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Wider das Vergessen

sim

Seniors
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13.04.2003
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Wider das Vergessen

Ich habe mich vergessen.
Irgendwo zwischen aufkeimender Wut und glühendem Zorn habe ich mich stehengelassen, während ich gelaufen bin – immer hinter ihm her.
Hätte er nicht so ein zartes Gesicht gehabt, kaum Bartwuchs, Haut, für die Akne und Pubertätspickel Fremdwörter zu sein schienen, Wimpern, für deren Länge manche Frau ein Vermögen ausgäbe, einen Mund, der eher für die Zärtlichkeit eines Kusses geschaffen war als für die Tiraden, die daraus geschleudert wurden, Augen, deren goldener Ton wie Öl in meine Rage tropfte – vielleicht hätte ich mich eingeholt.
Den ganzen Tag schon hatten wir versucht, an sie heranzukommen, einen Weg zu finden, mit ihnen in der Sprache zu sprechen, die sie verstehen. Doch sie waren gut geschützt gewesen. Ein Spalier von Uniformierten, die mit erhobenen Schilden die Rechte der Demokratie für deren Feinde schützen mussten. Uns haben sie gejagt, mit Knüppeln verdroschen, in Gewahrsam genommen und unsere Personalien erfasst. Uns haben sie daran gehindert, die Freiheit zu verteidigen, durchzudringen zu den Verführern und Verführten, um ihnen die Parolen in die Fresse zu stopfen, ihnen die Zungen herauszureißen, die Münder zu verbrennen, sie mit Steinen zu bombardieren.
Alles an diesem Sonntag war eine braune Soße, wie aufgegossener Bratenfond, mit Maggi gewürzt, fertig nach dem Kirchgang zur Vergebung der Sünden: Die Bullen, die Faschos, die Straßensperren, die Autos am Stadtrand, aus denen wir brennende Barrikaden gebaut hatten, um dem deutschen Umzug den Weg zu versperren.
Wir waren durch den Stadtpark gerannt, durchs Gestrüpp gekrochen, um einen Weg an den Bullen vorbei zu finden. Wir wollten die Demo in die Zange nehmen, egal, aus welcher Richtung wir an sie herankamen, doch wir waren nur auf Hindernisse gestoßen, bis wir nicht ihrer, sondern sie unserer habhaft geworden waren und uns in ihre Kleinbusse gestopft hatten.
Niemanden von den Faschos hatten wir gesehen. Nur die Vasallen des Systems, nur die, denen man befohlen hatte, das rechte Auge zuzukneifen, um auf dem linken wachsamer zu sein.
Ich hatte blaue Flecke von den Wasserwerfern und von den Polizeistöcken, hatte mich ausziehen und nach Drogen filzen lassen müssen und habe jetzt mit einer Strafanzeige wegen Landfriedensbruch zu rechnen. Mit zwei Euro und sechzig Cent aus der Stadtkasse für die Fahrt mit der U-Bahn in der Tasche und Wut im Bauch war ich aus dem Gewahrsam entlassen worden, als die Faschos sich längst wieder in ihre Löcher verkrochen hatten, da sah ich ihn.
Er stand am Überseering an der Bushaltestelle, so schmächtig, dass ich mich fragte, wie er die schwere Bomberjacke und die Springerstiefel tragen konnte. Immer wieder sah er auf die Armbanduhr. Niemand war zu sehen, nur der Verkehr rollte vorbei. Am Straßenrand standen ausgebrannte Autowracks, der Geruch verschmorten Gummis lag noch in der Luft.
»Haben sie die Zecken wieder laufen lassen?«, fragte er grinsend, so, als hätte er einen seiner Kameraden vor sich. So, als könnte man mit ihm reden und befreundet sein.
»Was willst du? Dich für die nächste Schlacht verabreden?«
»Die freie Wahrheit wird immer siegen. Ihr könnt uns nicht stoppen.« Er grinste noch immer wie ein Sieger, der nach erfolgreichem Kampf dem Verlierer die Hand schüttelt und sich bedankt – so freundlich, dass die Wut über die Demütigungen langsam wieder von mir Besitz ergriff.
»Freie Wahrheit.« Ich spuckte vor ihm aus. Mehr als meinen Rotz hatte ich für dieses Gewäsch nicht übrig. »Das nächste Mal werden euch die Bullen nicht schützen können. Und jetzt ist auch keiner da, der dir deine freie Wahrheit verteidigt.«
Nur einen Schritt trat er zurück, schlurfte dabei mit den Sohlen seiner Stiefel über die Gehwegplatten, aber sah mir unverwandt in die Augen. »Du hängst einem Traum nach«, sagte er. »Ich wünschte mir ja auch, wir könnten alle friedlich zusammenleben. Aber die Realität sieht anders aus.«
Von wegen Traum. Alles Unglück dieser Welt entstand, weil die Berufung auf die Realität verhinderte, dass Träume real wurden. Weil der Zynismus die Gegenwart determinierte und für unumstößlich erklärte. Der Bengel mit seinem Kindergesicht unterhalb der Glatze, dieser Steppke, der aussah, als wollte er zwanzig sein und wirkte, als wäre er vierzehn, glaubte auch noch, was er da von sich gab. Wie eingetrichterte Wahrheiten plapperte er Papas Vorträge beim sonntäglichen Mittagstisch mit brauner Soße nach. Wozu sollte ich da diskutieren? »Du wirst gleich träumen, die Realität sähe anders aus.« Ich ging auf ihn zu, hob die Hand, wollte ihn am Kragen seiner Bomberjacke fassen, ihn zu Boden stoßen und ihm unmissverständlich klarmachen, er hielte besser seine Fresse, da ich ihm die sonst polierte.
Schnell war es vorbei mit seinem Mut, mit dem offenen Blick und der großen Klappe. Er drehte sich um und rannte, trotz der Springerstiefel und der Bomberjacke in unglaublichem Tempo, in den Stadtpark davon.
Ich habe mich vergessen. Irgendwo zwischen aufkeimender Wut und glühendem Zorn habe ich mich stehengelassen, während ich gelaufen bin – immer hinter ihm her. Endlich tun, wozu ich in die Stadt gekommen war, woran mich die Schikanen den ganzen Tag gehindert hatten. Endlich einen von ihnen erwischen und meinen Abscheu in ihn hineinprügeln.
Vielleicht habe ich zugeschaut, Mund und Augen aufgerissen, als ich mich nach dem Stein bückte, und diesen dem Jungen in den Rücken schleuderte. Möglicherweise habe ich entsetzt aufgeschrien, während er fiel, ich ihn einholte und über ihm kniend den Stein wieder in die Hand nahm.
Alles, was ich hasste, lag unter mir. Die Lider des Jungen zuckten, die Lippen zitterten, die Phrasen waren ausgestorben, doch ich hörte die Beleidigungen: Zecke, Schwuchtel, Kommunistenschwein, Weltverbesserer, Gutmensch. Ich wollte ihn küssen, ihm die Hosen runterzerren und ihn ficken, wollte ihn erniedrigen, vom Herrenmenschen zum Sklaven degradieren, wollte ihm ins Gesicht und auf die Eier spucken, ihm die verdammte Unschuld aus dem Leib prügeln, mit der er mich aus weit geöffneten Pupillen anstarrte. Ich wollte ihm sein verdammt hübsches Kindergesicht einbeulen. Den Schmerz des Lebens sollte er endlich spüren, ohne Clique, hinter der er sich verstecken, ohne Papa oder Mama, zu denen er sich an den Tisch mit dem Sonntagsbraten retten konnte. Wenigstens einer dieser Faschos sollte nie wieder das Maul öffnen können.
Hätte ich mich eingeholt – vielleicht wäre ich in mich gegangen, bevor man mich von ihm zog.

