Wie ich einen Mann kennenlernte, der auf jeden Fall Knut hieß
Eines Tages, es war ein Tag, da bin ich mir sicher, aber ich weiß nicht mehr, welcher Tag, saß ich in der Kneipe. Den Grund habe ich vergessen, aber ich hatte mir vorgenommen, mir heute mal richtig einen zu trinken, bis ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. (Normalerweise ist unten immer da, wo die Füße draufstehen und oben eben die andere Richtung. Es wird nur schwierig, wenn man seine Füße nicht mehr spürt.)
Jedenfalls saß ich nun so da und schaute in mein Bier, welches mir das verlockende Angebot machte, es zu trinken. Ich gab nach. Plötzlich, ich war gerade schön in Gedanken vertieft (Kann ich mir noch ein Bier leisten, Die Blonde da vorne sieht aber toll aus, wo zum Teufel ist hier das Klo – also das übliche eben), als dieser Typ sich neben mich an den Tresen setzte. Ohne, daß ich ihm auch nur den kleinsten Anlaß gegeben hätte, sprach er mich an.
„Knut.“
„Was?“ wollte ich wissen.
„Das ist mein Name. Knut eben.“
„Angenehm.“ In Wirklichkeit war es mir nicht angenehm, aber naja, was solls. Ich sagte ihm meinen Namen.
„Ach Sie sind das!“
„Kennen Sie mich?“
„Nein, woher auch?“
„Weiß nicht. Nur so ne Idee.“
Und da ich ihn auch nicht kannte, war unser Gesprächsstoff an dieser Stelle erschöpft. Hoffte ich zumindest, aber mein Gegenüber belehrte mich eines Besseren.
„Sag mal, warum bist du hier?“
„Was?“
„Warum du hier bist?“
„Ach so... Ich habe keine Ahnung.“
„Wirklich nicht?“
„Nein. Ich weiß nur noch, daß ich mir gedacht habe ‚Mensch, jetzt gehst du mal in die Kneipe und trinkst dir einen.‘ Und das mache ich jetzt. Ich habe nur den Grund vergessen. Aber es war ein guter Grund, da bin ich sicher. Glaub ich.“
„Nein, das meine ich nicht. Ich meinte, warum du auf der Erde bist?“
„Puh, das ist mal ne Frage. Schätze, weil es auf dem Jupiter zu kalt ist. Und ich mag es warm.“
„Nein. Das meinte ich auch nicht. Hast du dich nie gefragt, was denn wohl der Sinn des Lebens ist?“
Mit dieser Frage hätte ich jetzt nicht gerechnet. Na gut, ein wenig doch. Ich sagte ihm, daß ich mir diese Frage noch nie so richtig gestellt hatte.
„Ach so.“ meinte er „aber ich kann es dir sagen. Der Sinn des Lebens ist, daß Gott was zu lachen hat.“
„Gott? Ich glaube nicht an sowas.“
„Weißt du was? Ich auch nicht.“
„Aha... ähh warte mal... du glaubst nicht an Gott, aber trotzdem soll er der Grund unserer Exis... Exit... Estie... ach verdammt... Lebens sein?“
„Ja. Und genau das macht mir Angst. Es zeigt die ganze Sinnlosigkeit des Lebens und so.“
„Ja, da hast du recht, Knut. War doch Knut oder?“
„Ja.“
„Was ja, du hast recht, oder du heißt Knut?“
„Beides irgendwie.“
„Ach so.“
Ich wandte mich wieder ab von ihm, denn jetzt hatte ich Gewissheit, daß er eine ernsthafte Macke hatte. Aber er redete einfach weiter mit mir. Also, mit meinem Rücken, der ihm aufmerksam zuzuhören schien.
„Weißt du, wenn wir nur leben, damit Gott was zu lachen hat, ist das soweit in Ordnung. Stört mich ja gar nicht. Nicht sehr zumindest. Aber weil es ja keinen Gott gibt, ist das Leben eigentlich Sinnlos. Und das bedeutet... sag mal, hörst du mir eigentlich zu?“
Ich dreht mich wieder um. Das interessierte mich doch.
„Ja, ich habe zugehört.“
„Dann ist ja gut.“
„Ja... und nun?“
„Was nun?“
„Na das Ende deines Satzes. Du hast es noch nicht gesagt.“
„Ach ja. Du hast recht. Also... ähh... nun ja, ich hab’s vergessen... ja, habe ich.“
„Schade.“
„Find ich auch.“
Ich drehte mich wieder um. Jetzt war ich doch ein wenig beleidigt. Erst macht er mich neugierig und dann vergißt er das Ende von seinem Satz. Idiot!
