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Thema des Monats Welt des Jetzt

Seniors
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15.04.2002
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Welt des Jetzt

Staub - funkelnde Sternchen in den Sonnenstrahlen des frühen Markttages. Draußen wogt der Lärm der ersten Händler. Kaamar schließt die Augen. Langsam entfaltet das Agenah-Kraut seine Wirkung. Kaamar sieht, ohne zu sehen. Facetten. Sie strömen vorbei. Er taucht tiefer, quer zur Wirklichkeit, hinab in die Tiefe der Zeit. Einige Bilder hält er fest ...

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Röchelnd fällt der Reiter in den Dreck. Die Stange des Angreifers hat ihn am Hals getroffen. Er holt Luft, will sich aufrichten. Ein Stiefel donnert auf seine Brust, nimmt ihm die Luft. Heißer Atem in seinem Gesicht. Gestank. »Du siehst aus wie ein Zauberer«, zischt der Mann.
Der Reiter will antworten. Aber er kann nur keuchen. Der Mann nimmt ihm den Atem. »Gib mir deine Macht!«, fordert er. Er fängt an, ihn zu durchsuchen. Er nimmt alles, kichert wie im Wahn. Er nimmt auch das Kraut. Dann lässt er von dem Reiter ab, verschwindet.
Langsam bekommt der Überfallene wieder Luft. Irgendwann steht er auf. Irgendwann findet er sein Pferd. Er streichelt es, sieht sich um. Er spürt, dass der Schmerz in seiner Brust eine Ursache haben muss. Aber die liegt verborgen hinter einem Schleier. Er will ihn fort reißen, den Blick dahinter werfen. Aber es gelingt ihm nicht. Er sucht in seinen Taschen nach dem Kraut. Als er es nicht findet, beginnt er zu weinen.

*​

Der Kriecher hat keinen Namen. Er weiß nicht, was ein Name ist. Er schiebt sich in eine Pfütze und verharrt. Er weiß nicht, was dreckiges Wasser ist. Jedoch sagt ihm sein Instinkt, dass er hier seinen Durst stillen kann. Der Kriecher trinkt, dann verharrt er erneut. Wartet regungslos. Er weiß nicht, worauf. Er weiß nicht, dass Zeit vergeht. Irgendwann bemerkt er, dass er Arme und Beine hat. Der Kriecher steht auf und sieht an sich hinab. Aha, denkt er, ich bin ein Mensch. Er sieht sich ratlos um.
Am Morast findet er ein krummes, grünes Kraut. Er hat Hunger. Er isst von dem Kraut.
Dann erinnert er sich. Nicht an alles, aber an mehr, als ihm lieb ist.
Schließlich muss er sich übergeben. Irgendwann verblassen einige der Bilder. Eilig sucht er die Umgebung ab. Er braucht mehr von diesem Kraut, bevor er vergisst, was es bewirkt.

*​

Die Menschen jubeln dem König zu. Auch Kaamar jubelt. Der Triumphzug führt durch die prächtigen Straßen der Stadt. Nebel zieht herauf, aber Kaamar weiß, dass der damals nicht existierte. Die Wirkung des Krauts lässt nach. Auf dem mit Blumen geschmückten Altar steht der König. Prächtig, stolz, wie er winkt, als er zu sprechen anfängt. Den Menschen die Erlösung verspricht. Die Erlösung von allem, was ihren Geist belastet, ihr Gewissen. Er verspricht das Vergessen, und die Menge jubelt ihm zu. Wie aus der Ferne beobachtet Kaamar den Beginn der Zeremonie. Undeutlich. Farben verschwimmen zu hellem Grau. Er konzentriert sich, mobilisiert all seine Kräfte. So weit in die Vergangenheit ist er noch nie vorgedrungen. Die sechs Zauberer ersteigen den Altar und gesellen sich zum König, der in der Mitte steht. Die Zeremonie beginnt. Fast alles wird weiß. Der König hebt die Arme, er lacht. Kaamars Blick eilt über die im Nebel verblassende Menge. Er kann kaum noch etwas erkennen.
Endlich sieht er sich selbst. Er jubelt.
Dann fällt der sanfte Schleier des Vergessens über die Menschen.

