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...weil in der Herberge kein Platz für sie war (Lk 2,7b)
Wer kennt sie nicht, die Krippenspiele, die Herbergssuche von Maria und Josef? Überall abgewiesen!
Daran mußte ich denken, als ich am Samstag vor dem ersten Advent mit zwei alten Leuten meiner Obhut in Altötting war.
Ich kenne das Paar schon seit einigen Jahren. Um die Anonymität zu waren, will ich die beiden in diesem Bericht Maria und Josef nennen, obwohl es nicht viele Ähnlichkeiten zu den biblischen Gestalten gibt.
Maria ist 67 Jahre alt. Sie hat viel Schlimmes in ihrem Leben mitgemacht. Genaueres ist (wahrheitsgemäß) nicht zu erfahren. Jedenfalls hat man ihr alle fünf Kinder weggenommen. Man sieht ihr an, daß sie eine Zeitlang auf der Straße gelebt hatte. So etwas prägt. Auch dem Alkohol ist sie nicht abhold. Mit ihren tiefen Runzeln und ihrem zahnlosen Mund sieht sie aus wie eine achtzigjährige Squaw.
Wer Maria kennenlernt, schließt sie schnell in sein Herz. Sie ist sprachgewandt, intelligent, stets hilfsbereit und den Menschen zugewandt. Allerdings sind da auch die Schatten in ihrer Psyche, weshalb sie seit einigen Jahren offiziell betreut wird. Ich selber bin ihr inoffizieller Betreuer. (Das Wort "ehrenamtlich" gefällt mir nicht. Wenn man Maria fragt, wer ich sei, dann sagt sie, ich sei ihr Seelsorger.) Mit der offiziellen (vom Vormundschaftsgericht bestellten) Betreuerin arbeite ich gut zusammen.
Josef ist 60 Jahre alt. Mit seinem weißen Bart und dem lockigen weißen Haar sieht er aus wie der Weihnachtsmann in Zivil. In einem Wildwestfilm würde Josef - z. B. als Fallensteller - ganz gut ins Bild passen. Da wir hier aber nicht im Wilden Westen sind und weil die Weihnachtsmänner nie in Zivil daherkommen, dreht man sich mancherorts schon um, wenn man den auffälligen Hünen die Straße herunterstapfen sieht. Aber eben nur mancherorts, zum Beispiel auch in Altötting. Hier hingegen, in der schönen Stadt am Lech, wo Josef und Maria in einer Dachwohnung abenteuerlich hausen, paßt Josef ganz gut ins Straßenbild.
Altötting ist aber nun mal anders. Dort gibt es nicht nur fromme Pilger und stille Beter, die ein Herz für Arme und Heruntergekommene haben, sondern auch jene bürgerlichen Mittelständler, die ihre Ruhe haben wollen und vor einem Teil der Realität des Lebens die Augen verschließen.
Als wir an jenem Samstag also nach Altötting pilgerten, bekamen wir jene Mentalität ganz massiv zu spüren. Mit dem Zug kamen wir - Maria, Josef und ich - gegen vierzehn Uhr an. Aber erst um 16.15 Uhr sollten wir in der Gnadenkapelle eine gemeinsame Freundin treffen. So hatten wir also mehr als zwei Stunden Zeit, und wir beschlossen, zunächst mal gemütlich essen zu gehen.
Josef ging es an jenem Tag nicht gut. Er hatte schreckliche Schmerzen im Bein und konnte deshalb nur sehr kleine Schritte machen. So wurden die 500 Meter vom Bahnhof zur Gnadenkapelle schon zu einer kleinen Tortur. Außerdem war Josef mit Schmerztabletten vollgestopft und auch nicht mehr ganz nüchtern, was man ihm offenbar ansah (ich selbst bin auf diesem Auge blind).
Also, die Odyssee (bzw. das Krippenspiel) begann.
Das Speiselokal in der Nähe des Bahnhofs war schnell abgehakt. Man sagte uns, daß die Küche schon geschlossen habe. Am nächsten Lokal angekommen, trauten wir uns gar nicht erst hinein. Wir fragten einen Gast, der gerade herauskam, ob es dort drin noch was zu essen gebe. Der Gast ging wieder zurück und sofort kam eine resolute Frau heraus. Kaum hatte sie Josef erblickt, schickte sie ihn auf diskriminierende Art weg. Auf meine Frage hin, nannte sie mir ein gutbürgerliches Restaurant (dessen Namen ich hier nicht nennen möchte).
