Wie wäre es frei zu sein?
Die grüne Wanduhr, die gleich neben dem Bild einer wunderhübschen jungen Frau hing, zeigte halb elf. Das einzige Licht, das seine braunen gutmütigen Augen sahen, war das der Straßenlaternen, die nur einen winzigen Teil des riesigen Balkons erhellten. Er schenkte sich ein Glas seines besten Weines ein, trank einen Schluck und stellte es auf den Glastisch neben sich. Als er auf den Balkon hinausgehen wollte, läutete sein Mobiltelefon. Durch die eingestellte Vibration drehte es sich ein, zwei Mal im Kreis, bis er es schließlich in die Hand nahm und einen Blick darauf warf. Wieder einmal sein Vorgesetzter, der ihn hätte bitten wollen am nächsten Morgen früher in das Büro zu kommen. „Diesmal nicht.“, dachte er, ging zur Balkontür, öffnete sie und warf das Telefon ohne viel Emotionen die vielen Stockwerke hinab, bis er ein leises Geräusch hörte, das Aufschlagen des vibrierenden Teiles.
Er ging zurück in sein Wohnzimmer, und nahm einen kleinen Zettel aus der mittleren Schublade einer seiner vielen Kästen. Es war der Abschied seiner Frau, die es satt gehabt hatte, dass ihm seine Freiheit wichtiger war als ihre Ehe. Tränen füllten nun seine Augen und er begann am ganzen Körper zu zittern. Tränen rannen sein Gesicht entlang und sammelten sich am Kragen seines blauen Hemdes. Es war das Hemd, das ihm seine Mutter zu seinem 25. Geburtstag geschenkt hatte. Die Frau, die immer sein komplettes Leben kontrollieren wollte. Die Frau, die nächtelang auf ihn gewartet hatte bis er nach Hause gekommen war.
Emotionen ließen ihn mit der Faust, die ihm in der Schulzeit geholfen hatte seine Ehre zu verteidigen und seine Freiheit vor den Schlägern in seiner Klasse zu sichern, gegen die Wand schlagen. Er spürte kaum einen Schmerz, obwohl mindestens ein zwei Knochen seiner Hand gebrochen sein mussten. Schmerz bedeutete für ihn viel mehr, nicht zu wissen, welche Entscheidung er nun treffen sollte. Diese Gedanken, die richtige Entscheidung finden zu müssen, beherrschten ihn bereits komplett. Er griff zum Weinglas, leerte es auf einen Zug, nahm den Brief, steckte ihn in seine Hosentasche und suchte die Zigarre, die er genau für diesen Moment gekauft hatte. Mit allem bewaffnet ging er erneut auf den Balkon, zündete die Zigarre an und rauchte sie mit so viel Genuss. Er nannte sie seine Freiheitszigarre. Er wollte sie mitnehmen, mitnehmen in die Freiheit, in die ewige Freiheit. Er nahm den hand geschnitzten Holzsessel, der in der Ecke stand und stellte sich darauf. Er hatte nun einen wunderschönen Ausblick, nahm einen Zug von seiner Zigarre und fühlte sich so frei wie nie zuvor. Er breitete seine Arme aus, lehnte sich über die Brüstung und fiel frei wie ein Vogel. Zuletzt konnte man nur ein leises Geräusch hören, das Geräusch der endgültigen Freiheit.