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Die Wirkung des Agenah-Krauts geht vorüber. Kaamars Lider zittern. Flackern. Die letzten Schemen verblassen. Langsam richtet er sich auf. Greift zu einem Kelch mit Wasser, lässt die Tropfen seine kratzende Kehle hinunter rinnen. Dann verrinnen auch die Gedanken, die vorhin noch so greifbar waren. Sie verschwinden hinter dem Schleier des vorletzten Augenblicks. Die Erinnerungen versinken im Irgendwo. Wenig bleibt zurück. Kaamar hustet.
Bald kommen die ersten Kunden des Tages. Sie zahlen für das Agenah-Kraut, sie zahlen für einen Blick in ihre eigenen Erinnerungen. Wenn sie Kaamars Laden verlassen, haben sie fast alles wieder vergessen. Sie laufen durch die Welt des Jetzt, leben weiter vor sich hin in diesem verfluchten Land ohne Vergangenheit. Bis zu jenem Moment, in dem auch Gegenwart und Zukunft ins Nirgendwann verschwinden.

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16.8.05

 

Meinen Gruß,

Eine sehr interessante Geschichte setzt du deinem Publikum da vor, mit einer ganz anderen, abstrakten Interpretation der Schleierthematik, was mir durchaus gefällt.
Nur scheint sich der Schleier auh ein wenig auf die Metaebene ausgebreitet zu haben: Mir ist nicht alles klar geworden:
Warum hilft das Kraut beim Erinnern?
Warum kann der Kriecher das kraut einfach so im Morat finden, wenn es scheinbar zu den begehrtesten Gütern im land zählt, und man dafür sogar überfallen wird?

Desweiteren fehlt mir ein wenig Handlung, mir schien dies hier eher wie eine Reihung kurzer Eindrücke, Ausschnitte aus dem Alltag dieses Landes.
Auch scheinen mir die Erzählstränge nicht so wie bei "Ratten in Koushk" schließlich zusammenzufinden, sondern ihre Losen Enden flattern leicht im Wind meiner ungestillten Erwartung.

Ich finde das Ganze gut gelungen und sehr stimmungsvoll, aber ich finde auch, man hätte NOCH mehr daraus machen können.

Hochachtungsvoll
Niccolo

 

Danke für Deinen Kommentar; zu Deinen Fragen:

Warum hilft das Kraut beim Erinnern?
Es handelt sich um psychoaktive Kräuter. So ne Art Droge.
Warum kann der Kriecher das kraut einfach so im Morat finden, wenn es scheinbar zu den begehrtesten Gütern im land zählt, und man dafür sogar überfallen wird?
Der betreffende Abschnitt spielt sehr früh nach der "Katastrophe" (die Erinnerungen sind nicht linear angeordnet). Der Prot hat das Kraut bzw. dessen Wirkung zufällig entdeckt, später wurde es natürlich schwieriger, etwas davon zu finden.
Desweiteren fehlt mir ein wenig Handlung, mir schien dies hier eher wie eine Reihung kurzer Eindrücke, Ausschnitte aus dem Alltag dieses Landes.
Es sind Ausschnitte aus den Erinnerungen der Hauptfigur.
Auch scheinen mir die Erzählstränge nicht so wie bei "Ratten in Koushk" schließlich zusammenzufinden, sondern ihre Losen Enden flattern leicht im Wind meiner ungestillten Erwartung.
Hm. Die Auflösung ist, dass es sich um Erinnerungsfetzen der Hauptfigur handelt, und als es ihr gelingt, sich weit genug zurück zu erinnern, findet sie die Ursache des kollektiven Vergangenheitsverlustes heraus.

 

Ah, der Schleier hebt sich...;)

Vielleicht bin ich einfach etwas schwer von Begriff, aber könnte man es nciht vielleicht etwas kenntlicher machen, dass es sich um ein und dieselbe Figur handelt? Eventuell, indem du klar machst, dass das was er am Anfang im ersten Absatz sieht, seine eigenen Erinnerungen sind?

 

Hmmm ... also, ich finde, dass das Ende von Abschnitt 1 (nicht zuletzt durch die ...) recht klar anzeigt, dass was nun folgt, Erinnerungen sind. Mal sehen, was die anderen sagen.
Aber ich vertausche mal Abschnitt 2 und 3, damit sich von 2 bis 4 eine korrekte zeitliche Reihenfolge ergibt (nämlich rückwärts, tiefer in die Vergangenheit).

 

Sehr gut!

Das ist wirklich beeindruckend, wie Du hier mit wenigen Splittern eine eindruckvolle und ziemlich beunruhigende Geschichte entwirfst. Die Form der Erzählung trägt natürlich dazu bei, und die Ansiedelung in "Fantasy" verleiht dem Ganzen noch einen besseren Dreh (in SF hätte man das alles ganz anders aufziehen müssen).

Das wäre fast eine Empfehlung wert, einzig fehlt mir stellenweise etwas Atmosphäre, dazu ist der Text zu kurz (na, es sind ja Erinnerungen, die sind manchmal so). Nichts, was ich wirklich benennen könnte ... ich brauche etwas von diesem Kraut ...

... Naut

 

... ah, danke, jetzt fällt's mir wieder ein: Die Forderung heißt ja "mit allen Sinnen"! In einigen Abschnitten kommen die haptischen und olifaktorischen Sinne zu kurz. Ich denke, das ist es!

 

Hey Uwe,
inspirieren wir dich so, oder warum bist du ständig hier? ;)
Ich fand die Geschichte gut, wenn ich auch die Pointe nicht kapiert habe (das habe ich erst deinen Erklärungen entnommen). Hin und wieder kann ich dieses Fragmentarische auch gern mal lesen, aber nicht permanent. Warum schreibst du nicht mal was Längeres? Wieder mal ne richtige Geschichte? ;)

gruß
vita
:bounce:

 

Nee, sorry, inspiriert werde ich gerade von anderen ...
Hm, wenn die Pointe so knifflig ist, muss ich sie besser rausarbeiten.
Klar schreib ich auch wieder ne längere Fantasy-Story, ich bin sogar schon dabei, und ich verspreche sogar vollmundig eine revolutionäre Idee :)
Aber ab und zu braucht man auch was für den kleinen Appetit zwischendurch ;)

 

Jetzt will ich aber wissen, WARUM die das damals abgezogen haben
Vielleicht schreib ich mal ne Geschichte drüber ;)
Danke für den Kriecher-Hinweis, typisches Überarbeitungsartefakt ... wird zackig repariert.
Hm. Dass nicht eindeutig ist, dass der Prot gleichzeitig auch die anderen Figuren "ist", sehe ich ein. Aber ich wollte da ungern seinen Namen verwenden ...
Danke für Deinen Kommentar ;)

 

moin, uwe!

sorry, aber ich muss sagen, das hier ist für meinen geschmack ein bisschen zu fragmentarisch. ein wildes kaleidoskop von abgehackt formulierten eindrücken, aus denen ich auch nach 2x lesen noch nicht wirklich eine kohärente geschichte zusammengebastelt kriege. und auch der stil ist mir ein bisschen zu arg hauptsatz-fixiert. soll heissen: sorry, aber das ist so ein text, mit dem ich irgendwie so gar nix anfangen kann ... ein bisschen weniger kryptizismus und ein etwas weniger zerhackter stil ... so liest sich das für mich eher wie ein notizzettel und nicht wie die fertige geschichte ... :schiel:

 

Morgen Uwe,

kann mich Horni nur anschließen, es ist wieder eine deiner "Husch-Husch-fertig"-Geschichten. Und wieder: Mehr Handlung, mehr Charakterzeichnung, mehr Hintergrund - mehr, mehr, mehr, mehr, mehr, mehr, MEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEHR! *einhämmer* Datt is Fantasy, mein Jong, andere füllen ganze Bücher mit solchen Schnipseln. :D

Dante

 

Moin Uwe,

joah, eine Geschichte zum Nachknobeln. Ich muss gestehen, ich hab die Kommentare gleich nach der Geschichte gelesen, und sie dann auch verstanden, statt das Ding noch einmal durchzulesen. Schande über mich...

Irgendwie beeindruckt hat sie mich schon, vor allem wegen der vorherrschenden düsteren Stimmung.
Dass es sich bei den einzelnen Abschnitten um immer den selben Prot handelt, habe ich erst geahnt, alls er sich im letzten Abschnitt jubeln sieht. Da hab ich dann allerdings auch langsam die Zusammenhänge zu begreifen begonnen.

Die Idee und die Welt fand ich klasse, ich glaube allerdings, dass beides mir weniger fragmentarisch etwas besser gefallen hätte. Vielleicht brauch ich einfach nur klipp und klare Worte und bin zum interpretieren zu doof, oder so...

Alles in allem, ganz nett, aber irgendwie.... noch unbefriedigend.

Liebe Grüße,

Ronja

 

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