Wer hat's erfunden?
„Herein!“, bellte es.
Ein älterer Herr betrat den Raum, bewaffnet mit einer schwarzen Aktentasche und einem undefinierbaren Etwas. Nachdem er Etwas auf den Schreibtisch gestellt hatte, setzte er sich auf die Kante des Besucherstuhles.
„Grüzi, Zwirli mein Name. Ich wollte meine Erfindung zum Patent anmelden.“
Misstrauisch beäugte der Patentingenieur, ein junger Mann mit Kraushaar und modischem Schnauzer, erst seinen Besucher und dann das Monstrum vor sich. Es bestand aus einer Holzplatte, in die viele Stäbe eingelassen waren. Zwischen den Stäben waren dicke und dünne, matte und glänzende, schlaffe und gespannte Metallfedern und einige Spulen und Kondensatorplatten zu sehen. Garniert wurde das Ganze von bunten Drähten, einer Glühbirne und einer Klingel. An der Seite der Holzplatte befand sich eine kleine Aussparung, die von einem schwarzen Kasten ausgefüllt wurde.
„Ja, äh ... und was kann die, Herr ... Zwingli?“
„Zwirli, wenn Sie erlauben. Einen Moment.“ Herr Zwirli wühlte in seiner schwarzen Aktentasche und beförderte eine Mappe zutage, die er neben seine Erfindung legte.
„Hier steht alles darinnen. Wenn Sie einmal einen Blick ...“
Der Gutachter schob die Mappe mit spitzen Fingern, so, als ob er Angst hätte sich zu verbrennen, beiseite.
„Sagen Sie’s mir mit einfachen Worten.“
„Was die kann?“ Herr Zwirli beugte seinen grauen Kopf über den Tisch hinweg fast in das Gesicht des Ingenieurs hinein. „Meine ... Maschine ... kann ... Ideen ... erzeugen.“ Er betonte jedes einzelne Wort und lehnte sich anschließend triumphierend zurück, um die Wirkung seiner Worte zu genießen.
„Häh?“, machte der Patentingenieur.
„Ja, glauben Sie’s nur. Mit Hilfe dieser Maschine“... hier streichelte Herr Zwirli zärtlich über die Drähte und Metallfedern ...“findet ihr Besitzer Ideen, wissen Sie? Gibt es ein Problem, stellt er einfach seinen Ideengenerator an und hat im Nu eine Idee zur Lösung des Problems. Ich bin pensionierter Physiklehrer und hab mich schon immer über die Ideenlosigkeit meiner Schüler geärgert. Ja, und da kam mir eben die Idee zu meiner Maschine.“ Nach einer bedeutungsschwangeren Pause fügte er hinzu: „Es funktioniert mit Hirnströmen, verstehen Sie?“
Der Patentingenieur stöhnte vernehmlich, zog die Stirn in Falten, kniff die Augen zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Urmmmpf!“, klang es dumpf darunter hervor. „Heute schon zwei Perpetuum Mobiles, ein automatischer Schuhanzieher, ein Eierköpfer, ein Kondomspüler, ein Stummer Diener, der sprechen kann und jetzt auch noch ein Ideengenerator ... bitte gehen Sie.“
„Aber ... ich ... Sie haben doch noch gar nicht ...“
„Es funktioniert nicht!“, brüllte der Ingenieur, sprang auf und hieb mit der Faust auf den Tisch.
Auch Herr Zwirli stand nun.
Mit vor Empörung zitternder Stimme stammelte er: „Sie ... Sie Ignorant!“ Und seine Augen schimmerten verdächtig.
Sein Gegenüber schwieg und betrachtete den Erfinder einen Moment.
„Also gut“, sagte er resignierend, wieder mit normaler Lautstärke, „geben wir Ihrem ... Ideengenerator eine Chance.“
Er suchte auf seinem Schreibtisch einige Blätter zusammen und reichte sie seinem Besucher.
„Hier, an diesem physikalischen Problem brüte ich jetzt schon fast eine Woche. Als Physiklehrer sollte es Ihnen sicher ein Leichtes sein, zu erfassen, worum es geht, erst recht, wenn Sie von Ihrer Apparatur unterstützt werden.“ Ein überlegenes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Ingenieurs.
Herr Zwirli griff nach den Blättern und warf einen Blick darauf.
„Also wissen Sie, wenn mir meine Schüler ein Blatt mit so einer miserablen ...“, setzte er an, doch der Herr Ingenieur wedelte den Rest der Bemerkung weg wie ein lästiges Insekt. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden.
„Sie sollen mir keine Note geben. Ich will eine Idee zur Lösung. Na?“
Eifrig holte der Erfinder aus seiner Tasche einen Bügel mit zwei Metallplättchen hervor, den er so an seinem Kopf befestigte, dass die Plättchen genau auf seinen Schläfen lagen.
„Das haben wir gleich“, murmelte er und verband den Bügel mit Hilfe eines dünnen Drahtes mit seiner Maschine.
Er beugte sich über die Blätter und betätigte einen Schalter an seiner Apparatur, sie damit zu geheimnisvollem Leben erweckend. Die Federn zwischen den Stangen kamen ins Schwingen und zappelten, Metallstifte flitzten in Spulen hin und her und zwischen Kondensatorplatten sprangen Funken über, begleitet von Rauschen und Knattern. Dann ließ Herr Zwirli seinen Blick auf den Formeln ruhen, die wie rätselhafte Runen das Papier zierten.
„Hmmh, hmmh, ein interessantes Problem“, murmelte er, während die Federn seines Apparates immer hektischer vibrierten und ein monotones Summen erzeugten. Er rieb sich das Kinn, während der Patentangestellte mit den Fingern auf den Schreibtisch trommelte .
Plötzlich blinkte die Glühlampe des Apparates und erstrahlte kurz darauf in hellem Glanz.
„Ich habe eine Idee“, verkündete der Erfinder und hob achtungheischend einen Finger.
Unmittelbar danach ertönte die Klingel
„Und sie ist gut“, wandte er sich nun an den Patentingenieur. „Ich habe die Lösung gefunden. Geben Sie mir bitte etwas zum Schreiben.“
In Schönschrift malte er Formeln auf das gereichte Blatt. Der Ingenieur sah ihm zu. Seine Finger hörten mit dem Trommeln auf und krampften sich zur Faust zusammen.
„Hier bitte.“ Mit großer Geste reichte Herr Zwirli ihm das Papier, nachdem er das Gerät ausgestellt hatte.
Der Angestellte sah sich das Geschriebene an, schwieg lange und schüttelte nachdenklich den Kopf.
„Tut mir leid, das ist leider kompletter Unsinn. Damit würden sämtliche Gesetze der klassischen Physik auf den Kopf gestellt werden. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie lassen mir Ihre Erfindung und die Konstruktionspläne da und ich überprüfe alles noch einmal gründlich.“
Nachdem sein Besucher gegangen war, schloss der Patentangestellte die Tür ab und stülpte sich den Metallbügel über den Kopf.
Am 30.Juni 1905 veröffentlichte Albert Einstein, ein bis dahin völlig unbekannter „Technischer Experte III. Klasse“ am Schweizer Patentamt in Bern, einen Artikel in den „Annalen der Physik“. Hierin legte er die Ideen seiner „Speziellen Relativitätstheorie“ dar.
Diese Ideen brachten das bis dahin bekannte Theoriengebäude der Physik zum Einsturz.
Doch das war erst der Anfang einer beispiellosen Physikerkarriere.
Herr Zwirli starb kurz nach seinem Besuch im Berner Patentamt bei einem Zusammenstoß mit einem Automobil.