„Wie bitte?“
„Was?“
„Warum hast du mich Idiot genannt.“
„Habe ich nicht.“
„Doch hast du.“
„Ja schon, aber ich habe es nicht gesagt, nur gedacht.“
„Nein, du hast es gesagt.“
„Oh, das tut mir leid. Das wollte ich nicht.“ Wollte ich wirklich nicht.
„Dann ist ja gut. Sonst wäre ich auch ziemlich sauer geworden. Zurück zum Thema.“
„Wir hatten ein Thema?“
„Ich denke schon.“
„Welches Thema?“
„Naja, die Sache mit dem Sinn des Lebens und so. Du weißt schon.“
„Warum duzt du mich eigentlich?“
„Weiß nicht. Ist das so wichtig? Ist überhaupt irgendwas wichtig auf dieser Welt.“
„Mir schon. Im Moment sitze ich hier in einer Kneipe, um mich zu besaufen. Und das schlimmste ist, ich weiß nicht mehr, warum ich das machen wollte. Und das herauszufinden ist wichtig für mich.“
„Ja, da hast du recht. Aber was soll ich sagen. Für mich hat das Leben einfach keinen Sinn mehr.“
„Wie kommts?“
„Kam einfach so. Eines Tages dachte ich mir, Mensch, jetzt hat das Leben also seinen Sinn verloren. Dann bin ich zu einer Klippe gegangen und bin heruntergesprungen.“
„Glaube ich nicht.“
„Wieso nicht?“
„Nun, da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Der erste ist, daß du hier neben mir sitzt und nicht am Boden einer Klippe liegst.“
„Habe ich gesagt, wie hoch die Klippe war? Na also. Ich bin eben wieder hochgeklettert.“
„Du bist wieder hochgeklettert? Warum das denn?“
„Da unten gabs keinen Fernseher.“
„Das erklärt einiges.“
„Zum Beispiel?“
„Wie bitte... ich hab mir gerade nicht zugehört.“ und das hatte ich zu meinem Glück tatsächlich nicht.
„Machst du das öfter?“
„Manchmal.“
„Was? Dich besaufen oder dir nicht zuhören?“
„Weiß ich nicht mehr. Wie sind wir eigentlich auf diesen Unsinn hier gekommen?“
„Das ist aber eine sehr tiefgründige Frage.“
„Warte... du hast mich irgendwas gefragt... ja, aber ich weiß beim besten Willen nicht, was.“
„Ich soll dich was gefragt haben? Warum sollte ich so einen Blödsinn machen?“
„Woher soll ich das denn wissen? Schließlich ist du ja auch von einer kleinen Klippe gesprungen.“
„Ja, da hast du allerdings recht, Knut. Knut war doch richtig, oder?“
„Nein“ sagte ich „Du bist Knut.“
„Wirklich? Verdammt, wer bist denn dann du?“
„Wenn ich das wüßte... Vielleicht bin ich der Mann, der dir gerade gegenübersitzt, vielleicht aber auch nur eine Schildkröte, die davon träumt, dir gegenüberzusitzen.“
„Warum sollte sie das denn machen. Also, mir gegenübersitzen?“
„Ich habe das doch gar nicht so behauptet.“
„Hast du wohl!“
„Hab ich nicht. Du hast nur nicht richtig zugehört. Ich habe gesagt, vielleicht bin ich eine Schildkröte, die von mir und dir träumt.“
„Ich kenne gar keine Schildkröten.“
„Was hat das denn damit zu tun?“
„Keine Ahnung. Hab ich vergessen. War aber bestimmt sehr logisch, der Zusammenhang.“
„Naja, warum glaubst du eigentlich nicht an Gott?“
„Jetzt weiß ich wieder! Weil eine Schildkröte, die mich nicht kennt, gar nicht von mir träumen kann, weil sie mich ergo gar nicht kennt. QED.“
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“
„Natürlich habe ich das.“
„Nein. Du hast meine vorherige Frage beantwortet, aber nicht die von eben.“
„Ach so. Und wie war die?“
„Sag mal, was heißt eigentlich QED?“
„Das war deine Frage? Das kann ich dir genau sagen. Moment... das heißt... warte... ja, was heißtn das?“
„Ich habe keine Ahnung.“ sagte ich bedeutungsschwer.