Dort angekommen, ging ich sofort hinein und fragte, ob man hier den ganzen Tag etwas zu essen bekäme, was bejaht wurde. Dann folgten Maria und Josef. Kaum hatte die Kellnerin unseren Josef erblickt, sprang sie auf ihn zu, fuchtelte vor seinen Augen herum, wie man es höchstens bei Geistesgestörten oder bei Hunden tut, und sagte: "Sie kriegen nix!" Dann sprang sie wieder davon, ohne Maria und mich eines Blickes gewürdigt zu haben.
Mit "nix" war wohl Alkohol gemeint, dachte ich. Also setzten wir uns zunächst mal an einen freien Tisch mit der Hoffnung, bald die Bestellung für unser Essen aufgeben zu dürfen. Aber irgendwas schien da faul zu sein. Die Bediensteten im Hintergrund waren in Unruhe. Wieder kam die gleiche Frau auf Josef zu, um ihm zu sagen, daß er nix kriege, auch keinen Kaffee und auch nichts zu essen. Aha, dachten wir, dann kann Josef sich wenigstens aufwärmen während wir aßen und tranken, und wir hofften, ihm dann davon was abgeben zu dürfen. Aber wieder kam niemand, um unsere Bestellung aufzunehmen.
Statt dessen erschien ein männlicher Bediensteter, der weniger aufgebracht war und unserem Josef erklärte, daß er nichts bestellen dürfe (wieder ohne Begründung) und demzufolge das Lokal verlassen müsse. Und leise fügte er hinzu, daß wir, Maria und ich, am besten auch gehen sollten. Aha, endlich wußten wir Bescheid. Das war ja ein Rausschmiß! Da war nichts zu machen. Also verließen wir das Lokal. Übrigens, die anwesenden Gäste hatten überhaupt nicht die Nase gerümpft, nur das Personal war in Panik geraten ...
Im nächsten Souvenirladen kaufte Josef eine Kerze, die er zugunsten unserer gemeinsamen Freundin in der Gnadenkapelle opfern wollte. Wir erzählten dort von unserem Rausschmiß, worüber man sich wunderte. Diese Verkäuferinnen im Souvenirladen schauten offenbar zunächst in unser Herz und ließen sich von dem wilden Äußeren nicht schrecken.
Auf dem Christkindlmarkt leisteten wir uns einen warmen Imbiß. Aber es war kalt, und ein wärmeres Ambiente hätte uns schon gut getan. Da Josef an diesem Tag die Kirchen wie die Pest mied, mußten wir also weiter nach einer warmen Lokalität suchen.
In einem Café fragte ich, ob wir uns wenigstens einen Kaffee mit nach draußen nehmen dürften. Als man aber Josef erblickte: heftige Abwehr. Weiter ging's im Schneckentempo, denn Josefs Bein schmerzte. Er fror trotz seiner Pelzjacke. War es vielleicht diese Jacke, die den Josef so auffallen ließ? Es war ja nicht mehr der neueste Schnitt. Aber ansonsten war Josef sauber - auch die Haare waren frisch gewaschen - und er war ganz normal gekleidet.
Im nächsten Souvenirladen hatte man viel Verständnis für unsere Not und man wußte auch einen Ausweg: Unweit gab es den "Gasthof zu den zwölf Aposteln". Dorthin gingen wir. Und, oh Wunder, wir bekamen anstaltslos unseren Kaffee serviert. Es gab also doch noch Menschen im Gaststättengewerbe. Nachdem wir auch freundliche Kontakte mit einer Pilgergruppe älterer Frauen aufgenommen hatten, wußte bald jeder, daß wir nicht so schlimm waren wie wir aussahen.
Aber die Erniedrigung hatte unseren Josef schwer getroffen. Immer wieder betonte er: "Ich bin kein Penner, ich bin kein Penner!" Aber vor etwa zwanzig Jahren hatte er einige Zeit auf der Straße gelebt. Das prägt. Der typische Pennerschritt ist dann wohl nicht mehr wegzukriegen.