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Wie der Herr Meier und ich den Humor revolutionierten
gewidmet mir selbst - denn ich habs verdient
Ja, es war an der Zeit.
Sven hatte diesen Moment so lange es eben ging hinausgezögert, aber nachdem er gestern die letzte Pizza gegessen und die letzte Cola getrunken hatte, war der Kühlschrank nun vollkommen leer. Einkaufen war also angesagt. Sven grauste es schon, wenn er nur daran dachte, dass er sich in ein paar Minuten mit irgendwelchen Rentnern um die letzten Wurstzipfel an der Fleischtheke streiten, sich danach von kleinen Kindern mit ihrem nervtötendem Dezigebell ins Ohr brüllen lassen und er schließlich an der Kasse stehend irgendeinem Juppie beim Suchen seiner American Express zusehen müsste.
Aber er schluckte seine Missbilligung herunter, zog sich seine guten Schuhe und die zerschlissene Jacke an, stülpte sich die coole Baseballkappe über den Kopf und marschierte hinaus in den kalten Wintertag. Schon als sich die automatische Schiebetür vor ihm öffnete, drang ihm jene Atmosphäre der essigsauren Miefigkeit entgegen, die das Ambiente eines Supermarktes nun mal so ausmacht. Der Duft von billigem Haushaltsreiniger mit Apfelgeruch umspielte seine Nase, vermischt mit eben jenem Aroma, welches ein umgekippter LKW verströmt, der seine Ladung Avonflakons kreuz und quer über die Landstraße verteilt hat.
Sei's drum, der Kühlschrank musste gefüllt werden. Sven besorgte sich einen Einkaufswagen - natürlich blockierte das Rad vorne links ständig, wodurch der Wagen ein Eigenleben entwickelte, das in Punkto Störrigkeit jedem Esel ein Vorbild sein könnte - und suchte die Fleischtheke auf.
"Was darf es denn sein?", fragte die Verkäuferin und schenkte ihm ein einstudiertes, aber zumindest nicht gänzlich eingefrorenes Lächeln. "Wie immer von der fetten Groben?"
Sven grinste. "Ich dachte, die ist im Ur... och nee... das sag ich jetzt aber nicht. Kannste gleich vergessen." Irgendwie hatte damit niemand gerechnet, und so tat die Zeit das Naheliegendste: Sie blieb einfach stehen. Die Welt verharrte im Standbild - abgesehen von Sven.
"Aber klar sagst du das, Freundchen. Dir wird gar nichts anderes übrig bleiben", antwortete ich seelenruhig. Der Herr Meier nahm die Baseballkappe ab, warf sie auf den Boden und fuhr sich mit der Hand durch sein schlohweißes Haar. Er selbst würde sagen, es wäre ein helles Blond, aber ich kannte die Wahrheit. "Nix da! Mach deinen Scheiß doch alleine, du Arschloch!"
"Ey, ich bin hier der Autor, und du tust verdammt noch mal, was ich sage." Eigentlich ist der Herr Meier ja ein netter Kerl. Seit Beginn meiner ebenso hoffnungsvollen wie ereignislosen Autorenkarriere stand er mir nun schon bei und schlüpfte ohne größere Widerworte in die Rolle meiner Geschichtenhelden. Mal war er ein Teufel auf der Suche nach Kerzen für den Halloweenkürbis, ein anderes Mal bewarf er Polizisten mit Fleischsalat, und einmal, da hat der Herr Meier sich für mich sogar von einem Eichhörnchen mit Nüssen bewerfen lassen. Nie hatte es Probleme gegeben. Bis jetzt.
"Weißt du", begann er und kratzte sich am Hintern. Das Kratzen war eine seiner Charakterschwächen und übrigens die einzige Eigenschaft, die ich meinen Helden niemals selbst gegeben hatte - wann immer sich einer der Protagonisten meiner früheren Geschichten am Hintern gekratzt oder einen fahren gelassen hatte, dann war das die Schuld vom Herrn Meier. Wirklich. "Weißt du", sagte er also, "mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass du stark nachgelassen hast."
"Was soll das denn heißen?"
"Naja, deine letzten Geschichten. Sie waren... also... ach scheiß drauf, die waren einfach mies."
"Mies?"
"Ja, totaler Mist. Ich hab teilweise Alpträume gekriegt, wenn ich nur daran gedacht hab, dass du mich jederzeit wieder in irgendsoeine Scheiße reinschreiben könntest. So wie das letztens mit den Maden und dem rosanen Elefanten. Echt, Mann, was hast du dir dabei nur gedacht?"
"Gar nichts, ich wollte nur..."
"Das merkt man. Himmel noch mal, als du damals angefangen hast, da dachte ich noch 'hey, aus dem kann mal was werden, dem bleib ich treu' und jetzt guck dich mal um, wo wir gelandet sind, verdammt! In einer drittklassigen Supermarktgeschichte, die langweiliger ist, als Verona Feldbuschs Brüste... warte mal, hab ich das jetzt gesagt oder hast du mir das in den Mund geschrieben?"
