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Wut
Die neue Woche hatte begonnen und das regte Michael so richtig auf. Er hasste Montage, die ganze beschissene Woche noch vor sich, ständig Arbeit, Konzentration und Fleiß. Wie er das verabscheute. Egal was er machte, was er anstellte, es war entweder nicht gut genug oder ihm wurde vorgeworfen, er strenge sich nicht richtig an. Diese Stümper. Was wussten die denn schon? Nichts natürlich! Sie lebten wohl immer noch in ihrer verdammten Traumwelt. Friede, Freude, Eierkuchen. Jawohl. Heute morgen erst fuhr Michael seinen Vater an, weil dieser ihn dazu nötigte, Guten Morgen zu sagen. Doch er blieb still und sein Vater wies ihn deshalb grob darauf hin. Wie konnte er nur auf diese sinnlose Ritual beharren? Michael sah seinen Vater doch quasi jeden blöden Tag. Reichte es nicht ihn täglich nur ein Mal zu begrüßen? Nein, laut seinem neunmalklugen Vater sollte Michael das am Morgen (Guten Morgen) und am Nachmittag machen (Guten Tag). So ein hirnverbrannter Schwachsinn. Sein Vater durfte ihn nicht reizen, er wusste doch, dass Michael gewisse Probleme hatte sich bei gewissen Dingen zu zügeln.
Vielleicht könnte er sich von diesen nervenden Dingen ablenken...
Michael blickte aus dem Fenster.Wolken zogen am Himmel vorüber, als wollten sie sagen ‚Komm mit Michael, wir fliegen an einen anderen Ort, der dir sicher gefallen wird. Du wirst auf einer Wiese liegen. Der Wind kitzelt deine Nase. Die Sonne wärmt dich. Du musst dir keine Sorgen machen, sondern einfach nur auf der frischgemähten Wiese liegen und dich über den schönen Tag freuen.‘ Es klappte genauso, wie er es in der Therapie gelernt hatte. Konzentration genügte vollkommen. Man musste seine Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand richten, mit ihm fühlen, denken, sehen, riechen, regelrecht zu ihm werden und leben und schon strömten beruhigende entspannende Energien in den eigenen Körper. Es war schwierig dies anzuwenden, Arbeit gehörte selbstverständlich dazu wie Butter aufs Brot. Positiv denken...
Doch dann verformten sich die friedlichen Wolken plötzlich. Sie wurden dunkler und ähnelten immer mehr Gesichtern, schmerzverzerrten Gesichtern, die vor Qualen schrien, vor unendlichen Leiden. Das Geräusch war so schrill und heftig, Michael versuchte sich die Ohren zu zuhalten, aber es brachte nichts. Es dröhnte in ihnen. Dann Fratzen. Wutverzerrte Fratzen. Sie wollten Blut und Tod. Aber warum? Was geschah hier?
Michael wachte aus dem Albtraum auf. Er war eingeschlafen, während er versuchte sich zu entspannen. Er rieb sich die Augen und ließ ein leises müdes Stöhnen von sich. Träume diesen kannte er sehr gut. Wirklich schockieren, konnte ihn das nicht mehr, dennoch hasste er es schlecht zu träumen. Michael schaute gedankenverloren an die Tafel.
Schon seine Kindheit war sehr schwer für Michael. Man konnte ihn ziemlich leicht reizen in jungen Jahren. Mit acht Jahren beispielweise ärgerte ihn ein Mitschüler aus seiner Klasse aufs Äußerste, schubste ihn, beleidigte ihn, spuckte ihn an zum Missfallen von Michael, der sich das nicht gefallen ließ. Er versuchte noch ruhig zu bleiben, sich zu beherrschen, aber es gelang ihm nicht. Er schlug James, den Mitschüler, krankenhausreif und zeigte kein Erbarmen. Sein Unterkiefer war gebrochen, genauso wie sein rechter Arm, auf seinem ganzen Körper leuchteten blaue Flecke und auch psychsich war er etwas angeknackst. Als die Ärzte ihn fragten, wer ihm das angetan hatte, sagte er, es ein Junge in seinem Alter gewesen, den Namen kenne er nicht (wohl eine Folge seiner Gehirnerschütterung). Die Ärzte schockierte das. Welcher achtjährige Junge war so kräftig und konnte jemanden so zu richten?
Sie fanden Michaels Namen heraus und wollten ihn sich etwas genauer ansehen. Sein Vater willigte ein, denn er war mehr oder weniger die Befehlsgewalt Zuhause, da Michaels Mutter sehr früh verstarb. Er schnappte sich Michael und fuhr mit ihm zum Krankenhaus. Dort vollzogen sie etliche Tests an ihm. Blutproben, Urin, die ganze Palette.
Das Ergebnis war so überraschend wie nüchtern: Michael leide an einer Krankheit, die den Patienten bei geringster Reizung dazu veranlasste, die Kontrolle zu verlieren und Gewalt zu suchen. Wenn diese Krankheit nicht behandelt werde, würde Michael sehr früh sterben, da durch diese, wie sie es ausdrückten, Ausbrüche, das Herz, sowie die Blutgefäße sehr stark belastet werden. Außer ihm sei noch ein anderer Mensch mit der gleichen Krankheit wohnhaft in seiner Heimatstadt (allein das war ein Kuriosum), weltweit würde es jedoch nur sehr wenige Fälle geben. Wer das sein sollte, wollten sie ihm nicht sagen.
„Hast du gehört Junge? Du bist dieser Hulk, wie in diesen Comics, die du immer liest“, sagte sein Vater damals und grinste dämlich. Michael lachte bei dieser Bemerkung, aber insgeheim kochte er schon wieder vor Wut. Wie gern hätte er doch...
Schließlich empfahl man seinem Vater, Michael solle an diversen Therapien teilnehmen, denn in seinem jetzigen Zustand, war er laut Meinung der Ärzte, eine Gefahr für andere und sich selbst.
Und so geschah es.
Wochen, Monate, Jahre. Immer wieder die gleiche Prozedur. Trotzdem lernte er interessante Dinge über die Selbstbeherrschung und die Fähigkeit ruhig zu bleiben. Wie etwa jene Technik, (auf den ersten Blick) friedliche Dinge zu beobachten und sich von ihnen faszinieren zu lassen. Allerdings bereitete es Michael große Mühe ständig bei der Sache zu bleiben und diese Techniken mit seinen Therapeuten zu lernen. Immer wieder das gleiche Prinzip. Tief durchatmen, denken, nicht handeln. Das begann ihn langsam krank zu machen. Doch es half, was ihn jedes Mal verblüffte.
Die Wolken schienen ganz normal zu sein. Keine Gesichter oder Fratzen, Schreie oder anderes. Einfach nur normale weiße Wolken. Jedoch hatten diese während Michaels Schläfchen zugenommen. Sie überwogen nun am Himmel und deuteten auf einen traurigen Tag hin. Er schaute auf seinen Tisch.
Das Licht war gedämpft und erzeugte eine beruhigende Atmosphäre auf der Ablage. Er war drauf und dran schon wieder einzuschlafen, aber das konnte er sich nicht erlauben, er musste bei der Sache bleiben, sonst würde er seinen Abschluss nie machen können. Außerdem wollter er nicht noch ein Mal einschlafen. Das vorherige Erlebnis reichte ihm durchaus.
Seine Aufzeichnungen lagen still vor ihm, so als bettelten sie um seine Aufmerksamkeit. Er schaute konzentriert auf seinen Hefter, zehn Sekunden verstrichen, zwanzig Sekunden verstrichen, dreißig...jetzt wäre er fast eingenickt. Wie sehr wünschte er sich, Wochenende zu haben. Dann könnte er endlich wieder das tun, nach dem es ihm verlangte, was er brauchte. Aber so saß er in dem engen Raum und lebte vor sich hin.
Wie frustrierend das doch war!
Er griff in seine Tasche, holte eine Trinkflasche heraus und trank ein paar Schlucke. Wie sagte sein Vater immer? Trinken regt das Denkvermögen an? Und tatsächlich, er fühlte sich besser. Aber als er an das dachte, was er noch zu erledigen hatte, verlor er sogleich wieder den Mut und Wut ballte sich in ihm zusammen.
Vielleicht sollte er wirklich einfach einschlafen, jedem mental den Stinkefinger zeigen und sich von der Außenwelt abschotten. Er brauchte doch nichts und niemanden. Ha, es wäre doch gelacht, wenn er alles nicht auch alleine schaffen würde. Der Nächste,
„Michael?“
der ihm dumm kommt,
„Michael?“
sollte sein blaues Wunder erleben...
„MICHAEL!“
Plötzlich wachte Michael aus seinem Tagtraum auf.
