Was ist neu

Zarte Triebe im Frühling

Mitglied
Beitritt
16.12.2005
Beiträge
9
Zuletzt bearbeitet:

Zarte Triebe im Frühling

Zarte Triebe im Frühling

Es war an einem kühlen Märztag. Ich fuhr, mich unruhig wälzend in Morpheus’ Armen, durch gewiss wundervolle bayrische Lande. Allerdings war ich an diesem Tag nicht besonders empfänglich für Reize aller Art, wegen Kopfschmerzen und Müdigkeit. Dumpf brütete ich im ICE dahin, ich, ein fadenscheiniger Schatten bloß der letzten Nacht. Grau meine vorherrschende Laune.
Habe ich damals eigentlich das erstemal mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt? Das geistige Durchleben besonders trauriger Todesarten, triefend vor Selbstmitleid, gepaart mit einem Unmaß an Resignation. Alles so grau um mich herum.
Wie ich es hasse, dieses Leben, nicht wert des eigenen Namens, ein Wechsel aus Hoch und Tief. Ausschöpfen der Lebenskraft im exzessiven Feiern, scheinheilige Befriedigung der Seele vorgaukelnd, Vergewaltigung des Selbstwertgefühls in sinnlosem Geplänkel mit Freunden, die keine sind, Flirten mit Mädchen, die einen nie lieben werden. Alles so grau um mich herum.
Eine Welle der Verzweiflung trieb mich, ich schrie, die Leute mochten es hören. Öffne die Augen: Stumm musste ich geschrieen haben, trotzdem aus vollem Halse, Qual die für sich sprach, stumme Schreie, egal. Speichel lief mir über das Kinn.
Musste ich doch eigentlich nach besserem Wissen handeln, so war ich doch ein Feigling, der die Sinnlosigkeit des Lebens erkannt hatte, sich aber nicht besserte.
Der Partylöwe war ich gewesen, keine Frage, niemand tanzte mehr als ich. Und immer wieder geschaut, ob denn alkoholisierte Blicke mir Beachtung schenkten. Mache ich mir selbst etwas vor? Alles so stumpf. Die Welt durch einen Filter, der war grau.
Habe ich an Selbstmord gedacht? Der Gang auf die Toilette, Übergeben und Schwindel, hämmerndes Dröhnen im Kopf. Zufällige Berührung des Taschenmessers, ich pflegte es immer sorgfältig, schärfte es regelmäßig, sehr scharf übrigens, paranoider Drang zur Selbsternstnehmung. Der gewohnt kühle Glanz der Klinge, liebkosendes Streicheln, leichtes Anritzen des Armes.
Wieder auf dem Sitzplatz kamen die Selbstvorwürfe. Ich war ein Feigling, konnte mir nicht einmal selbst das Leben nehmen. Hatte Kopfschmerzen wie Presslufthammer. Nach dem Schlucken zweier Tabletten, wie immer, ging es wieder, eigentlich eher selten. Aber alles so grau um mich herum.
Ich vergaß zu erwähnen, dass es regnete.
Eine Welt, gegen mich gekehrt, oder ich gegen sie. Dieser Zustand, nenne man es melancholisch, selbstmitleidig oder suizidgefährdet, hielt an, als ich in München auf den Bahnsteig stolperte.
Erdrückende Masse der Leute, die ich nie in diesem Leben wieder sehen würde, eine anonyme, unbeteiligte Gruppe, sie widerten mich an. Ich war der Steppenwolf, genau in diesem Moment seine reine Inkarnation. Ich hasste diese Menschenpuppen, gefangen in ihrer Scheinwelt aus Geplänkel, Wichtigtuerei und Eitelkeit.
Selbsthass? Ja, auch.
Dann mein Beschluss, dem Leben zu entsagen, auf der Herrentoilette sollte es geschehen.
Graue Leere im Hinterkopf lief ich auf den Ausgang zu.
Ab diesem Augenblick haben sich die Geschehnisse in mein Gehirn eingebrannt. In Zeitlupe spürte ich, wie das Universum anfing sich zu wandeln. Ich drehte unwillkürlich meinen Kopf nach rechts. Im Menschengewirr stand, an einen Kiosk gelehnt, eine Frau hohen Alters. Sie war mittelgroß, schlank, und hatte langes schlohweißes Haar, welches ihr auf edle Weise, zusammengebunden, den Rücken herunterfloss. Sie trug einen tiefroten Filzmantel. Ihre Haltung, gerade wie eine Lilie, verriet Aufrichtigkeit, ihre Gesichtszüge Lebenserfahrung gepaart mit Überlegenheit des Geistes. Sie war der Übermensch. Und ihre Augen ruhten, tiefen Brunnen gleich, mit einem gütigen Lächeln auf mir. Ich wurde eingefangen, eingefroren, mein Kopf war leergefegt von allem Weltlichen und ich erwiderte das Lächeln, warm wie noch nie zuvor gegeben. Die Fusion zweier Seelen, Überbrückung der Körperlichkeit, ich muss eine Ewigkeit stehen geblieben sein. Dann unterbrach ein Strom von Menschen den Blickkontakt.
Ich erwachte aus meiner Starre. Beim Kiosk keine Frau mehr. Die Sonne kam aus den Wolken. Den Blick gen Ausgang konnte ich noch ein letztes Wehen des roten Mantels ausmachen. Ich rannte, rannte um ein Leben, IHR nach.
Im Freien, blendend hell, entdeckte ich keine Spur mehr von ihr, doch im Weitergehen musste ich die Schönheit der gebrochenen Lichtstrahlen in diamantenen Regentropfen bewundern, spinnengenetzte Opalhalsbänder. Ein Vöglein sang und am Baum die ersten grünen Triebe.

