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Wie unromantisch
Wie unromantisch (überarbeitet)
Die Herzensgeschichte meines Lebens beginnt so unromantisch, wie nur möglich; mit einem Gespräch über Fussschweiss. Sie zu erzählen, fällt mir momentan noch etwas schwer, denn immer noch werde ich tagtäglich überwältigt, von all den Empfindungen die in mir toben.
Wenn ich manchmal in der Nacht erwache, die Augen aufschlage, seinen ruhigen, regelmässigen Atem höre, seine Silhouette im bläulichen Licht, dass sich in meinem Zimmer verbreitet hat, entdecke und mit meinem Blick abtaste, dann bin ich glücklich. Mein Gesicht wird von einem Lächeln eingenommen, das nicht mehr verschwinden will. Ich weiss, es könnte ein Blitz einschlagen und alles rund um uns anfangen zu brennen – mir würde nichts passieren, solange er da ist. Er gibt mir eine Wärme, von der ich nie geglaubt hätte, dass sie existiert. Wenn er mich in seinen Armen hält, spüre ich eine Geborgenheit und Sicherheit, von der ich nie geglaubt hätte, dass sie so intensiv sein kann. Wenn sich manchmal unsere Blicke finden und ich in seinen Augen versinken kann, breitet sich in mir ein Seelenfrieden aus, der nicht mit Worten beschrieben werden kann.
In dunklen Nächten, in denen ich alleine bin, setze ich mich auf meinen Balkon, lasse meinen Blick in die Ferne schweifen und lasse diese – meine – Geschichte in Bildern vor meinem geistigen Auge ablaufen. Ich erinnere mich an den entscheidenden Moment, an dem endlich mein Wunsch, mit ihm zusammen zu sein, wahr wurde. Als er mich zum ersten Mal küsste, ist all das vergangene, dass er und ich teilen, an mir vorbeigeflogen. Immer wieder schoben sich meine Gedanken in diesen Moment, auf den ich lange habe warten müssen.
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Seine Arme schliessen sich um meinen Körper. Noch nie hatten wir uns umarmt. Doch nach diesen intensiven Stunden in denen endlich Klartext zwischen uns gesprochen wurde, war eine Umarmung für mich doch nahe liegend. Doch was wird als nächstes passieren? Er löst sich von mir. Gespannt warte ich auf ein Zeichen von ihm. Nun nähert sich sein Kopf meinem. Endlich. Ich zittere. Doch er weicht ab und drückt mir drei Küsschen auf. Links, rechts, links. Ich glaube mein Herz entzweibrechen zu hören. Er macht einen kleinen Schritt zurück. Doch hält er mich immer noch fest. Ich suche seinen Blick. Die Turmuhr schlägt und reisst mich aus meinen Gedanken. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Und nochmals. Einmal. Zweimal. Dreimal. Drei Uhr morgens. In vier Stunden muss ich wieder pünktlich bei der Arbeit sein. Mir egal, denn jetzt entscheidet sich, ob ich über Monate hinweg umsonst auf ihn gewartet habe.
Der kalte Wind der meine Gestalt umfing hatte mich schnellen Schrittes die Bar betreten lassen. Die grösste Lärmquelle sass auf der rechten Seite der Bar in Gestalt meiner Freunde. Fast hüpfend bewegte ich mich auf sie zu. Doch da war er. Mein Herz begann wild zu klopfen. Wohl von meinem kurzen Spurt von vorhin, dachte ich.
