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Wir waren Helden, und Helden rauchten

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24.01.2009
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Wir waren Helden, und Helden rauchten

Mein kleiner Bruder ist tot. Aus dem Familienalbum wähle ich die schönsten Fotos aus. Das, wo Anton stolz seine erste Zahnlücke zeigt, und das, wo er unter dem Rasensprenger herumspringt, das, wo er seinen ersten Schneemann baut, und das Foto, wo Papa mit ihm die Kaninchen füttert. Ich schneide Antons Kopf heraus und klebe ihn auf die gebastelten Einladungskarten. Ich will seinen Tod mit meinen Freunden feiern. Nie wieder wird er mich verpetzen! Nie wieder muss ich auf ihn aufpassen! Und wenn Mama Kuchen bäckt, darf ich ganz allein die Schüssel auslecken.

Ich fahre hoch. Mein Herz will explodieren, Schweiß läuft mir übers Gesicht. Ich taste nach der Lampe neben dem Bett und schalte sie an. Ich zwinge mich, auf meine Atmung zu achten, die Kontrolle zurückzugewinnen. Anna, meine Frau, wird vom Licht geweckt. Ich muss ihr nichts erklären. Sie kennt meinen Albtraum, der mich seit über vierzig Jahren quält. Sie weiß, sie darf mich jetzt nicht berühren, nichts sagen, sie kann für mich gerade nichts tun. Ich muss einatmen, ausatmen, wieder ein und aus, langsam, ich darf davon nicht abgelenkt werden. Anna wartet auf ein Zeichen, dass es mir wieder besser geht. Dann wird sie aufstehen und in der Küche Tee für uns kochen. Es ist 2:30 Uhr.

***​

Die meisten Kinder aus dem Ort waren in den Sommerferien verreist. Nur ich nicht und Jukka. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Jukka je in seinem Leben einen Koffer gepackt hatte. Er war immer da.
Wir saßen gemeinsam im Baumhaus. Ständig musste ich auf sein Kinn schauen, auf die Narbe, die noch frisch war, sie lachte und leuchtete wie sein Brombeermund.
„Sie werden uns heute überfallen. Die wissen, wir sind nur zu zweit“, sagte er.
In der letzten Schulwoche hatten wir die Schlacht gegen die Jungs aus dem Nachbarort gewonnen, dabei war Jukka gestolpert und hatte sich das Kinn aufgeschlagen. Wir eroberten eine Fußballpflaume, drei Schokoriegel und zwei Hustenbonbons. Jetzt wollten sie Rache.
„Sie werden alles kaputt machen“, sagte ich, und ließ meinen Blick über den Platz wandern. „Unser Baumhaus, unsere Schatzkiste, unsere Angeln, einfach alles.“
„Blödsinn!“
„Aber wir sind doch nur zu zweit!“
„Haste Schiss, oder was?“, fragte er und grinste.
Klar hatte ich Schiss. Ich musste nur auf Jukkas zweiten Mund gucken, und mir wurde ganz flau im Magen. Sein blaues Auge machte die Sache nur schlimmer, obwohl er das seinem Vater verdankte. Jukka selbst sprach nie darüber, aber alle im Dorf wussten Bescheid. Und er weinte nie. Nicht eine Träne vergoss er, als er stürzte, keine, als all das Blut aus ihm herausfloss, und auch später bei Doktor Alesund nicht, der ihm mit Nadel und Faden ins Gesicht pikste.
„Wir brauchen nur eine gute Taktik“, sagte Jukka.
Ich nickte, obwohl ich keine Ahnung hatte, was eine gute Taktik daran ändern sollte, dass wir nur zu zweit waren. Aber kneifen konnte ich nicht. Das wäre Verrat gewesen und ein Verräter war ich auf keinen Fall.

Nach dem Mittagessen bestand Mama darauf, dass ich Anton mitnahm. Unterwegs erzählte ich ihm von der Schlacht, die uns bevorstand. Ich malte sie in den düstersten Farben aus, erwähnte immer wieder Jukkas Narbe, schilderte Anton die wildesten Gefahren und hoffte, er würde umkehren. Aber mein kleiner Bruder sammelte Kastanien. Kastanien, die noch in ihrer Stachelschale steckten.
„Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte ich.
„Du hast gesagt, wir brauchen eine Taktik.“
„Ja, natürlich brauchen wir die. Die sind schließlich mehr als wir.“
„Jetzt haben wir Kastanien“, sagte er und hielt sie mir unter die Nase.
„Wir werden mit denen sicher keine Männchen basteln.“
„Hä?“ Anton blieb stehen und starrte mich an.
„Besser, du gehst jetzt zurück“, erklärte ich ihm.
„Aber das sind doch Kanonenkugeln!“
In diesem Moment wurde mir klar, dass mein kleiner Bruder keine Spur von Angst zeigte, all meine Worte in ihm nur das Gegenteil bewirkt hatten. Er hatte einen Plan.
Ich brachte Anton mit, und Jukka seinen Hund Carlo. Wir trugen einen ganzen Berg Kastanien zusammen und bewaffneten uns mit Stöcken. Wir waren bereit, und wir würden kämpfen wie Superhelden.
Sie kamen auf Rädern, vier Leute. Auch sie hatten Mannverluste durch die Ferien. Vier statt acht, mich beruhigte das komischerweise, auch wenn sie immer noch mehr waren, als wir.
Anton postierten wir im Baumhaus, Carlo hatten wir an die Treppe gebunden; niemand würde es wagen, an dem Hund vorbei zu meinem kleinen Bruder hinauf zu klettern. Jukka und ich versteckten uns im Gebüsch. Die vier ließen ihre Räder fallen und schauten sich um, sahen niemanden, außer Carlo, der kläffte und an seiner Leine zerrte. Anton eröffnete. Feuerte die ersten Kastanien wie Handgranaten auf sie ab. Die Überraschung saß. Dann stürmte Jukka einmal quer durch sie hindurch, was sie ablenkte, und mir die Gelegenheit gab, unbemerkt an ihre Räder zu gelangen. Ich zog eines an mich, wir hatten eine Geisel! Jukka sprang zu mir, umfasste die Kette, bereit sie mit einem Ruck abzureißen, meine Hand lag am Ventil des Hinterrades.
„Wenn ihr dem Rad auch nur eine Speiche krümmt, seid ihr tot!“
„Wenn ihr euch nicht sofort verpisst, ist hier mehr als nur eine Speiche futsch“, sagte Jukka. Er meinte, was er sagte, seine Stimme ließ daran keinen Zweifel.
Ihr Anführer trat von einem Bein auf das andere. Es war sein Rad. Sein nagelneues, kratzerfreies Rennrad. Schließlich spuckte er Jukka vor die Füße.
„Das wirst du büßen!“ Er gab seinen Männern das Zeichen zum Rückzug, griff nach dem Rad, aber Jukka und ich hielten es fest.
„Erst die anderen“, befahl Jukka, und spuckte ebenfalls vor dem Kerl aus. Die beiden guckten sich an, genau in die Augen, keiner zwinkerte, und ich hörte förmlich, wie ihre Blicke aufeinanderkrachten. Stahl auf Stahl.
Die drei anderen verzogen sich. Als sie sich weit genug entfernt hatten, ließ Jukka das Rad los, und schlenderte wie ein Sonntagsspazierer auf Carlo zu. Ich blieb wie angewurzelt stehen, bis der Typ mir einen Schubs gab, nach seinem Rad griff und abhaute.
„Ey! Mach das nicht noch mal“, rief ich ihm nach, als er schon kräftig in die Pedale trat.

Mit geschwellter Brust saßen wir unter unserem Baumhaus und teilten die Schokowaffeln, die Mama mir mitgegeben hatte. Anschließend holte Jukka eine Packung Zigaretten heraus. Es waren fünf Stück drin.
„Hab ich bei uns im Schuppen gefunden“, sagte er.
„Dein Vater wird dich dafür verprügeln“, sagte ich.
Jukka zuckte mit den Schultern. „Erst mal muss er sie überhaupt vermissen. Die lagen hinter der Werkbank, wer weiß, wie lange schon.“
Ich schluckte. Ich wusste, es schmeckte scheußlich, alle sagten das. Manch einem wurde sogar übel, so übel, dass er sich übergeben musste. Ich wollte nicht vor Anton kotzen, noch viel weniger vor Jukka. Aber ein Feigling wollte ich auch nicht sein. Nicht nach unserem Sieg. Wir waren Helden, und Helden rauchten. Also nahm ich eine, steckte sie mir in den Mund und ließ mir von Jukka Feuer geben. Ich wusste nur, dass man ziehen musste. Also zog ich, atmete den Rauch ein und bekam einen Hustenanfall. Jukka lachte sich halb schlapp. Anton sprang auf und klopfte mir auf den Rücken. Als sich der Husten gelegt hatte, zog ich vorsichtiger, stieß den Rauch sofort wieder aus, ich paffte. Davon musste ich nicht husten, auch nicht kotzen, ich fühlte mich unendlich erwachsen und mutig und cool, bis ich Jukkas fieses Grinsen bemerkte.
„Lasst uns die Nacht im Lager schlafen“, schlug er vor.
Es war nicht ungewöhnlich, dass wir Kinder in den Sommernächten dort übernachteten. Unsere Großväter hatten es getan, unsere Väter und wir eben auch. Wer Angst bekam, konnte jederzeit nach Hause gehen. Ich ging bestimmt zehn Mal, bevor ich meine erste komplette Nacht im Lager verbrachte. Feuer durften wir nicht machen, nicht ohne einen Erwachsenen. Wir hielten uns dran. Wenn gekokelt wird, ist das Baumhaus weg. Diese Regel war so alt wie die Hütte selbst.