"Das mit den Brüsten? Das war von dir."
"Kacke Mann! Jetzt färbst du schon ab..."
"Aber die Leute mögen das."
"Drauf geschissen! Keine Sau will so was Ausgelutschtes lesen. Und drüber lachen kann schon gar keiner."
"Also, ich kriege viel positives Feedback."
"Von wem? Sind bestimmt genau solche perspektivlosen Arschlö..."
"Ey, ich muss doch sehr bitten!"
"Tut mir leid. Aber du musst zugeben, dass du dich in einer Sackgasse befindest, oder? Ich meine, Geschichten über Aldi sind doch die unterste Stufe der literarischen Evolution. Schlimmer sind eigentlich nur noch Geschichten über Zeitmaschinen."
"Ich habe noch nie... ach doch..." In einem meiner schwachen Momente hatte ich tatsächlich schon über Zeitmaschinen geschrieben. Für einen echten SciFi-Autor ein Sakrileg, das wohl so eine Art Totschande bedeutete. Damals hatte ich mich noch damit rausreden können, dass ich eben kein echter SciFi-Autor war, aber in Verbindung mit der Aldisache hier traf mich das nun doch. So schwer ich es mir vorstellen konnte, der Herr Meier hatte Recht.
Und dann sagte der Herr Meier genau jene Worte, vor denen sich jeder Mensch am meisten fürchtet. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie mal von einem Mann hören würde.
"Wir müssen reden."
...
Es war nicht weiter schwer, den Supermarkt verschwinden zu lassen - immerhin hatte ich einen Radiergummi. Weit schwieriger war es da schon, uns ein nettes Ambiente für unser Gespräch zu schreiben. Irgendwas mit Ledercouch und Kerzen schied von vornherein aus. Ich meine, er wollte ja nur reden und mir nicht seine Plattensammlung zeigen oder so. Aus ähnlichem Grund verwarf ich die Idee, den Herrn Meier einfach auf eine Picknickdecke auf irgendeine Wiese zu setzen. Stattdessen schrieb ich ihn in einen Stripclub.
"Danke, Mann", sagte er. "Das hätte ich dir nicht zugetraut." Dann bemerkte der Herr Meier, dass geschlossen war und nur die Putzfrau - eine sechzigjährige Schürzenträgerin, die jenen Duft supermarkttypischen Apfelreinigungsmittels verströmte - anwesend war und ihm in diesem Moment ein anzügliches Lächeln schenkte. "Hab ich dir schon gesagt, was du eigentlich für ein Arschloch bist?"
"Ja", antwortete ich und grinste. "Also, was gibts jetzt?"
"Es geht um deine Schreiberei."
"Was ist damit?"
"Naja, deine Art des Humors ist tot. Ob nun Geschichten über Weitpinkeln im Schnee oder die letzte Weihnachtsfeier bei deiner Tante..."
"Geburtstag. Es war eine Geburtstagsfeier."
"Drauf geschissen. Es ist einfach out, Humor im Alltag zu suchen. Wir brauchen etwas Neues."
"Du willst das Genre revolutionieren?"
"Naja, du hast ja schon angefangen. Das mit den Eichhörnchen und die mit den toten Fischen, das war ein Schritt in die richtige Richtung. Echt, da hab ich noch gedacht, dass aus dir noch was wird. Und dann kam der Scheiß mit der Party. So ein Mist."
"Ich fand sie witzig. Viele fanden sie witzig."
"Die haben genauso wenig Ahnung davon, wie du. Ich hingegen hab mich mal mit der Sache beschäftigt. Als du die letzte Geschichte über diese Schafe geschrieben hast." Der Herr Meier wirkte in den Schafgeschichten natürlich nicht mit - er war zwar ein passabler Schauspieler, aber seine Hufarbeit ließ arg zu wünschen übrig. Er zog ein Blatt Papier aus seiner Jacke und setzte seine Lesebrille auf, die ihm ein halbwegs intellektuelles Aussehen verlieh.
"Ey, ich brauch keine Brille. Augen wie ein Luchs und so."
"Bitte, wenn du willst." Der Herr Meier ließ die Brille wieder in seiner Tasche verschwinden. Immerhin hatte er Augen wie ein Luchs. Wie ein toter Luchs.
"Sackgesicht. Kann ich Licht haben, bitte?" Die Putzfrau zog eine Taschenlampe hervor und beleuchtete den Herrn Meier damit von hinten. "Ein Kronleuchter wär wohl zuviel verlangt, oder?"
"Ja."
"Arschloch."
"Also, was ist nun? Ich habe eine Geschichte zu schreiben."
"Ja doch. Also..." Umständlich entfaltete er das Papier, bemerkte, dass es ohne die Brille doch nicht ging, setzte sie auf und begann zu lesen. "Manifest des Humor... von Herrn Meier. Gut, oder?"
"Naja... Ich hätte es besser gemacht."