„Ja?“ fragte er.
„Hast du etwa wieder geschlafen Michael?“ stellte der Lehrer, der vor der Klasse stand, als Gegenfrage.
„Nein“, antwortete Michael.
„Na das will ich auch gehofft haben für dich, beim nächsten Mal gibt’s eine 6“, drohte der Lehrer.
„Ja.“
So ein nerviger Mensch. Na warte, wenn du mich noch ein Mal ansprichst, bekommst du es mit mir zu tun.
„Warum schaust du mich so an Michael? Hast du noch etwas auf dem Herzen?“ fragte der Lehrer erneut.
Hören Sie endlich auf mich zu nerven, ich kann es nicht immer kontrollieren.
„Ich...“, setzte Michael an.
„Michael, wenn du nicht bald beginnst dich anzustrengen, wirst du Probleme bekommen und zwar nicht nur bei mir“, sagte der Lehrer.
Hör schon auf, bitte hör auf, es soll nicht hier passieren. Ich will dir nicht wehtun.
„Hast du verstanden Michael? Streng dich an! Verbau dir nicht deine Zukunft!“
Lass nicht zu, dass es die Oberhand gewinnt.
„Hörst du mir überhaupt zu Michael? Du siehst so aus, als würdest du dich innerlich über mich lustig machen“, warf der Lehrer Michael vor.
„Lassen Sie mich in Ruhe verdammt noch mal! Reizen sie mich nicht! Sie wollen das nicht!“ schrie Michael regelrecht.
„Nicht in diesem Ton mein Freund. Ich bin hier die Autorität, nicht du. Ich versuche nur dir zu helfen, aber du scheinst dir nicht helfen lassen zu wollen“, stellte der Lehrer fest.
„Halten Sie ihr Maul! Sie wissen nicht, was ich bin, wenn sich Wut in mir ansammelt.“
„Michael zügle dich in deiner Wortwahl. Ich rat‘s dir...“
„Verdammter Hurenbock, sei still“, beleidigte Michael den Lehrer.
„MICHAEL!“
Lass es frei, los, lass es sich Genugtuung verschaffen! Es wird nicht wehtun, nur ein bisschen zwicken. Lass es frei, LOS!
Nein ich darf nicht, ich kann nicht, es geht nicht, er weiß nicht was er sagt. Nein!
Lass Es FreiI! Na Los, Bring Tod Und Unglück Über Diesen Menschen. Er Hat Es Verdient, Los!
Ich will das nicht, jedes Mal wenn das passiert, tue ich jemandem weh.
Aber Er Hat Es Verdient, Weil Er Dich Beleidigt Hat!
Nein!
Es Ist Zu Spät, Ich Spüre Bereits Wie Die Wut In Dir Kocht, Tu Es, Jetzt, Sofort, Töte Ihn!
Beide Menschen im Raum kämpften mit sich selbst. Wer würde den Kampf mit sich selbst verlieren? Die Anspannung war spürbar. Alles konzentrierte sich auf Michael und den Lehrer. Die Schüler begannen leise zu tuscheln, manchen stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Schüler und Lehrer schauten sich unentwegt an, so als versuchten sie hinter die Fassade des anderen zu schauen. Schließlich tat der Lehrer den ersten Schritt. Er krümmte sich nach vorn und grunzte wohlgefällig. Auf seinem Rücken brachen Stacheln aus seinem Rücken und seine Kleidung zerriss am Oberkörper. Der Kopf lag nun direkt auf ihn, da der Hals sich zurück gebildet hatte.
Der Schüler beobachtete diese Metarmophose und fing auf ein Mal an fürchterlich zu lachen.
Du bist also der Andere...
Auch er ließ sich einfach fallen und verwandelte sich langsam. Seine Beine gaben ein unnatürliches brechendes Geräusch von sich. Seine Hände verschmolzen und formten Klauen. Gigantische Muskeln entstanden an seinem gesamtem Oberkörper.
Beide Kreaturen standen sich gegenüber. Der Schüler und der Lehrer. Seit je her gab es diesen Kampf. Nie konnte eine Seite ihn für sich entscheiden, doch hatte der Lehrer stets einen kleinen Vorteil. Wer würde dieser seit Generationen bestehende Kampf diesmal ausgehen? Würde es einen Sieger geben?
Michael stürzte sich, unter großen panischen (aber mit ihm fiebernden) Augen der anderen Schüler, auf den Lehrer und es begann.