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Willkommen im Paradies!
Angewidert schaut Inés sich um. Die zuckenden Leiber, die zu den Elektro-Beats des DJs ihren Rhythmus finden. Die Mädchen in ihren Minikleidchen, Hot-Pants und Negligés, die ihre Hintern an den Schößen der Gäste reiben. Kaum eine von ihnen ist volljährig. Gierige Finger, begehrliche Blicke, schmutzige Berührungen, Worte voller Vulgarität. Ein bulliger Kerl mit Goldzähnen und kahlrasiertem Schädel, der eine Rothaarige an sich presst, seine Hand schiebt sich langsam unter ihren Rock. Ein anderer kann sich kaum auf dem Sessel halten, streicht sich die schmierigen Strähnen aus der Stirn, beugt den Kopf nach vorne Richtung Glastisch und zieht sich eine Line rein. Inés wendet sich ab, betrachtet die chromfarbene Bar, den Ventilator an der Decke, der die rauchgeschwängerte Luft durcheinanderwirbelt, die Gerüche nach Marihuana, Alkohol und Schweiß verteilt. Sie schüttelt sich, reibt sich über die Arme. Wie sehr sie dieser Ort anwidert: El Paraíso. Was für ein Name für ein Bordell. Seit fast zwei Jahren ist sie eine Gefangene im Paradies.
Sie nimmt sich ein Glas Champagner, geht nach draußen auf die Terrasse. Ihr Blick verliert sich in der Weite des Grundstücks. Gepflegte Rasenfläche, gestutzte Rosenbüsche, am Ende des Geländes ein vier Meter hoher Stacheldrahtzaun und über ihr der Himmel. Mit hängenden Schultern lauscht sie dem Zirpen der Zikaden, betrachtet den Mond, der hin- und wieder durch die Wolkendecke blitzt, mit seinem silbrigen Schein alles in ein sanftes Licht taucht. Hoch über den Pinien kreist ein Bussard. Sie bewundert die ausgebreiteten Schwingen, die Eleganz des Flugs, die klaren Konturen, die sich im Mondlicht abzeichnen. Der Vogel stößt einen langgezogenen Laut aus, als würde er sie rufen. Wie gerne würde sie fliegen können. Wie gerne wäre sie frei.
Die Terrassentür wird geöffnet, die Beats des DJs dringen hinaus in die Stille, mit der Ruhe ist es vorbei. Inés schließt die Augen, schwingt ihre Hüften, einfach nur für sich selbst. Ein kühler Luftzug streichelt ihre Haut. In Gedanken spürt sie Césars grobe Finger auf ihren Brüsten, bevor er sie an sich reißt, seine Zunge in ihre Ohrmuschel schiebt, sie auffordert, sich hinzulegen, die Beine zu spreizen, und mitzumachen. „Zeig den Männern, wie sehr du sie begehrst, dass sie dich anturnen“, raunt er.
Hastig blinzelt sie, dreht sich im Zeitlupentempo um, hebt die Lider, starrt den Mann an. Es ist nicht César, ihr Boss, sondern ein sommersprossiger Typ Anfang sechzig, der sie angrinst. Nussbraune Augen, Grübchen am Kinn, billiger grauer Anzug, ausgelatschte Schuhe. Er kommt ihr bekannt vor. In dem Moment, als er die Ärmel hochkrempelt und sie das Tattoo auf seinem rechten Handgelenk sieht, wird es ihr klar. Es ist Paolo, ein Freund ihres Vaters.
Bedächtig kommt er näher. Ihre Nackenhärchen richten sich auf, ihr Herz hämmert in der Brust, als er vor ihr verharrt. Sie schluckt, kriegt den Kloß im Hals nicht runter, weicht einen Schritt zurück, schämt sich in Grund in Boden. Unter keinen Umständen kann sie Vaters Kumpel bedienen. Schon meldet sich Césars Stimme in ihrem Ohr: „Komm! Mach ihn heiß! Streng dich an!“ Sie beißt sich auf die Unterlippe, bringt die Stimme zum Schweigen.
„Inés! Ich fasse es nicht. Was zum Teufel machst du hier?“ Sein Blick gleitet über ihren Körper, verweilt auf ihrem Gesicht. Er tritt von einem Fuß auf den anderen, wischt sich die Hände immer wieder an seiner Hose ab. Schweißtropfen glitzern auf seiner Stirn.