"Ich hätte es besser gemacht... pöh... einen Scheiß hättest du! Also, Punkt eins... warte... Geschichten um und über mediale Persönlichkeiten sind out. Wer eine solche Geschichte verfasst, muß sich klar sein, dass sie in keinem Falle lustig sein kann."
"Naja... ist Humor nicht irgendwie Geschmackssache?"
"Ach, jetzt komm mir nicht wieder mit deinem dämlichen Wischiwaschischeiß hier! Wir brauchen endlich knallharte Regeln, damit jeder ein für allemal weiß, was lustig ist und was nicht. Und Geschichten mit Dieter Bohlen sind es nicht."
"Wer sagt das?"
"Ich. Also, Punkt zwei: Niemand, ich wiederhole, niemand lacht über Witze wie "Man hat es schwer im Leben, Frau hat es schwerer". Das ist pseudoemanzipatorischer Müll." Ich wunderte mich, dass der Herr Meier Worte wie pseudoemanzipatorisch kannte, aber im Kern musste ich ihm hier zustimmen.
"Du meinst so was wie der Witz mit der Aschenbecherin?"
"Genau. Ich sehe, wir verstehen uns. Punkt drei: Vermeide abgegriffene Klischees oder lande in der Hölle."
"Ist das nicht etwas hart formuliert, mein Freund?"
"Ich bin nicht dein Freund, und es ist genau richtig formuliert. Klischees sind für Leute, die zu faul sind, sich selber Figuren auszudenken." Das saß. Ich selbst benutzte gerne Klischeefiguren, wie zum Beispiel den abgewrackten Privatdetektiv, den coolen Mafiagangster oder den versoffenen Arbeitslosen. Das hatte aber nichts mit Faulheit zu tun, sondern... sondern... naja...
"Weißt du noch damals deine Geschichte mit dem Detektiv, der den geisteskranken Klebstoffschnüffler durch die Gegend kutschiert hat?"
"Ja."
"Das war ein Klischee und ich hätte damals fast gekündigt. Echt, Mann, noch nie habe ich dich mehr gehasst, als in diesem Moment. Und das will was heißen. Ich meine, warum musste der Arsch ausgerechnet Fips Asmussen imitieren? Damit hast du übrigens gleichzeitig gegen Punkt eins des Manifestes verstoßen."
"Komm, mach weiter mit Punkt vier." Irgendwie glitt mir diese Geschichte hier aus den Händen. Ich meine, der Herr Meier hatte bisher mit jedem Punkt Recht, diese Art des Humor war wirklich out. Und wenn ich so darüber nachdachte, kam ich selbst nicht wirklich gut bei dieser Sache weg.
"Punkt vier... Licht verdammt!" Die Putzfrau war kurz eingenickt, zielte mit der Lampe jetzt aber wieder auf sein Papier. "Danke. Also: Geschichten, die versuchen, Alltagssituationen humorvoll zu beleuchten, sind langweilig. Niemanden interessiert, wer wen an der Tanke getroffen, beim Wettsaufen unter den Tisch gereihert und was beim Aldi gekauft hat."
"Was bleibt denn dann noch übrig? Geschichten beim Lidl?"
"Das bringt uns direkt zu Punkt fünf: Vermeide Wortspiele. Die sind eh immer scheiße, egal was die anderen sagen."
"Das ist aber jetzt echt radikal. Ich meine, du forderst hier lustige Geschichten ohne Protagonisten, ohne Handlung und jetzt auch noch ohne Witze."
"Ich habe nicht gesagt, dass es leicht wird. Aber wenn du lieber weiter in deiner festgetretenen Welt bleibst, bitte..."
"Aber was verlangst du von mir?"
"Nicht nur von dir. Von allen Leuten, die glauben, humorvolles Zeugs schreiben zu können. Es ist einfach an der Zeit, etwas ganz Neues zu machen, weißt du? Die ausgetretenen Pfade zu verlassen und so." Der Herr Meier steigerte sich nun richtig rein und verteilte kleine Spuckekügelchen beim Reden. "Du kannst es nicht lassen, oder? Musst du Arsch mich immer so scheiße dastehen lassen?"
"Ja."
"Aber du hast schon verstanden, was ich wollte, oder?"
"Ich denke schon."
"Und? Machst du mit? Tu mir den Gefallen."
"Was Neues also, ja? Etwas, womit keiner rechnet?"
"Genau."
"Na gut, ich versuch's mal. Können wir dann?"
...
Der Herr Meier gab der Putzfrau noch ein Küsschen auf die Stirn und setzte dann seine Baseballkappe wieder auf. Das Bordell verschwand unter meinem Radiergummi und wich der vertrauten Supermarktkulisse. Sven stand an der Fleischtheke.
"Was darf es denn sein?", fragte die Verkäuferin und schenkte ihm ein einstudiertes, aber zumindest nicht gänzlich eingefrorenes Lächeln. "Wie immer von der fetten Groben?"
"Drei Scheiben bitte", sagte Sven und wurde von einem vom Himmel fallenden Schaf erschlagen.
Mal was Anderes.