Vater schob die Schubkarre mit Schlafsäcken, Kissen, Tee, belegten Broten, Taschenlampen und Antons Mister Bär. Gemeinsam richteten wir das Lager her, sammelten Holz, später kamen Jukkas Vater und meine Mama dazu. Wir grillten Würste, suchten Sternbilder und erfanden Geschichten dazu. Jukkas Mutter war die beste Geschichtenerfinderin, aber sie starb vor drei Jahren an Lungenentzündung. Seither erzählte Jukka ihre Geschichten.
Unsere Väter löschten das Feuer, und wir bezogen unser Nachtquartier. Es war Antons erste Nacht hier draußen. Ich wartete darauf, dass ihn die Angst überfiel und er nach Hause wollte. Auch Jukka wartete. Wir würden ihn bringen, das hatten wir vereinbart. Aber Anton lag mit Mister Bär in seinem Schlafsack, und schlief wie ein Stein.
„Der hat echt Mumm in den Knochen“, sagte Jukka. „Schon komisch, dass er dein Bruder ist und nicht meiner.“
Ich schluckte; sagte Jukka, dass ich jetzt schlafen werde, und presste meinen Kopf ins Kissen. Schlafen konnte ich aber nicht. Ich war eine Memme, und Jukka wusste es. Auf keinen Fall durfte ich losheulen. Irgendwann hörte ich auch Jukka gleichmäßig atmen, er hatte aufgehört, sich zu wälzen, lag still neben mir und schlief. Es knackte, und sofort schaltete ich die Taschenlampe an. Aber da war nichts. Der Lichtstrahl streifte Jukkas Zigarettenschachtel. Sie lag neben seiner Jacke. Ich griff danach, es waren noch immer drei Zigaretten drin. In Jukkas Hose fand ich das Feuerzeug. Ich nahm eine Zigarette heraus, steckte sie mir in den Mund und zündete sie an. Erst paffte ich wie am Nachmittag, doch dann zwang ich mich, den Rauch zu inhalieren, ihn in meinen Hals, meine Lungen zu lassen. Wenn mich der Hustenreiz quälte, hielt ich mir das Kissen vors Gesicht, den Geschmack redete ich mir schön. Ich rauchte. Ich rauchte richtig auf Lunge. In meinem Bauch grummelte es. Richtig heftig wurde das. Ich musste hier raus, schnell, bevor alles in die Hose ging. Hastig drückte ich die Zigarette aus, schlüpfte in meine Schuhe, kletterte die Leiter hinunter und rannte, so weit es eben noch ging, in den Wald. Schnell zog ich die Hose runter, hockte mich hin und fühlte, wie der Druck nachließ. Anschließend versuchte ich mich mit Blättern zu säubern, aber das machte alles nur schlimmer, also zog ich die Unterhose aus, und putze mich damit. Und dann sah ich den Feuerschein zwischen den Bäumen, den Qualm, der darüber aufstieg. Das Baumhaus, schoss es mir durch den Kopf. Anton! Jukka! Ich musste ihnen helfen, das Feuer löschen. Mit offener Hose lief ich Richtung See, schöpfte Wasser in meine hohlen Hände. Nur ein paar Schritte weiter war das Wasser durch meine Finger geronnen, also kehrte ich um, neues zu holen.

Doktor Alesund hörte mich ab, er sagte, ich hätte großes Glück gehabt, dass sie mich so schnell gefunden hatten, ich hätte sterben können. Ich selbst erinnerte mich nicht. Im See lag ich, lang ausgestreckt im flachen Wasser. Geschrien wie der Teufel hätte ich, als sie mich heraushoben, nach Hause trugen und in Decken wickelten.
„Hast du heute schon etwas gegessen?“, fragte der Doktor mich.
Ich schüttelte den Kopf. Er packte das Stethoskop zurück in seine Arzttasche, ging in die Küche und kam mit zwei Käsebroten und einem Glas Apfelsaft zurück. „Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn was ist. Egal was. Tust du das?“
Ich nickte.
„Gut“, sagte er. „Ich geh jetzt. Morgen komme ich wieder.“
„Wo ist Mama?“, fragte ich ihn.
„Sie schläft. Bitte wecke sie nicht auf.“
Aus dem Fenster sah ich, wie er mit Papa redete, kurz, dann fuhr er mit dem Auto davon. Papa fütterte die Kaninchen heute schon zum dritten Mal, dabei war es erst Mittag. Wenn er nicht die Kaninchen fütterte, hackte er Holz. Ich stand auf, zog mich an, nahm den Teller mit den zwei Käsebroten und trug sie zum Esstisch. Ich legte eines der Brote auf einen zweiten Teller, ging hinaus, und sagte Papa Bescheid, wir könnten Mittag essen. Er reagierte nicht.
„Mittag ist fertig“, sagte ich etwas lauter.
Er hörte mich nicht.
„Es gibt Essen!“, brüllte ich.
Jetzt hatte er mich gehört. Er ließ das Beil sinken, schaute mich an, schloss die Augen, seufzte, und wendete sich wieder dem Holz zu.
Ich lief ins Haus, setzte mich auf meinen Platz und wartete eine Weile. Papa kam nicht, also nahm ich unsere Teller und trug sie hinaus. Ich hielt ihm sein Käsebrot hin, aber er schüttelte nur den Kopf. Da aß ich sein Brot auf, während ich ihm bei der Arbeit zuschaute. Papa sprach kein einziges Wort. Stellte die Holzstücken auf den Hackklotz, ließ die Axt niedersausen,
bis in den Abend hinein. Erst als die Dämmerung einsetzte, legte er das Beil ab und ging in den Stall zu den Kaninchen. Ich öffnete die Verschläge für ihn, er legte Heu und Möhren hinein, ich verschloss die Türen wieder.
Anschließend stellte ich Brot, Butter und Aufschnitt auf unseren Esstisch, kochte eine Kanne Tee, und bemerkte erst, als ich die Teller aufstellte, dass ich vier in den Händen hielt. Antons Seeräuberteller obenauf. Zwei Mal lief ich über den Flur, klopfte an Mamas Schlafzimmertür und an die Badtür, hinter der schon lange kein Wasser mehr lief, kehrte zurück und setzte mich auf meinen Platz. Schließlich räumte ich alles zurück in den Kühlschrank und öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Mama schlief, Papa lag neben ihr und starrte die Decke an. Ich legte mich zwischen die beiden und fragte mich, ob es Anton war, oder Jukka? Wer hatte das Feuer gezündet? Wäre ich bei ihnen geblieben, dann wären Jukka und Anton jetzt nicht tot. Bestimmt nicht.