Ihre Augen weit aufgerissen, die Scham, das Bewusstsein, dass nur ein Hauch Stoff ihre Kurven verhüllt. Plötzlich sind da die Erinnerungen an früher: Paolo, wie er die Schaukel im Garten für sie höher schwingen lässt, wie sie vor Freude juchzt. Paolo am Herd neben Vater, wie er die Pizza aus dem Ofen zieht, der Duft von Oregano, Basilikum und Käse. Wie sie gemeinsam am Küchentisch sitzen, die Männer derbe Witze reißen, mit Bierflaschen anstoßen.
Und jetzt sein Gesichtsausdruck. Ist es Erstaunen? Abscheu? Begierde? Sie fixiert ihn, trinkt einen Schluck Champagner, um die Trockenheit in ihrer Kehle zu beseitigen.
„Hat es dir die Sprache verschlagen?“, fragt er kaum hörbar.
„Ehrlich gesagt ja. Hab nicht damit gerechnet, dich im Paradies zu treffen. Willst wohl ein wenig
Spaß?“
Er schüttelt den Kopf, setzt zu einer Erklärung an, während er ein Taschentuch aus der Hosentasche zieht und sich die Stirn abwischt.
„Was denn sonst?“, flüstert sie. „Das wollt ihr doch alle. Die Sau rauslassen. Den Alltag für ein paar Stunden vergessen. Darum kommt ihr her.“
Paolo ringt die Hände, schiebt die Hände in die Hosentasche, stammelt irgendetwas Unverständliches.
In dem Moment tritt César nach draußen, gesellt sich zu ihnen, legt Inés den Arm um die Schultern. Schlagartig befindet sich ihr Körper in Alarmbereitschaft.
„Wie ich sehe, habt ihr euch bekannt gemacht. Paolo ist ein alter Freund von mir. Na, Kumpel. Zufrieden mit dem Angebot?“
Inés versteift sich. Soll sie ihrem Chef sagen, dass sie Paolo kennt? Als ob ihn das interessieren würde. Nur Geld zählt, der Rubel muss rollen.
„Boss, kommst du bitte rein? Wir brauchen dich!“, ruft César’s Assistent von drinnen.
César lächelt, hebt die Hände. „Ich bitte um Entschuldigung. Der Hausherr muss sich um die Gäste kümmern.“
Paolo nickt ihm zu.
César presst seine Lippen auf Inés‘ Mund, ein Klaps auf den Hintern, sie zuckt zusammen. Die Striemen brennen immer noch wie Feuer. Für eine Sekunde ist sie wieder im Folterkeller, über den Strafbock gebeugt, die Handgelenke fixiert, César hinter ihr. Die Peitsche zischt durch die Luft. Sie reißt sich aus der Erstarrung.
„Kümmere dich gut um Paolo. Er hat ein wenig Spaß verdient.“ Césars Stimme duldet keine Widerrede.
Inés wartet, bis César im Haus verschwunden ist, wendet sich Paolo zu, während sie die Nägel in ihre Unterarme gräbt. Ein Gefühl tiefer Ermattung überfällt sie, Schwäche, ihre Knie werden weich. Sie weiß nicht, was sie sagen soll, wie sie ihm erklären soll, dass sie nicht freiwillig hier ist, dass es nicht geht. Er und sie. Ein Ding der Unmöglichkeit.
„Seit wann arbeitest du als Hostess?“ Er schaut sie an, tastet nach ihrer Hand. Eine kurze Berührung. Sie verharrt, kann sich nicht bewegen, weiß nicht, wie sie diesen Mann küssen soll, befriedigen soll. Ihm kann sie nicht vormachen, dass er sie auf Touren bringt. Er ist ein Freund ihres Vaters, gehört praktisch zur Familie. Wie soll sie ihm etwas vorspielen, für ihn stöhnen, ihn anfeuern. Das geht einfach nicht. Sie entzieht sich seinem Griff, steht unschlüssig vor ihm, ihre Hände krampfen sich um das Glas. Ihr Gesicht sackt nach unten, sie starrt auf den Boden.