 

Hallo sim!

Wimpern, für deren Länge manche Frau ein Vermögen ausgab

Mir würde da ein Konjunktiv besser gefallen, weiß aber nicht, was richtig ist.

Er rannte drehte sich um und rannte in den Stadtpark davon, trotz der Springerstiefel, trotz der Bomberjacke in unglaublichem Tempo.

Komma nacht "rannte".

Endlich einen ihrer habhaft werden und meinen Abscheu in ihn prügeln.

"Einem ihrer habhaft werden."

mit der er mich aus starr auf mich gerichteten weit aufgerissenen Pupillen anstarrte.

Komma vor "weit".

Hat mir gefallen. Beklemmend, dein Text, und er regt zum Nachdenken an. Durch die "ich"-Form entsteht eine Nähe, aus der man sich hinauswünscht, man möchte schreien, eingreifen, aber man kann nicht, man muss zusehen, wie der Protagonist - wie man sich selbst nicht einholen kann und etwas tut, was man bereut, wenn man schließlich zu sich kommt.

Die Aufzählsätze in der ersten Hälfte klangen ein wenig schwerfällig, vielleicht kann man da ein wenig auflösen.

Solche meine ich:

Uns haben sie gejagt, mit Knüppeln verdroschen, in Gewahrsam genommen und unsere Personalien erfasst. Uns haben sie daran gehindert, die Freiheit zu verteidigen, durchzudringen zu den Verführern und Verführten, um ihnen die Parolen in die Fresse zu stopfen, ihnen die Zungen herauszureißen, die Münder zu verbrennen, sie mit Steinen zu bombardieren.

Viele Grüße,

yours

 

Hej sim!

Dieser Text wirkt auf mich ziemlich hastig.

Sätze wie dieser hier

Hätte er nicht so ein zartes Gesicht gehabt, kaum Bartwuchs, Haut, für die Akne und Pubertätspickel Fremdwörter zu sein schienen, Wimpern, für deren Länge manche Frau ein Vermögen ausgab, einen Mund, der eher für die Zärtlichkeit eines Kusses geschaffen war, als für die Tiraden, die daraus geschleudert wurden, Augen, deren goldener Ton Feuer entfachen konnte wie Öl – vielleicht hätte ich mich eingeholt.
schießen in der Regel an mir vorbei. Die Konstruktion ist mir zu sperrig, der Substantive sind mir zu viele, und die Verben (Konjunktiv und Passiv?) erzeugen in mir eben nicht die Atemlosigkeit, die der Satz vielleicht hätte hervorrufen sollen.
Sprachlich schwankt der Text zwischen "Ich wollte ihn küssen, ihm die Hosen runterzerren und ihn ficken, wollte ihn erniedrigen, vom Herrenmenschen zum Sklaven degradieren, wollte ihm ins Gesicht und auf die Eier spucken, ihm die verdammte Unschuld aus dem Leib prügeln" und "Augen, deren goldener Ton Feuer entfachen konnte" - vermutlich beabsichtigt, aber mich hat das mehrfach aus der Geschichte herausgeworfen.
Dreimal kommt die braune Soße vor, beim ersten Mal ein meiner Meinung nach gutes Bild, danach als schlaffe Wiederholungen ("beim sonntäglichen Mittagstisch mit brauner Soße", "an den Tisch mit brauner Soße").
Unlogisch fand ich:
Wir wollten die Demo von hinten in die Zange nehmen, egal, aus welcher Richtung wir an sie herankamen,
Angenommen, sie wären nur von vorn an die Demo herangekommen, wie hätten sie sie trotzdem von hinten in die Zange genommen?
Ein bisschen schräg kam mir der Vergleich vor:
und uns in ihre Kleinbusse gestopft hatten wie Ungeziefer.
Niemand stopft Ungeziefer in seinen Kleinbus. Vielleicht wär's mir aber nicht aufgefallen, wenn das "ihre" gefehlt hätte.
aus starr auf mich gerichteten weit aufgerissenen Pupillen
Das sind mir viel zu viele Worte vor Pupillen ;)

Textlich finde ich die Geschichte sehr ungebügelt.
Was ich zu schätzen weiß, ist der Inhalt. Aber da werden dich andere schon in Diskussionen verwickeln, das les ich dann beobachtenderweise mit ;)

 

Hey Yours, hey möchtegern,

vielen Dank fürs Lesen.

yours: Der Konjunktiv und das vertippte m sind gekauf, aber für die Kommata sehe ich blind den Grund nicht.
Die Aufzählsätze überprüfe ich noch einmal, auch, wenn ich da meinte, sehr sorgfältig vorgegangen zu sein.
Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat.

möchtegern: wirkt der Text hastig oder hastig geschrieben auf dich? Bei zweiterem sei versichert, das ist er nicht.

erzeugen in mir eben nicht die Atemlosigkeit, die der Satz vielleicht hätte hervorrufen sollen.
und sei ebenfalls versichert, dass ich, wollte ich Atemlosigkeit erreichen, auch wüsste, wie ich das anstelle. Nein, Atemosigkeit war sicher nicht beabsichtigt, dafür ist der Satz auch inhaltlich viel zu reflektierend.
Dreimal kommt die braune Soße vor, beim ersten Mal ein meiner Meinung nach gutes Bild, danach als schlaffe Wiederholungen ("beim sonntäglichen Mittagstisch mit brauner Soße", "an den Tisch mit brauner Soße")
Da kann ich mich natürlich irren, aber ohne die Wiederholungen des Motivs wäre es mir an der ersten Stelle unmotiviert und aus dem Zusammenhang gerissen vorgekommen.
Bei den beiden Logikhinweisen hast du natürlich recht. Die habe ich glatt übersehen, als ich die Sätze heute noch einmal umgestellt hatte.
Das sind mir viel zu viele Worte vor Pupillen;)
Mir nicht. ;)
Textlich finde ich die Geschichte sehr ungebügelt
Das trifft mich hart, weil ich eher zu viel gebügelt und geplättet habe als zuwenig.

