Wenn der Heizungsableser kommt
Das Genie lebt im Chaos, heißt es. Mein Spross lebt im Chaos. Ich gönne es ihm. Vielleicht wird ja später ein Genie aus ihm. So lange kann aber der Heizungsableser nicht warten. Er hatte sich angekündigt und ich wollte ihm wenigstens freien Zugang zu den Heizungen unserer Behausung gewähren.
„Du räumst heute dein Zimmer auf“, befahl ich.
„Wieso? Da finde ich nachher nichts wieder. Außerdem habe ich keine Zeit. Habe so viele Hausaufgaben auf. Mathe 8 Aufgaben, Bio 10 Seiten, für Musik 30 Lieder aufs Handy downloaden und in Deutsch muss ich das Fremdwörterbuch auswendig lernen. Bis morgen.“
„Ach so, verstehe. Na gut. Aber wenigstens kannst du den Berg Dreckwäsche in den Wäschekorb bringen, damit man zur Heizung laufen kann. Das geht ganz schnell.“
„Ähm, die Klamotten sind alle ziemlich sauber. Ziehe ich noch mal an.“
„Dann räume sie in den Schrank“
„Geht nicht. Erstens ist der Schrank voll. Zweitens ist er übervoll und drittens: Wohin soll ich dann den Meerschweinchenkäfig stellen? Auf dem Balkon frieren die Tiere und im Keller vereinsamen sie. Außerdem liebe ich sie. Du willst sie doch nicht verkaufen? Dann sterbe ich lieber.“
„Nein ist ja gut. Das verstehe ich. Dann stelle wenigstens die Bücher gerade ins Regal und sortiere die vom Boden mit ein.“
„Nä, du meckerst morgens sowieso herum, weil ich nicht aus’m Knick komme. Und wenn ich zum Tasche packen meine Bücher erst noch im Regal suchen muss, dann verpasse ich den Bus. Und ob ich die Bücher im Regal hinstelle oder ob sie so liegen bleiben, davon habe ich nicht mehr Platz. Die Schinken werden ja nicht dünner. Oder?“
An dieser Stelle schüttelte ich mich und kratze mir die Stirn.
„Ja, da hast du auch wieder Recht. Was ist mit den vielen CD’s, die hier offen herum liegen. Kannst du die nicht in die Hüllen hineinlegen? Die zerkratzen ja.“
„Die Hüllen stützen das abgebrochene Bein am Bett. Und wie sollen die CD’s zerkratzen? Außer mir kommt hier eh keiner rein. Und ich bin nicht so blöd und zerkratze meine eigenen CD’s. Oder kommst du etwa mit einem Schraubenzieher heimlich in mein Zimmer und zerkratzt meine CD’s damit ich aufräume? Papa!? Ich wunder mich sowieso, warum sich Mike Leon auf der Singel auf einmal so bescheuert anhört...“
„Nein, ich zerkratze nichts. So ein Unsinn.“
„... und ich weiß immer in welcher Zimmerecke welche CD liegt. Dort drüber sind bis auf wenige Ausnahmen die CD-Rom’s. Gegenüber staple ich alle neuen CD’s und unterm Meerschweinchenkäfig finde ich bei Bedarf die alten Dinger.“
„Ja, also wenn das so ist.“ Ich zucke die Schultern und starte einen weiteren verzweifelten Versuch, den unbehaglichen Zustand des Zimmers zu verändern: „Auf dem Schreibtisch sieht es auch nicht besser aus. Wie kannst du da nur dran arbeiten? Steck doch die Stifte, Lineale und Scheren in die Dose, die Disketten in die Box und den Kleinkram in die Ablage. Das kann doch nicht so schlimm sein. Oder hast du da auch wieder Unterlassungsgründe?“
„Wen geht mein Schreibtisch eigentlich etwas an? Da muss der Heizungsleser ja nicht drüber steigen. Soll er weggucken. Wehe wenn der dahin guckt. Ich zeig den an beim Ordnungsamt. Der soll ja die Finger von meinen Sachen lassen. Wer weiß, was der alles gebrauchen kann. Du kennst den ja nicht.“
„Meine Güte. Kein Mensch will etwas von deinen Sachen wegnehmen. Außerdem könntest du froh sein, wenn jemand etwas Müll aus deinem Saustall mit nimmt. Zum Beispiel die leeren Chipstüten, Schokoladenfolien, Bonbonpapiere, Teller, Keksreste, Tassen, Apfelgripsche, Hotwheels und das kaputte Plakat von Tokio Hotel. Das ist eine reine Müllhalde.“
„Lass bloß mein Plakat in Ruhe. Das will ich kleben. Wo ist eigentlich mein Kleber?“
„Da haben wir’s. Du findest deinen Kleber nicht...“
„Ach warte mal, der ist mir das letzte Mal unters Bett gerollt. Na bitte. Da ist er ja.“
„Okay, wie du meinst. Bitte. Ich werde das Rollo runter lassen und die Birne aus der Lampe schrauben. Dann sieht der Heizungsableser dein Chaos nicht. Allerdings ..., wenn er sich vor die Heizung kniet, um abzulesen, blickt er automatisch auf’s Fensterbrett. Kannst du das wenigstens frei räumen?“
„Von mir aus. Kannst alles da hinten in die Ecke legen. Ich muss jetzt meine Hausaufgaben weiter machen.“
Auf diese Worte hin begab ich mich in den Keller, stellte die Heizung ab, lies das Wasser raus und kehrte mit einem Schraubenschlüssel zurück. Dann montierte ich den Heizungskörper ab und stellte ihn für den Ableser vor die Tür. Auf einen Faserstift kauend kam das Genie heran, begutachtete die Lösung und murmelte: „Na also. Geht doch!“ Dann entschwand er für ein weiteres Jahr in seiner Mülldeponie.