„Der Laden wirkt sehr gepflegt, alles vom Feinsten.“ Zur Bekräftigung nickt er. „Als César mir vor zwei Tagen die Modellkartei gezeigt hat, konnte ich es kaum fassen. Musste herkommen. Mich davon überzeugen. Inés Monteiro im Paradies.“ Ein dröhnendes Lachen, er reibt sich die Hände. „Also, wie bist du hier gelandet?“
„Wie naiv bist du, Paolo?“, zischt sie. „Ich hatte nie eine Chance. Zwei Typen haben mich in einen Lieferwagen gezerrt. Seitdem bin ich in dieser Hölle!“
Er schweigt, runzelt die Stirn. Sie driftet ab, hängt am Andreaskreuz wie ein Stück Fleisch, gefesselt, spürt die Klemmen in ihren Brustwarzen, den Rohrstock auf ihrer Haut. Die Hiebe, so hart, gnadenlos. Sie hört die Erniedrigungen: „Drecksstück! Miese Fotze! Schlampe!“ Das höhnische Lachen, wie sich ein Reißverschluss öffnet. „Mach dein Maul auf, ich stopfe es dir!“ Mit Gewalt unterbricht sie den Strom der Erinnerungen.
„Du willst mich verarschen. César hat mir versichert, dass alle Mädchen aus freien Stücken hier
arbeiten.“
„Vergiss es! Was soll er den Gästen erzählen? Das sind Lügen! Alles Lügen!“ Ihre Stimme klingt schrill, sie holt hastig Luft, sieht ihn an, fasst an seinen Arm. „Paolo, du könntest mir helfen. Sprich mit Papa. Er sucht bestimmt nach mir.“
Paolo schüttelt ihre Hand ab, als wäre sie ein lästiges Insekt. „Deine Eltern denken, dass du dich mit irgendeinem Typen vom Acker gemacht hast. Glaubst du ernsthaft, ich erzähl Ernesto, dass ich ins Bordell gehe?“ Er spuckt auf den Boden.
Sie schluckt, kämpft gegen die Tränen am, kann sie nicht zurückhalten, schluchzt, heißer, konzentriert sich auf ihre Atmung. Da ist der Impuls ihn anzufauchen, in die widerliche Visage zu schlagen. Sie will nur noch weg. Kein Gespräch mit ihm. Diese Farce. Smalltalk. Sie weiß ganz genau, was er will und warum er da ist.
„César hat gesagt, dass die Mädchen jederzeit gehen können. Ich glaube ihm.“
Sie ringt nach Worten. „Hast du dich mal umgeschaut? Stacheldrahtzaun, scharfe Hunde, Wachen.“ Er lacht. „Du veräppelst mich. Gerade eben an der Bar hat mir eine Blondine berichtet, wie gut es ihr hier geht. Wie toll César sich um sie kümmert.“
„Gibst du mir dein Handy?“, fragt sie unvermittelt. Plötzlich hat sie das Gefühl, dass ihr die Zeit
davonläuft. Sie muss kämpfen, muss irgendetwas tun.
Paolos Lachen ist voller Hohn. „Vergiss es, Mädel! Ich leg mich nicht mit César an. Keine Lust auf Komplikationen. Lass uns über etwas Angenehmeres reden.“
„Über deine Frau?“ Inés erinnert sich an Paolos Frau, Barbara heißt sie. Eine Grundschullehrerin, die sich im Kirchenchor engagiert.
Er zuckt mit den Schultern, ein Lächeln umspielt seine Lippen. „Daheim ist sie, glotzt ihre Vorabendserien, macht Strickarbeiten. Wie jeden Tag.“
Sie lässt den Kopf sinken, reibt sich über die Knie. Es ist sinnlos. Fünfundneunzig Prozent der Freier sind verheiratet und geben es offen zu. Nicht einmal den Ehering nehmen sie ab, wenn sie im Paradies sind. Erst vor kurzem hat ein Gast ihr gestanden, dass er direkt aus dem Kreissaal kam, um die Geburt seiner Zwillinge zu feiern.
