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Weihnachten am Nil
An einem wunderschönen Morgen lagen Nils und seine Mutter, wie so oft, aneinandergeschmiegt im Schatten eins Baumes und ruhten sich aus. Es war sehr still, man konnte nur das Zwitschern der Vögel hören, die fröhlich singend das Leben priesen. Sie waren erst vor kurzem eingetroffen. Scharenweise hatten sie sich niedergelassen, die Bäume bevölkert und die Sonne genossen. Denn sie kommen vom kalten Norden. Oft hört man sie Schauergeschichten darüber erzählen. Über brummende Kamele, die einen mit ihren runden Füßen zertrampeln; über die bösen Herrscher der Menschenstädten, die Tauben, die fett und faul das Essen der Menschen genießen, sich nur regen, um den anderen das Futter zu klauen, und über die vielen Menschen, die es dort geben soll, die überall sind. Sogar die Menschenkinder sollen gefährlich sein, mit den Füßen nach einem kicken und einem laut brüllend nachjagen. Aber jetzt können sie sich ausruhen, bis sie wieder zurückfliegen, dem gruseligen Norden entgegen.
Doch plötzlich hörten sie auf zu singen. Verwundert hob Nils den Kopf, auch die anderen Tiere der Herde und seine Mutter hoben beunruhigt ihre Häupter. Stille. Es war beinahe unheimlich. Dann, ohne Vorwarnung, durchbrach ein Knall die gespenstige Ruhe. Sofort begannen alle Tiere zu rennen, zu fliegen, zu hüpfen. Alles was lebte wollte sich in Sicherheit bringen. Auch Nils lief um sein Leben, seiner Herde hinterher. Um sich herum hörte er das Schnauben der anderen Tiere.
Nach und nach legte sich die Aufregung und das kleine Nilpferd hielt Ausschau nach seiner Mutter. Wo sie nur steckte? Sie hatte ich noch nie alleine gelassen. Da kam Norobtob, der Herdenälteste, auf ihn zu. Mit seinen müden Augen blinzelte er Nils an. „Nun, Kalb, deine Mutter war verflucht. Deshalb haben sie die Menschen mitgenommen. Weil du ihr Sohn bist, müssen wir befürchten, dass auch du vom Teufel belegt bist, da ihr Blut in deinen Adern fließt. Unsere Herde kann einen Unreinen wie dich nicht länger behalten. Wir geben dir noch Zeit bis morgen, aber wenn du beim ersten Vogelgesang noch nicht von hier verschwunden bist, kann ich dir nicht garantieren, dass du diesen Platz hier noch lebend verlässt. Die Krieger stehen bereit. Sie sind Kampfhungrig. Also verschwinde, wenn dir dein Leben lieb ist.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und trottete zurück zu seinem Platz.
Verstört schaut ihm das kleine Nilpferd nach. Seine Mutter und er sind verflucht? Was soll das denn heißen? Die Krieger sind Kampfhungrig? Warum will ihn sein Stamm loshaben? Warum wollen sie ihn sogar umbringen? Warum machen sie alle einen großen Bogen um ihn und schauen ihn grimmig an? So viele Fragen und keine Antworten. Große Tränen kullern aus seinen Augen und langsam schläft er ein ....
Vogelgezwitscher. Erschrocken fuhr Nils aus dem Schlaf. Ist es etwa schon Morgen? Werden sie ihn jetzt töten? Er schlägt seine Augen auf und macht sie dann schnell wieder zu. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmt ihn. „Juchuuuu!“, entfuhr es ihm. Doch er war zu glücklich. Zwar sollte er es eigentlich nicht sein, nach all dem, was geschehen war, doch im Moment war es am wichtigsten, dass er noch lebte. Er streckte seine Glieder und stand dann langsam auf. Es war für ihn an der Zeit, aufzubrechen. Denn auch wen es jetzt noch nicht dunkel war; es war schon nach Mittag, und in der Nacht wollte er nicht verreisen. Gepäck würde er nicht haben, aber er musste sich noch stärken, bevor er losging. Er lief zum Fluss und nahm einen kräftigen Schluck. Dann noch einen, und noch einen,...
Nach einer Weile konnte er nicht mehr weitertrinken, aber er fühlte sich jetzt gestärkt. Noch einmal schaute er sich um. Dann drehte er seiner Herde den Rücken zu und ging weg, Nil aufwärts.
Die Sonne war inzwischen untergegangen. Erschöpft vom langen Gehen lehnte sich das kleine Nilpferd an einen Baumstamm. Er war hungrig und müde. Deshalb aß er noch schnell etwas, dann schlief er ein.