In der Nacht wachte ich von einem seltsamen Geräusch auf. Es klang wie das Heulen eines Wolfes und auch wieder nicht. Ich lauschte. Kurz unterbrach es, dann setzte es wieder ein. Auf den Höfen gingen nach und nach die Lichter an. Jemand schrie: „Ruhe, verdammt noch mal!“ Und mit einmal verstand ich es, kein Wolf, kein Hund, es war Jukkas Vater, der seinen Namen heulte.
Am nächsten Tag klingelte Frau Mäkinen, die Schwester vom Doktor, sie wollte Mama besuchen. Mama schlief, also schickte ich sie zu Papa und Papa schickte Frau Mäkinen wieder weg. Sie ging aber nicht, sondern putzte im Haus, wusch Wäsche, kochte Nudeln und Pilzsoße, wir aßen alles allein auf.
„Wann hat Mama genug geschlafen?“, fragte ich sie.
„Das weiß ich nicht.“
„Warum kann Papa nicht mehr sprechen?“
„Ach, Mika.“ Sie legte eine Hand auf meine. „Das schlimmste, was Eltern passieren kann, ist ein Kind zu verlieren. Gib ihnen Zeit, mit dem Schmerz zurechtzukommen.“
Ich setzte mich in mein Zimmer und malte ein Bild von Anton, mit Kastanien und seinem Laserstock, über den Schultern einen roten Umhang und auf der Brust das Supermanzeichen. Ich besuchte Mama, endlich war sie wach. Ich kroch zu ihr ins Bett, erzählte von Frau Mäkinen, die alles sauber gemacht hatte.
„Schön“, sagte sie.
Ich redete weiter, erzählte, dass Papa den Kaninchen viel zu viel Futter gab, er den ganzen Tag Holz hackte und Doktor Alesund heute gesagt hatte, ich wäre wieder ganz gesund.
Da begann sie zu weinen, ich holte für sie mein Bild von Anton.
„Gefällt es dir?“
Mama warf einen Blick drauf. Nur einen einzigen, flüchtigen Blick, bevor sie das Blatt fallen ließ und zu zittern begann. Sie ballte die Hände zu Fäusten und schlug auf das Bett ein. Sie schrie. Sie strampelte. Sie fegte die Lampe vom Nachttisch. Papa kam, schickte mich aus dem Zimmer und verschloss die Tür von innen. Ich ging hinaus in den Hof, holte Antons Fahrrad aus dem Schuppen, wusch es, polierte jede einzelne Speiche und schraubte ihm meine Posthornhupe an seinen Lenker, um die er mich immer beneidet hatte.

Nach einer Woche hackte Papa kein Holz mehr. Auch vergaß er, die Kaninchen zu füttern. Er fuhr morgens zum Fluss und stellte abends einen Eimer mit Fischen in die Küche, die Frau Mäkinen säuberte und in die Tiefkühltruhe steckte. Nachts heulte Jukkas Vater und alle im Dorf waren müde, niemand konnte mehr richtig schlafen.
Heute kam nicht Frau Mäkinen, sondern Frau Aakko.
„Hier stinkt es überall nach Fisch! Wieso?“, fragte sie.
Ich zeigte ihr Papas Angeleimer in der Küche und den Gefrierschrank, der bis auf den letzten Millimeter vollgestopft war.
„Okay“, sagte Frau Aakko und rümpfte die Nase. „Ich glaube, jetzt sind die Katzen dran.“ Sie nahm Papas Eimer, schleppte ihn über den ganzen Hof und warf die Fische weit über den Zaun. Anschließend öffnete sie alle Fenster im Haus.
Ich fuhr mit dem Rad zu Jukkas Haus. Alle Fensterläden waren geschlossen. Carlo winselte an seiner Kette. Sein Fell war stumpf und zottelig. Leise öffnete ich das Gartentor und schlich mich zu ihm, sah die Wunden unter dem Halsband, fühlte den Schmerz, der ihn quälte. Ich öffnete es, und Carlo schoss los, über den Hof, zum Tor hinaus in Richtung Wald. Ich saß an seiner Stelle vor der Hütte, die Kette in den Händen, mein Blick ihm folgend, bis er als kleiner Punkt zwischen den Bäumen verschwand, und mir der Gedanke kam, Jukkas Vater würde gleich aus dem Haus kommen. Schnell fuhr ich zurück nach Hause.

Ich aß Kartoffelbrei mit Würstchen auf unserer Terrasse, während Frau Aakko rauchte.
„Ach, jetzt habe ich den Saft vergessen.“ Sie drückte die Zigarette aus und stand auf. Ich starrte auf den Aschenbecher. Die Zigarette qualmte, hörte nicht auf damit. Ich schrie. Frau Aakko kam zurück, fragte was los sei, versuchte, mich zu beruhigen, aber ich stieß sie von mir. Der Rauch machte mich rasend. Ich nahm den Aschenbecher und warf ihn gegen die Mauer vom Schuppen. Ich warf meinen Teller, die Saftflasche, alles was ich in die Hände bekam.
Frau Aakko versuchte, mich aufzuhalten. Dinge, nach denen ich greifen wollte, zog sie fort. „Hör auf damit! Jetzt höre doch damit auf.“
„Sie hat noch gebrannt!“, rief ich.
Mama kam. Sie außerhalb des Hauses zu sehen, erschreckte mich. Kurz hielt ich inne. Sie schloss mich in ihre Arme und bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Ich stemmte mich von ihr, schlug auf sie ein, ich wollte, dass sie mich losließ. Je mehr ich mich wehrte, je fester hielt sie mich. Mit einer Hand strich sie mir übers Haar, flüsterte immer wieder meinen Namen, bis sich in mir Tränen lösten, in Mamas Morgenmantel hinein, durch ihn hindurch, und aus ihren Augen zurück auf mein Haar fielen.

In der Nacht wartete ich auf das Heulen von Jukkas Vater, obwohl ich wusste, es würde heute still bleiben. Doktor Alesund hatte ihn am Abend aus seinem Haus geholt, ihn in sein Auto gesetzt und in eine Klinik gefahren. Nachdem Mama ins Schlafzimmer zurückgekehrt war und bevor Papa mit seinen Fischen kam. Es fehlte mir. Ich versuchte, zu heulen wie Jukkas Vater, aber es klang jämmerlich. Laut las ich ein Comic, damit Anton zuhören konnte. Ich versprach Jukka, morgen nach Carlo zu suchen. In der Nacht träumte ich.

Aus dem Familienalbum wähle ich die schönsten Fotos aus. Ich schneide Antons Kopf heraus und klebe ihn auf die Einladungskarten.

 
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Hey liebe wieselmaus,

ich hatte kein Problem mit dem ausgeschnittenen Kopf, denn er hat ja mehrere Fotos. Und die Fußballpflaume ist goldrichtig, denn genau so sieht ein schlapper Fußball aus.

Und jetzt kommt sie wieder rein! Sofort :).

Danke für den Ausgleich auf den Waagschalen.


Oh ernst,

Was spricht denn dagegen, dass beim Baumhaus da irgendwo ... Oder eine leere Hundefutterdose meinetwegen.

Aha. Und mit so einem halben Liter Wasser wird das dann gleich viel logischer, ja?

Halbwegs taugliche Löschversuche würden auf jeden Fall weniger dämlich glaubwürdiger wirken, als sein jetziges Verhalten.

Aber es soll doch dämlich wirken, verdammt nochmal. Ich weiß, ich steh damit ganz allein hier rum, und niemand will mit mir gehen, und ich schreib doch für die Leser, und überhaupt, aber - nein. Ich mein, mir ist egal, ob Schlacht oder nicht, ob Lungenentzündung oder Darmverschluss oder what ever, aber dass sich meine Figuren nicht korrekt verhalten, das ist mir dann doch wichtig, und Mikas Verhalten ist der Übergang zum zweiten Teil, und ...

Auf einen ausführlichen Kommentar musst du trotzdem noch ein wenig warten, sorry.

Okay ... Und danke für die PM, aber das habe ich Dir ja auch schon gesagt ;).


Hey GoMusic,

und Danke für die Rückmeldung nochmal. Jetzt weiß ich die Anmerkungen der Leserschaft zum besagten, wiederholten Satz auch besser einzuschätzen.

Es ist ja nicht als Stilmittel gedacht oder als das wiederkehrende, wichtig(st)e Element der Geschichte.

Und genau hier läuft irgendwas ganz falsch. Das weiß ich jetzt mit Sicherheit. Und ich frag mich, warum, und komme nicht drauf. :heul:

Schönes Wochenende Euch allen!
Liebe Grüße, Fliege

 

Liebe Fliege,

das ist ein wirklich starker Text. Der Tonfall und viele Szenen in der Geschichten erinnern wirklich sehr an ein Kinderbuch, diese klassischen Sommerferienabenteuer. Deshalb wirkt es umso härter, dass dann diese Tragödie zuschlägt, die man in so einer Astrid-Lindgren-artigen Idylle einfach nicht erwartet.

Bas' Geschichte finde ich auch sehr gut, es hat auch etwas für sich, diese "Lücke" zu lassen und nicht zu erklären, wie sein Bruder und Jukka ums Leben gekommen sind. Die Kastanienschlacht ruft nur die schönen Erinnerungen wach und verrät gleichzeitig, dass es auch schlimme Erinnerungen gibt, ohne da näher drauf einzugehen. Aber das quält dann die Leser auch so ein bisschen, man rätselt dann rum.

Hier habe ich mehr Mitgefühl mit Mika, weil ich weiß, was passiert ist. Krass finde ich vor allem die Art, wie die Erwachsenen nach dem Tod seines Bruders mit ihm umgehen, wie ihm immer wieder gesagt wird, er soll auf seine Eltern Rücksicht nehmen. Als wären seine eigenen Gefühle nicht so richtig für voll zu nehmen, weil er "nur" ein Kind ist.

Ein paar Detailanmerkungen zum Text:

Mein kleiner Bruder ist tot. Aus dem Familienalbum wähle ich die schönsten Fotos aus. Das, wo Anton stolz seine erste Zahnlücke zeigt, und das, wo er unter dem Rasensprenger herumspringt, das, wo er seinen ersten Schneemann baut und das Foto, wo Papa mit ihm die Kaninchen füttert. Ich schneide Antons Kopf heraus und klebe ihn auf die gebastelten Einladungskarten. Ich will seinen Tod mit meinen Freunden feiern. Nie wieder wird er mich verpetzen! Nie wieder muss ich auf ihn aufpassen! Und wenn Mama Kuchen bäckt, darf ich ganz allein die Schüssel auslecken.
Echt starker Einstieg. Das irritiert natürlich ganz schön, das "Feiern" des Todes. Aber ich finde es sehr gut nachvollziehbar, warum er das träumt. Er muss wahnsinnige Schuldgefühle haben, also macht es Sinn, dass er sich selbst im Traum als Bösewicht sieht, der sich über den Tod seines Bruders freut.

Sie kennt diesen meinen Albtraum, der mich seit über vierzig Jahren quält.
Das geht zwar, aber ich würde glaube ich trotzdem eins von beiden weg lassen.

In der letzten Schulwoche hatten wir die Schlacht gegen die Jungs aus dem Nachbarort gewonnen, dabei stolperte Jukka und schlug sich das Kinn auf.
war Jukka gestolpert und hatte sich das Kinn aufgeschlagen.

Ist zwar ein bisschen umständlicher, aber wenn der Satz in der Vorvergangenheit anfängt, darf man hinterher nicht so einfach ins Präteritum springen, glaube ich zumindest.

Sie kamen auf Rädern, vier Leute.
Ganz ehrlich, meinetwegen hättest du die Schlacht nicht zu beschreiben brauchen. :)
Es ist natürlich sehr nett und serviceorientiert von dir, dass du die nachgeliefert hast, nachdem so viele Leser sie vermisst haben, aber die ursprüngliche Version ("Sie kamen auf Rädern und sie verloren", wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe?) fand ich irgendwie cooler. So lakonisch und wortkarg, wie man sich als Kind halt so die rauchenden Helden vorstellt. :cool:

Ich blieb wie angewurzelt stehen, bis der Typ mir einen Schups gab, nach seinem Rad griff und abhaute.
Schubs

Eigentlich war es sogar eine Tradition im Dorf.
Eigentlich ist ja so eins von diesen Füllworten, auf die man beim Überarbeiten Jagd machen soll. :)
"Es war eine Tradition im Dorf" würde mir auch besser gefallen.

Jukkas Mutter war die beste Geschichtenerfinderin, aber sie starb vor drei Jahren an Lungenentzündung.
Nach meinem Gefühl müsste das Vorvergangenheit sein, also zumindest der zweite Halbsatz (... war vor drei Jahren an Lungenentzündung gestorben).

Grüße von Perdita

 

Hey Perdita,

was habe ich mich über deinen Kommentar gefreut, also über die Worte darin. Meinen herzlichsten Dank.

das ist ein wirklich starker Text. Der Tonfall und viele Szenen in der Geschichten erinnern wirklich sehr an ein Kinderbuch, diese klassischen Sommerferienabenteuer. Deshalb wirkt es umso härter, dass dann diese Tragödie zuschlägt, die man in so einer Astrid-Lindgren-artigen Idylle einfach nicht erwartet.

Stimmt, der Bruch kommt schnell und hart fürs Gemüt.

Bas' Geschichte finde ich auch sehr gut, ...

Ich mochte sie auch, sonst wäre ich nach dem ersten Lesen auch nicht sofort sicher gewesen, die gehört mir :).

Hier habe ich mehr Mitgefühl mit Mika, weil ich weiß, was passiert ist. Krass finde ich vor allem die Art, wie die Erwachsenen nach dem Tod seines Bruders mit ihm umgehen, wie ihm immer wieder gesagt wird, er soll auf seine Eltern Rücksicht nehmen. Als wären seine eigenen Gefühle nicht so richtig für voll zu nehmen, weil er "nur" ein Kind ist.

:huldig: Danke dafür!


Echt starker Einstieg. Das irritiert natürlich ganz schön, das "Feiern" des Todes. Aber ich finde es sehr gut nachvollziehbar, warum er das träumt. Er muss wahnsinnige Schuldgefühle haben, also macht es Sinn, dass er sich selbst im Traum als Bösewicht sieht, der sich über den Tod seines Bruders freut.

Ja, ich sehe den Traum auch so, als dass sein Dilemma noch zugespitzt wird, er in seiner Schuld "versinkt" und sich bis ins Alter davon nicht freimachen kann. Wie auch.

Ganz ehrlich, meinetwegen hättest du die Schlacht nicht zu beschreiben brauchen. :)
Es ist natürlich sehr nett und serviceorientiert von dir, dass du die nachgeliefert hast, nachdem so viele Leser sie vermisst haben, aber die ursprüngliche Version ("Sie kamen auf Rädern und sie verloren", wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe?) fand ich irgendwie cooler. So lakonisch und wortkarg, wie man sich als Kind halt so die rauchenden Helden vorstellt. :cool:

Ich fands auch hübsch, konnte aber die Einwände sehr gut nachvollziehen. Erwartungen aufbauen und sie nicht zu erfüllen, ist nicht gerade nett. Doch, das hat mir eingeleuchtet.


Schubs

Ha! Das hatte ich so, bis wer sagte ...


Danke auch für die anderen Anmerkungen. Habe schon eingepflegt.


Liebe Perdita, es war mir ein Fest! Jetzt kann wieder wer schimpfen kommen.

Liebe Grüße und einen kuschlig, schönen Herbstabend,
Fliege

 

Hallo Fliege,

also von mir kommt bestimmt kein Geschimpfe. Die Geschichte ist so gut geschrieben, dass es mir schwer fällt mein Kritikerhirn anzustellen. Das ist eine der traurigsten Geschichten, die ich hier gelesen habe. Ich hatte sie anfangs schon einmal gelesen und du hast sicher ein paar Sachen verändert. Mir fällt vor allem die Schlacht auf. Doch, ich finde es gut, dass sie jetzt drin ist. Du hast diesen ganzen Tag so genau und minutiös beschrieben, das hat was im Nachhinein was gnadenloses, da gehört die einfach dazu. Außerdem hast du die Beschreibung gut genutzt um die Kinder noch deutlicher zu charakterisieren. Mein Lieblingssatz war hier übrigens:

Auch sie hatten Mannverluste durch die Ferien.

Da gab es noch was Heiteres. Ach wären sie doch hinterher nach Hause gegangen!

Aber Anton lag mit Mister Bär in seinem Schlafsack, einen Arm über Carlo an seiner Seite gelegt, und schlief wie ein Stein.

Du hast es echt drauf. Man hat ihn gleich lieb, den Anton.

„Der hat echt Mumm in den Knochen“, sagte Jukka. „Schon komisch, dass er dein Bruder ist und nicht meiner.“

Eine schlimme Kränkung und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Anschließend versuchte ich mich mit Blättern zu säubern, aber das machte alles nur schlimmer, also zog ich die Unterhose aus, und putze mich damit. Und dann sah ich den Feuerschein zwischen den Bäumen, den Qualm, der darüber aufstieg. Das Baumhaus, schoss es mir durch den Kopf. Anton! Jukka! Ich musste ihnen helfen, das Feuer löschen. Mit halb hochgezogener Hose lief ich Richtung See, schöpfte Wasser in meine hohlen Hände und wollte zurück. Nur ein paar Schritte weiter war das Wasser durch meine Finger geronnen, also kehrte ich um, neues zu holen.

Das finde ich eine ganz starke Szene. Wie in das kleine Drama, dass er Durchfall bekommt und sich nicht richtig säubern kann, das große Drama einbricht. Wie er losrennt, mit den Händen Wasser schöpft und es verliert, wie sehr er durch den Wind ist, wie er ein Versagen auf das Nächste häuft, das hast du wirklich schonungslos durchgezogen.

Und dann kommt das Versagen der Erwachsenen. Erst dachte ich, so würde man doch niemals mit einem Kind umgehen. Aber so wie du die Situation im Dorf beschreibst, mit dem Vater von Jukka, der seinen Sohn schon vorher misshandelt, da halte ich das doch für glaubwürdig, dass sich so niemand um den Schmerz des Jungen kümmert. Ab jetzt tut wirklich jeder Satz weh.

Papa fütterte die Kaninchen schon zum dritten Mal, dabei war es erst Mittag.