Euch beiden noch einmal vielen Dank
sim

 
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Hallo Sim!

yours: Der Konjunktiv und das vertippte m sind gekauf, aber für die Kommata sehe ich blind den Grund nicht.

Er rannte drehte sich um und rannte in den Stadtpark davon

"Er rannte drehte sich um die Uhr hielt er im Arm atmete tief ein sah sich aber nicht um und lief weiter."

Oder:

"Er rannte, drehte sich um, die Uhr hielt er im Arm, atmete tief ein, sah sich aber nicht um und lief weiter."

?

Ist halt:

Er rannte. Er drehte sich um. Er rannte in den Stadtpark davon.

Oder:

Er rannte und er drehte sich um und er rannte in den Stadtpark davon.

mit der er mich aus starr auf mich gerichteten weit aufgerissenen Pupillen anstarrte.

Okay, das geht wohl auch ohne Komma. Aber mit geht auch, denk ich, und es sieht besser aus. (In meinen blinden Augen) :)

Schöne Grüße,

yours

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sim,

je öfter ich Deine Geschichte lese, umso besser gefällt sie mir.
Die vollgestopften Sätze gegen Schluss erzeugen bei mir durchaus ein Gefühl von Atemlosigkeit, wobei das ganz gut zur emotional aufgeladenen Verfassung des Prots passt.

»Du hängst einem Traum nach«, sagte er. »Ich wünschte mir ja auch, wir könnten alle friedlich zusammenleben. Aber die Realität sieht anders aus.«
Von wegen Traum. Alles Unglück dieser Welt entstand, weil die Berufung auf die Realität verhinderte, dass Träume real wurden.
Also schlägt man dem Gegner zur Erreichung des Idealzustands der Welt die Fresse ein, reißt seine Zunge raus, fackelt Autos ab. Fickt das wunderschöne, andogyne, fast mädchenhafte Jüngelchen (worin für mich latenter Schwulenhass anklingt - oder Selbsthass wegen eigener homoerotischer Regungen). Faschos und Autonome im Schulterschluss der Mittel, und der Prot blickts nicht mal - deswegen gefällt mir die Story so gut.

Nur die Vasallen des Systems, nur die, denen man befohlen hatte, das rechte Auge zuzukneifen, um auf dem linken wachsamer zu sein. (...) Weil der Zynismus die Gegenwart determinierte und für unumstößlich erklärte.
Trifft hervorragend den Szenejargon. Davon hätte ruhig mehr kommen können.

Einziger Wermutstropfen:

Wozu sollte ich da diskutieren? »Du wirst gleich träumen, die Realität sähe anders aus. Ich ging auf ihn zu,
hier fehlt ein Anführungszeichen.
dass die Wut über die Demütigen langsam wieder von mir Besitz ergriff.
Meintest Du "Demütigungen"?

Ansonsten: gerne mehr vom selben!

Pardus

 

Lieber sim,

bevor ich zum Inhalt komme,ein bisschen Textkram:

aufkeimender Wut und glühendem Zorn
Ich habe mich gefragt, ob glühender Zorn erlaubt, dass die Wut erst aufkeimt, aber ich muss gestehen, dass ich darauf noch keine Antwort gefunden habe. Ich bin heute etwas denkfaul in diesem Punkt. Wollte aber zumindestens mitteilen, dass es eventuell ein Widerspruch sein könnte.

Augen, deren goldener Ton Feuer entfachen konnte wie Öl
Ok, man kann mit Öl Feuer, das bereits brennt nochmals entfachen. Also ist es nicht ganz falsch, was dort steht. Dennoch misshagt mir was an deinem Vergleich, er wirkt auf mich zu rauh, denn du willst doch eigentlich das Schöne dieses Buben hervorbringen.
Wie wäre es mit: Augen, deren goldener Ton wärmte wie ein Sonnenstrahl.

Dann ist mir der Satz insgesamt zu lang. Ich bins gewohnt lange Sätze lesen und verstehen zu können, aber das ist ja beruflich bedingt. Wozu musste dieser Satz so kompakt dort stehen? Die Aussage verliert sich nicht, wenn du mehrere Sätze daraus machst.

Sodann sind auch mir die drei "braunen Soßen" aufgefallen. Gewiss, du bringst sie immer wieder in völlig unterschiedlichen Sätzen unter, aber sie fielen mir auf als zweimal zuviel des Guten und zwar das zweite und dritte Mal kann es wegbleiben.

starr auf mich gerichteten
wäre es hier nicht noch treffender, wenn du innerhalb des Satzes klar machst, dass er zum Protagonisten hochblicken muss?


Zum Inhalt:

endlich mal wieder ein Text hier auf kg (die anderen mögen mir verzeihen, falls ich ihre Geschichten übersehen haben sollte) der nicht nur seicht daherläuft und allenfalls gute Unterhaltung bietet, sondern, der dem Leser etwas abverlangt. Ich finde, es ist dir gut gelungen, die Zerrissenheit der beiden darzustellen, denn auch der Jüngling ist ja wankelmütig, schwankt zwischen Provokation und Ausweichen. Aber noch intensiver lässt du die Zerrissenheit deines Protagonisten spüren, es kommt rüber, dass er grundweg politisch handeln möchte, aber in ihm auch ein Mensch steckt, der Menschen achten kann. Das klingt heraus, wenn man seine Beschreibung liest und seine Einschätzung über den Jüngling erfährt. Da schwingt Achtung vor dem anderen mit, wenn auch die Worte eine andere Handlung schildern. Gut gemacht, sim!
Und dann gefällt mir, dass du eben den Protagonisten nicht schwarz-weiß angelegt hast, sondern immer wieder seine Lust mitläuft, seine erotische Lust auf diesen Jungen. Das ist nicht mit der Quaste aufgetragen,eher mit feinem Pinselstrich immer wieder dazwischen gesetzt. Ebenfalls gut gemacht. Der Text wirkt stimmig und geballt aussagekräftig. Imponierend, wie wenig Text du eigentlich nur brauchst, um so viel mitzuteilen und so intensiv zum Nachdenken anzuregen.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo sim,

also ich schulde dir wohl eine Erklärung. Ich finde für mich Ecken in dem Text, aber das braucht dich ja nicht zu treffen, ich versuche natürlich nur, dir den "Stil" unterzujubeln, den ich gerne lesen würde. Meine Kritikpunkte sind, wie ich oben schon sagte (also, gesagt haben wollte):
- Einige zu lange Sätze.
Außer dem, den ich schon zitiert habe und den von yours angeführten Aufzählungssätzen noch sowas hier:

Wir wollten die Demo in die Zange nehmen, egal, aus welcher Richtung wir an sie herankamen, doch wir waren nur auf Hindernisse gestoßen, bis wir nicht ihrer, sondern sie unserer habhaft geworden waren und uns in ihre Kleinbusse gestopft hatten.
- komplizierte Konstruktionen wie "unserer habhaft geworden waren", "endlich einem ihrer habhaft werden".
Abgesehen davon, dass ich "habhaft werden" schon als archaisch betrachte (regionalbedingt?), kommt es in diesem relativ kurzen Text zweimal vor. Auf Wiederholungen jeder Art reagiere ich ein bisschen paranoid (was nicht heißt, dass ich das besser mache - aber deshalb auch mein Problem mit der dreimaligen Soße). Und wenn es dann noch so etwas wie "habhaft" ist, springen mich die Worte immer gleich an ...
- Substantive, viele Stellen in der ersten Hälfte sind mir zu Hauptwort-lastig
Hier zum Beispiel:
Mit zwei Euro und sechzig Cent aus der Stadtkasse für die Fahrt mit der U-Bahn in der Tasche und Wut im Bauch war ich aus dem Gewahrsam entlassen worden,
- Wortwiederholungen, wie "Die Bullen, die Faschos, [...] einen Weg an den Bullen vorbei zu finden" - wobei, das übertreibe ich vermutlich wirklich. Aber mir fällt sowas beim Lesen (fremder) Texte immer auf, kann ich gar nichts gegen machen. Hier hätt ich noch eine:
da sah ich ihn. ... Immer wieder sah er auf die Armbanduhr. Niemand war zu sehen,
Weiter unten werden glaub ich einmal Mund und Augen aufgerissen, im nächsten Absatz soll der Fascho nie wieder sein Maul aufreißen können.
- Zeitformen. Irgendwie muss sich das Plusquamperfekt doch vermeiden lassen, verflixt ;)

All diese Sachen nehmen Tempo raus. Gefühlte Lesegeschwindigkeit, nicht tatsächliche. Der Text wird ja an keiner Stelle unverständlich. Nur erlaubt er es dem Leser auch nicht, durchzurauschen um dann betroffen vom Bildschirm zurückzuzucken. Das würde aber meiner Meinung nach dem Inhalt des Textes entgegenkommen.

(Die Stelle über die Träume und den Zynismus der Gegenwart ist mir ehrlichgesagt zu dick aufgetragen, solche Gedanken mache ich mir lieber selbst, als dass ich sie irgendwo lese, aber sei's drum.)
(An dem "Er rannte ..." Satz bin ich auch hängengeblieben, aber der ist mittlerweile ohnehin geändert.)

Okay, hoffe, das erklärt meinen Eindruck ein bisschen.

PS: Wirklich schade, das mit der Pupille. Bist du wirklich nicht der Meinung, dass ...? ;)

 

Hallo sim,
wer soll hier was nicht vergessen? Die Linken und Rechten treffen sich zum gemeinsamen Draufhauen und die Polizei schützt die Falschen? Oder ist es ein Plädoyer für die Vernunft und gegen Gewalt, ein pädagogischer Fingerzeig: Wenn man sich nicht im Griff hat, passiert so etwas..? Oder ist es eine verkappte Liebesgeschichte, der unberechenbare Moment in einer politischen Aktion? Die Geschichte wird durch die vielen Ungereimtheiten interessant, doch mich berührt sie nicht nachhaltig, eher wünsche ich mir mehr Personenzeichnung.
LG,
Jutta

 

Hallo sim,

Deine Geschichte erinnert mich an eine lange vergangene Erfahrung und an Gefühle, die ich lange nicht mehr in dieser Intensität gespürt habe (und zugegebenermaßen auch nicht vermisse, ich bin zu faul oder zu alt geworden für einfache Wahrheiten, ob sie nun "links" oder "rechts" sind, sie bleiben "einfach" im Sinne von "zu einfach für die Komplexität der Welt").
Du bist sehr dicht an der Wut des Erzählers, an der gerechten Wut auf das, was er als falsch ablehnt und an das, was er für richtig hält und an dem Zweifel, der in ihm nagt, ob es wirklich _so_ einfach ist. Sehr dicht an den Gefühlen und an dem Zerrissensein, weil die Antwort nie so einfach sein kann, daß sie durch fäuste zu geben ist, durch Waffen, Uniform oder Steine - der Erzähler und auch der Leser weiss es und es ist gut, sich dennoch damit auseinander zu setzen, setzen zu müssen, weil es verlockend ist, den einfachen Weg zu gehen.
Der Einstieg ist stark im Bild, das Ende ist stark im Bild (wenngleich ich mit dem Begriff Kadaver meine Probleme habe - einmal unüblich für menschliche Leichen impliziert er für mich einen gewissen Grad an Verwesung, der sicherlich noch nicht erreicht sein dürfte, als man den Erzähler von der Leiche zieht), und dazwischen dieses Zerreissen.

ihn zu Boden stoßen und unmissverständlich klar machen, er hielte besser die Fresse, da ich ihm seine sonst polierte.
der Bezug ist schräg, schliesslich ist in beiden Fällen von seiner Fresse die Rede. Besser klänge "da ich sie ihm sonst polierte"

Insgesamt für mich ein intensiver Text und für die Erinnerung danke ich Dir, sie wird mir als Inspiration dienen, eine Zeit aufzuarbeiten, an die ich lange nicht zurückdachte.

Grüße
C. Seltsem

 

Hallo Yours,

die Kommata haben wir ja schon im Chat geklärt. Ich hatte schlicht selbst nach deinem Hinweis übersehen, dass ich noch zweimal "rannte" im Satz stehen hatte.

Hallo Pardus,

(worin für mich latenter Schwulenhass anklingt - oder Selbsthass wegen eigener homoerotischer Regungen)
Oder beides. Schwulenhass entsteht ja oft aus der latenten Angst vor eigenen Neigungen. Hier kommt sicherlich noch erschwerend hinzu, dass der Reiz vom Feind ausgelöst wird.
Faschos und Autonome im Schulterschluss der Mittel, und der Prot blickts nicht mal - deswegen gefällt mir die Story so gut.
Ja, Macht kaputt, was euch kaputt macht. ;)
Trifft hervorragend den Szenejargon. Davon hätte ruhig mehr kommen können.
Wäre mir zu viel gewesen, da die Geschichte ja ohnehin schon sehr mt den Klischees spielt.
Die beiden Fehler sind beseitigt.