 

Hallo Worufu,
mir hat die Geschichte gefallen. Zwar haben mich auch Ausdrücke wie "in Morpheus´Armen" gestört, aber trotzdem konnte ich die Geschichte genießen.

Musste ich doch eigentlich nach besserem Wissen handeln, so war ich doch ein Feigling, der die Sinnlosigkeit des Lebens erkannt hatte, sich aber nicht besserte.
Wie Camus sagt, trifft das auf die Mehrheit der Menschen zu. (Finde ich interessant, hab ich auch mal drüber geschrieben)

Zitat von Existence
Der Inhalt selbst erdrückt nicht gerade mit Tiefsinn. Es drängt sich der Gedanke auf, der Protagonist habe lediglich ein weiteres Mal seine mangelnde Bereitschaft, die richtige Konsequenz aus seiner Erkenntnis zu ziehen, gerechtfertigt.
Das sehe ich ganz anders. Da ich selbst schon ...ähm ... außergewöhnliche Erlebnisse gehabt habe, verstehe ich sehr gut, wie die Begegnung mit der alten Frau sein Leben verändert hat.

Im Freien, blendend hell, entdeckte ich keine Spur mehr von ihr, doch im Weitergehen musste ich die Schönheit der gebrochenen Lichtstrahlen in diamantenen Regentropfen bewundern, spinnengenetzte Opalhalsbänder. Ein Vöglein sang und am Baum die ersten grünen Triebe.
Das ist jetzt Geschmacksache, ob man das jetzt kitschig oder gefühlvoll nennt. Na ja, das "musste" hat mich etwas gestört, und "Vogel" würde ich auch dem Diminuativ vorziehen. Aber die Veränderung der äußeren Welt durch die veränderte Einstellung finde ich gut.

Gruß, Elisha

 

Hallo
Vielen Dank für die sehr vielseitigen Kritiken. Alles wird beherzigt. Ja, gleich mit der ersten Geschichte bin ich ganz schön "gradgewandert", zu meiner Entschuldigung- war grad noch sehr ergriffen vom "Steppenwolf". Gewisse Einflüsse sind unverkennbar, nich? :)
Erstaunlicherweise ist der Punkt, den ich am riskantesten fand, gar nicht zur Ansprache gekommen- der Icherzähler.
Bin froh, dass ich keine offensichtlichen Rechtschreibfehler gemacht habe.
Nochmals Danke
Viele Grüße
der jungokami

ps:
Ich schrieb den Nachsatz um einer "NichtverschiebungDerGeschichteInEineAndereRubrik" willen.
Ich lösch ihn einfach wieder

 

Jaaa:shy:
Die se inhaltliche Schwäche mit dem Bahnhof ist natürlich übel...
Hätte ich mich besser erinnern sollen
Und zu den erschreckenden Fähigkeiten der Omi:
Jetzt kommt der Nachsatz. Ich habe ein reales Erlebnis reingepackt, Is mir vor ein paar Jahren so passiert. Naja
Vielen Dank für die freundlichen Hinweise und Wegweiser
(Erste KG:Pfeif:)
Viele Grüße
der jungokami

 

Hi Worufu
Herzlich Willkomen und ein frohes Fest...
Die Charakterisierung eines unter Selbstmitleid leidenden Partylöwens, der ein wenig unter die Walze/das Bügeleisen von Oma geraten ist...
Na ja, hab schon schlimmere Gehversuche auf KG.de gelesen...
Also mach weiter und lass dich nicht unterbuttern
Man liest sich
Nice

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom