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Wolf werden

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04.07.2005
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Wolf werden

Eines Tages wird auch zu mir der Wolf kommen, um mich zu seinesgleichen zu machen.
Es wird auf der Kirmes sein, wo ich schon seit Längerem auf der Suche nach Zerstreuung umher streife.
Ich werde mich kaum zur Wehr setzen, eher erleichtert sein, wie er mich da so in traulicher Umarmung fängt. Auf warmherzige Art wird er mir begreiflich machen, daß es jetzt auch für mich an der Zeit ist, endlich Wolf zu werden.

Wir kämen an einen Stand, wo Tiere in einen großen Häcksler geworfen und anschließend zu Würsten verarbeitet werden. Da würde der Wolf erklären, daß auch ich durch diesen Häcksler müsse, wenn ich denn ein Wolf werden wolle.
Ich würde mich zur Wehr setzen, weil seine riesenhaften Pranken mich bereits empor gehoben hätten.
Doch er würde sogleich inne halten und mir Trost zusprechen: Es gäbe einen anderen Weg.

Wir gehen ein weiteres Stück und gelangen an eine Schießbude mit Pappfiguren. Der Wolf zeigt mir, wie Schützen mit Gewehren auf ihre Hälse schießen.
Ich spüre, daß auch er mir gern die Kehle zerfetzen würde, aber ich fürchte mich zu sehr.

Da packt der Wolf unter seinen Pelz und bringt ein Skalpell zum Vorschein.
"Diesmal mußt du aber wirklich vertrauen!", begehrt er mit heiserer Kehle, die nahe deiner Wange ruht.
Widerstrebend willigst du ein, weniger, um endlich Wolf zu werden, als vielmehr, um den Wolf, den du sehr magst, nicht schon wieder abzuweisen.

Du spürst nichts, als er eure rechten Augen entfernt, um sie vertauscht wieder einzusetzen.

Jetzt bist du also Wolf.
Und wie du befürchtet hattest, bleibt nichts als das blinde Auge und die Erinnerung.
Abermals umhüllt dich Einsamkeit wie ein bleierner Mantel, den zu tragen - ja, es ist seltsam - dir wieder leichter fällt.

 

nur zur Nachfrage

Danke für die zügige Kritik,

das mein Nick den Leser voreingenommen macht, hätte ich mir eigentlich denken müssen :)


das bild des wolfes ist natürlich beinahe schon so überladen mit bedeutungen, dass es schon wieder leer ist
Tatsächlich mir noch nicht zufriedenstellend gelungen, das Bild vage und vielfältig zu halten, ohne künstlich zu wirken; irgendwie muß das gehen.


(persönlich finde ich, das der text indem "zweiten" teil nachlässt, er gibt dort das auf, was ihn für mich interessant gemacht hat).

Könntest Du mir sagen wo dieser zweite Teil ist?
Dem persönlichen Empfinden nach war ich eher mit dem Mittelteil unzufrieden, Schluß und Anfang fand ich in Ordnung.
Meinst du den Perspektivenwechsel von erster in die zweite Person?

 

Hmm, ja, ich finde auch, dass der Wolf als kulturelles Symbol viel zu tief in allem drinsteckt, als dass er mich noch irgendwie beeindrucken könnte. Die Grundidee Deines Textes gefällt mir sehr gut, auch der Augentausch ist ein gutes Bild, aber statt des Wolfes hätte ich mir etwas neutraleres gewünscht, etwas, das mehr Projektionsfläche durch seine größere Leere bietet (Du merkst schon, ich weiß nicht so recht was. Vielleicht den Wolf des 20. und 21. Jh., das Automobil, oder den Showmaster.) Außerdem scheint mir der Perspektivwechsel zu früh gesetzt, nämlich vor dem Tausch. Das mag aber Absicht sein.

 

Hallo, Herr K.!

Ja, irgendwie erinnert die Geschichte vom Stil her an die Kafka-Parabeln, in denen einfache Sprache auf große inhaltliche Tiefe trifft und bei denen man schon etwas länger nachdenken muss, damit sie sich einem erschließen.

Auf den Ansatz einer Interpretation bin ich erst durch Nauts Beitrag gekommen.
Klar, anfangs führst du ein Leben, das du als leer und bedeutungslos empfindest. Eine einflussreiche / mächtige Person tritt an dich heran mit dem Angebot, aus dir einen reichen und berühmten Menschen zu machen ( Dieter-Bohlen-Motiv :D ). Als Preis musst du nur eine irreversible Veränderung deines Selbst in Kauf nehmen ( Erfolg-gegen-Seele-Motiv ). Als du die Veränderung zulässt ( sehr gutes Bild: das blinde Auge ), bist du wie er, dein Lebensgefühl hat sich aber nicht so verbessert, wie du gehofft hast.

Hoffe, diese Deutung war in deinem Sinne. :D

Ciao, Megabjörnie

 

Megabjörnie schrieb:
Hallo, Herr K.!

Auf den Ansatz einer Interpretation bin ich erst durch Nauts Beitrag gekommen.
Klar, anfangs führst du ein Leben, das du als leer und bedeutungslos empfindest. Eine einflussreiche / mächtige Person tritt an dich heran mit dem Angebot, aus dir einen reichen und berühmten Menschen zu machen ( Dieter-Bohlen-Motiv :D ). Als Preis musst du nur eine irreversible Veränderung deines Selbst in Kauf nehmen ( Erfolg-gegen-Seele-Motiv ). Als du die Veränderung zulässt ( sehr gutes Bild: das blinde Auge ), bist du wie er, dein Lebensgefühl hat sich aber nicht so verbessert, wie du gehofft hast.

Hoffe, diese Deutung war in deinem Sinne. :D

Ciao, Megabjörnie


Kommt dem Ganzen tatsächlich recht nahe!
Es gibt ja leider keine Rubrik "Das Erste Mal", sonst hätte ich sie wahrscheinlich dort gepostet.

 

Naut schrieb:
Hmm, ja, ich finde auch, dass der Wolf als kulturelles Symbol viel zu tief in allem drinsteckt, als dass er mich noch irgendwie beeindrucken könnte. Die Grundidee Deines Textes gefällt mir sehr gut, auch der Augentausch ist ein gutes Bild, aber statt des Wolfes hätte ich mir etwas neutraleres gewünscht, etwas, das mehr Projektionsfläche durch seine größere Leere bietet (Du merkst schon, ich weiß nicht so recht was. Vielleicht den Wolf des 20. und 21. Jh., das Automobil, oder den Showmaster.) Außerdem scheint mir der Perspektivwechsel zu früh gesetzt, nämlich vor dem Tausch. Das mag aber Absicht sein.

Eigentlich wollte ich dich auch nicht mit dem "Wolf" beeindrucken, sondern mit "Wolf werden".
Das Problem ist wohl. daß man sofort an "Werwolf werden" denkt.
War gar nicht die Intention, aber finde ich gar nicht so schlimm.

Ein Geschöpf sollte es auf jeden Fall sein, und den Wolf gegen was anderes
auszutauschen würde eine andere Geschichte ergeben.
Vielleicht kann ich aber den "Wolf" der Geschichte etwas weniger strapazieren...

Der Perspektivenwechsel ist auch so eine Sache, die ich mir noch gründlich durch den Kopf gehen lassen muß.

 

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