Hallo lakita,

Ich habe mich gefragt, ob glühender Zorn erlaubt, dass die Wut erst aufkeimt
Durchaus. Auch in glühenden Zorn kann man sich langsam hineinsteigern.
Ok, man kann mit Öl Feuer, das bereits brennt nochmals entfachen. Also ist es nicht ganz falsch, was dort steht. Dennoch misshagt mir was an deinem Vergleich, er wirkt auf mich zu rauh, denn du willst doch eigentlich das Schöne dieses Buben hervorbringen.
Wie wäre es mit: Augen, deren goldener Ton wärmte wie ein Sonnenstrahl.
Ich habe den Vergleich noch mal geändert, aber rau muss es bleiben, da es auch schon auf die genau dadurch ausgelöste Wut hinweist
Wozu musste dieser Satz so kompakt dort stehen? Die Aussage verliert sich nicht, wenn du mehrere Sätze daraus machst.
Meines Erachtens schon, denn in dieser Stimmung fällt einem meist noch etwas ein und noch etwas und noch etwas. Und das wird für mein Gefühl durch die Satzlänge besser getroffen.
wäre es hier nicht noch treffender, wenn du innerhalb des Satzes klar machst, dass er zum Protagonisten hochblicken muss?
Ich glaube, es hat da noch jeder im Kopf, dass der Prot auf dem liegenden Kontrahenten sitzt.
Imponierend, wie wenig Text du eigentlich nur brauchst, um so viel mitzuteilen und so intensiv zum Nachdenken anzuregen.
Vielen Dank

Hallo Möchtegern,

du schuldest mir gar nichts. Wenn ich letzttlich vor lauter Überarbeiten an wichtigen Stellen übersehe, dass ich Wörter zu löschen vergessen habe, sieht das natürllich nach "überhastet" aus.
Ich habe nach deinen Hinweisen noch einmal überarbeitet und sie waren mir sehr hilfreich. Einige der Wiederholungen, zum Beispiel die mit der braunen Soße, müssen aber mE bleiben, wie ich auch gestern an den Reaktionen bei der Lesung feststellen konnte. Die braune Soße ist ein Motiv, das sich durch die Geschichte zieht.
Der Plusquamperfekt ließe sich leider nur vermeiden, wenn ich die Geschichte in der Gegenwart erzählte. Dann würde aber das Reflektierende nicht mehr passen. Und letztlich wird ja hier die Handlung über deren "Rechtfertigung" erzählt.

Nur erlaubt er es dem Leser auch nicht, durchzurauschen um dann betroffen vom Bildschirm zurückzuzucken.
Könnte der Leser durchrauschen, bliebe hier mE auch nichts zurück. Ich bin sicher, der Leser muss hier manchmal stutzen.

Hallo Jutta,

ich persönlich finde ja, die Personen sind ausreichend gezeichnet. Und es treffen tatsächlich alle Dinge zu, die du schreibst. Man mag darüber streiten, ob es eventuell zu viel auf zu engem Raum ist. Ungereimtheiten machen natürlich keine Geschichte interessant, ich meine aber verstanden zu haben, dass du die Ambivalenzen meinst. Und die sind mMn notwendig.

Hallo Complexität Seltsem,

einfach Wahrheiten übersehen leider zu oft etwas, auch wenn ich manchmal denke, die Welt für komplex zu erklären, ist auch nicht immer hilfreich.

Du bist sehr dicht an der Wut des Erzählers
Das war beim Schreiben mein größtes Problem, denn nur durch diese Nähe konnte das Ende plausibel und nachzuvollziehen sein.
(wenngleich ich mit dem Begriff Kadaver meine Probleme habe - einmal unüblich für menschliche Leichen impliziert er für mich einen gewissen Grad an Verwesung, der sicherlich noch nicht erreicht sein dürfte, als man den Erzähler von der Leiche zieht)
Darüber hatte ich durchaus nachgedacht und Kadaver gerade benutzt, weil er eher Tiere impliziert als Menschen. Im Sprachgebrauch sollte deutlich werden, dass der Erzähler sich noch nicht vollständig von dieser Denkstruktur gelöst hat. Ist aber nicht zwingend, insofer habe ich es erstmal geändert. Schön, dass es dir gefallen hat.

Euch allen noch einmal vielen Dank und liebe Grüße
sim

 
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Guten Abend, sim,

nachdem ich Deinen Text jetzt dreimal gelesen habe, weiß ich immer noch nicht, ob er mir gefällt. Aber wart mal, wenn ich fertiggeschrieben habe, weiß ich das auch.

Mit dem ersten Teil der Geschichte konnte ich wenig anfangen.
Der Linksheld wirkte auf mich nie richtig authentisch, was z.B. daran liegt, daß er einerseits den Faschos die Parolen in die Fresse stopfen will, sie aber andererseits als Verführer und Verführte bezeichnet, was eher auf Missionseifer denn auf Gewaltbereitschaft schließen läßt. Oder hier:

Alles Unglück dieser Welt entstand, weil die Berufung auf die Realität verhinderte, dass Träume real wurden. Weil der Zynismus die Gegenwart determinierte und für unumstößlich erklärte.
Will er belehren, oder will er sich hauen?
Auch der Rechtsheld macht bei dieser Spaltung mit:
»Du hängst einem Traum nach«, sagte er. »Ich wünschte mir ja auch, wir könnten alle friedlich zusammenleben. Aber die Realität sieht anders aus.«
Da wird viel nachgedacht und philosophiert vor dem Totschlagen.
Dann verstand ich diese Stelle nicht:
glaubte auch noch, was er da von sich gab. Wie eingetrichterte Wahrheiten plapperte er Papas Vorträge beim sonntäglichen Mittagstisch mit brauner Soße nach.
Was hatter denn Böses gesagt? Ich sehe nicht Papas Vorträge. Jemand sagt, daß die Realität nicht seinen Wünschen vom friedlichen Zusammenleben entspricht.
»Du wirst gleich träumen, die Realität sähe anders aus.«
Verstehe ich in genau demselben Zusammenhang auch nicht. Oder soll das nur meinen, er wird sich gleich wünschen, alles sei anders, weil jetzt etwas auf ihn zukommt, das ihm nicht schmecken wird?

