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Weltherrschaft
„Nur noch hier unten rechts unterschreiben und das wär‘s dann.“
Langsam setze ich die Feder des Füllhalters auf die gestrichelte Linie. Ein prickelndes Gefühl des Zweifels regt sich in meiner Magengrube. Was, wenn ich vielleicht etwas übersehen habe? Vielleicht sollte ich noch mal fragen.
„Mit Datum, Ort und Vornamen?“
Ein freundliches Lächeln, unterstützt durch ein Nicken, inklusive Augenzwinkern schieben die Zweifel in den Müllschlucker meines Gewissens.
Auf dem Schild an ihrem Revers steht ‘Gerda‘. Der Name meiner Mutter. Leider ist sie alles andere als hübsch, mehr so Richtung Leberwurststulle. Was dann zwei Gründe wären, sie nicht auf eine Tasse Kaffee einzuladen. Sie sieht sowieso wie eine aus, die ständig Buttersäure trinkt. Mit Zitrone und drei Löffel Zucker. Meine Güte, die hat aber auch einen buschigen Schwanz. Und Zähne wie Hackbeile. Vor einigen Stunden hätte mich das noch sehr gewundert.
In schwungvollen Linien setze ich meinen Namen unter den Vertrag. Ich habe es geschafft. Manfred Holzbacher. Weltherrscher.
Vor einigen Stunden …
„Ja“, schnaufte ich in den Hörer und verdrehte die Augen ein weiteres Mal. „Da bekommen Sie dann auch Schirmchen in Ihren Cocktail.“
Früher besaß ich ein kleines Reisebüro in Bochum-Wattenscheid und war auf Greisreisen spezialisiert. Ausflüge ohne Wiederkehr. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters meiner Kunden, hatte ich immer ein paar Urnen und praktische, faltbare Reisesärge im Angebot. Stammkundschaft gab es bei mir nicht. Alle Angebote waren Last Minute.
„Genau. Alles inklusive. Mit allem drum und dra… Sie haben einen eigenen Sarg? Ist ja toll. Und welche Größe? Nun, Sie müssten mir schon ein wenig entgegenkommen, woher soll ich denn die Größe wissen? Aha, so groß wie Ihr Mann. Na dann ist ja alles klar, oder wie? Ich weiß doch nicht, wie groß Ihr Mann ist? Ach so, ‘war‘. Dann mal mein Beileid. Nein, ich glaube nicht, dass der als Handgepäck durchgeht. Nein, der Sarg, verflucht!“
Die Unfreundlichkeit hatte ich immer ernst gemeint. Schließlich konnte ich es mir nicht leisten, dass die Kunden wiederkamen, falls dann doch mal einer reanimiert werden sollte oder sowas. Gut, das klingt herzlos und nicht unbedingt logisch, vor allen Dingen dann nicht, wenn man ein Geschäft zu führen hatte. Aber wenn man den ganzen Tag mit senilen, so gut wie tauben, grenzdebilen Vierfünfteltoten zu tun hatte, ist das entschuldbar. Jedenfalls sah ich das so. Und Beschwerden gab es ja schließlich keine. Das meiste Geld machte ich dann durch indirekte Erbschaft. Wenn das Rentnerpack auf den Reisen ins Gras biss, plünderte ich deren Wohnungen und Häuser. Falls irgendjemandem mal die Brokattelefonschonbezüge ausgehen sollte - ich hatte bis ans Ende aller Tage den Keller voll mit diesem Kitsch.
„Wozu wollen Sie denn noch ‘ne Reisehaftpflicht abschließen? Sie fahren nur einmal übern großen Teich. Ja, einmal. EINMAL! Wie? Nein, Sie zahlen nicht ermäßigt, dafür sind Sie schon zu alt. Ach, für Ihren toten Mann? Was sind Sie, nur alt oder alt und bekloppt? Sie können doch keine Leiche mitschleppen. Nein, auch nicht im Handgepäck, Sie dämliche alte Schach…“
Das Bimmeln der Glöckchen an der Eingangstür unterbrach meine Freundlichkeiten. Ein Mittfünfziger stand in der Tür. Fett. Glatzköpfig. Mit Hawaiihemd und Bermudashorts, sowie der obligatorischen Sockensandale ausstaffiert. Koffer zum Bersten gefüllt. Sonnenbrille und eingecremte Nase. Betonfarbene, unbehaarte, krampfadergeschwaderübersäte Wurstbeine. Mein lieber Herr Gesangsverein, wir hatten Mitte November, es war arschkalt und vor allem befanden wir uns im Ruhrgebiet. Wo sollte die Reise hingehen, ins Gulag?
„Ja, Sie können mir ruhig eine intime Frage stellen, ich hab ja sonst keine Alpträume. Sagen Sie mal, haben Sie denn in Biologie nicht aufgepasst? Sie brauchen ganz bestimmt nicht mehr zu verhüten. Grundgütiger! Wie bitte? Äh, da sollten Sie vielleicht mal in der Apotheke fragen, ob die den Präser zurücknehmen. Ach, Sie haben ihn bereits benutzt? Nun, ich bezweifle, dass die Apotheke da eine Ausnah… Natüüüürlich, wie hätten Sie sonst wissen können, ob er passt.“
Der klischeebehaftete Fettsack setzte sich in den Stuhl vor meinem Schreibstisch. Ein zur Leibesfülle passender Seufzer entfuhr ihm und er wischte sich mit einem Tempo den Schweiß von der Stirn und fächelte sich Luft zu. Meine, kostbare Luft. Arsch.
„Ja, Schiffe sind wieder sicher. Nein, Eisberge sind heutzutage kein Thema mehr, vor allem nicht in der Karibik, Sie Geografiegenie. Sagen Sie mal, wann wurden Sie eigentlich geboren? Ja, ja, Sie mich auch! Überweisen Sie und dann Abfahrt!“ Ich knallte den Hörer auf die Gabel.
Bevor ich mich der Groteske widmete, die geduldig und schwer atmend wartete, griff ich zur Kaffeekanne und schenkte mir ein. Mein Blick wanderte über dieses Wunder der Natur, das mir schnaufend gegenüber saß. Säuerlicher Geruch stieg von ihm auf und stach mir in die Nase. Konnte es wirklich sein, dass ich dem eine Reise andrehen musste? Schlimmer noch, musste ich mit ihm in Konversation treten? Vor allem, was wäre bei dem zu holen? Ein Sauerstoffgerät und graue Schlüpper?
„Und du willst?“
Der Dicke lächelte ein gemütliches Lächeln. Zum Reinschlagen.
Reden war anscheinend nicht seine Stärke, ebenso wenig wie die Neigung Sport zu treiben. Er legte mir einen schwarzen, mit Wachs versiegelten Umschlag auf den Tisch und schob ihn zu mir herüber.
„Okay, pass mal auf, Keule, ich bedien hier nur alte Menschen, die kurz davor stehen vom Tod auf die Schippe genommen zu werden. Und auch wenn du dein Maul nicht aufkriegst und tierisch scheiße aussiehst, ist das noch lange kein Grund, dir eine Reise zu verkaufen. Ich hoffe, wir verstehen uns. Und jetzt verpiss dich!“
Keine Reaktion. Nur dämliches Lächeln.
Ich leerte den bitteren Inhalt der Kaffeetasse in meinen Magen und stieß kurz auf, um mich wenigstens der überflüssigen Gase zu entledigen.
Ob es lediglich Neugier oder einfach nur Dummheit war, kann ich nicht sagen, aber ich hatte das dringende Gefühl, den Umschlag öffnen zu müssen. Mittlerweile tendiere ich zu Dummheit, verquickt mit abgrundtiefer Blödheit und einem Schuss Arroganz.
Ich brach das Siegel, entfaltete den Brief und las.
Du bist!
Herzlichst, Dein Weltherrscher
„Gut, Kumpel. Wen soll ich rufen, die Bullen oder gleich die von der Irrenanstalt?“
Das Grinsen des Fettsacks wurde immer heftiger. Die Mundwinkel breiteten sich aus, der Unterkiefer entkoppelte sich mit einem lauten Knirschen vom Kopf und brach. Die Augen quollen aus dem Kopf und platzten eines nach dem anderen. Die Fresse von dem Typen war so groß wie ein Scheunentor und dann passierte es. Er rülpste so laut und erdbebenmäßig, dass es mich aus meinem Stuhl haute. Der Aufprall auf die Wand hinter mir war alles andere als sanft, Prospekte, Akten und Schutt brachen über mich hinein. Es wurde dunkel.
Des weiteren …
„Verfluchte Schei…!“ Das Büro war vollkomen zerrülpst. Als ich mich unter dem Schutt hervorgegraben hatte, wanderte mein Blick zu der Stelle, an welcher der Weltrekordhalter im Kieferaushängen gesessen hatte. Nur noch seine Sandalen waren zurück geblieben. Saubere Leistung..
Ich klopfte mir den Staub aus den Klamotten und stapfte zum Türstock, der als einziges Teil von meinem Büro übriggeblieben war und trat auf die Straße. Ein mehrere Kilometer großes Loch umgab mich und die Reste meines schnieken Reisebüros. Ich zuckte mit den Schultern.
