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Wenn der Sperling singt

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01.07.2001
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Wenn der Sperling singt

Wenn der Sperling singt, da verlässt eine Seele die Welt

Die letzten Sonnenstrahlen huschten ins Zimmer, huschten über das Bett und betasteten ihr eingefallenes Gesicht – huschten über ihr lange schwarzen Haare, liebkosten ihre eingefallenen Brust. Sie atmete schwer. Sie wusste, es würde nicht mehr lange gehen. Man hatte ihr gesagt, es wären ihre letzten Tage. Der Tod würde kommen. Nichts konnte man mehr tun – nur warten. Es war das Leben, die letzten Tage, die letzten Stunden – die Lebensuhr, sie lief weiter – gleichmässig, Minuten, Sekunden und Stunden. Niemand konnte sie aufhalten – gar niemand, nicht einmal der liebe Gott, der die Welt erschaffen hatte. Sie wusste es. Manchmal hustete sie, schloss die Augen. Die Kindheit floss vorbei, wie Wasser dem Ufer vorbei fliesst, langsam ohne Hast. Da war der Vater, den sie immer geliebt hatte, die Mutter mit der hellen Stimme, die sie liebte, ihre Freundinnen, mit den sie gespielt hatte, ihnen anvertraute hatte, wie sehr sie die Männer liebte – ihre Katze, die eine lange Zeit ihr Leben teilte, dann überfahren wurde – einfach so an einem Tag, als der Winter begann – ein blutiger Brei auf einer Strasse, die mit Schnee bedeckt war. Ja, ihr Leben – ein Traum – ein Augenblick –ihr Lebensbuch. Niemand, gar niemand, konnte ihr das Buch zu Ende schreiben, es ihr weg nehmen. Da war er, den sie liebte, dem sie alles gegeben hatte, was eine Frau einem Mann geben konnte. Es war eine Liebe, die loderte, die sie verbrannte. Er hatte ihr immer gesagt, wenn sie krank sei, dann soll er es ihr sagen. Er würde kommen – gleich, wo er auf dieser Welt wäre – er würde kommen, ihre Hand halten – da sein. Sie liebte ihn so brennend und er sie. Sie seufzte. Es tat ihr in der Brust weh. Die Sonne ging als glühender Feuerball am Horizont nieder. Bald würde die Nacht herein brechen. Die Türe ging auf. Er kam – beugte sich über sie, küsste ihre nasse Stirne.
„Ich bin da...“ flüsterte er. Sie blickte ihn an – erkannte ihn – ihre Liebe – ihre Glut und versuchte zu lächeln.
„Streng Dich nicht an..bitte“ sagte er, nahm ihre Hand und streichelte sie. Sie wusste, er würde leiden, weinen – unendlich traurig sein, wenn sie nicht mehr war. Er hatte sie geliebt – ein ganzes Leben lang. Als sie so brannten, sich so liebten, hatten sie sich geschworen, wo immer sie auch seien auf dieser Welt, wenn der eine krank sei – wisse, dass er sterben würde, dann solle er kommen – einfach kommen. Er solle nicht daran denken, was der andere auch denken würde – gleich, ob er ihn sehen wolle oder nicht. Das Abschiednehmen vom Leben, dass musste gemeinsam geschehen. Für das hatte man sich zu lange geliebt, zu lange miteinander geglüht, miteinander gebrannt. Es gibt da diese Augenblicke im Leben, wo man nicht fragen muss, darf ich, sondern, wo man handeln muss – kommen muss. Sie spürte seine Hand, wie er ihre Hand hielt. Es tat ihr gut. Sie hatte keine Angst vor dem Sterben – vor dem Tod. Alles würde vergehen – wie die Augenblicke des Glückes, wo sie sich unter dem Apfelbaum geliebt hatten, sich ewige Liebe geschworen hatten – wie auch die letzten Augenblicke, die ihr noch bevorstanden. Sie wusste, sie würde in die Ewigkeit eingehen. Sie kannte die Ewigkeit nicht, wusste aber, dass dort der Frieden war, den sie suchte – dort würde sie alle Seelen begegnen, die sie im Leben gekannt hatte. Sie lächelte ihn an. Er beugte sich zu ihr hinunter. Sie spürte seine Lippen, seine Zunge. Eine leise Glut begann in ihr zu glühen – wie früher, als er ihren Hals küsste, ihre Schultern berührte, ihre Brüste hielt, als wären sie reife Aepfel. Sie weinte. Die Tränen rannen ihre Wange hinunter.
„Weine nicht..“, sagte er ihr. Er konnte sie nicht trösten, weil er wusste, dass sie sterben würde –musste und nichts mehr sie gesund machte. Im Leben geht alles einmal dem Ende entgegen. In einem Jahr würde er ihr Blumen aufs Grab legen – rote Rosen – die Blumen, die sie so liebte.
Sie blickte aus dem Fenster und sagh einen Sperling. Er begann zu singen. Sie lauschte seinem Gesang. Es war, als würde ihr Leben , das sie gelebt hatte neu beginnen. Sie erinnerte sich dem Spruch ihrer Grossmutter, die schon lange unter der Erde weilte – bei den Seelen - : „Wenn ein Sperling singt, da verlässt eine Seele die Welt“. Sie spürte die Schmerzen in der Brust – wusste, dass bevor der Gesang des Sperlings zu Ende war, ihre Seele die Welt verlassen würde. Sie drückte sein Hand. Ihre Blicke suchten seine Augen. Da lag so viel Liebe –so viel Sehnsucht. Sie war froh, dass er da war – einfach gekommen war und sich nicht der Abmachung gehalten hatte, die sie einst mit ihm getroffen hatte, einander nie zu sehen. Sie wollte ihn jetzt sehen – sein Gesicht in die Ewigkeit hinüber nehmen. Der Sperling sang – bald würde er seinen Gesang beendet haben. Sie lächelte ihn an.
©
Franz Ludin

 

Jagutäh!
Romantisch, und, ja, etwas schwülstig. Nicht so mein Fall, solche Geschichten, zumal eigentlich nichts interessantes passiert. Aber für das, was die Geschichte darstellen soll stilistisch doch sehr wohlgeraten. Wer auf etwas Pathos steht, sollte die Geschichte mal antesten.
So seltsam fand ich die aber nicht.

 

@Ben Jockisch

"Jagutäh", eine neue Art der Begrüßung. Ein beneidenswert lässiger Umgangston! "Wer auf Pathos steht", ich bin dem Rat gefolgt und hab die Geschichte "angetestet". Mein Urteil. Der Text liegt auf einer anderen Ebene als die schnodderige Reaktion, die er ausgelöst hat. "Ihr Fall" ist die Art von Geschichte nicht. Ist nur gut, dass "Ihr Fall" nicht die allgemeine Richtschnur für literarisches Qualitätsurteil ist. "Stilistisch doch sehr wohlgeraten", ein bisschen Balsam für die verwundete Seele des Autors! Recht so! Darf man bei der Gelegenheit anmerken, dass "nichts Interessantes" immer noch großgeschrieben wird. "Seltsam" finde ich persönlich so manches.

Mit freundlichen Grüßen

Hans Werner

 

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