Also, ich verstand schon, daß da verhärtete Fronten und eingefahrene Denkweisen sind und deshalb nicht alles logisch und sachlich zugeht. Merken konnte ich das aber beim Lesen nicht. Plötzlich ist die ganz große Wut da, aber die angestaute Vorwut hatte ich fast schon wieder vergessen, so nett wurde es zwischendurch.
Das hier ist dann stark:

Endlich tun, wozu ich in die Stadt gekommen war, woran mich die Schikanen den ganzen Tag gehindert hatten. Endlich einen von ihnen erwischen und meinen Abscheu in ihn prügeln.
Vielleicht habe ich zugeschaut, Mund und Augen aufgerissen, als ich mich nach dem Stein bückte, und dem Jungen in den Rücken schleuderte. Möglicherweise habe ich entsetzt aufgeschrien, als er fiel, als ich ihn einholte und über ihm kniend den Stein wieder in die Hand nahm.
Alles, was ich hasste, lag unter mir. Die Lider des Jungen zuckten, die Lippen zitterten, die Phrasen waren ausgestorben, doch ich hörte die Beleidigungen: Zecke, Schwuchtel, Kommunistenschwein, Weltverbesserer, Gutmensch. Ich wollte ihn küssen, ihm die Hosen runterzerren und ihn ficken, wollte ihn erniedrigen, vom Herrenmenschen zum Sklaven degradieren, wollte ihm ins Gesicht und auf die Eier spucken, ihm die verdammte Unschuld aus dem Leib prügeln, mit der er mich aus starr auf mich gerichteten weit aufgerissenen Pupillen anstarrte. Ich wollte ihm sein verdammt hübsches Kindergesicht einbeulen. Den Schmerz des Lebens sollte er endlich spüren, ohne Clique, hinter der er sich verstecken, ohne seinen Papa oder seine Mama, zu denen er sich an den Tisch mit brauner Soße retten konnte.
Durch die erotischen Phantasien und Haßgedanken Deines Linkshelden hast Du die Geschichte davor bewahrt, einfach politisch korrekt mit wichtigem Thema zu sein. Hier wird plötzlich alles lebendig, kommt in Fahrt, zeigt Gesicht, Schmerz und Leidenschaft. Hier wird Farbe bekannt, nicht nur Gesinnung gesprochen. Plötzlich ist es gar nicht mehr politisch, war es je politisch?
Der Schluß sagt mir, wie schwierig es ist, die eigenen Motive vor der Tat (bevor es zu spät ist) zu erkennen, und wie fatal es sein kann, wenn man glaubt, sie zu kennen.
In diesem Licht kommt mir die Gespaltenheit der Restgeschichte logisch vor. Wenn hier die wahren Motive des Helden sind, können die vorgeschobenen ja nur lahm wirken.
Darüber denke ich gerne nach, und wenn das die Botschaft war, gefällt mir die Geschichte sehr. Wenn nicht, war das jetzt eben meine Hintertür, durch die ich Zugang zu einer politisch korrekten Geschichte mit wichtigem Thema gefunden habe. Das wäre auch schon was wert.

Jetzt will ich noch bei der Textarbeit mitmischen:

einen Mund, der eher für die Zärtlichkeit eines Kusses geschaffen war kein Komma als für die Tiraden
Niemanden von ihnen hatten wir gesehen.
Das liest sich zuerst so, als hätten sie keinen der Polizisten gesehen. Erst aus dem nächsten Satz geht hervor, daß es sich um die Braunsoßler handelt.
klar machen
Ich will Dir hier nicht verkaufen, Du solltest auch stehengelassen zusammenschreiben. Aber klarmachen unbedingt.
Mund und Augen aufgerissen, als ich mich nach dem Stein bückte kein Komma und ihn dem Jungen in den Rücken schleuderte.
als ich ihn einholte und über ihm kniend den Stein wieder in die Hand nahm.
über ihm kniend könnte man hübsch mit Kommata einrahmen. Das wäre besser zu lesen.

Liebe Grüße!
Makita.

 

Hallo sim,

erinnert mich ein wenig an American History X

ich finde es gut, wenn man sich gegen die NPD ausspricht.

Ich finde auch den Übergang zwischen Jetzt und Rückblende gut umgesetzt. Es wirkt passend.

Alles an diesem Sonntag war eine braune Soße gewesen, wie aufgegossener Bratenfond, mit Maggi gewürzt, fertig nach dem Kirchgang zur Vergebung der Sünden:

Ich weiß nicht. Einerseits ist die braune Soße für mich schon viel zu besetzt und zu oft ausgesprochen. Und mit Maggi würzen. Kirchengang, dann sind Sünden vergeben. So einfach darf man es sich nicht machen, wenn man in einer Partei wie der NPD hausiert.

Ich hatte blaue Flecke von den Wasserwerfern und von den Polizeistöcken, hatte mich ausziehen und nach Drogen filzen lassen müssen und mit einer Strafanzeige wegen Landfriedensbruch zu rechnen.

Ich kann mich an eine Demo der NPD in der Innenstadt von Nürnberg erinnern. Da sind die mit ihren Springerstiefeln und mit Bomberjacken, und Glatzen durch die Innenstadt gelaufen. Die Polizei war vor Ort, und es kam weiter nichts vor. Zuschuss: Die Demonstranten, die gegen die Demo der NPD demonstrierten, und so ihre Meinung kundtaten, überstieg die NPD bei weitem.
Dass Linke einfach so auf Rechte losgehen wollen, obwohl die Rechten nur still vor sich hindemonstrierten. Hmmmh. Ich lass es auf mich wirken. NPD gehört auch verboten.

»Haben sie die Zecken wieder laufen lassen?«,

Zecken??!! Zecken sollen Linke sein. Blutsauger, die Krankheiten mitbringen. Noch nie gehört. Aber mit der künstlerischen Freiheit gut zu begründen, weil gutes Motiv.

Ich wollte ihn küssen, ihm die Hosen runterzerren und ihn ficken, wollte ihn erniedrigen, vom Herrenmenschen zum Sklaven degradieren, wollte ihm ins Gesicht und auf die Eier spucken, ihm die verdammte Unschuld aus dem Leib prügeln, mit der er mich aus starr auf mich gerichteten weit aufgerissenen Pupillen anstarrte.

Der Prota ist doch Linker, also ein Gutmensch. Kommen jetzt doch verborgene rechte Züge zum Vorschein? wird ja arg mit der körperlichen Züchtigung abgespeist.

Hätte ich mich eingeholt – vielleicht wäre ich in mich gegangen, bevor man mich von seinem Leichnam zog.

Tod.

für mich wirkt alles nicht so, wie ein Beispiel in der Gesellschaft. Es ist mehr ein exaltiertes Beispielsleben, eines Typen, der zwischen den Fronten stand, aus dem linken Augen blickte, und mit der rechten Faust zuschlug.

