Was ist neu

Wie aus einem traurigen Engel ein glücklicher wurde

Mitglied
Beitritt
25.03.2003
Beiträge
794

Wie aus einem traurigen Engel ein glücklicher wurde

“Wie oft muss ich jetzt noch schlafen, bis Weihnachten ist?”
Wie jeden Morgen begrüßte Lisa ihre Mutter mit dem gleichen Satz, als diese in ihr Zimmer kam, um sie zu wecken.
„Noch zehn Mal, mein Schatz“, antwortete Lisas Mutter und gab ihr einen Kuss.
„Wieviel ist zehn Mal?“, fragte Lisa
„Soviel, wie du Finger an deinen Händen hast. Zähl sie mal“, forderte die Mutter sie auf. Lisa hielt ihre Hände vor das Gesicht und begann zu zählen: eins, zwei, drei... neun, zehn. „Also muss ich jetzt jeden Tag einen Finger umknicken“, überlegte sie, „und wenn alle umgeknickt sind, dann ist Weihnachten.“
„Genau. Hattet ihr nicht heute etwas Besonderes im Kindergarten vor?“, erinnerte sie die Mutter.
„Ja, wir malen heute einen Brief für das Christkind, mit den Sachen, die wir uns zu Weihnachten wünschen.“
Wie der Blitz sprang Lisa aus dem Bett und heute musste die Mutter sie nicht wie sonst immer, mehrmals auffordern, sich anzuziehen und die Zähne zu putzen.

Im Kindergarten legte Frau Jakobi, die Erzieherin, vor jedes Kind ein Blatt Papier und einen Umschlag hin. Auf den Bogen durften sie nun all die Dinge malen, die ihnen das Christkind bringen sollte. Während die Kinder eifrig zu zeichnen begannen, erzählte ihnen Frau Jakobi, dass das Christkind die ganze Arbeit vor Weihnachten nicht alleine schaffte und deshalb viele kleine Gehilfen hatte, die Engel. Diese flogen nachts in die Häuser und sammelten die Briefe der Kinder ein. Dann halfen sie dem Christkind noch, die Geschenke zu besorgen und einzupacken.
Lisa zeichnete einen Puppenwagen, einen Stofftiger und ein Buch auf ihr Blatt, während sie Frau Jakobi zuhörte. Als sie fertig war, malte sie noch mit großen wackeligen Buchstaben ihren Namen unter das Bild, faltete es zusammen und steckte es in den Briefumschlag, auf den Frau Jakobi dann „An das Christkind“ schrieb.
„Ihr müsst den Brief am Abend in euren Zimmern auf die Fensterbank legen, damit ihn die Engel auch finden, wenn sie nachts zu euch kommen“, erklärte Frau Jakobi.
Lisa stellte, bevor sie ins Bett ging, zur Sicherheit noch eine Schüssel mit selbstgebackenen Plätzchen dazu, falls die Engel Hunger bekamen. Sie konnte vor Aufregung lange nicht einschlafen und das Sandmännchen musste an diesem Abend die doppelte Menge Schlafsand verstreuen, bevor Lisa endlich ins Land der Träume rutschte.

Im Himmel herrschte helle Aufregung.
Nur noch zehn Tage bis Weihnachten und noch kein einziger Brief war auf der Erde abgeholt worden. Ungeduldig flog das Christkind zwischen den Engeln umher und erteilte Befehle.
„Wir hätten einfach nicht solange den Himmel aufräumen sollen“, seufzte es.
„Nun fehlt uns die Zeit, und wir können vielleicht nicht mehr alle Geschenke rechtzeitig besorgen.“ Die Säuberungsaktion des Himmels hatte wohl wirklich etwas zu lange gedauert, aber es hatte sich gelohnt, überall war es sauber und ordentlich und alles blinkte und blitzte.
„Mach dir keine Sorgen, liebes Christkind“, versuchten die Engel es zu beruhigen. „Gleich heute Nacht fliegen wir auf die Erde und holen die Briefe.“

In der Adventszeit war es auf der Erde besonders schön. Überall waren helle Lichterketten gespannt, und die Schaufenster der Geschäfte und die Fenster der Häuser waren bunt geschmückt. In manchen Wohnungen roch es nach Bratäpfeln und Plätzchen. Deshalb flogen die Engel in dieser Zeit besonders gerne auf die Erde und die Vorfreude hatte ihre kugelrunden Wangen rot gefärbt.
Nur ein kleines Engelchen machte ein trauriges Gesicht. Goldglöckchen war noch nie mit zur Erde geflogen. Es hatte nur einen Flügel und konnte daher eine solch lange Strecke nicht bewältigen. Wie jedes Jahr stand es an der Himmelstür und versuchte die Tränen zurückzuhalten, während es den anderen nachwinkte.