Der einzige Stuhl, der noch frei war, stand gegenüber diesem Fremden, der mich mit einem kurzen Zwinkern bedachte, als ich seinen Blick suchte. Reto – Ste. Ste – Reto. Hochoffiziell waren wir nun vorgestellt. Sein warmer Händedruck, diese unendlich schöne Stimme, die mit Worten jonglierte, diese aussergewöhnlich attraktive Erscheinung und nicht zuletzt sein Humor, den er an den Tag legte, hatte mich umgehend gefesselt. Beschwingt liess ich mich auf dem freien Stuhl nieder. Er sah mich an und erzählte mir, dass er ein erhebliches Problem mit seinem Fussschweiss habe. Ungläubig lugte ich unter meiner Brille hervor. Wie kam er darauf, dass mich das interessieren würde? Aber schnell begriff ich, dass er mich nur hochnehmen will und nur meine Reaktion testet. Auch ich bin nicht auf den Mund gefallen. Grosse Klappe führen, kann ich auch. Also ging ich darauf ein und täuschte Mitleid vor. Mit dieser Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet. Jedenfalls brach er in Lachen aus, bis ihm die Tränen kamen. Fröhlich lachte ich mit. Das Eis war gebrochen. Den ganzen Abend hatte ich nur Augen für ihn. Er schien mir ein junger Mann, der wusste was er wollte, der Erfolg hatte, mit dem was er machte, und sich nichts auf seine Intelligenz, die durch seine wohlüberlegten Sprüche schimmerte, einbildete. Den musste ich unbedingt wieder sehen.
Das ist nun ein gutes halbes Jahr her. Und nun stehe ich da. Er hält mich fest, fixiert mich mit seinem Blick. Mir schiesst ein etwas abwegiger Gedanke durch den Kopf. „Wie in einer Hollywood-Schnulze.“ Da! Sein Blick streift kurz meinen Mund, nur um gleich darauf wieder in meine Augen zu blicken. „Tatsächlich wie in einer Hollywood-Schnulze“. Ich rühre mich nicht. Seine Hände, die auf meiner Hüfte ruhen, zittern. Fast unmerklich. Vielleicht bilde ich mir dies nur ein. Wie schon so vieles. Immer noch sind unsere Blicke ineinander versunken, umschlingen sich und stürzen in die Tiefe. Ich spüre, wie seine Hände langsam versuchen, mich zu ihm zu ziehen. Sein Kopf kommt langsam näher. Endlich.
Immer hatte ich nach ihm gefragt, immer war ich nervös, wenn ich wusste, dass er kommt. Aber nie trafen wir uns zufällig. Nie trafen wir uns alleine. Bis zu jenem Tag, an dem er plötzlich seine Maske ablegte und anfing zu erzählen. Wie jeden Donnerstag sassen wir als Gruppe in unserer Stammbar, rissen Witze und tranken Bier. Er und ich sassen nebeneinander und wurden kurzzeitig von den Anderen nicht beachtet. Er erzählte mir die Geschichte eines Teenagers, der von seinem Vater geschlagen wurde, und ihn trotzdem verehrte. Der Vater war ein Musiker, wie auch der Sohn einer werden wollte. Er sprach von einem Jungen, der unter der Scheidung seiner Eltern litt und kategorisch den neuen Freund seiner Mutter ablehnte. Ein Junge - mittlerweile zu einem Mann geworden - der nicht mehr an Liebe glaubt. Der tagein-tagaus mit sich kämpfen muss, aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Der regelmässig im Winter in seinen Sorgen versinkt und erst im Frühling – wie nach einem Winterschlaf – wieder unter die Leute geht. Der täglich am Abend nach Hause kommt, diese aufgesetzte Clown-Maske in die Ecke schmeisst und sie verwünscht. Trotzdem zieht er sie am nächsten Morgen wieder an und geht auf die Strasse, um die Leute zum Lachen zu bringen.
Jedes Wort, das seine Lippen verliess, gab mir einen kleinen Stich ins Herz. Und auch er schien zu merken, dass er mir gerade etwas erzählte, dass eigentlich für immer in seinem Schatzkistchen hätte verborgen bleiben sollen; seine tiefsten Sorgen und Ängste. Er unterbrach sich abrupt und fing an zu witzeln. Wie immer. Ich nahm seine Hand und bedeutete ihm, mit mir zu kommen. Wir entfernten uns von den Anderen und nahmen in einer dunklen Ecke Platz. Tatsächlich konnte er nach einigen Anlaufschwierigkeiten wieder fortfahren. Von da an spürten wir selber unsere Verbundenheit. Er erzählte mir von seiner Freundin, die er liebte, aber selber nicht wusste warum. Und, dass er sie zugleich hasste. Aber Grund gab es keinen. Dass er nicht mit ihr könne, aber ohne sie auch nicht. Dass er glaube, nie wieder etwas für jemanden empfinden zu können. Dass er zuviel mit Gefühlen von anderen gespielt hätte – fremdgegangen sei, mit jemandem etwas angefangen habe um dann sofort den Rückzug anzutreten, oder einfach ihr Vertrauen missbraucht hätte. Ich hörte ihm nur zu. Langsam nahm ich wieder seine Hand. Strich sanft mit meinen Fingern über seinen Handrücken und sah ihm tief in die Augen. Ich sah seine Angst. Angst vor Zurückweisung. Ich lächelte scheu und nickte leicht, um ihm zu zeigen, dass es nichts Falsches war, mir seine Geschichte zu erzählen. Ich stand auf und zog auch ihn auf die Füsse. Dann legte ich meine beiden Hände auf seine Schultern, drückte sie kurz und sagte, dass ich ihn verstehe. Vielleicht zu gut, denn es stimmt mit meiner Geschichte in gewissem Sinne überein. Geschlagen wurde ich zwar nicht. Aber Liebe habe ich nie erfahren dürfen. Deshalb verleugnete ich mir selbst gegenüber auch die Gefühle die ich für Reto hatte. Liebe existierte nicht. Für mich nicht. Und so wie es schien, auch für ihn nicht.
Von da an wurden unsere Treffen plötzlich häufiger. Wir telefonierten, schrieben SMS oder verabredeten uns alleine. Dies war die schönste Zeit in meinem bisherigen Leben. Und auch die schmerzhafteste. Er wollte seine Freundin nicht verlassen, denn er liebte sie ja. Ihn und sie auseinander zu bringen, war das Letzte, das ich tun wollte. Ich wollte kein Trostpflaster sein. Aber ich wusste, dass sich mein Warten irgendwann lohnen würde. Ich hoffte es zumindest. Wir verbrachten fast jede freie Minute zusammen, kannten die Geschichte des Anderen und verstanden uns mittlerweile fast blind. Aber langsam wandelte sich die Freude zu Schmerz. Ich war zu einer seiner vertrauten Menschen geworden. Wenn er mit mir zusammen war, konnte er auch tagsüber seine Maske ablegen und seine Sorgen mit jemandem teilen. Seine Geschichten waren geprägt von Bitterkeit, zerbrochenen Liebschaften, gebrochenen Herzen und zerrütteten Freundschaften. Er wollte nicht mehr an die Liebe glauben. So begann der Schmerz in meinem Herzen an, zu wachsen und überwog nach einiger Zeit. Die Freude, die ich anfänglich über die neu gewonnene Freundschaft empfand, war fast gänzlich verschwunden und ich überlegte mir, wie ich den Kontakt mit ihm abbrechen konnte. Ich begann mich etwas von ihm zu distanzieren. Aber er wehrte sich mit aller Kraft dagegen. Dies fügte meinem Herz noch mehr Schmerz zu. Ich redete mir ein, dass dies nichts zu bedeuten hatte, was meine Gefühle für ihn betraf. Ich war eine enge Freundin von ihm geworden, mehr nicht.
Völlig unerwartet hatte er mir gebeichtet, dass er gerne mit mir zusammen sein würde. Aber er hätte viele Ängste, die ihn bis jetzt daran gehindert hätten. Geduldig hörte ich ihm zu. Aber innerlich tobte ein Sturm. Er will mich. Endlich. Aber er sprach immer von „wäre“, „wenn“ und „vielleicht“. Er wolle mit mir zusammensein. Aber noch nicht jetzt. Obwohl ich es nicht verstand, traf ich die Entscheidung, dass ich auf ihn warten würde, bis er soweit ist.
Unsere Lippen berühren sich sanft. Seine Hände drücken mich an sich. Sachte, aber bestimmt. Langsam beginnen wir uns zu küssen. Ich halte mich an ihm fest, während eine Welle von Empfindungen über mich hereinbricht. Endlich wandeln sich meine Träume in Wirklichkeit. Die Zeit bleibt stehen. Mein Herz pocht wie wild, in meinem Bauch flattern tausend Vogelwesen, mein Körper fängt unter der Wucht die diese Welle mit sich bringt, von neuem zu zittern an. Die Sekunden vergehen, mit ihnen die Minuten und wie es scheint auch die Stunden; so empfinde ich es zumindest. Wieder schlägt die Turmuhr. Einmal. Viertel nach Drei. Ich registriere, dass es plötzlich hell wird. Wir stehen umschlungen mitten auf der Strasse und ein Taxi blendet uns mit seinen Scheinwerfern. Wie aneinander geklebt machen wir ein paar Schritte rückwärts um das Taxi passieren zu lassen, sehen einander an und beginnen zu lachen. Wie schon so oft. Wie auf Kommando verstummen wir gleichzeitig. Seine Hände; diese wunderschönen, sensiblen aber dennoch maskulinen Hände, drücken mich von neuem an sich. Ich spüre sein Herz klopfen. Spüre seinen warmen Atem auf meiner Hand. Und fühlte mich so geborgen wie ich es mir nie erträumt hätte. Wieder suchen seine Lippen meine.
Ich löse mich von ihm. Lächle ihn an, mit einem Lächeln, das aus tiefstem Herzen entspringt, schliesse kurz die Augen um diese Sekunden in meine Erinnerungen finden zu lassen und fange an, zu gehen. Auch er geht ein paar Schritte in die entgegengesetzte Richtung – sein Nachhauseweg. Immer wieder bleibt er stehen, um mir nachzusehen. Auch ich werfe immer wieder einen Blick über meine Schulter, bis seine Silhouette vollends von der Dunkelheit verschluckt worden wird.
Ich gehe in Gedanken versunken die schwach beleuchtete Hauptstrasse entlang. Was an diesem Abend passiert ist, will und kann ich noch nicht recht verstehen und glauben sowieso nicht. Zu lange waren es Träume gewesen, als dass ich ihnen nun so unverzüglich Glauben schenken kann. Immer noch pocht mein Herz wie wild, meine Jacke hat den Duft seines Parfums etwas aufgesogen. Es schlängelt sich meinen Hals hoch und schleicht sanft durch meine Nase. Das Geräusch eiliger Schritte auf Beton lässt meine Sinne wieder aufhorchen. Ich bin ein junges Mädchen, um halb vier Uhr morgens alleine auf dem Weg nach Hause. Auf beiden Seiten ragen wie Berge die Häuser der Stadt über mir. Ausser dem regelmässigen Geräusch der Schuhe, das immer näher kommt, ist kein Ton zu hören. Meine Nackenhaare sträuben sich. Ich habe Angst Da höre ich hinter eine vertraute Stimme. „Warte!“. Ich drehe mich um. Er ist mir nachgelaufen. Er hat seinen Spurt abgebremst und kommt langsam auf mich zu. Völlig ausser Puste nimmt er meine Hand und stösst hervor, dass er ein Vollidiot sei. Er denke pausenlos an mich und wolle mit mir zusammensein. Nicht später. Jetzt. Ich muss lächeln. Klar ist er ein Vollidiot. Aber ein liebenswerter. Ich nehme seine beiden Hände in meine und ziehe in zu mir. Dies soll nicht der letzte Kuss bleiben, denke ich, als ich seine Lippen auf meinen spüre.