„Das ist nun mal der Lauf der Dinge. Weiß denn überhaupt jemand irgendwas?“
„Das weiß ich nicht. Ich bin schließlich nur eine Schildkröte.“
„Ach ja, das sagtest du bereits. Ich erinnere mich.“
„Wirklich?“
„Nein.“
„Ach ist die Theke schön grün!“
„Warum hast du das denn jetzt gesagt?“
„Weiß nicht. Woher soll ich denn wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage.“
„Ja... ähh, Also ich denke, daß du damit vollkommen recht hast. Allerdings ist die Theke gar nicht grün.“
„Ja, wo laufen sie denn hin?“
„Siezen sie mich wieder?“ fragte Knut mich beleidigt, wozu er auch allen Grund gehabt hätte.
„Ich würde dich niemals irgendwas machen. Und schon gar nicht Sieben.“
„Sieben? Was ist das denn?“
„Irgendwas zwischen sechs und acht, glaub ich.“
„Bist du sicher, Hannes?“
„Ja und nein.“
„Was?“
„Ja, bin ich und nein, bin ich nicht.“
„Was?“ wiederholte er nach kurzer Bedenkphase.
„Sicher und Hannes.“
„Ach so. Ich wollte nur mal nachfragen. Wie heißt du denn dann?“ Ich sagte ihm meinen Namen.
„Ach, das bist du?“
„Ja, kennst du mich denn?“
„Nein, wieso denn auch?“
„Hatten wir das nicht schonmal?“
„Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß ich dich gar nicht kenne.“
„Vielleicht kennen wir uns in einer anderen Sphäre.“
„Vielleicht hast du damit recht... aber ich bin wasserscheu.“
„Was hat das denn damit zu tun?“ fragte ich.
„Naja, weil ich das nunmal bin, war ich noch nie auf einer Fähre, und darum können wir uns daher auch nicht kennen.“
„Ja... sag mal, wie wäscht du dich denn dann?“
„Was soll das denn heißen? Seh ich etwa schmuddelig aus? Nur, weil ich nicht auf ner Fähre war, bin ich also ein dreckiger Penner? So einer bist du also!“
„Nein, bin ich nicht. Ich meinte lediglich, daß du ja Angst vor Wasser hast...“
„Habe ich?“
„Ja, ich denke schon...“
„Wenn du das sagst, Werner, wird das schon stimmen.“
„Ja, und nenn mich nicht Werner.“ sagte ich. „denn so heiße ich gar nicht.“
„Tschuldige. Was warn jetzt mit deiner Fähre?“
„Ich bin mal nach Helgoland gefahren und da habe ich eine Frau getroffen...“
„Wo ist das denn?“
„Helgoland?“
„Nein, wo du die Frau getroffen hast.“
„Auf der Fähre, hab ich doch gesagt.“ Knut schien mir tatsächlich nicht ein bißchen zuzuhören. Irgendwie machte mich das ein wenig depressiv.
„Was denn für eine Frau? War sie hübsch?“
„Was weiß ich schon davon. Ich bin nur eine Schildkröte... warte mal... da fällt mir doch was ein... die Frau...“
„Ja?“ drängte er.
„Dränge mich nicht! Sie ist der Grund, aus dem ich hier bin.“
„Und nicht, damit Gott was zu lachen hat, der ja, nebenbei bemerkt, gar nicht existiert, was, wie mir gerade klar wird, ein ziemliches Paradoxon ist?“
„Warte mal... was hast du denn da eben gesagt?“
„Vor oder nach dem Paradoxon?“
„Ja und eigentlich... so... drumherum... also alles... sozusagen.“
„Ach so. Ich soll es also noch mal wiederholen?“
„Ach, vergiss es.“
„Schon passiert.“ Das war das erste, was ich ihm an diesem Abend abkaufte.
„Sie war wunderschön...“
„Was?“
„Wer.“
„Was?“
„Ich meinte, deine Frage muß nicht was sondern wer lauten. Und ich meinte die Frau auf dem Schiff.“
„Welchem Schiff denn nun wieder?“
„Die Fähre nach Helgoland. Da habe ich sie doch getroffen.“
„Am Kopf, haha...?“ An dieser Stelle trat eine Pause ein, in der Knut sich vor Lachen über seinen eigenen, gar nicht mal schlechten Witz auf dem Boden kringelte. Ich nutzte die Zeit, um das Klo zu frequentieren.
„Frekwe...was?“
„Das kannst du ja gar nicht gehört haben, weil ich das gar nicht gedacht habe.“ sagte ich, als ich wieder zurück war.
„Du hast recht. Tut mir echt leid.“
„Und das Wort heißt besuchen.“
„Welches Wort?“
„Das du nicht gehört hast.“
„Das, was du nicht gedacht hast?“
„Ja.“
„Wer war sie denn?“
„Was?“
„Wer.“
„Ach die Frau? Sie war... naja... woher soll ich das wissen? Wenn ich das wüßte, würde ich ja jetzt nicht hier sitzen und mit dir über den Sinn des Lebens diskutieren, weil ich dann bestimmt was besseres zu tun hätte.“
„Zum Beispiel?“
„Romantisch zu Abend essen, zum Beispiel.“
„Woher willst du das denn wissen? Niemand kann wissen, was wäre, wenn. Das ist eine der Gemeinheiten, die Gott, den es ja gar nicht gibt, uns in die Wiege gelegt hat.“
„Ja, aber wenn...“
„Nein, nichts wenn! Es gibt kein wenn! Es gibt nur ein Jetzt und ein Damals und das Damals ist vorbei. Du kannst es nicht ändern.“
„Und warum nicht?“ fragte ich.
„Naja... wie soll ich es ausdrücken? Finde mal ein Labor, dem gegenüber eine Modeboutique mehrere Jahrhunderte lang dieselbe Schaufensterpuppe hat.“
„Ach ja. Verdammt, du hast schon wieder recht.“
„Ich habe immer recht.“
„Ach was!“
„Nicht? Und wenn ich jetzt ein Gott wäre? Die haben wirklich immer recht.“
„Weil sich keiner traut, ihnen die Wahrheit zu sagen. Außerdem, wenn du ein Gott wärest, würdest du nicht an dich glauben, und wärest somit nicht existent. Schon mal daran gedacht?“
„Pausenlos.“ log er. In Wirklichkeit hatte er noch nie daran gedacht, aber das konnte ich damals natürlich nicht wissen.
„Das kannst du auch wirklich nicht wissen.“ sagte er.
„Jetzt hör doch mal auf damit! Ich mag das nicht.“
„Ist ja schon gut.“
„Außerdem würde es ein schlechtes Bild auf alles göttliche werfen, wenn einer von ihnen hier in der Kneipe sitzt und sich einen trinkt.“
„Tue ich ja gar nicht. Ich trinke mir eine ganze Menge mehr als einen.“
„Das macht die Sache nicht eben besser, oder?“
„Ja... eigentlich nicht. Was war denn nun mit der Frau?“
„Lenk nicht ab!“
„Würde ich nie wagen.“
„Dann ist ja gut. Ich habe mich nicht getraut, sie anzusprechen.“
„Und warum nicht?“
„Weil ich... was geht dich das eigentlich an?“
„Du hast mit der Frau angefangen.“
„Ja, aber du hast den Faden dankbar aufgenommen.“
„Ich muß mal pinkeln.“ Mit diesen Worten stand Knut auf und ging dorthin, wo man hingeht, wenn man mal pinkeln muß. Als er wiederkam, saß auf seinem Hocker ein anderer Mann, den er jedoch schleunigst wegscheuchte.
„Warum hast du ihm nicht gesagt, daß hier jemand sitzt?“
„Wer denn?“
„Ich zum Beispiel.“
„Du warst nicht da.“
„Ich war pinkeln. Außerdem, was heißt schon da? Ist da nicht überall?“
„Teilweise vielleicht schon, nicht aber absolut.“
„Absolut richtig.“
„Sagte ich doch.“ sagte ich dann.
„Vielleicht sollte ich in einen Säurebottich springen...“
„Du meinst, weil dein Leben keinen Sinn mehr hat?“
„Nein, weil ich gestern meinen Schlüssel in einem verloren habe.“
„Dann solltest du auf jeden Fall in den Bottich springen.“
„Genau. Und danach werde ich mich wieder von der Klippe stürzen.“
„Gut, mach das.“
„Und danach komme ich wieder und wir saufen weiter.“
„Genau so machen wir das.“
Er stand auf, sah sich etwas verwirrt in der Kneipe um, als wüßte er nicht richtig, wo er sich befand, fand dann seine Orientierung wieder und verlor dafür sein Gleichgewicht. Ich half ihm auf die Beine. Knut klopfte mir auf die Schulter und verließ die Kneipe. Ich sah ihm eine Weile staunend nach. Dann widmete ich mich wieder meinem Bier, aß mein Salatblatt und kroch langsam aus der Kneipe.
Wenn Sie mich jetzt fragen sollten, was aus Knut geworden war, kann ich Ihnen nur sagen, daß ich es einfach nicht weiß. Vielleicht war er ein Gott, vielleicht auch nur ein armer Irrer. Was weiß ich denn schon, ich bin doch bloß eine kleine Schildkröte, die davon träumt, in einer Kneipe zu sitzen...
[ 20.07.2002, 17:54: Beitrag editiert von: gnoebel ]