„Weißt du, Inés. Ich war noch nie in einem Etablissement wie diesem. Das schwör ich dir. Aber Barbara lässt mich seit Monaten nicht mehr ran. Ich sehne mich nach Zärtlichkeit, will gar nichts Hartes, einfach nur berührt werden.“
Sie hebt den Kopf, zieht den Rock ein wenig höher, sodass er den Barcode auf der Innenseite ihres
linken Oberschenkels sehen kann. „Wir sind alle gebrandmarkt.“ Ihr ist nicht klar, warum sie es ihm zeigt. Mitleid will sie nicht. Auf Hilfe wagt sie nicht zu hoffen, aber irgendwie will sie ihm klarmachen, dass er gehen soll. Gehen muss. Er und sie. Gänsehaut überzieht ihren Körper, wenn sie daran denkt. Er packt ihre Hand, hält sie fest umklammert. „Erzähl … Was erlebst du hier so? Muss doch aufregend sein. All die Erfahrungen. Du bist bestimmt eine Granate im Bett.“
In dem Moment wird ihr klar, dass er sie wirklich will. Zu lüstern ist sein Blick. Sie starrt ihn an, wie er sich mit der Zunge über die rissigen Lippen leckt. Ihr wird schwindlig. Sie will die Augen schließen, sich an einen anderen Ort beamen. Nur weg.
„Ich hab das noch nie gemacht, Inés. Aber mit dir. Mit dir könnte ich es mir vorstellen.“ Er schluckt, ein dümmliches Grinsen im Gesicht. „Nur eine Massage. Ganz sanft. Nichts, was du nicht auch willst. Ich zwinge keine Frau zu irgendetwas.“
Das sagen sie alle. Anfangs zieren sie sich, wenn sie zum ersten Mal ins Paradies kommen. Wenn sie keine Erfahrung haben, noch auf Gentleman machen. Die Hemmungen fallen schnell. Auch bei ihm wird es nicht anders sein. Das hat sie im Gefühl. Sie klammert sich an dem Champagnerglas fest. Ihr wird immer heißer, mit jeder Minute, die sie neben ihm verbringt, das Unvermeidliche hinauszögert. Seine Finger gleiten durch ihre schwarzen Locken. „Bist schon ein heißer Feger.“
Sie schweigt. Sehnt sich mit einer plötzlichen Heftigkeit nach einem anderen Leben, einem anderen Ort, einem Ausweg. Die Wirkung des Alkohols breitet sich immer weiter in ihr aus, ist längst nicht genug. „Meinst du das ernst?“, flüstert sie.
„Hast du bei jedem einen Orgasmus?“
Sie lacht auf, kann es nicht fassen! Ist er wirklich so naiv? Obwohl – eigentlich überrascht sie auch das nicht.
Er ringt die Hände, seine Wangen glühen, ein Schweißtropfen fällt zu Boden. „Machst du es auch mit
deinen Kolleginnen? Wollte schon immer mal zuschauen. Muss echt geil sein. Mmh! Du Luder!“
Er beugt seinen Kopf ein wenig näher zu ihr. Spannung liegt in der Luft, sie kämpft mit sich, will ihn anschreien, ihn wegjagen. Und weiß doch, dass sie nicht darf. Denkt an die Konsequenzen, wenn César davon erfährt: das Loch, die Isolation, die Schläge. Mit zitternden Fingern zieht sie einen Fächer aus ihrer Clutch, fächert sie Luft zu, steht auf.
Er erhebt sich abrupt, torkelt ein wenig, seine Nägel fahren über ihren Rücken, sie spürt seine Erektion, rückt von ihm ab, ist kurz davor, zu kollabieren. Schwer atmend trinkt sie den Rest
Champagner in einem Zug. Sie braucht dringend etwas Stärkeres. Ein und ausatmen, die Zigarette aus der Tasche ziehen, anzünden. Der Rauch kräuselt sich träge.
„Du machst mich ganz kirre, Süße“, raunt er. Seine Lippen nähern sich ihrem Mund, sie fühlt die raue Haut seiner Wange an ihrem Gesicht. Sie will nicht, sie kann nicht! Ein Schritt zurück. Das Glas fällt ihr aus der Hand, zersplittert. Sie starrt ins Leere, unfähig, etwas zu sagen. Er würde es nicht verstehen. Sie ist nur ein Rädchen im Getriebe. Eine Puppe, die zu funktionieren hat.
„Noch ist nichts passiert. Das ist kein Ort für dich. Geh nach Hause zu deiner Frau. Barbara hat das nicht verdient.“
Seine Schultern sacken nach unten, da ist Finsternis in seinem Blick. Von einer Sekunde zur anderen ist er kein eitler Pfau mehr, der seine Brust voller Stolz reckt, sich vorkommt wie ein junger, potenter Twen. Er ist ein alter Mann, gezeichnet vom Leben.
„Die Mädchen sind alle unter achtzehn. Hast du das wirklich nötig? Brauchst du das? Wofür? Für dein Ego?“ Ihre Stimme wird immer lauter.
