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Weihnachtsgeschichtenverschnitt

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28.06.2003
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Weihnachtsgeschichtenverschnitt

Erschöpft und ausgelaugt wanderte das junge Ehepaar durch die bitterkalte Winternacht der Kleinstadt. Die Frau war in Erwartung eines Kindes. Der Vater des Ehemannes war ein Adeliger, ein Abkömmling einer Familie von traditionsreichen Industriellen, der seit er auf die Welt gekommen war nicht sprechen konnte. Sie war Tochter eines katholischen Pfarrers. Ihre Existenz war bis zum damaligen Tage verschwiegen worden und bis auf die Haushälterin des Pfarrers, die sich als ihre Mutter ausgab wusste wohl nur noch ihre echte Mutter, die sie nie zu Gesicht bekommen hatte, von ihrer wahren Identität. Das Schicksal hatte nun die beiden Taubstummen zusammengeführt und in stillem Verständnis ihrer gekränkten Seelen hatten sie beieinander Zuflucht gefunden, hatten sich gegenseitig ihren Schmerz verzehrt und heirateten schließlich in aller Heimlichkeit. Die wütende Haushälterin hatte ihre ungeliebte Stieftochter hinausgeworfen, nachdem sie von der Schwangerschaft erfahren hatte. Ihr Mann wurde vom Vater gedemütigt und verstoßen. So ergriffen beide gemeinsam die Flucht in die kalte Winternacht, ohne Ziel, ohne Geld. Sie waren bereits mehrere Tage unterwegs, als sie am Ende ihrer Kräfte ein verlassenen Gebäude am Rande einer Straße erreichten.
Die Straße war lang und breit, sie führte zur Fabrik. Das Tor, eisern, rostig und hoch saugte die Straße auf. Es war wie das Maul eines Ungeheuers, dessen lange Zunge in den Schlund führte, seine Opfer zu verschlingen. Entlang der Straße lagen verfallene Gebäude, Ruinen, Anachronismen längst vergangener Tage, als in den riesigen Hallen mit den zerbrochenen Fensterscheiben noch etwas produziert wurde, als Lohnhungrige ein und ausgingen, hofften, litten und lachten. Hier und dort auf den Grundstücken befanden sich Haufen von den unterschiedlichsten Dingen, kleinen Gummizylinder, undefinierbare, sandartige Elemente oder Pastikdreiecke, die einst produziert wurden, offensichtlich aber nie zu ihrer Bestimmung fanden, ihren Zweck, den man heute nicht mehr nachvollziehen kann, nie erfüllten. Inmitten dieses grotesken Stillebens von zerfallenen menschlichen Bemühungen, verschwendeten Ressourcen und Zeugnissen vernichteter Existenzen, wuchernden Gräsern und Büschen zwischen rostigen Fässern von Chemikalien, führte die Straße zur Fabrik.
Diese Straße, von der Haltestelle bis zur Fabrik, gingen Tag für Tag hunderte Menschen, Arbeiter, Manager, Reinigungsfachkräfte, Direktoren und Tagelöhner. Natürlich dachten sie sich nicht viel, denn die Mischung aus alten Industrieanlagen, Unkraut, Wiese und vereinzelten Bäumen war ihnen bekannt, vertraut und alles andere als geheimnisumwoben.
Eines Wintertages brannte ein Feuer in einer der verfallenen Hallen. Rauch quoll durch die zerbrochenen Fensterscheiben und eine der verbarrikadierten Türen war aufgebrochen. Diese ungewöhnliche Veränderung der alltäglich gewohnten Umgebung gelangte kurzzeitig in den Mittelpunkt des Interesses einiger Menschen, die in ihrer Arbeitskarawane in das Maul des letzten Ungeheuers wanderten. Doch bald waren andere Dinge, wie Veränderungen der Belegschaft, private Geschichten aus dem Leben eines Abteilungsleiters, die neue Uhr des Gabelstaplerfahrers oder die sechs Kinder von Dietmar Hanke wichtiger, und das seltsame Auftreten von Rauch aus einem der gebrochenen Fenster geriet in Vergessenheit. Am nächsten Tage ward das Feuer erloschen und das Schweigen derer, die es entfacht hatten, breitete sich über das ganze Gelände aus. Ein erfrorener Schrei war das erste Geräusch, dass die verstorbene Halle seit Jahrzehnten vernommen hatte.

 

hallo flowercamel

ich hoffe nicht, es sind die ungereimtheiten, die die seltsamkeit der geschichte ausmachen. zum einem wäre da: "ein Adeliger, ein Abkömmling einer Familie von traditionsreichen Industriellen". industrielle sind meistens bürgerlicher herkunft.
fragen wie, woher kommt der/die zweite taubstumme, oder wer ist am ende dietmar hanke? bleiben unbeantwortet. da du sonst nicht mit namen arbeitest, wirkt es sehr irritierend.

zu gutehalten möchte ich dir, dass du ein paar wunderbare sprachliche bilder malst. das gefällt mir sehr. deine geschichte hat auch einen sehr weiten interpretationsspielraum. gefällt mir ebenfalls.
allerdings ist deine story ausbaufähig. du könntest mehr daraus machen.

gruß
flip

 

Hallo Flip,
danke für deine Antwort.
Du hast Recht, es gibt einige Ungereimheiten.
Ist mir klar, dass die story nicht viel hergibt...
Schön, dass dir die sprachlichen Bilder gefallen.

 

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