- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Wettstreit der Gefühle
Sie kam gerade aus der Metzgerei, als sie ihn sah. Ihn, der sie einst hatte schwanger sitzen lassen, weil sie angeblich seiner Karriere im Wege gestanden hatte. Ihn, der sich kurz darauf die reiche Erbin einer Hotelkette geangelt, aber nie auch nur einen Pfennig Unterhalt gezahlt hatte. Er stieg aus einem feuerroten Angeberschlitten, der sicher ein Vermögen gekostet hatte.
„Zeit macht nur vor dem Teufel halt“. Dieser alte Songtitel fiel ihr unwillkürlich ein, denn die Jahre waren anscheinend spurlos an ihm vorüber gegangen. Der treulose Schuft sah immer noch unverschämt gut aus. Glattes Gesicht, die Haare voll und braun. Rank und schlank, genau wie früher.
Kleine Teufelchen flüsterten ihr jetzt ins Ohr: „Und du? Silberstreifen im Haar, die Hüften vergoldet und das Gesicht reich an Fältchen. Kein Wunder, dass dein Mann dich „mein Schatz" nennt. Los, geh hin und zerkratz sein Auto!“ Natürlich tat sie das nicht. "Zu viele Zeugen", mahnte die Vernunft.
Stattdessen folgte sie ihm, auch wenn sich jetzt die Stimme der Vernunft meldete: „Was soll das? Warum tust du dir das an? Willst Du dir jetzt auch noch sein tolles Leben angucken, während du sehen konntest, wie du hochschwanger zurechtkamst“. Dieser Stachel saß immer noch tief und war auch verantwortlich dafür, dass sie manchmal ungerecht zu ihrem Mann war. Doch die Teufelchen ließen nicht locker. „Hinterher!“, befahlen sie.
Vernunft und Teufelchen diskutierten munter weiter. Ihre Vernunft sagte: „Was willst du eigentlich? Du hast den besten und gutmütigsten Mann, den man sich nur wünschen kann. Deinen Sohn liebt er, als wäre es sein eigener. Er erträgt geduldig deine Launen und deine Falten stören ihn überhaupt nicht. Geh nach Hause!“
Doch nun wieder die Teufelchen: „Und wenn schon? Los, geh dem treulosen Verräter nach! Du willst es doch wissen."
Kurzum, die Teufelchen gewannen und sie folgte ihm ins Hotel, das sicher ihm und seiner Frau gehörte. Sie musste sich jetzt beeilen, um ihn nicht zu verlieren.
Als er hinter der Tür mit dem Schildchen „Privat“ verschwand, kämpfte sie einen Moment mit sich, bevor sie die Tür vorsichtig öffnete. Suchen musste sie nicht. Eine schrille, unangenehme Stimme wies ihr die Richtung: „Wo warst du schon wieder so lange? Haare färben kann doch nicht so lange dauern. Wem willst Du damit überhaupt etwas vormachen? Weniger Eitelkeit und dafür mehr Einsatz, mein Lieber. Dieses Hotel ist dazu da, dass sich die Gäste erholen und nicht du. Die Reisegruppe trifft gleich ein. Kümmere dich gefälligst darum!“
„Ja doch, Gudrun“, kam es leise zurück.
Wo war der selbstbewusste, leicht überhebliche Tonfall von früher? Doch weiter zuzuhören war nicht möglich, denn ein Zimmermädchen tippte ihr auf die Schulter. Erschrocken suchte sie nach einer Ausrede, doch das Zimmermädchen kam ihr zuvor: „Hier dürfen Gäste nicht rein. Hat die Chefin wieder so laut mit dem Ärmsten geschrien? Der kann einem wirklich leid tun. Hat nichts zu melden bei seiner Frau. Wenn er nicht spurt, nimmt sie ihm sogar das Auto weg, wie einem kleinen Buben. Das muss man sich mal vorstellen. Zum Café müssen sie übrigens hier zurück und dann die zweite Tür rechts. Sie wollten doch in unser Café?“ Sie konnte nur erleichtert nicken. Als das Zimmermädchen gegangen war, ging sie sofort in Richtung Ausgang. Normalerweise mied sie geschwätzige Menschen, doch diese redselige Hotelangestellte hätte sie glatt küssen und auf ein Eis einladen können.
Plötzlich fühlte sie sich frei. Der Stachel war verschwunden. Eine reiche Frau. Er hatte bekommen, was er wollte. Und während die Teufelchen noch vor lauter Genugtuung Samba tanzten, wurde ihr ganz warm ums Herz. Sie ging nochmal zurück in die Metzgerei um Rinderleber zu kaufen. Ihr Mann liebte gebratene Rinderleber.