„Tja. Gewaltiger Mist.“
Wattenscheid war weg.
Eigentlich hätte jetzt was total Verrücktes passieren müssen. Also noch verrückter als das bereits Geschehene. Aber dem war nicht so. Es war ruhig, bis auf diese schrecklichen Schreie derjenigen, die in diesem Höllenschlund unter meinem Reisebüro ins Sterben gerieten.
Mich interessierte vielmehr die Nachricht in diesem Brief des Fettsacks. Wer, verdammt noch mal, war Weltherrscher und womit war ich jetzt dran?
Ich wollte gerade ins Büro zurück und nach dem Umschlag suchen, da kam Gerda den Schlund hochgeklettert. Sie hatte diese riesigen Klauen, mit denen sie sich prima ins Wattenscheider Molochgestein krallen konnte. Sehr praktisch.
„Tach!“
„Tach!“
„Und, weisse Bescheid?“
Ihre Stimme hatte diese angenehme Rumpeligkeit. Ihre riesigen Bärenpranken passten vorzüglich zu den Stacheln auf dem Kopf. Mann, das nenn ich mal ‘ne Frau.
„Hasse die Papiere schon unterzeichnet, Jüngelchen?“ Ich hatte keine Ahnung wie, aber sie zauberte eine Aktentasche hervor und entnahm ihr einige Papiere.
„Äh …“
„Isser jeplatzt? Hatter wieder datt mit die Augen jemacht?“
„Ja, das auch. Aber du hättest mal sehen sollen, was er mit seinem Mund gemacht hat. Der absolute Hammer. Zuerst hat er gelacht und dann hat er seinen Unterkiefer ausgehängt oder so und …“
„Dann hatter jerülpst und halb Wattenscheid …“ Sie drehte sich um. „Ganz Wattenscheid mitjenommen?“
„Scheint so. Ist er jetzt tot?“
„Wie sah er denn aus?“
„Also er machte eigentlich einen recht beschissenen Eindruck.“
„Dann wäre er wohl besser tot, was?“ Sie platzte fast vor Lachen und schleuderte ein wenig Schleim aus ihrem Rachen. Schleim, so groß wie Reihenhäuser.
„Also, Manfred. Folgendes. Du musst hier mal kurz den Vertrag unterzeichnen.“
„Für was? Vor allem, ich kenn dich nicht mal.“
„Gerda“, krachte es aus ihr heraus.
„Angenehm. Manfred.“
„Freut mich.“
„Also, für was soll ich mich vertraglich binden?“
„Gute Frage. Moment, da muss ich noch mal nachschauen.“ Sie blätterte in den Vertragspapieren und zog eine Broschüre hervor.
„Teufel“, sagte sie knapp, trocken und rumpelnd.
„Ich dachte, Weltherrscher.“
Sie schaute ganz entsetzt und wühlte hektisch in den Unterlagen.
„Ja leck mich am Arsch!“ Hier sei erwähnt, das jenes Hinterteil mit Eiterhauben noch und nöcher übersät war.
„Stimmt, du wirst ja Weltherrscher.“
„Ich werde Gott?“
„Ach, Humbug. Gott macht doch schon lange keinen Finger mehr krumm. Der ist bereits seit fast zweitausend Jahren in Rente.“
„Und wieso ausgerechnet ich?“
„Soll ich dich jetzt mit diesem ganzen bürokratischen Scheiß nerven? Das Universum hat abgestimmt. Fertig. Du wirst jetzt Weltherrscher. Also von der Erde, nicht dass wir uns falsch verstehen.“
„Aber der Mond gehört schon noch dazu?“
„Keine Ahnung, was dir das bringen sollte, aber ja, der Mond gehört zu deinem Wirkungskreis.“
„Und was muss ich jetzt machen?“
„Nur noch hier unten rechts unterschreiben und das wär‘s dann.“
Spätere Gegenwart … Also jetzt quasi ...
„Ich finde es unheimlich nett von dir, dass du mich auf diese Kreuzfahrt eingeladen hast. Ich meine, das kostet dich ja auch einiges. Die Suite. Der Page.“
„Butler.“
„Ja. Und dann das ganze Essen. Ich meine, da verhungern so viele Kinder in Utopien …“
„Äthiopien.“
„Genau, sag ich ja. Die armen verhungerten Kinder.“
„Denen geht‘s jetzt besser.“
„Meinst Du?“
„Vertrau mir.“
„Na ja, gehört ja alles irgendwie zum Leben dazu, dieses ganze Leid.“
„Sicher, Globalisierung halt.“
„Und sag mal …“
„Hm?“
„Du bist also durch diese Telefonschoner reich geworden?“
„Auch.“