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"Wollen ist schon Handeln"

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07.12.2004
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"Wollen ist schon Handeln"

„Wollen ist schon Handeln“

Ist es so gut? Ich glaube schon, ja das wird es sein. Na los, trau dich. So ist es gut, raff dich auf. Das sagte ich mir, als ich sie besuchen ging. Der Schritt war lässig, in den Kopfhörern ein Mischmasch aus Rock n Roll, HipHop und Salsa. Ich war ganz ich, meine Füße tanzten den Rock n Roll auf den Bürgersteig, der Salsa ließ meine Hüfte schwingen und der HipHop zauberte mir diesen coolen Ausdruck ins Gesicht. Nein, ich ging nicht, ich schlenderte scheinbar ziellos drauf los und ohne etwas Besonderes zu tun, zog ich eine Show ab, ich stellte mich dar. Ein Lied gefiel mir besonders. Immer wenn ich bei diesem Lied anlangte, schaltete ich den Discman auf Repeat. Eswar ein Lied von One Inch Punch, eine Mischung aus Rock n Roll und Rap. Es hatte etwas Rastloses und Rasendes. Immer wenn ich das Lied hörte, wollte ich laufen.
Als ich verschwitzt bei der Busstation ankam, standen da eine Menge Leute, so dass ich das Plakat zuerst nicht bemerkte. Es war von einer Glasscheibe geschützt. Aber dann sah ich es: Eine Zigarettenwerbung. Mir kamen die eben genossenen Spaghetti Napoli wieder hoch. Ich hätte beinahe kotzen müssen. Die Leute um mich herum sahen mich schief an. Ich murmelte irgendwas von Lungenkrebs. Die Leute blickten mich mitleidig an und ein Getuschel schwoll leise an. Am liebsten hätte ich ihnen ins Gesicht geschrien, dass meine Freundin Lungenkrebs gehabt hatte. Am liebsten hätte ich die Glasscheibe eingeschlagen und das Plakat heruntergerissen.
Innerlich rasend stieg ich in den Bus ein. Mein Herzschlag glich sich dem Rhythmus des Liedes in meinen Kopfhörern an. Es raste. Ich raste. Alle Menschen um mich herum glotzten nur. Ich glaube, man konnte mir ansehen, dass ich raste. Ich konnte nicht sitzen. Ich stand mitten im Bus, im Hintergrund dieses Lied und alle Anderen saßen und blickten ehrfürchtig zu mir hinauf als wäre ich der Rachegott höchstpersönlich und würde mir gleich einen von ihnen aussuchen, dem ich einen Schlag ins Gesicht verpassen würde. Gewollt hätte ich schon... sie hätte das getan. Aber als meine Freundin Lungenkrebs hatte war sie friedlicher. Denn sie hatte Mitleid mit mir. Sie bemitleidete mich um das, was ich ertragen musste. Und jetzt war ich auf dem Weg zu ihr.
Als ich den Bus verließ, stieg ich über einen leblosen Körper hinweg, aber das interessierte mich, glaube ich, nicht sonderlich. Ich war in Gedanken. Sie war immer sehr dominant gewesen. Wir hatten fast ein Verhältnis wie Mutter und Sohn. Doch als ich meine Freundin das erste Mal traf, begann ich seltsamerweise selbstständiger und selbstbewusster zu werden. Irgendwann zog ich aus mit der Begründung, ich brauchte mehr Freiraum. Ja, ich hatte sie in ihre Schranken gewiesen. Doch mein Freundin unterstützte mich.
Ich ertappte mich dabei, wie ich zu ihr hetzte, denn ich war spät dran. Cool down, sagte ich mir. Lied und Herz schlugen immer noch im Takt. Ich dachte, wenn das Lied mal zu Ende sei, würde auch mein Herz aussetzen, aber zum Glück hatte ich auf Repeat gedrückt. Ich verlangsamte meinen Schritt, ich schlenderte wieder. Ich war cool, unverletztlich. Ich hätte gewollt, ich wäre immer unnahbar gewesen.
Carlita war der Name meiner Freundin gewesen. Als man im Krankenhaus den Lungenkrebs diagnostizierte, war Carlita zuerst total am Boden zerstört. Dann rappelte meine Freundin sich wieder auf und begann den Kampf gegen den Krebs. Carlita hatte ihre Stärke nie verloren. Ich dagegen schämte mich, dass ich Carlita nicht hatte unterstützen können, denn ich hatte mit mir selber zu kämpfen gehabt. Sie hatte Mitleid mit mir gehabt.
Jetzt war ich da, bei ihr. Sie wohnte in einem schönen Haus mit ihrem Mann und den zwei Kindern, sie hatte was aus sich gemacht, wie man so schön sagte, im Gegensatz zu mir. Ich betätigte den Türklopfer. Tack, tack; Herz, Lied, Türklopfer, alles ein Rhythmus. Ich hörte Schritte im Haus. Die Tür ging auf, sie stand vor mir. Ja, ich hatte nicht die Kraft gehabt, Carlita zu helfen. Doch zum Glück war meine Freundin stark gewesen. Sie hatte Mitleid gehabt, immer nur Mitleid, hatte mich getröstet wie ein kleines Kind.
„Wie sieht denn deine Hand aus?“, quiekte sie.
Ich sah auf meine Hand. In ihr staken lauter Glassplitter und sie war blutüberströmt. Meine Hose hatte lauter dunkle Flecken. Seltsam. Bis jetzt hatte ich den Schmerz nicht bemerkt, aber nun pulsierte er in meiner Hand. Schmerz, Lied, Herz; tack, tack.
„Los, komm rein, erstmal verbinde ich deine Hand. Also, wo du dich bloß herumtreibst. So kannst du nicht zu Carlitas Grab.“
Sie behandelte mich immer noch wie ein kleines Kind. Aber meine Schwester hatte recht. So konnte ich nicht zu Carlitas Grab. Sie war stark gewesen. Mit einem Lächelnwar sie dieser Welt entwichen. Stark und sanftmütig. Sie hatte mir Selbstvertrauen gegeben, als ich bei meiner Schwester auszog.
Ich wollte mich nicht weiter von meiner Schwester bevormunden lassen. Carlita durfte nicht umsonst gestorben sein. Auch wenn sie tot war, gab sie mir noch Selbstvertrauen.
„Nein“, sagte ich.
„Wie ‚Nein‘? Du kommst jetzt herein und ich verbinde deine Hand. Hörst du nicht?“
„Nein, ich will nicht.“
„Ach, jetzt benimm dich nicht wie ein kleines Kind“, ihr Gesicht verzerrte sich und sie begann zu schreien, „und nimm endlich diese beschissenen Kopfhörer aus dem Ohr. Du hörst mir ja gar nicht richtig zu.“
Sie riss mir die Kopfhörer aus den Ohren. Tack tack; Wort um Wort, Herz, ... wo war das Lied? Ich hörte das Lied nicht mehr. Mein Herz setzte kurz aus, dann schrie ich:
„Du bist schuld! Du bist schuld, dass Carlita gestorben ist. Du hast Carlita in die Verzweiflung getrieben, weil Carlita mich nicht aus deinen Klauen befreien konnte! Du denkst du bist was Besseres, nur weil unsere Eltern dich immer bevorzugt haben und ich das schwarze Schaf in der Familie bin!“
Erst war sie sprachlos, dann verzog sich ihr Mund spöttisch:
„Und obwohl ich sie angeblich in den Tod getrieben habe, kannst du dich immer noch nicht von mir frei machen.“
Ich wollte sie packen und schütteln. Wollen ist schon Handeln. Ich packte sie und schüttelte sie. Dann schubste ich sie zur Seite und stürmte in das Haus.
„Dein beschissener Reichtum macht dich auch nicht zu einem besseren Menschen.“
Ich nahm den Feuerlöscher, der in der Ecke hing und begann auf alles einzuprügeln, was hie und da in der Wohnung stand. Das Porzellangeschirr, die Schränke, Spiegel, Stühle. Der Glastisch zersplitterte. Meine Schwester kam in den Raum gerannt.
„Lass das“, schrie sie und fiel mir in die Arme. Ich schüttelte sie ab. Dann wurde ich auf die Gemälde aufmerksam. Ich rannte auf ein besonders Großes zu und schlug es von der Wand. dann trampelte ich wie ein Wahnsinniger darauf herum.
„Nicht, das ist ein Dürer“, flüsterte meine Schwester mit erstickter Stimme.
„Ja, ja, es ist ein Dürer. Den verehrst du, was? Den hängst du auf, um ihn zu bewundern“, ich packte sie an den Haaren und zwang sie mir in die Augen zu sehen, „aber ich, ich bin dein Bruder, ich bin ein Mensch. Würdest du für mich auch 50000 Dollar bezahlen? Keinen Cent...“.
Es war eine ausweglose Situation. Wie sollte der Film weitergehen. Zwischen uns gab es nichts mehr zu sagen und zu tun. Sollte ich gehen, sollte ich bleiben? Da hörte ich die Lösung des Problems, die Erlösung aus dieser vertrackten Situation: Es klingelte. Mehrmals und dringlich. Ruhig ging ich zur Tür mit dem Feuerlöscher in der Hand. Ich öffnete die Tür und fragte:
„Sie wünschen?“
Da stürzten hinter dem Mann, der vor mir stand, mehrere Männer hervor, seltsam vermummt, drehten mir den Arm auf den Rücken und legten mir Handschellen an. Auf ihren schusssicheren Westen stand „Polizei“. Der Mann vor mir sagte:
„Sie sind festgenommen wegen Vandalismus und schwerer Körperverletzung. Alles was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden.“
Dann fügte er noch spöttisch hinzu:
„Es würde nichts nützen, alle Zeugen im Bus haben eine übereinstimmende Aussage abgegeben.“
Dann führten sie mich ab. Das war das erste Mal, dass ich meine Schwester überrascht und erschrocken gesehen hab.
Ich wurde zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Meine Schwester schied sich in dieser Zeit von ihrem Mann und verspekulierte danach ihr ganzes Vermögen an der Börse. Sie wohnt jetzt in meiner Wohnung und kommt mich oft besuchen. Ich mache ihr neuen Mut. Es ist jetzt fast wie eine Vater-Tochter-Beziehung.

 

Hallo Hermes!

Ich weiß kaum, was ich zu Deiner GEschichte schreiben soll. Die Grundsituation - geliebter Mensch stirbt an Lungenkrebs - ist mir sehr gut bekannt. Erst heute wird wieder ein Bekannter zu Grabe getragen, der unterartet Lungenkrebs bekam. Da brechen Welten zusammen und ich kenne auch die Situation, dass der Kranke stärker ist als die mit ihm verbundenen Menschen.

Auch die Situation, dass jemand mit dem Tod nicht fertig wird und zum vandalen wird, kann ich nachvollziehen, auch wenn ich mich frage, warum hier nicht früher helfnd eingegriffen wurde.

Was mich stört, ist die Sprache, die es mir schwer macht, den Text zu lesen. Vielleicht, weil ich ein unmusikalischer Mensch bin und mich in diese versponnen Welt kaum hineindenken kann.
Den Schluß finde ich sehr übertrieben und die vater-Tochter-Beziehung verstehe ich gar nicht, das kommt überraschend und ist mir aus dem Text nicht nachvollziehbar.

Alles was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden
Das ist amerikanisch - und so frage ich mich, wo Deine Geschichte eigentlich spielt und ob ihr auch ein Filmausschnitt zugrundeliegt.

Lieben Gruß

 

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