Lisa drehte sich unruhig in ihrem Bett umher. Irgendein Geräusch hatte sie aufgeweckt. Sie setzte sich auf und schaute zum Fenster.
Was war denn das? Eine kleine Gestalt in einem weißen Kleid naschte von den Keksen. Auf ihrem Rücken trug sie ein paar wunderschöne Flügel.
Neugierig ging Lisa zum Fenster.
„Hallo, bist du ein Engel?“, fragte sie.
Die Gestalt, die Lisa noch nicht bemerkt hatte, zuckte zusammen.
„Oh, hast du mich jetzt aber erschreckt. Ja, ich bin ein Engel, ich heiße Silberlöckchen. Und wer bist du?“
Lisa nannte ihren Namen und unterhielt sich eine ganze Weile mit dem Engel.
Silberlöckchen erzählte ihr auch von Goldglöckchen und wie gerne das kleine Engelchen auch einmal mit zur Erde fliegen würde.
„Das arme Goldglöckchen, kann man denn da gar nichts machen?“ Lisa dachte einen Augenblick nach und hatte plötzlich eine Idee.
„Ich werde meine Mama fragen, die ist ganz schlau und weiß bestimmt, wie wir Goldglöckchen helfen können. Kannst du morgen Nacht noch mal vorbeikommen?“
Das wollte Silberlöckchen gerne tun, da es bestimmt noch einige Tage dauern würde, bis alle Briefe der Kinder eingesammelt waren.

Lisa erzählte am nächsten Morgen sofort ihrer Mutter von ihrem nächtlichen Erlebnis und bat diese, Goldglöckchen zu helfen.
„Mhm, lass mich mal nachdenken“, sagte die Mutter, „da war doch mal...im letzten Jahr...doch ja, das müsste gehen.“
„Hast du eine Idee, Mama?“, fragte Lisa ungeduldig.
„Ja,“ lächelte die Mutter. „Erinnerst du dich an die Weihnachtsaufführung von deiner Schwester im letzten Jahr?“ Und ob sich Lisa daran erinnerte. Sie war wunderschön gewesen und Leoni, Lisas ältere Schwester hatte einen Engel gespielt. Richtig, einen Engel mit großen weißen Flügeln. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Lisas Gesicht aus. Schnell begleitete sie die Mutter nach unten in den Keller, wo das Engelskostüm in einem Karton aufbewahrt wurde. Die Flügel bestanden aus einem Drahtgestell, das über und über mit weichen Federn bedeckt war. Mit einem Gurt konnte man es am Körper befestigen.
„Toll, Mama, vielen Dank“, rief Lisa und gab ihrer Mutter einen dicken Kuss. Bevor sie ins Bett ging, legte Lisa die Flügel vorsichtig auf die Fensterbank und beschloss, wachzubleiben, bis Silberlöckchen kommen würde. Doch der Tag war zu aufregend gewesen und so fielen Lisa schon bald die Augen zu. Sie verpasste, wie Silberlöckchen beim Anblick der Flügel vor Begeisterung in die Hände klatschte und spürte auch nicht, wie der Engel ihr zärtlich über das Gesicht strich. Das einzige, was sie am nächsten Morgen vorfand, war eine leere Fensterbank, das heißt, ganz leer war sie nicht, ein bisschen Silberstaub und ein paar kleine glitzernde Sterne hatte Silberlöckchen zurückgelassen.

Die Freude bei Goldglöckchen war riesig, als Silberlöckchen ihm Lisas Geschenk überreichte. Die anderen Engel halfen ihm, die Flügel zu befestigen, und da es nun drei Flügel hatte, flog es höher und besser als je ein Engel zuvor. Auch das Christkind freute sich mit Goldglöckchen, da ihm das kleine Engelchen immer sehr leid getan hatte.

Lisa fand an diesem Heiligen Abend unter dem Weihnachtsbaum den schönsten Puppenwagen, den größten Stofftiger und das bunteste Bilderbuch, dass man sich nur vorstellen konnte, und als sie einen Moment glücklich zum Fenster hinausschaute, da war es ihr so, als ob für einen kurzen Augenblick ein paar weisse Flügel aufgeblitzt hätten.

 

Hallo Blanca

Eine wunderschöne Kindergeschichte hast du da geschrieben. Im ersten Teil, dachte ich bei mir, genau wie Luis, der schreibt jeden Abend das nächste Tagesdatum, auf einen selbergemachten Kalender rein. Nur zur Kontrolle, dass er Weihnachten nicht verpasst.

In der Adventszeit war es auf der Erde besonders schön. Überall waren helle Lichterketten gespannt, und die Schaufenster der Geschäfte und die Fenster der Häuser waren bunt geschmückt

Zu diesem Textteil meinte er: Da werden so viel Lichter angezündet, dass die sich nicht verfliegen, sonst finden die den Weg nicht.

Nun schläft er, mal sehen ob er von Goldglöckchen träumt, ich werde ihn morgen fragen.

