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Weil ich auch gestorben bin
"Weißt du wie es ist zu sterben?"
"Ja, weiß ich."
"Woher"
"Weil ich dabei war... Weil ich auch gestorben bin."
Es fühlt sich merkwürdig an, wieder Haare zu haben. Ebenfalls, keine zerstochenen Arme mehr erdulden zu müssen, zerfressen von den unersättlichen Spritzen der Ärzte. Auch ist es komisch, jetzt hier zu sein, alleine, ohne Rollstuhl, ohne dich. Du bist nicht hier, du liegst zwei Meter unter der Erde, mit einem hübschen Grabstein, zwei Meter über deinem Gesicht.
Die Gänge im Krankenhaus sind noch immer so, wie ich sie kennen und hassen gelernt habe. Es sind nicht die monotonen, weißen, sterilen Krankenhauszimmer. Es ist fast so, als hätte sich jemand einen skurillen Scherz erlaubt und alles in Farbe getunkt, um zu vertuschen, an was für einen Ort man war. Die Wände waren in zarten Pastelltönen gestrichen, die Stationstheke glitzerte mir in einem lindgrünen Metallton entgegen. Auch im Wartzimmer gab es nicht die grauen oder weißen Plastikstühle, sondern bunte. Auf der Sitzfläche lagen Kissen. Ich kannte diesen Raum viel zu gut, für meinen Geschmack. Wie oft saß ich wohl schon hier? Wie oft habe ich hier mit meinen Eltern, meinen Ärzten, mit dir gesprochen?
"Alles wird gut Maike."
"Woher willst du das wissen?"
"Vertrau mir, ich weiß sowas."
"Ich bin krank. Du kannst nicht wissen,ob ich wieder gesund werde."
"Ich weiß sowas. Ich würd sogar mein Leben für dich geben."
Nachuntersuchung nennen sie das. Wenn man Krebs, dazu noch Streifenkrebs im Wachstum hat, beziehungsweise hatte, wie meine Mutter immer betont, besteht das ganze Leben nur noch aus Nachuntersuchung. Die Brust, oder das, was von ihr noch da ist, wird abgetastet, geröncht, Abstriche genommen. Die Aktivitität von unzähligen Zellen, Enzymen und Organgen wird überprüft, mir wird über den Kopf gestrichen und gesagt, was für ein starkes und tapferes Mädchen ich bin. Das ich in diesem Sommer zwanzig werde, zählt in den Augen der Schwestern und Betreuer nicht. Sie haben mich als Vierzehnjährige kennen gelernt, als der Krebs das erste mal da war.
"Ich glaube nicht das du sterben musst."
"Ich wünsch es mir auch nicht grade."
"Vor drei Jahren hast du das selbe gesagt und du bist nicht gestorben."
"Herr Gott Ben! Er ist aber wieder da. Wieviele Leute bekommen eine zweite Chance?"
"Du bekommst sie. Ich weiß das. Ich kenn dich. Du bist stark."
"Das hat nichts mit Stark sein zu tun. Sie schieben mich in eine Röhre, wenn ich raus komme muss ich kotzen und fühl mich als hätte ich unter den beiden Kltschko-Brüdern geschlafen. Ich hatte Glück. Mehr nicht."
"Das war kein Glück. Das warst du."
Nach kurzem Warten darf ich den Untersuchungsraum betreten. Nach der üblichen Prozedur werde ich gebeten, im Flur Platz zu nehmen. Angewidert suche ich mir das Kissen aus, welches die wenigsten Farben besitzt. Die Zeit vergeht, wie immer, äußerst langsam. Schweren Herzens nehme ich mir eines der Käseblätter und lese die nächste halbe Stunde über gestürzte Schlagerstars, den neuesten Klatsch aus einem der Adelshäuser und den aktuellen Tricks, in sieben Tagen sieben Kilo zu verlieren.
Mein Name wird aufgerufen. Früher hast du mir jetzt immer die Daumen gedrückt, im wörtlichen Sinne. Du hättest die ganze Zeit mit mir gewartet, mich unterhalten, mir von deiner Schule erzählt, von Freunden die ich nicht mehr habe und von Ereignissen, an denen ich niemals teilnehmen werde.
Mein Name wird aufgerufen. Der Arzt, ein Neuer, leiert mir die Untersuchungsergebnisse herunter, beglückwünscht mich, dass nichts zurück gekommen ist und schickt mich nach Hause.
"Ben! Es ist weg! Keine Knoten, nichts! Einfach nichts mehr!"
"Wo bist du? Ich meine, das ist wunderbar! Aber wo bist du? Ich komme sofort zu dir."
"Zu Hause. Mama ist außer sich vor Freude. Komm vorbei, wir gehen essen. Wir feiern heute ein bisschen."
"Ich bin in zehn Minuten da. Ich leih mir den Wagen von meinem Vater."
Du bist nicht gekommen.
Aber manchmal träume ich von dir und dann bist du wieder bei mir.
"Weißt du wie es ist zu sterben?"
"Ja, weiß ich."
"Woher?"
"Weil ich dabei war... Weil ich auch gestorben bin.
Ich hab dir gesagt, für dich würde ich sterben."