Aber, gut, dass sich jemand an dem Thema versucht hat. Es ist ein denkbar schwieriges. Zumal beklemmend, und ein Bedrohung von eh und je von ihm ausgeht.

Gern gelesen.

MfG Mantox

 

Hallo Sim,

Zitate:
"Und jetzt ist auch keiner da, der dir deine freie Wahrheit verteidigt.«
»Du hängst einem Traum nach«
»Ich wünschte mir ja auch, wir könnten alle friedlich zusammenleben. Aber die Realität sieht anders aus.«

Wer nur diese Dialoge liest, würde nicht an die von Dir beschriebene Szene denken am Überseering an der Bushaltestelle.
Zurecht nicht, denn so sprechen sie nicht, erst recht nicht in dieser Situation. Und nicht ein vielleicht vierzehnjähriger in Springerstiefeln. Seine Gleichdenkenden vielleicht, die modisch gekleideten, gebildeten, intelligenten Rechten, die es gefährlicherweise zunehmend gibt. Doch diese stehen nicht in Springerstiefeln nach einer Demo allein am Straßenrand.
Auch nicht ein Linker, der anschließend ohne Not einen Menschen tötet.

Meiner Meinung nach ist es äußerst unwahrscheinlich, das ein Bürger, der sich auf der Straße den Rechten entgegen stellt, auf die von dir beschriebene Weise handelt und einen jungen Menschen tötet. Dazu wäre ein tief in Alzheim geborenes Selbstvergessen erforderlich. Ich glaube, dass dein Protagonist, wenn überhaupt, nicht sonderlich politisch intererssiert, sondern ein Vertreter jener Gruppen ist, denen das politische Kleid zur Tarnung der eigenen Aggressionen dient. Die an solchen Tagen nicht die Nazis stoppen, sondern selbst prügeln wollen. Genau so, wie die Skins, wie die Kameraden der Kameradschaften, wie Hooligans (die zu solchen Veranstaltungen von den Nazis "eingeladen" werden). An diesen Tagen unterscheiden sich diese Gruppen nicht wesentlich. Sie nehmen den Tod als Folge ihres Handelns in Kauf. Vertreter all dieser Gruppen traue ich deine beschriebene Handlung zu. Nur würden sich diese wiederum nicht so kluge Gedanken machen, nicht mit Worten denken wie: "dass sie sich vergessen haben" oder "hätten sie sich eingeholt".

Langer Rede kurzer Sinn:
Derjenige, der Deine Sätze denken kann, rastet in der beschriebenen Situation nicht so aus. Es ist keine Tat im Affekt und keine Notwehr.
Derjenige, der so ausrastet, denkt nicht mit Deinen Sätzen. Er nutzt seine Chance.
So mischen sich zwei Typen zu einer Person.

Nachdem ich die Geschichte noch einmal aufmerksam gelesen habe, erkenne ich, Du beschreibst genau diesen Vertreter, der die Gewalt sucht, der "sie mit Steinen bombardieren" will, der von Anfang an zur Gewalt bereit ist. Und das "Ich habe mich vergessen.." - Gerede ist eine Finte, von seinem Verteidiger empfohlen, um eine milde Strafe zu bekommen. So, wie in den "rechten" Prozessen das "es tut mir leid", "ich bereue", "ich war betrunken".
Hinterher lachen sie sich kaputt.

Ich finde Deinen Text sehr gut, die Geschichte kunstvoll knapp am Leben vorbei.

Lieben Gruß
Jürgen

 

Hallo Makita,

nachdem ich Deinen Text jetzt dreimal gelesen habe, weiß ich immer noch nicht, ob er mir gefällt.
Das klingt für mich gut.
Der Linksheld wirkte auf mich nie richtig authentisch, was z.B. daran liegt, daß er einerseits den Faschos die Parolen in die Fresse stopfen will, sie aber andererseits als Verführer und Verführte bezeichnet, was eher auf Missionseifer denn auf Gewaltbereitschaft schließen läßt.
Schon bei den Kreuzzügen oder der Inquisition gingen Missionseifer und Gewaltbereitschaft Hand in Hand.
Da wird viel nachgedacht und philosophiert vor dem Totschlagen
Das ist schwierig, weil der Satz für mich nicht aus Nachdenken oder philosophieren entsteht, sondern eine so banale Floskel ist, dass ich ihn genau deshalb genommen habe. Von meinen Verwandten wurde er in den Diskussionen über Politik immer dann eingeworfen, wenn sie argumentativ nicht weiterkamen. Und gerade in der Neonaziszene wird er oft als Argument gebracht, wenn es darum geht, Ausländerfeindlichkeit zu begründen. Als läge die Ausländerfeindlichkeit an der Mentalität der Ausländer.
Verstehe ich in genau demselben Zusammenhang auch nicht. Oder soll das nur meinen, er wird sich gleich wünschen, alles sei anders, weil jetzt etwas auf ihn zukommt, das ihm nicht schmecken wird?
Genau.
Also, ich verstand schon, daß da verhärtete Fronten und eingefahrene Denkweisen sind und deshalb nicht alles logisch und sachlich zugeht. Merken konnte ich das aber beim Lesen nicht. Plötzlich ist die ganz große Wut da, aber die angestaute Vorwut hatte ich fast schon wieder vergessen, so nett wurde es zwischendurch.
Ebenfalls: Genau. Darin lag für mich beim Schreiben die Problematik. Die Wut musste aus dem Protagonisten kommen, glaubwürdig bleiben, obwohl der Neonazi allein im Grunde nett ist. Dadurch, dass er ihn dazu noch attraktiv und begehrenswert findet, eskaliert es.
Plötzlich ist es gar nicht mehr politisch, war es je politisch?
Ich finde schon, dass es zur Politik gehört, aber nicht in der Form einer Rechts/Links-Debatte oder der Gegensätze.
Der Schluß sagt mir, wie schwierig es ist, die eigenen Motive vor der Tat (bevor es zu spät ist) zu erkennen, und wie fatal es sein kann, wenn man glaubt, sie zu kennen.
Und genau da sehe ich, du hast die Geschichte ausgezeichnet verstanden.