Ich ging hinaus in den Hof, holte Antons Fahrrad aus dem Schuppen, wusch es, polierte jede einzelne Speiche und schraubte ihm meine Posthornhupe an seinen Lenker, um die er mich immer beneidet hatte.

Scheinbar harmlose Sätze, aber es dreht sich einem der Magen um.

Nachts heulte Jukkas Vater und alle im Dorf waren müde, niemand konnte mehr richtig schlafen.

Du findest unfassbar tolle Bilder für diesen gigantischen Schmerz, der das ganze Dorf mitzieht.

In der Nacht wartete ich auf das Heulen von Jukkas Vater. Ich wusste, es würde heute still bleiben, Doktor Alesund hatte ihn in eine Klinik gefahren.

Es kann sich ja rein grammatikalisch nur um Jukkas Vater handeln, der in die Klinik kommt, aber ich war mir nicht ganz sicher ob es nicht doch Jukka war.

Am Ende habe ich ein paar dringende Fragen im Kopf. (die der Text natürlich nicht beantworten soll) Wie geht es Jukka? Wissen die Erwachsenen, dass Mika den Brand verursacht hat? Wusste die Mutter das vorher, aber es hat ihm keiner gesagt? Bekommt er in seiner Schuld irgendeine Art der Unterstützung? (Scheinbar nicht)

Der Rahmen hatte mich beim ersten Lesen sehr irritiert, jetzt komischerweise nicht mehr. Dieser Traum hat etwas Irres und tatsächlich trägt dieser Mann ja auch eine Last mit sich, die wirklich irre machen kann.
Bas hat eine wunderbare Geschichte geschrieben und du hast ein eindrucksvolles Copywrite dazu geschaffen.

Liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Chutney,

und allerliebsten Dank für die vielen schönen Worte! Ach, was habe ich mich gefreut.

Mir fällt vor allem die Schlacht auf. Doch, ich finde es gut, dass sie jetzt drin ist. Du hast diesen ganzen Tag so genau und minutiös beschrieben, das hat was im Nachhinein was gnadenloses, da gehört die einfach dazu. Außerdem hast du die Beschreibung gut genutzt um die Kinder noch deutlicher zu charakterisieren.

Die deutliche Charakterisierung ist wirklich ein Zugewinn für die Geschichte. Und natürlich, dass ich jetzt nicht mehr Erwartungen enttäusche. Und es gefällt, also - ja - es sollte so sein :).

Da gab es noch was Heiteres. Ach wären sie doch hinterher nach Hause gegangen!

:)

Du hast es echt drauf. Man hat ihn gleich lieb, den Anton.

Dabei fällt mir auf, ich wollte den Hund noch rausnehmen ...

Das finde ich eine ganz starke Szene. Wie in das kleine Drama, dass er Durchfall bekommt und sich nicht richtig säubern kann, das große Drama einbricht. Wie er losrennt, mit den Händen Wasser schöpft und es verliert, wie sehr er durch den Wind ist, wie er ein Versagen auf das Nächste häuft, das hast du wirklich schonungslos durchgezogen.

Schön, dass Du das so lesen und empfinden kannst. Die Stelle hat es ja echt schwer.

Und dann kommt das Versagen der Erwachsenen. Erst dachte ich, so würde man doch niemals mit einem Kind umgehen. Aber so wie du die Situation im Dorf beschreibst, mit dem Vater von Jukka, der seinen Sohn schon vorher misshandelt, da halte ich das doch für glaubwürdig, dass sich so niemand um den Schmerz des Jungen kümmert. Ab jetzt tut wirklich jeder Satz weh.

Und jetzt kann ich mich einfach nicht mehr zurückhalten, weil man es ja doch herauslesen kann. Ja verdammt, das ist mein Herzstück. Deshalb wollte ich genau diese Geschichte erzählen. Das! ist mein Thema. Warum es jedoch nur so vereinzelt funktioniert, da bin ich noch am gründeln.
Wir sind irgendwo in den Achtzigern. Kinder waren noch Teil dieser Welt und nicht das Universum schlechthin. Das mal zur Relationen der Erwartungen hin auf das Elternverhalten. Und von den Eltern kann man auch in der ersten Woche nach dem Tod des Lütten wohl kaum etwas erwarten.
Nachdem ich Bas Geschichte gelesen hatte und meinen Ansatz gefunden, fing ich an mich mit Verhalten in Paniksituationen zu beschäftigen, woraus dieses sinnlose Wasserschöpfen resultierte. Und bei "Trauer um Geschwister", da wurde es richtig spannend. Es sind zumeist die Kinder, die vorerst die Alltagsabläufe übernehmen, je nach Alter und Möglichkeiten natürlich. Und dieser Satz, den ich drei mal aussprechen lasse, den hören die so oft und auch heute noch, gibt es x Trauerhilfen für die Eltern (Foren, Selbsthilfegruppen), aber kaum welche für Geschwister. Das ist gerade erst im Entstehen. Moralisch fühlt sich das heute alles falsch an, weshalb man alles als falsch empfindet, verurteilt, in der konkreten Situation jedoch, wer will von den Eltern moralisch korrektes Verhalten erwarten? Klar hab ich das alles etwas zugespitzt, und auch punktuell nur in Szene gesetzt, vielleicht ist da ein Übergewicht entstanden.

Du findest unfassbar tolle Bilder für diesen gigantischen Schmerz, der das ganze Dorf mitzieht.

Danke. Ich finde es auch schön. Auch den Gegensatz, das Mikas Eltern sich komplett zurückziehen, still werden, und Jukkas Vater (der üblere Vater) seiner Trauer laut Gehör verschafft.

Es kann sich ja rein grammatikalisch nur um Jukkas Vater handeln, der in die Klinik kommt, aber ich war mir nicht ganz sicher ob es nicht doch Jukka war.

Der Leser und seine Hoffnungen ...

Wie geht es Jukka?

Hä? Versteh ich nicht.

Wissen die Erwachsenen, dass Mika den Brand verursacht hat?

Wenn Mika es nicht von sich aus sagt, wird es nie eindeutig geklärt werden können.

Wusste die Mutter das vorher, aber es hat ihm keiner gesagt?

Was? Das er Schuld ist? Würde ich nicht sagen.

Bekommt er in seiner Schuld irgendeine Art der Unterstützung? (Scheinbar nicht)

Es kommt täglich wer, der den Jungen versorgt, nach dem Rechten sieht. Psychologische Hilfe wird ihm erst mal versagt. Aber wir sind immer noch in der ersten Woche. Mag sein, dass die Eltern sich rappeln können, nachdem der erste große Schock verarbeitet ist oder auch die Leute im Dorf realisieren können (die sind ja mitgeschockt), die Schule nach den Ferien oder ... man kann es nur hoffen für das arme Kerlchen. Aber im Ergebnis, der Traum, immer wieder, Jahre lang, ... okay immerhin hat ihn die Schuld nicht selbst in den Tod getrieben.

Der Rahmen hatte mich beim ersten Lesen sehr irritiert, jetzt komischerweise nicht mehr. Dieser Traum hat etwas Irres und tatsächlich trägt dieser Mann ja auch eine Last mit sich, die wirklich irre machen kann.

Finde ich auch.

Herzlichste und liebe Grüße, Fliege

 

In der Summe all Eurer Kommentare habe ich das letzte Drittel gewaschen, gespült, geschleudert, geplätet und neu zusammengelgt.

 

Liebe Fliege,

ich habe keine Kommentare gelesen, sondern steige gleich in deine Geschichte ein.

Mein kleiner Bruder ist tot.

Gelungener erster Satz. Wer liest da nicht weiter? ;)
Sie kennt meinen Albtraum, der mich seit über vierzig Jahren quält.
Da bekommt man sofort Mitleid mit dem Protagonisten.


Ständig musste ich auf sein Kinn schauen, auf die Narbe, die noch frisch war, sie lachte und leuchtete wie sein Brombeermund.
Brombeermund passt für mich hier nicht. Das erzählt ein erwachsener Mann über den Mund eines Jungen? Wolltest du damit sagen, dass er Brombeeren gegessen hatte und nun die Lippen die Farbe hatten? Käme bei mir nicht rüber, weil es ja auch den Kirschmund gibt, da geht es auch um die Form der Lippen - wie sieht dann die Form der Lippen bei Brombeeren aus?


Vier statt acht, mich beruhigte das komischerweise, auch wenn sie immer noch mehr waren, als wir.
mehr waren (KOMMA WEG) als wir.


Die vier ließen ihre Räder fallen und schauten sich um, sahen niemanden KOMMA WEG außer Carlo, der sie anklaffte und an seiner Leine zerrte.

„Wenn ihr euch nicht sofort verpisst, ist hier mehr als nur eine Speiche futsch“, sagte Jukka. Er meinte KOMMA was er sagte, seine Stimme ließ daran keinen Zweifel.

