Wiege in der Tiefe
Geboren wurde Zern in den Gedärmen der Stadt, tief im dunklen schweren Dunst, den sie ununterbrochen ausschwitzt. Seine Wiege war ein Nest aus Zeitungen, zusammengeklebt vom Speichel seiner Mutter, hier begann er schreiend sein Leben, bevor sie ihn erschöpft mit Lumpen bedeckte, die sie in den Kanälen gesammelt hatte.
»Er ist zu schwach«, sagte der Oheim und strich über das Fell seines Kopfes, kämmte den Grind um die Ohren heraus. Es war wichtig, hier unten stets freie Ohren zu bewahren, denn es krochen Dinge durch das Dunkel, schuppige Panzer, die nass aus den Kloaken tauchten, glimmender Schleim, in dessen Inneren die Skelette von Ratten zerfielen.
Das stetige Rauschen spülte ihnen den Auswurf herab, wertvolle, gefährliche, giftige, köstliche Abfälle.
Zerns Mutter legte sich neben den schnell atmenden Säugling, um ihn warm zu halten. »Er wird stärker. Die Stadt ist eine gute Lehrerin.«
Er sah nie Tageslicht, bis er mit vierundzwanzig Zyklen mündig wurde. Der Oheim war schon alt, daher nahm er Zern mit an die Oberfläche.
Sie folgten einem rutschigen Kanal, der sie in einem Hof ausspie. Es war mitten im Zyklus, hell, doch kein Sonnenstrahl drang auf das Pflaster.
»Wer lebt hier?«, fragte Zern.
»Menschen.«
»Wie wir?«
»Größer, kein Fell.«
Sie stiegen höher, erkletterten ein bleiernes Fallrohr. Grellrote Soki-Echsen flohen vor ihnen in Mauernischen. Irgendwo gurrten Tauben.
Zern hatte sich nie träumen lassen, dass die Welt so hoch war. Tief, ja, es ging immer noch weiter hinab, aber dass es hier oben einen so großen Hohlraum gab ...
Schwindel befiel ihn, als die rissigen Mauern zurückwichen, immer mehr Licht, Luft um sie war.
Und dann erreichten sie den Dachfirst.
Violetter Dampf lag an dem Tag wie eine Lumpendecke auf der Stadt, erstickte jedes Gehen zu einem Trotten, jedes Lachen zu einem Husten. Doch Zern hatte noch nie so viel Raum gesehen.
Er blickte sich um. »Was ist das alles?«
»Das«, sagte der Oheim, »ist die Hölle.«
Dann atmete er zum letzten mal aus.