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Wer ist online?
Ich spähe rein, und mir fällt mal wieder auf, wie uncool es ist, zu checken, wer »online« ist.
Eine Fülle negativer Impressionen stürmt auf mich ein :
porcupine (sprichorcjupein) liest eine Geschichte über die Heisenbergsche Unschärferelation, und bei mir hat es sich noch nicht auf »Wer ist online?« aktualisiert, so dass an mir noch immer ein Beitrag klebt, in dessen Titel »Ficken« nicht nur steht, sondern geradezu leuchtet.
Mist.
Da stehts: Jack Torrance liest irrelevantFICKEN!irrelevant
Ich klicke ratzfatz auf »Gesellschaft«, um das böse Wort abzuschütteln, erwische aber einen Beitrag namens »Ich heiße Horst und habe gewichst«. Verdammt!
Wahnhaft lösche ich alle Cookies, löse mich in anonymen Dampf auf , kehre wie Fantomas zurück, als Gast vermummt – und beginne in einem Schwung »Zorro war lesbisch«, »Hundeklöten-Ballade« und »Vorhautverengung bei meinem Pony- eine Geschichte für Groß und Klein« zu verschlingen- na? Wer bin ich? hm?
Dann verlasse ich lustvoll die Rubrik »Alltag« und gleite wie ein nasser Lappen in »Romantik/Erotik« - ein Selbstbedienungsladen, und ich stopf mir das Hirn voll!
Die Sache hat nur einen Haken, geht mir auf:
Möglicherweise habe ich eine PM, und die kann ich nicht lesen, ohne mich anzumelden.
Vielleicht ist es eine vom Heyne-Verlag.
Sehr geehrter Herr Torrance
Im Rahmen unserer karitativen Wochen planen wir eine Veröffentlichung mit Internet-Autoren, die sich in entsprechenden Diskussionsforen als besonders herablassend hervor getan haben; Somit können wir Ihnen einen Autorenvertrag anbieten, der Ihnen mal eben so 75.000 € bringt, vom Prestige einer flächendeckenden Erscheinung mal völlig abgesehen.
Der Buchdeckel wir Ihr Porträt tragen, in dessen Hintergrund bunte Flugzeugträger im Pazifik versinken, und Ihre Augenringe werden retuschiert.
Unser Lektorat wird Ihre Logik- und Rechtschreibfehler korrigieren, Ihnen stündlich Bericht über die Fortschritte melden, und zum Schluss geht Henning Mankell noch rasch das Ganze durch.
Aufmerksamkeitssteigerne Zitate für die Rückseite aus namhaften Zeitungen sind bereits vorbereitet.
Wählen Sie aus:
»Wir fanden das Buch gut.«
Washington Post
»Ein kraftvolles Werk voller schöner Bilder und großartigen Sexszenen, zumal kursiv hervorgehoben. Und Henning Mankell ist das Ganze noch mal durchgegangen.«
Rheinische Post
»Ja! So muss ein Thriller sein – unzusammenhängend, alte Leute im Destruktionswahn, tote Tiere und ein inkontinenter Kaiser.«
Das goldene Blatt
Wenn Sie sich formell damit einverstanden erklären, steht somit Ihrem kometenhaften Aufstieg in die Welt profitabler Belletristik nichts mehr im Weg.
Die einzige Bedingung liegt darin, dass Sie diese PM binnen 45 Sekunden beantworten sollten.
Sie sind doch online, oder?
Ich logge mich ein wie ein Berserker – tatsächlich.
Eine PM.
Ihr Inhalt besagt, dass der Verfasser nie gedacht hätte, dass ein Schöngeist wie ich diese widerwärtige Fick- Geschichte lesen konnte; man hätte mich in »Wer ist online?« beobachtet, sich schwer in mir getäuscht und würde mir auf der nächsten Lesung ins Bier urinieren, abstoßender Tropf, der ich wäre.
Ich merke mir den Verfasser für ein Faustgefecht vor.
Dann überkommt mich die Scham.
Sollte ich nicht besser ermöglichen, dass moralische Ausgrenzungen wie diese nicht mehr vorkommen?
Sollte ich nicht dafür sorgen, dass Unfug ungestört gelesen werden kann? Zum Beispiel diese Geschichte hier?
Ich werde sie »Wer ist online?« nennen.
Das wird mir sicher im Himmel vergolten.