und in den Heusack stieß. Doch er vermochte selbst nicht zu sagen, welche Gefühle ihn leiteten, als er eines Tages zu dem Mädchen hinunterstieg und es ansprach.
„Bitte hör auf. Ich kann das nicht mehr sehen, Kind“, sagte er.
„Mein Herr?“
„Ich bin nicht dein Herr, Kind. Ich bin nur hier, um …“- er hielt inne. Ihr langes schwarzes Haar verdeckte Teile ihres Gesichts. Er schaute in die grünen Augen des Mädchens, die vor Bestimmtheit glänzten. „Wie ist dein Name, Kind?“
„Ich heiße Elena Weißhaupt, Herr.“
„Weißhaupt? Der Name passt nicht zu dir. Deine Haut ist dunkel wie der Himmel bei Sonnenuntergang und dein Haar ist schwarz wie eine sternlose Nacht.“
„Ich habe nur den einen, Herr“, erwiderte sie.
„Nein, es ist nicht dein wahrer. Dieser entspricht dir nicht.“ Der Hauptmann schaute sich ihre Kleider an. Ein zerrissenes Hemd hing über ihrem Oberkörper, ihre Beine waren in eine bleiche Wollhose gehüllt, die Füße nackt.“ Und du willst immer noch kämpfen?“, fragte er.
„Jawohl, Herr. Ich werde kämpfen, wenn sie kommen.“
„Das kannst du aber nicht ohne eine Rüstung.“
Sie schwieg.
„Ich mache dir einen Vorschlag, Elena. Wenn du eine Rüstung wie die meine tragen kannst, dann kannst du kämpfen. Bist du einverstanden?“
„Ja, Herr!“
Ab diesem Zeitpunkt ging Elena jeden Tag in die Kaserne. Aus den anfänglichen Spötteleien der Soldaten entwickelten sich allmählich Achtung und Respekt ihrerseits vor den Fähigkeiten und dem Mut ihrer neuen Schwester. Elenas Ehrgeiz trieb sie voran und ließ sie härter arbeiten als die anderen. Die Fortschritte, die sie machte, waren bemerkenswert - innerhalb Wochen hängte sie die meisten anderen Soldaten in der Kampftechnik ab und verbreitete eine neue Hoffnung unter dem trüben verzweifelten Gemüt der Bevölkerung.
Die neu entfachte Hoffnung hielt nicht lange an, denn der Herbst näherte sich und die barbarischen Legionen fielen über Isar her. Sie zündeten die Höfe an, verwüsteten die Häuser, entführten Kinder und Frauen, um sie in die Sklaverei zu zwingen oder töteten sie, falls sie Widerstand leisteten. Die Männer versuchten zu kämpfen, doch um Massen waren die barbarischen Heerscharen denen von Isar überlegen.
So fiel die Burg am zweiten Tage der Belagerung. Die Katapulte zerstörten Teile der Burgmauer und ließen den Angreifern einen freien Zugang zu den Gemächern und zu den restlichen stolzen Verteidigern.
Die Kriegerin von Isar fiel wie ein Ritter. Wie eine anmutige, stolze Gestalt in einem glänzenden, teils von Blut befleckten Harnisch; den letzten Blick gegen den Himmel gerichtet und den Griff ihres Schwertes fest umklammert.
Die Überlebenden erinnerten sich mit Bedauern an sie. An die eigensinnige, unverheiratete, hübsche junge Frau, die ihre göttliche Schönheit vergeudet hatte. Und an die lange schwarze Haarpracht, die sie oft verbarg, und die ihrem Namen nicht entsprechen wollte. Man erinnerte sich daran und dachte darüber nach, welcher Name eher zu ihr gepasst hätte.
Doch den wahren vermochte bis heute niemand zu erraten.