Die beiden guckten sich an, genau in die Augen, keiner zwinkerte, und ich hörte förmlich, wie ihre Blicke zusammenkrachten. Stahl auf Stahl.
guckten kommt mir in dem Zusammenhang zu schwach vor; vielleicht eher starrten?

Ich schrie. Frau Aakko kam zurück, fragte was los sei, versuchte, mich zu beruhigen, aber ich stieß sie von mir. Der Rauch mich rasend.
machte mich

Zu so einer Erzählung passt der Fliege-Sound extrem gut. Eine wunderbar traurige Geschichte über kindliche (Un)Schuld, da ist soviel reingepackt an Emotionen. Man leidet mit dem Protagonisten mit, als Leser weiß man, dass er sein Leben lang mit dem Thema zu tun haben wird. Er war schuld, keiner weiß es. Du schaffst ja grade wiederum eine Vorlage für das nächste Copywrite, wo der Schreiber nach vierzig Jahren die wirklichen Umstände ans Licht bringt.

Die Rahmenhandlung läßt die Geschichte in noch viel dramatischerem Licht erscheinen.
Da ist dir ein tolles Copywrite gelungen, Fliege. Sprachlich einfach schön, dass es einen Heidenspaß macht, die Geschichte zu lesen, wenn man inhaltlich auch eher das Weinen anfangen könnte.

Danke für diese ergreifende Variation der schon schönen Vorlage,
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fliege

Ich habe mir erst noch mal das Original reingezogen und mich mit Spannung an deine Kopie herangemacht.
Schön, wie du den roten Faden Bas' Jugendabenteuers aufgenommen und weitergesponnen hast. Dabei nimmst du den traurigen, am Ende von Bas nur angedeuteten Twist und bildest damit einen Rahmen, in den du die Geschichte einbettest. Inzwischen hast du ja auch die "Schlachtszene" erweitert und damit ein wichtiges Highlight erlebbar gemacht. Die leichtentzündliche Baumhütte hat mich persönlich nicht gestört, ein Kunstkniff, für den ich dank dem souveränen Erzählfluss ein Auge zudrücke.

Nuschelgruschel:

der sie anklaffte und an seiner Leine zerrte
meintest du anblaffte od. ankläffte

... und ich hörte förmlich, wie ihre Blicke zusammenkrachten. Stahl auf Stahl.
Ein Blick kann ins sich zusammenfallen (zusammenkrachen), oder töten (aufprallen). Deshalb fände ich hier das Wort "aufeinanderkrachten" besser.
Das "Stahl auf Stahl", als Steigerung der angespannten Situation, brauchts meiner Meinung nicht einmal.

Anschließend holte Jukka eine Packung Zigaretten heraus. Es waren fünf Stück drin.
Brauchts das wirklich? (Wurde glaube ich schon mal angemeckert.)

„Hab ich bei uns im Schuppen gefunden“, sagte er.
„Dein Vater wird dich dafür verprügeln“, sagte ich.
Das ist ein tolles Anschauungseispiel für "show don't tell".

Wir waren Helden, und Helden rauchten.
Top, ich liebe es.

Ich ging bestimmt zehn Mal, bevor ich meine erste komplette Nacht im Lager verbrachte.
Ich mag dieses Wechselspiel zwischen angstvoller Innenwelt und dem sich gegen aussen ach so Erwachsenengebens deines Prots.

Unsere Väter löschten das Feuer, und wir bezogen unser Nachtquartier.
Hier stutze ich erst, da ja Feuermachen tabu war, aber beim zurückspringen verstand ich es dann, Feuer wird nur in Begleitung Erwachsener gemacht.

Schon komisch, dass er dein Bruder ist und nicht meiner.
Boah, was für eine Aussagekraft, der sitzt, Fliege.

Schnell zog ich die Hose runter, hockte mich hin und fühlte, wie der Druck nachließ. Anschließend versuchte ich mich mit Blättern zu säubern, aber das machte alles nur schlimmer, also zog ich die Unterhose aus, und putze mich damit.
Ein intimer Moment, aber da du mich als Leser sowieso ganz nahe an deinen Prot ranlässt, fühle ich mich überhaupt nicht als Voyeur, leide in dem Moment an diesem Malheur mit. Ich erwähne diese Stelle, weil es für mich der Wendepunkt im Leben deines Prots ist. Er war sich selbst der nächste, liess die elementare Vorsicht ausser acht und löste damit die Katastrophe aus.

Mit halb hochgezogener Hose lief ich Richtung See,
Geht das? Stell ich mir irgendwie schwierig vor. Wie wärs mit halbherzig hochgezogener oder offener Hose?

„Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn was ist. Egal was. Tust du das?“
Ich schätze deinen Prot so um die zehn Jahre, da ruft eigentlich die Mutter an, oder der Vater. Andererseits sind die grad selber im Ausnahmezustand, vielleicht redet der Arzt deshalb mit deinm Prot wie zu einem Verbündeten. Bin grad unsicher, ach lass es einfach so. (Klasse Kommentar, dot.)

Mama schlief, also schickte ich sie zu Papa und Papa schickte Frau Mäkinen wieder fort. Sie putzte im Haus, wusch Wäsche, kochte Nudeln und Pilzsoße.
Das klingt komisch, denn sie bleibt ja da und putzt. Vielleicht "schickte Frau Mäkinen weg", so gesprochen "gehen sie[weg von mir]", weisst du was ich meine?

Der Rauch mich rasend.
Da fehlt was.

bis alles in mir sich in Tränen auflöste, aus mir hinausfloss, in ihren Morgenmantel, durch ihn in Mama hinein, und aus ihren Augen zurück auf mein Haar tropfte.
starkes Bild, oich frage mich, ob man es flüssiger machen könnte.
bis alles in mir sich in Tränen auflöste, aus mir hinausfloss, in ihren Morgenmantel, durch Mama hindurch, aus ihren Augen zurück, auf mein Haar.
Nur so als Idee.


Fazit: Du bist eng an der Vorlage geblieben, aber durch den neuen Rahmen und den starken Einbezug der Erwachsenen, erweitert der Text Bas Ursprungsgeschichte um den Aspekt der gesellschaftskritische Betrachtung über Trauerverhalten bei Jung und Alt.

Gut gemacht, sehr gerne gelesen.
Gruss dot

 

Hey bernadette,


liebsten Dank für Deinen Kommentar. Ich komme auch ganz bald bei Dir vorbei ;).

Brombeermund passt für mich hier nicht. Das erzählt ein erwachsener Mann über den Mund eines Jungen? Wolltest du damit sagen, dass er Brombeeren gegessen hatte und nun die Lippen die Farbe hatten? Käme bei mir nicht rüber, weil es ja auch den Kirschmund gibt, da geht es auch um die Form der Lippen - wie sieht dann die Form der Lippen bei Brombeeren aus?

Echt, bei Kirschmund geht es um die Form? Ich habe die Kirsche immer als farbgebend begriffen. Du bist auch die erste, die es hier anmerkt, anderen fiel der Brombeermund eher positiv auf. Jedenfalls habe ich gestern Google bemüht, aber keine eindeutige Antwort auf die Frage gefunden. Ich habe nur gelernt, dass der Erdbeermund so gar nichts mit dem Mund zu tun hat :D.

Eine wunderbar traurige Geschichte über kindliche (Un)Schuld, da ist soviel reingepackt an Emotionen. Man leidet mit dem Protagonisten mit, als Leser weiß man, dass er sein Leben lang mit dem Thema zu tun haben wird. Er war schuld, keiner weiß es.

Wie mich das freut!

Sprachlich einfach schön, dass es einen Heidenspaß macht, die Geschichte zu lesen, wenn man inhaltlich auch eher das Weinen anfangen könnte.

Und das natürlich.

So schön! Ich bedanke mich gleich noch mal :).


Hey dot,

Und auch an Dich ein herzlichstes Dankeschön!

Inzwischen hast du ja auch die "Schlachtszene" erweitert und damit ein wichtiges Highlight erlebbar gemacht.

Ein Highlight? Na, dann hat es sich ja doppelt gelohnt ;).

Die leichtentzündliche Baumhütte hat mich persönlich nicht gestört, ein Kunstkniff, für den ich dank dem souveränen Erzählfluss ein Auge zudrücke.

Aber eigentlich glaubst Du auch, es ginge nicht? Blöd, dass man es nicht ausprobieren kann, mich interessiert das langsam echt. Ich glaube ja nach wie vor dran.

Nuschelgruschel:

Ich hab mal was davon in die Geschichte genuschelt. Danke!

Ich mag dieses Wechselspiel zwischen angstvoller Innenwelt und dem sich gegen aussen ach so Erwachsenengebens deines Prots.