Hi Sam,

schön, dass dir der Text gefällt und vielen Dank für die Empfehlung. ;)

Hallo Mantox,

So einfach darf man es sich nicht machen, wenn man in einer Partei wie der NPD hausiert.
da stimme ich dir sofort zu, wenn es um eine Analyse der rechtsradikalen Szene geht. Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund einer Demo. Die Gegensätze sind krass, die damit gefüllten Inhalte zeigen eher, dass beide Figuren nicht zwangsläufig die Agitatoren ihrer Gruppierungen sind.
Zuschuss: Die Demonstranten, die gegen die Demo der NPD demonstrierten, und so ihre Meinung kundtaten, überstieg die NPD bei weitem.
Dass Linke einfach so auf Rechte losgehen wollen, obwohl die Rechten nur still vor sich hindemonstrierten. Hmmmh. Ich lass es auf mich wirken. NPD gehört auch verboten
Ja, das war auch am ersten Mai hier in Hamburg so. Trotzdem brannten Autos und die Demonstration eskalierte.
Zecken??!! Zecken sollen Linke sein. Blutsauger, die Krankheiten mitbringen. Noch nie gehört. Aber mit der künstlerischen Freiheit gut zu begründen, weil gutes Motiv
Du siehst mich erstaunt. Ich dachte, die werden von den Rechten überall so genannt. Hier ist "linke Zecke" jedenfalls ein geläufiger Begriff, den ich ganz sicher nicht erfunden habe.
Der Prota ist doch Linker, also ein Gutmensch. Kommen jetzt doch verborgene rechte Züge zum Vorschein? wird ja arg mit der körperlichen Züchtigung abgespeist.
Es kommt auf alle Fälle etwas für ihn nicht zu Kontrollierendes durch. Eigene Bedürfnisse, Gefühle, die er diesem Menschen gegenüber nicht haben will und die er kanalisieren und für sich akzeptabel machen muss.
für mich wirkt alles nicht so, wie ein Beispiel in der Gesellschaft. Es ist mehr ein exaltiertes Beispielsleben, eines Typen, der zwischen den Fronten stand, aus dem linken Augen blickte, und mit der rechten Faust zuschlug
Ich finde schon auch den gesellschaftlichen Aspekt, denn die einfachen Antworten fehlen uns, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Und sei es nur, dass man sein Feindbild auf einmal anziehend findet.

Hallo Jürgen,

zum Glück habe ich deine Kritik zuende gelesen, bevor ich meine Messer wetzte, wegen des leichten Vorwurfs der Realitätsferne. Deine Gedanken sind spannend.

Euch allen liebe Grüße und vielen Dank
sim

 

hallihallo sim,
mir gefällt sehr, wie das eine grundthema des sich-verlierens (bzw. des contenance-verlierens) den text durchzieht und eine erklärung für das geschehen bietet. die geschichte klingt für mich (als nicht-demo erfahrener)
ein bisschen überspitzt, als sollten da alle klischees mit hinein, die es zu finden gab. aber die machen die problematik anschaulich, es ist mir zwar aufgefallen, aber nicht zuviel.
das ende ist mir aber zu simpel. muss es gleich der tot sein? mir hätte ein offenes ende mit einem blutenden fascho besser gefallen. der autonome hätte fliehen können und würde damit beweisen, dass sein blick auf den einzelnen durch den hass auf eine gruppe überdeckt ist. das die rote soße der braunen soße sehr ähnlich ist. das ließe interpretationsspielraum und wäre trotzdem im sinne der geschichte.(wie ich sie lese)
mein senf,
lg
kubus

 

Hallo sim,

eine interessante Geschichte über Gewalt, praktisch eine Art Umkehrung von "gut" und "böse", wenn man so will - je nachdem, welchen Blickwinkel man grundsätzlich hat. Der Autonome tötet den Fascho. Die Geschichte wirkt etwas beladen, man merkt, dass du da nicht über "irgendein" Thema schreibst, sondern dass du über etwas schreibst, das dir besonders wichtig ist (unterstelle ich jetzt einfach mal so). In den Beschreibungen übt es für mich als Leser einen starken Reiz aus, dass du teilweise sehr tiefgehende Formulierungen und Gedanken verwendest, um diesen ewigen Kampf zwischen rechts und links in deine Geschichte zu transportieren. Das verdeutlicht den Hass auf den Hass und macht ihn greifbar.

Doch bei der kurzen verbalen Auseinandersetzung der beiden Typen wird es mir stellenweise etwas zu viel. Klar, du bürstest da zweifellos Klischees gegen den Strich. Und warum sollen aus dem Mund eines Neonazis nur sabbernde Sprachparolenbrocken tropfen? Aber auf mich wirkt das etwas zu überladen, wenn der eine in einer unmittelbar bevorstehenden Konfliktsituation zum anderen sagt:

»Du hängst einem Traum nach«, sagte er. »Ich wünschte mir ja auch, wir könnten alle friedlich zusammenleben. Aber die Realität sieht anders aus.«

Da bekommt die Situation plötzlich so etwas theaterhaftes und verspielt ein bisschen Glaubwürdigkeit.

Ansonsten gern gelesen, ein starker, wuchtiger Text, der zum Nachdenken anregt.

Rick

 

Hallo Kubus,

ich probiere deinen Hinweis in sofern mal aus, dass ich den Leichnam ersetze und das Schicksal des Jungen so ungewiss bleibt. Die Flucht allerdings ist schwer zu bewerkstelligen, ohne noch einen Absatz hinzuzufügen.

Hallo Rick,

den monierten Satz empfinde ich ja eher als nachgebetet, denn als überlegt. Vielleicht auch als hilflosen Versuch, die Eskalation zu vermeiden.
Ich hatte ja angesichts der Umkehrung von gut und böse erst die Angst, man könnte mich als Autor in die rechte Ecke stellen, aber andersherum hätte die Geschichte nicht in der Form funktioniert, wie ich sie mir gedacht habe. Es wäre lediglich eine weitere Geschichte über rechte Gewalt geworden, der tumbe Nazi, der keine andere Sprache spricht.
Und ja, das Thema ist mir wichtig. :)

Vielen Dank euch beiden und liebe Grüße
sim

 

hey sim,
beim ersten lesen fügte sich für mich das ende stimmiger in den text. nachdem ich nochmal las, scheint die flucht auch gar nicht mehr nötig.
einzig:

"Vielleicht habe ich zugeschaut, Mund und Augen aufgerissen, als ich mich nach dem Stein bückte, und diesen dem Jungen in den Rücken schleuderte."

wundert mich. es klingt, als hätte er sich selber zugeschaut. hast du da so eine art außerkörperliches erleben im sinn? manche sagen, dass es in besonderen stresssituationen vorkommen kann. das ist für mich ein neues stolpersteinchen.

fragend, grüßend
kubus [smiley]

 

Hallo Kubus,

meinst du jetzt, der Leichnam fügte sich besser ins Bild? Das lässt sich ja leicht rückgängig machen.
Zu deiner Frage: Ja, so etwas hatte ich im Sinn, wenn auch nicht als bewusstes Erleben, deshalb "vielleicht" am Satzanfang. Das Zuschauen reichte ja nicht aus, die Handlung zu unterbrechen.

Lieben Gruß
sim

 

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