Am nächsten Morgen wachte er schon früh auf. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, die ersten Vögel hatten zu zwitschern begonnen. Nach einem erfrischenden Bad im kühlen Nil und ein paar wohltuenden Schlücken des Wassers ging er weiter, nach Nirgendwo. Denn Nils hatte keine Ahnung, wohin ein kleines, verfluchtes Nilpferd hingehen sollte. Auf alle Fälle wollte er am Nil entlang wandern, das schien ihm am sichersten und in der Wüste würde er sicherlich verdursten.
Viele Tage waren nun vergangen. Als Nils an einem Baum vorbeilief, hörte er von oben zwei Vögel, die sich über Weihnachten unterhielten. Weihnachten! Das hatte er ja schon fast vergessen! Ob er es vielleicht schon verpasst hatte? Der Gedanke machte ihn ganz traurig. Doch da hörte er einen der Vögel sagen: „ Meine Kinder sind schon richtig aufgeregt. Seit Tagen schlafen sie nicht mehr richtig. Ach, bin ich froh, wenn der morgige Tag vorbei ist! Ich mag Weihnachten ja gerne, aber die Zeit davor kann ich manchmal kaum aushalten! Ja, ja, diese Kinder! Und...“ „Morgen ist Weihnachten! Morgen ist Weihnachten!“, kam es dann von oben. „Könnt ihr nicht mal still sein? Ihr macht einen ja ganz verrückt!“...
Glücklich hüpfte Nils weiter. Er hatte Weihnachten nicht verpasst! Morgen ist Weihnachten! Ja, morgen ist Weihnachten!
Am Mittag machte er Rast um etwas zu essen. Da hörte er ganz leise eine Vogelstimme. Sie hörte sich sehr unglücklich an, und das kurz vor Weihnachten? Er machte sich auf die Suche nach dem Sänger und schon nach kurzer Zeit wurde er fündig. In einem kleinen Busch saß ein kleines Vögelchen. Sein Flügel hing schwach herab und er hatte Tränen in seinen Augen. „ Wie heißt du? Und warum bist du denn so traurig?“, fragte Nils. Erschrocken fuhr der Piepmatz hoch. „Ich? Ich heiße Tschilpi und habe meinen Flügel gebrochen. Mein Schwarm hat mich verlassen, sie wollten noch weiter in den Süden, aber mit meiner Verletzung konnte ich ja nicht mit.“ Wieder fing er an zu schluchzen. Das erregte Mitleid bei Nils und so sagte er mitfühlend: „ Du Armer! Und das kurz vor Weihnachten! Aber wenn du willst, dann kannst du mit mir kommen und ich werde dich gesund pflegen. Auch ich bin alleine, denn ich wurde von meiner Herde ausgestoßen, weil ...“ Da fing er an, dem Vogel seine Geschichte zu erzählen. „Aber du wirst wahrscheinlich nichts mit einem verfluchten Nilpferdkalb zu tun haben wollen.“, endete er traurig. Da musste Tschilpi lauthals lachen. „Ach wo! Glaubst du etwa wirklich, du wärst verflucht? Nur böse Tiere sind das. Aber du, du bist nicht böse, du bist mein Retter. Wenn du verflucht wärst, dann würdest du niemandem helfen, sondern andere Tiere verletzen! Glaub mir, du bist ganz normal!“ Da wurde es Nils ganz leicht ums Herz . Er setzte sich Tschilpi auf seinen Rücken uns so wanderten sie gemeinsam weiter.
Am Abend schiente Nils den gebrochenen Flügel und suchte saftige Insekten für seinen kleinen Freund. Dann schliefen sie – Tschilpi auf Nils’ Bauch – ein.
Am nächsten Morgen wurde er von einem wunderschönen Gesang geweckt. Als er seine Augen öffnete sah er, dass Tschilpi auf seinem Bauch stand und „Fröhliche Weihnacht“ sang. Da freute er sich und stimmte mit ein.
Danach fiel ihm ein, dass er gar kein Weihnachtsgeschenk für den kleinen Piepmatz hatte. Beschämt gestand er dies seinem besten Freund, doch dieser lachte nur und sagte: „ Das beste Geschenk, das du mir schenken konntest, das bist du selbst!“ Und er küsste seinen großen Freund auf den Bauch. Da freute sich Nils so sehr, dass er Tschilpi in den Arm nahm und mit ihm einen Freudentanz vollführte.
Von diesem Tag an blieben sie immer zusammen und reisten am Nil auf und ab, um kranken und traurigen Tieren zu helfen und jedes Weihnachten dachten sie an ihr erstes gemeinsames Fest zurück und dann lächelten sie einander an und sagten: „Wie schön, dass wir uns gefunden haben!“