Ich auch. Das schrieb sich auch hübsch weg, diese Einstreusel.

Boah, was für eine Aussagekraft, der sitzt, Fliege.

Ja, voll fies, fand ich auch.

Ich schätze deinen Prot so um die zehn Jahre, da ruft eigentlich die Mutter an, oder der Vater. Andererseits sind die grad selber im Ausnahmezustand, vielleicht redet der Arzt deshalb mit deinm Prot wie zu einem Verbündeten. Bin grad unsicher, ach lass es einfach so. (Klasse Kommentar, dot.)

Hehe. Da habe ich echt geschmunzelt. Fand ich so hübsch!
Ja, Mama und Papa im Ausnahmezustand. Das wissen wir, der Arzt, aber der Junge muss die Erfahrung erst noch machen. Ist halt so eine Präventivmaßnahme. Du kannst schon allein telefonieren, also tue es einfach! Eine Art Vorwarnung auch, musst dich in nächster Zeit um vieles mehr selbst kümmern.

starkes Bild, oich frage mich, ob man es flüssiger machen könnte.

Da schraube ich schon die ganze Zeit dran rum. Und jetzt wieder :).

Fazit: Du bist eng an der Vorlage geblieben, aber durch den neuen Rahmen und den starken Einbezug der Erwachsenen, erweitert der Text Bas Ursprungsgeschichte um den Aspekt der gesellschaftskritische Betrachtung über Trauerverhalten bei Jung und Alt.

Gefällt!

Ihr zwei, so schön! Und auch hilfreich.
Habt ein schönes Wochenende!

Liebe Grüße, Fliege

 

Hallo Fliege ,

ich hoffe ich bin nicht zu spät.

Mein kleiner Bruder ist tot.
Der Text geht gleich aufs Ganze. Gefällt mir.

Die meisten Kinder ..
Ah, die Rückblende ist sehr gut gelungen.

Mit geschwellter Brust saßen wir unter unserem Baumhaus und teilten die Schokowaffeln, die Mama mir mitgegeben hatte. Anschließend holte Jukka eine Packung Zigaretten heraus. Es waren fünf Stück drin.
Gute Antithese.

Ich rauchte. Ich rauchte richtig auf Lunge.
Haha.

Schließlich räumte alles zurück
räumte ich alles

„Hier stinkt es überall nach Fisch! Wieso?“, fragte sie.
Haha

Die Zigarette qualmte, hörte nicht auf damit. Ich schrie.
Sehr schön.

Ach, die Geschichte hat mir echt gefallen. Voll gut gemacht.

Gerne gelesen,
alexei

 

Hey alexei,

und vielen Dank für deinen Besuch!

ich hoffe ich bin nicht zu spät.

Und wenn Du in zwei Jahren gekommen wärst, wärst Du nicht zu spät!


Der Text geht gleich aufs Ganze. Gefällt mir.

Ich finde das hart. Hart, aber auch schön.

Ach, die Geschichte hat mir echt gefallen. Voll gut gemacht.

Da bedanke ich mich doch herzlichst. Auch für das picken von Stellen, die Dir gefallen, oder Dich zum Lachen gebracht haben. Und es fühlt sich gut an, so ein durch und durch positiver Kommentar. Komm doch wieder :).

Liebe Grüße und einen schönen Tag,
Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Fliege,
wenigstens bei all den Lieben, die mein erstes Copy so schön kommentiert hatten, will ich mich durch einen "Gegen"kommentar bedanken. Ich weiß, ich muss nicht, aber ich will. Und außerdem ist die Geschichte wunderschön.

Zum Glück hab ich schon seit meiner Geburt ein chronisch schlechtes Gedächtnis, da kann ich deine Geschichte genießen, ohne aus Versehen und unbewusst Vergleiche zum Original anzustellen. Ach ja, hinzufügen will ich noch, dass ich aus Zeitgründen kurz bleibe und auch keine Komms lese. Aber das wird bestimmt auch wieder anders. Aber die nächste Challenge juckt auch schon, da muss man bissel haushalten.

Du hast es spannend gemacht für mich, indem du den Icherzähler gleich zu Beginn seinen Alptraum haben lässt. Das ist einfach immer noch und immer wieder eine saugute Methode, von vorneherein Spannung zu schüren.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Jukka je in seinem Leben einen Koffer gepackt hatte. Er war immer da.
Sehr schön

Wir saßen gemeinsam im Baumhaus. Ständig musste ich auf sein Kinn schauen, auf die Narbe, die noch frisch war, sie lachte und leuchtete wie sein Brombeermund.
Das ist meine Fliege, wie du Narbe und Mund vergleichst, das ist wunderschön. Und den schwarzroten Mund "Brombeermund" zu nennen. Das holt diese Kindertage direkt zurück. Ich les solche Texte einfach saugerne.

Wir eroberten eine Fußballpflaume, drei Schokoriegel und zwei Hustenbonbons. Jetzt wollten sie Rache.
:)

Ich brachte Anton mit, und Jukka seinen Hund Carlo.
Hehe, zwei Superwaffen. Durch sowas bin ich mitten drin in der Geschichte in ihren Details, in den liebevollen Einzelheiten und eben auch in so humorvollen kleinen Zuspitzungen. Schön liest sich das.

Die beiden guckten sich an, genau in die Augen, keiner zwinkerte, und ich hörte förmlich, wie ihre Blicke aufeinanderkrachten. Stahl auf Stahl.
In dem Western, den ich gestern Abend gesehen habe, war das auch nicht besser gemacht. :)


Ein bisschen schlucken musste ich hier:

„Der hat echt Mumm in den Knochen“, sagte Jukka. „Schon komisch, dass er dein Bruder ist und nicht meiner.“
Das ist toll, wie du so ganz en passant auch so eine kleine, aber feine Konkurrenz zwischen den Geschwistern einstreust. Und dann auch noch auf einem Gebiet, das für den Icherzähler existenziell ist. Da kauft ihm der kleine Mister Bär-Liebhaber doch echt den Schneid ab.
Das hatte sich vorher schon angebahnt. Der Icherzähler muss auf den kleinen Stinker aufpassen. Und eigentlich will er ihn auch so sehen. Als den kleinen Stinker, den Bruder, der Kastanienmännchen bastelt und Schmusetiere hat.
In diesem Moment wurde mir klar, dass mein kleiner Bruder keine Spur von Angst zeigte, all meine Worte in ihm nur das Gegenteil bewirkt hatten. Er hatte einen Plan.
Ja - Und dann hat der null Schiss und entpuppt sich als Kindergartenstratege. Das ist irgendwie auch ambivalent. Einerseits ein Grund für Stolz auf den kleinen Bruder, aber eben, wenn man als Älterer selbst eben nicht so der Haudrauf ist, es aber gerne wäre, auch ein wenig zum verwundert oder gar neidisch sein. Sehr cool eingestreut.

Es war Antons erste Nacht hier draußen. Ich wartete darauf, dass ihn die Angst überfiel und er nach Hause wollte. Auch Jukka wartete. Wir würden ihn bringen, das hatten wir vereinbart. Aber Anton lag mit Mister Bär in seinem Schlafsack, und schlief wie ein Stein.
Und dann auch noch das. Benimmt sich wie das Baby und hat Schmusetiere und kost die auch noch beim Schlafen, hat aber von nix und garnix Schiss.

Kein Wunder, dass der Icherzähler mit seiner Rolle unzufrieden ist und sie durch Erwachsenengetue aufmotzen will. Auf Lunge rauchen. Ja, so haben wir und das damals gedacht.

Und dabei reagiert er so erwachsen - später, als er dem Vater hilft und ihn - ja, eigentlich versorgt. Das machst du auch serh schön, wie du den Schock des Vaters zeigst. Da ist kein Geschrei, kein Weinen, gar nichts, nur dieses Holzhacken und das Badezimmer, hinter dessen Tür es still ist und dass der Icherzähler dem Vater die Tür zum Kaninchenstall öffnen muss. Da übernimmt er Erwachsenenfunktion und ist mit Sicherheit völlig überfordert. Das Schreien und Weinen kommt erst später, wenn er der Mutter das Bild zeigt. Mein Gott, das ist so hart. Also so geschichtentechnisch drüber reden kann ich erst jetzt, ich hab die Geschichte ja schon früher gelesen, da war ich an der Stelle einfach nur traurig, weil da alle die Wurzeln für seine späteren Alpträume gelegt werden - und keiner der Erwachsenen kümmert sich oder kann sich kümmern. Jetzt, beim analytischen Lesen merke ich natürlich, wie geschickt du das aufgebaut hast. Das ist schon toll. Auch hin zu dem Punkt, wenn er dann merkt, dass die Zigarette gebrannt haben könnte und er dann ausrastet und seine Mutter sich um ihn kümmert.