Sie sieht ihn an, schaut durch ihn hindurch. So viele Männer hat sie kennengelernt, keiner von ihnen hat etwas Positives in ihr hervorgerufen. Da ist nichts als Verachtung und Ekel und Hass. „Schau dich um. Es gibt so viel Auswahl. Du brauchst nur zuzugreifen“, sagt sie, bevor sie ihm den Rücken zukehrt und an die Mauer der Terrasse tritt. Sie hofft darauf, seine Schritte zu hören, wie sie nach drinnen hasten, an der Bar verweilen, wie er irgendein Mädchen schnappt, zu der er keine Verbindung hat.
Dass er sich ein für alle Mal entfernt, aus ihrem Leben verschwindet, damit sie diese Begegnung vergessen kann. Er war nie hier. Paolo, der Freund ihres Vaters.
„César hat gesagt, du sollst dich um mich kümmern. Also mach schon!“
Sie würgt die Tränen runter und das bisschen Stolz, dass sie noch in sich trägt, dreht den Kopf, mustert ihn prüfend. Sein Gesicht eine Fratze, die Ader auf der Stirn tritt hervor, die Augen glasig. Er kommt näher, grapscht nach ihr.
Sie verlässt ihren Körper. Sieht zu, wie er sie zu Boden stößt, ihr Hinterkopf auf die Fliesen knallt. Er hebt sie hoch, trägt sie ins Haus, die Treppe nach oben, ins Schlafzimmer, wirft sie auf Bett, zerrt sich den Gürtel aus der Hose, fesselt sie. Ihre Wangen nass von Tränen, sein Keuchen an ihrem Ohr, seine Zähne in ihrem Fleisch. Wie er auf ihr liegt, in ihr ist. Überall. Sein stinkender Atem. Knoblauch und Wodka und Zigarrenrauch. Sie würgt, er schlägt zu. „Halt still, Fotze!“ Er reißt den Gürtel von ihren Handgelenken, dreht sie auf den Bauch. Sie schreit, doch es ist nichts zu hören. Sie zittert,
unkontrolliert, sie wimmert. Endlich lässt er von ihr ab. „Papas Liebling ist keine Granate. Dreck bist
du. Abschaum!“ Sein Speichel auf ihrem Rücken, ein verächtliches Grinsen, dann ist er weg.
Vor der Tür hört sie Stimmen. César fragt, ob er zufrieden war. „War in Ordnung. Ne billige Schlampe halt, was will man da erwarten?“
Die Tür öffnet sich mit einem Quietschen. „Los! Mach dich zurecht. Die Gäste warten.“
Inés rappelt sich hoch, kriecht auf allen Vieren ins Bad, klammert sich an die Kloschlüssel. Irgendwann steht sie vor dem Spiegel, wischt die Wimperntusche weg, legt Puder auf, zieht sich die Lippen nach. Es tut so weh!
Sie huscht in ihr Zimmer, zieht die Nachttischschublade auf, nimmt den kleinen Plastikbeutel, verstreut das weiße Pulver auf einem Silbertablett. Mechanisch rollt sie einen Geldschein, zieht sich den Stoff in die Nase, zerrt eine Corsage aus dem Schrank, schnürt sie so eng, dass sie kaum atmen kann. Dann steigt sie in die Hot-Pants aus Leder, schlüpft in die High-Heels und geht nach unten an die Bar. Sie konzentriert sich auf die Elektro-Beats, schlingt die Arme um den Oberkörper, schließt die Augen. Tränen quellen unter den Lidern hervor. Sie kann nicht mehr. Es ist ihr egal, wer es sieht. Sie hat es satt, sich zusammenzureißen. Ein Moment der Schwäche, das muss drin sein. Einatmen, ausatmen, ein Taschentuch aus der Clutch ziehen, die Tränen trocknen, einmal schnäuzen, nach der Zigarette greifen, ein Lächeln aufsetzen, mit den Wimpern klimpern. Sich zu César umdrehen, der die Eingangstür öffnet, einen weiteren Gast hereinlässt. Ein Hüne mit Bierbauch, ungepflegtem Bart und Lederjacke.
Césars weit aufgerissener Mund, die Männer, der Handschlag und Césars Stimme, die sie so sehr verabscheut. Sie hört die Worte, bevor er sie sagt: Herzlich willkommen im Paradies!