Dir auch einen schönen Traum

Gruss Morpheus

 

Hallo Blanca!
Eine schöne Geschichte hast du geschrieben, die den Kindern bestimmt gefällt :D

Lisa stellte, bevor sie ins Bett ging, zur Sicherheit noch eine Schüssel mit selbstgebackenen Plätzchen dazu, falls die Engel Hunger bekamen. Sie konnte vor Aufregung lange nicht einschlafen und das Sandmännchen musste an diesem Abend die doppelte Menge Schlafsand verstreuen, bevor Lisa endlich ins Land der Träume rutschte.

Finde ich besonders niedlich!

LG Ulrike

 

Hallo Morpheus,
süss, Dein Luis.Bestell ihm mal schöne Grüsse von mir.
Freut mich, dass euch meine Geschichte gefallen hat.

Hallo Ulrike,
danke fürs Lesen.
Das mit den Plätzchen hab ich übrigens von meiner Tochter, die stellt oft mal etwas zu essen für das Christkind raus. Dann muss ich mich immer anstrengen, nicht zu vergessen, die Kekse oder was auch immer wieder vom Teller zu nehmen, damit sie auch wirklich denkt, das Christkind wäre da gewesen.Es ist schon niedlich, wenn sie dann am nächsten Morgen nach draussen stürmt und "es" dagewesen ist.:)

LG
Blanca

 

Hallo Blanca,

mir gefällt die Geschichte auch. Vor allem, als Du beginnst, das ganze aus der Sicht der Engel zu beschreiben und damit den erwachsenen Leser überraschst, der vielleicht gedacht hat, Frau Jakobi habe nur ein schönes Märchen erzählt.

Was mich allerdings etwas wundert, ist die Hilflosigkeit des Christkinds: Es beschenkt alle Kinder, schafft es aber nicht, Goldglöckchen bei seinem Flügelproblem zu helfen? ;)

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,
freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Was mich allerdings etwas wundert, ist die Hilflosigkeit des Christkinds: Es beschenkt alle Kinder, schafft es aber nicht, Goldglöckchen bei seinem Flügelproblem zu helfen?
Da sieht man halt, dass auch ein Christkind nicht perfekt ist.;) :D

LG
Blanca

 

Hey blanka, echt nette geschichte. hat mir sehr gefallen, vorallem wie du beschrieben hast, wie sehr sich das Mädel auf das Engelche freut und mit ihm redet. da kann man sich richtig hinein versetzen und so mancher Kindestraum fällt mir dazu wieder ein, als ich selbst noch kleiner war und immer geträumt hab, einen engel zu treffen. Hast du echt gut getroffen, für meinen geschmack. Mach weiter so
LG Ciocco

 

Hallo Ciocco,
Vielen Dank fürs Lesen. Schön, dass dir meine Engelgeschichte gefallen hat.:)

LG
Blanca

 

Hallo Blanca,
Im ersten Lesen fand ich die Geschichte nett.
Aber da ich einen Kommentar schreiben will, habe ich noch einmal tiefer nachgesehen. Und dabei fiel mir dann doch einiges auf:

Aus wessen Sicht erzählst du die Geschichte? Es geht doch um Goldglöckchen. Goldglöckchen kommt aber nur sehr wenig darin vor. Warum?
Andernfalls müsste ein anderer Titel her. Ich bleibe also erst einmal bei dem Original.

Wenn du Goldglöckchen mit seinem Problem beschreibst und dann auf die Probleme des Christkinds (Zeitnot) kommst, dann kannst du mit Silberglöckchen zu Lisa fliegen. Die beiden unterhalten sich miteinander und Lisa schafft mit ihrer Mutter eine Lösung. Goldglöckchen wird der Superengel.

Du wirst nun fragen, wo der Kindergarten bleibt. Ist der wichtig für die Geschichte? Wirklich?

Deine Geschichte hat ein wenig mit ihrer Glaubwürdigkeit und der Reihung der Ereignisse zu kämpfen. Ferner eben auch mit dem Perspektivenwechsel: erst Lisa, Kindergarten. Dann taucht der Himmel auf, wieder die Erde mit den Advents-Lichterketten, Lisa. Und da kommt Silberglöckchen (auch noch naschhaft!). Unterhaltung mit Lisa, Lösung durch die Mutter, Lisa und Silberglöckchen. Goldglöckchen als schnellster und bester Flieger. Und schließlich Heiligabend.

Das alles hat mich dann doch zum Bedenken gebracht. Und zu den obigen Einwänden.

Ich hoffe, ich habe jetzt nicht zu weit Probleme geschaffen.
Viel Glück
Peter

 

Hallo Pholz,
danke fürs Lesen und deine Kritik.
Die Geschichte wird aus der Sicht eines allwissenden, neutralen Erzählers erzählt, wieso kann man dann deiner Meinung nach die Perspektive nicht wechseln?
Hm, du lässt mich etwas ratlos zurück.

LG
Blanca

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom