Wolllullu
Wolllullu
„Ich hätte gern noch ein Weizen“, sagte ich zu der Kellnerin, die sich in diesem Moment soweit über unseren Tisch beugte, dass ich ihr durch den weiten Wasserfallausschnitt bis zum Bauchnabel schauen konnte.
„Wieder ein helles?“, fragte sie und sah mich dabei an. Sie hatte schöne Augen. Groß und rund. Ein wenig erinnerten sie mich an die Trickfiguren aus diesen japanischen Comics, aber ihr Gesicht war feiner geschnitten. Man hätte es in dieser Form auch auf unzähligen Hochglanzmagazinen finden können.
„Ja.“
Sie nickte freundlich und ging zu dem Tisch gegenüber. Auch dort beugte sie sich nach vorn, aber diesmal konnte ich ihren kleinen, aber festen Po bewundern, den sie mir fast auffordernd entgegenstreckte.
Wie jeden Freitag saßen Tim und ich in der kleinen Kneipe und ließen die Woche bei einem kühlen Bier ausklingen. Es war nicht das schönste und auch sicherlich nicht das billigste Etablissement in unserer Nähe, aber hier lief Musik, die wir hören konnte, ohne das sie uns noch bis ins Bett hinein verfolgte.
„Wie lange schmachtest du dem Mädel nun schon hinterher?“ Tim nahm einen Schluck von seinem Kölsch und sah mich grinsend an.
„Hm, wahrscheinlich seitdem sie hier arbeitet“, antwortete ich ihm ehrlich.
„Das dürfte dann ja schon so ein Jahr sein. Allerdings benimmst du dich, als wären dir auch in dieser Zeit erst die ersten Haare am Sack gewachsen. Mein Güte. Sprich sie endlich an, sonst mach ich das für dich.“
„Mach den Kopf zu, Tim. Tu nicht so als wärst du der tolle Hengst.“
Er sah mich herausfordernd an, während die Kellnerin hinter einer hölzernen Theke verschwand.
„Hasi, es geht hier nicht um mich, sondern um dich. Also mal Butter bei die Fische. Wo genau liegt dein Problem. Das schlimmste, was dir passieren kann, ist das sie dir ein Nein an den Kopf wirft. Na und? Dann trinkst du dir noch ein Bier und machst weiter wie bisher. Noch besser, du kannst dir sogar das üppige Trinkgeld sparen, was du ihr jede Woche gibst.“ Manchmal hasste ich Tim für seine direkte Art. Er kümmerte sich nicht darum, was andere dachten und deshalb hielt er sich auch in seiner Lautstärke nicht zurück. Ich hatte das Gefühl, als würden die anderen Gäste mich anstarren und über mich lachen.
„Ich hab kein Problem. Aber was will so ne Frau wie die, mit nem Typen wie mir?“
„Perle ist Perle, Hasi. Und mal ganz ehrlich. Jede Frau könnte glücklich sein, wenn sie so nen Kerl wie dich abbekommt. Wenn du mehr Geld hättest, würd sogar ich mit dir ins Bett steigen.“
„Behauptest du nicht von dir selbst, dass du mit allem ins Bett gehst?“, entgegnete ich ihm.
„Ja, aber Sie“, er betonte dieses Wort besonders stark, „sollte doch wenn möglich andere Qualitäten besitzen als du, wenn du weißt was ich meine.“
„Ach komm. Lassen wir das. Lass uns zahlen und abhauen. Ich weiß, was ich zu bieten habe und für diese Frau reicht das ganz bestimmt nicht.“
„Nee. Au Mann. Du hast ein Selbstvertrauen, das ist so groß wie ne Nuss. Wenn mich nicht alles täuscht, bringt die Gute gleich noch ein Weizen für dich und wenn du sie dann nicht ansprichst, mach ich das. Und das ist ein Versprechen.“
„Wenn du das machst, gehst du bis zu deinem Lebensende mit niemanden mehr ins Bett!“
Im Augenwinkel sah ich die Kellnerin herankommen. In der Hand trug sie ein volles Weizenglas. Ich schluckte und sah Tim drohend an.
„So. Noch ein Weizen.“ Sie stellte das schwere Glas direkt vor mich und ich beobachtete die kleinen Tropfen, die daran herunterliefen, um ihr nicht in ihre Augen schauen zu müssen; oder woandershin.
„Entschuldige bitte“, begann Tim und mir schnürte es die Kehle zu.
„Ja?“
„Wolllullu.“
„Wie bitte?“ fragte sie mit hörbar irritierter Stimme. Ich blickte hoch und sah zwischen den beiden hin und her. Tim lächelte. Sie zog eine Grimasse.
„Wolllullu“, wiederholte er und die Grimasse verschwand. Ihr Gesicht war nun ausdruckslos.
„Was soll das Tim?“
„Ganz ruhig, Hasi. Vertrau mir.“ Und dann noch einmal: „Wolllullu.“
Dann lächelte auch die Kellnerin. Tim deutete mit einem Fingerzeig auf mich und sie kam zu mir herüber. Ihr Bein berührte meins und schließlich drückte sie ihre Lippen auf meine. Alles geschah so schnell, dass ich der Situation kaum folgen konnte. Als ich begriff, was geschehen war, war sie auch schon wieder weg.
„Was genau war das grad?“
„Das war Wolllullu, Hasi.“
„Sag mal. Wollt ihr mich hier verarschen? Was ist das für ein Spiel?“ Ich wurde wirklich ungehalten. Tim wusste genau, dass mir einiges an der Kellnerin lag, obwohl ich nicht einmal ihren Namen kannte und nun zogen sie mich zusammen auf.
„Kein Spiel. Wolllullu. Wolllullu ist ein alter Liebeszauber.“ Er grinste. „Familiengeheimnis.“
„Ist klar, Mann. Das ist dann wohl auch der Grund warum dein Vater ne jüngere vögelt.“
Eigentlich wollte ich ihn damit verletzen, ihn aus der Reserve locken, aber Tim blieb nur bei seinem wissenden Grinsen.
„Das ist kein Scheiß, Hasi. Wolllullu funktioniert. Sag es und die Frauen stürzen sich auf dich.“
„Ja genau. Wollen wir doch mal sehen, was deine Partnerin noch so zu sagen hat.“
Ich winkte ihr zu und sie kam herüber.
„Wollen wir nicht auf die Toilette gehen und es so richtig miteinander treiben?“ Jetzt grinste ich, weil ich zu wissen glaubte, dass sie das Spiel nun nicht aufrechterhalten würde, aber meine zur Schau getragene Fröhlichkeit verschwand prompt, als ihre flache Hand einen roten und schmerzenden Fleck auf meiner Wange hinterließ. Als es knallte, nahm Tim gerade einen weiteren Schluck seines Bieres, der nun durch seine Nasenlöcher wieder hinausfloss. Er lachte so laut, dass sich alle in der kleinen Kneipe nach uns umschauten. Erst blickten sie auf seinen hochroten Kopf, dann auf meinen, der stellenweise die selbe Farbe aufwies.
„Oh scheiße Mann. Wolllullu funktioniert nur begrenzt. Es ist ein Zauber für den Augenblick.“
Tim wischte sich mit seinem Ärmel das Bier aus dem Gesicht. „Ich hab doch keine Ahnung, was sich bei Aussprache dieses Wortes tut, aber die Frauen reagieren nur kurz und vergessen dann alles wieder.“
„Also doch nicht der Grund, dass dein Vater noch´n Kind vögelt.“ Ich war jetzt wirklich ärgerlich, was sicherlich auch darauf zurückzuführen war, dass meine Wange wie Feuer brannte, ich angestarrt wurde und das mir die Kellnerin immer wieder vernichtende Blicke zuwarf.
„Tja. Bei meinem Pa ist das anders. Keine Ahnung. Vielleicht reift Wolllullu mit dem Alter heran.“
Ich stand wütend auf. „Du kannst mich mal, Tim. Du zahlst!“ Damit ließ ich ihn sitzen und eilte zur Theke. Gebeugt und mit allem Mut den ich hatte wandte ich mich an die Kellnerin.
„Hör mal. Es tut mir Leid. Es war ne Art Wette“, versuchte ich mich rauszureden. „Er hat gesagt, dass ich es mich nicht traue, so etwas zu sagen.
„Du hättest auch gut daran getan es nicht zu sagen“, antwortete sie mit fauchender, aber ruhiger Stimme.
„Es ging doch nur um dieses blöde Wolllullu. Ich dachte, das wär ne Erfindung von...“. Weiter kam ich nicht. Die Kellnerin griff über die Theke nach mir und zerrte mich an ihre Lippen. Diesmal ergriff ich die Gelegenheit, auch wenn ich wieder nicht genau wusste, wie mir geschah und erwiderte den Kuss. So innig, wie ich es mir das Jahr zuvor immer wieder vorgestellt hatte. Als ich dann in ihre Augen blickte, in diese Zeichentrickaugen, glaubte ich dort etwas zu sehen. Unsere Lippen trennten sich und sie blickte mich wieder leer an.
„Hier“, sagte sie, kritzelte etwas auf einen kleinen Zettel und gab ihn mir. „Bist ja eigentlich ein netter Kerl. Ruf mich mal an. Aber sag mir dann was netteres. Und vielleicht lässt du dir diesmal nicht ganz soviel Zeit mich mal anzusprechen.“
Ich hörte, wie im Hintergrund jemand in die Hände klatschte. Es klang wie ein fröhliches Applaudieren.
„Dankeschön“, sagte ich verlegen und verließ mit dröhnendem Kopf die Kneipe. Draußen wehte ein frischer Wind und ich fühlte mich mit einem Mal, als könnte ich Bäume ausreißen.
„Wolllullu!“, schrie ich in die Nacht hinaus. „Wolllullu!“ Immer und immer wieder, bis die Lichter in den Schlafzimmern der umliegenden Gebäude angingen und einige neugierige Augen mich betrachteten. Vielleicht hatten sie auch nur der Zauber aus dem Schlaf gerissen und vielleicht waren all die Augen, die auf mich gerichtet waren, die Augen von jungen Frauen, die mir nur ihre Lippen schenken wollten.