Ich öffnete es, und Carlo schoss los, über den Hof, zum Tor hinaus in Richtung Wald. Ich saß an seiner Stelle vor der Hütte, die Kette in den Händen, mein Blick ihm folgend, bis er als kleiner Punkt zwischen den Bäumen verschwand,
Ach Mensch.

Schließlich räumte alles zurück in den Kühlschrank und öffnete die Tür zum Schlafzimmer.
Da fehlt übrigens was.
Liebe Fliege ich liebe diese Geschichte. Sie ist hart und traurig, aber ich liebe sie mit all ihren Details und dem liebevollen Blick auf die Jungen und ihre Eltern. Ganz, ganz toll

Viele Grüße an dich von Novak

 

Liebe Novak,

Ich weiß, ich muss nicht, aber ich will.

Wie schön! Und Danke dafür.

Und außerdem ist die Geschichte wunderschön.

Das auch!

Aber die nächste Challenge juckt auch schon, da muss man bissel haushalten.

Geht mir gerade nicht anders.

Das ist meine Fliege, wie du Narbe und Mund vergleichst, das ist wunderschön. Und den schwarzroten Mund "Brombeermund" zu nennen. Das holt diese Kindertage direkt zurück. Ich les solche Texte einfach saugerne.

Ich finde ja, so frische Narben haben diesen rot-violetten touch, genau wie Lippen nach Brombeeren. Nach den echten - nicht den gezüchteten aus dem Supermarkt.

Das ist toll, wie du so ganz en passant auch so eine kleine, aber feine Konkurrenz zwischen den Geschwistern einstreust.

Das war ein tolles Thema in der Vorlage, dass wollte ich auf keinen Fall links liegen lassen, und es hat mir auch Spass gemacht, der kleine und der große Hosenscheißer.

Das ist irgendwie auch ambivalent. Einerseits ein Grund für Stolz auf den kleinen Bruder, aber eben, wenn man als Älterer selbst eben nicht so der Haudrauf ist, es aber gerne wäre, auch ein wenig zum verwundert oder gar neidisch sein.

Ja, ist ein doofes Los für den großen Bruder.

Kein Wunder, dass der Icherzähler mit seiner Rolle unzufrieden ist und sie durch Erwachsenengetue aufmotzen will. Auf Lunge rauchen. Ja, so haben wir und das damals gedacht.

Genau. irgendwie will und muss der Große ja auch der Große sein.

Da übernimmt er Erwachsenenfunktion und ist mit Sicherheit völlig überfordert. Das Schreien und Weinen kommt erst später, wenn er der Mutter das Bild zeigt. Mein Gott, das ist so hart. Also so geschichtentechnisch drüber reden kann ich erst jetzt, ich hab die Geschichte ja schon früher gelesen, da war ich an der Stelle einfach nur traurig, weil da alle die Wurzeln für seine späteren Alpträume gelegt werden - und keiner der Erwachsenen kümmert sich oder kann sich kümmern. Jetzt, beim analytischen Lesen merke ich natürlich, wie geschickt du das aufgebaut hast.

Das freut mich, wenn das jetzt so beim Leser ankommt. Habe ja auch noch bisschen was geändert. Ach, ich sag an dieser Stelle besser nur Danke, sonst komme ich doch nur wieder ins Labern.

Liebe Fliege ich liebe diese Geschichte. Sie ist hart und traurig, aber ich liebe sie mit all ihren Details und dem liebevollen Blick auf die Jungen und ihre Eltern. Ganz, ganz toll

:herz:

Mit den allerbesten Grüßen und einen guten Start in die Woche,
die Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Aber Anton lag mit Mister Bär in seinem Schlafsack, und schlief wie ein Stein.
*seufz*

Tja, Fliege, was soll ich nach dem vielen Lob, das du für die Geschichte schon bekommen hast, noch groß sagen?
Außer: Ich finde sie auch richtig, richtig gut.
Berührend, traurig, grausam, wunderschön. Und trotzdem stellenweise sogar witzig. Wunderbare Figuren.
Einfach saugut geschrieben.


Allein nur diese Stelle:

In der Nacht wachte ich von einem seltsamen Geräusch auf. Es klang wie das Heulen eines Wolfes und auch wieder nicht. Ich lauschte. Kurz unterbrach es, dann setzte es wieder ein. Auf den Höfen gingen nach und nach die Lichter an. Jemand schrie: „Ruhe, verdammt noch mal!“ Und mit einmal verstand ich es, kein Wolf, kein Hund, es war Jukkas Vater, der seinen Namen heulte.
Also da kriegte ich beim Lesen echt Gänsehaut.
Schon klar, vollkommen irre eigentlich diese Szene, aber von einer derartigen Wucht, so voller Schmerz, beinahe irreal … ich weiß nicht, ich fühlte mich spontan an Marquez erinnert. Weils trotz aller übertriebenen Dramatik so glaubhaft wirkt.
Und so wehtut. Ja, echt Gänsehaut.

Verdammt, in den letzten Tagen gab's so viele Empfehlungen. Und ich selber hab ja erst vor vier Wochen Isegrims Text empfohlen, ich kann doch nicht schon wieder ...
Scheiß drauf, ich tu's einfach*), wenn's sonst niemand tut.


*)Sofern du noch ein paar Winzigkeiten änderst (bzw. über meine Vorschläge zumindest nachdenkst):

… das, wo er seinen ersten Schneemann baut[,] und das Foto, wo …

Schweiß läuft über mein Gesicht. Ich taste nach der Lampe neben meinem Bett und schalte sie an. Ich zwinge mich, auf meine Atmung zu achten,
Die ersten beiden Possessivdings könntest ruhig raushauen:
Schweiß läuft mir übers Gesicht … neben dem Bett …

bzw. könntest auch gleich ... neben dem Bett ... raushauen, weil spätestens im nächsten Satz eh klar ist, dass ich da von einem Schlafzimmer lese:

Anna, meine Frau, wird vom Licht geweckt. Ich muss ihr nichts erklären. Sie kennt meinen Albtraum, der mich seit über vierzig Jahren quält.
Das erste ist unverzichtbar, das zweite allerdings schon wegen des folgenden Relativsatzes eher überflüssig.

als all das Blut aus ihm heraus floß [floss]
(Ich würd’s sogar zusammenschreiben: herausfließen, oder?)

hielt ich mir das Kissen vor‘s [vors] Gesicht

Schließlich räumte [ich] alles zurück in den Kühlschrank und öffnete die Tür zum Schlafzimmer.

Ach ja, das Komma hinter Schlafsack im ersten Zitat könntest auch rausschmeißen. Oder die Satzteile trennen:
Aber Anton lag mit Mister Bär in seinem Schlafsack. Er schlief wie ein Stein.


So, jetzt geht's wieder ins Bergwerk.
Tschüss, Fliege

PS
Liebe Grüße von Uschi übrigens. (Ja, gestern Abend im Werkzeug.H :D)

 

Hey ernst,

da ist er, der so lang anmoderierte Kommentar. Ach, was hab ich mich gefreut. Und schon wieder haste eine Liste dabei. Hört das denn nie auf? :D Nee, vielen, lieben Dank dafür. Auch dafür, dass der Wasserträger diesmal außen vor blieb. Und ja, ich fand vieles hübsch und richtig.

Tja, Fliege, was soll ich nach dem vielen Lob, das du für die Geschichte schon bekommen hast, noch groß sagen?
Außer: Ich finde sie auch richtig, richtig gut.

Da bin ich aber froh, dass Dir das noch eingefallen ist. *freu*

Berührend, traurig, grausam, wunderschön. Und trotzdem stellenweise sogar witzig. Wunderbare Figuren.
Einfach saugut geschrieben.

Und das auch noch. *freu* *freu*

Schon klar, vollkommen irre eigentlich diese Szene, aber von einer derartigen Wucht, so voller Schmerz, beinahe irreal … ich weiß nicht, ich fühlte mich spontan an Marquez erinnert. Weils trotz aller übertriebenen Dramatik so glaubhaft wirkt.

Unter uns, ich mag das auch total gern. Ich saß hier beim Schreiben und als mir die Idee so kam, wurde ich vor Freude darüber gleich ganz zappelig.

Scheiß drauf, ich tu's einfach*), wenn's sonst niemand tut.

Ich sage schon mal Danke. Und ja, so viele tolle Texte in letzter Zeit, auch in dieser Runde, das ist fast unheimlich. Aber unheimlich schön! Mir macht das Lesen gerade wieder mal total Spaß.

(Ja, gestern Abend im Werkzeug.H :D)

So schnell? Und jetzt?

Liebe Grüße aus dem novembergrauen Berlin,
Fliege

 

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