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Zeit-Reise
„Huch!“, rief die Zehn erschrocken aus und glotzte die Elf aus großen Augen aus an. „Was machst du denn schon hier?“
Die Elf grinste spitzbübisch über den ganzen Strich. „Da staunst du, wie? Ich habe eine Zeitmaschine gebaut und bin mit dieser in die Vergangenheit gereist.“
„Aber das kannst du doch nicht machen! Da gerät ja alles … nun ja, durcheinander!“
Die Stimme der Zehn überschlug sich fast vor Entsetzen.
„Was macht ihr denn für einen Radau?“, dröhnte von hinten der markige Bariton der Neun. „Es gibt hier Leute, die sich ausruhen müssen um morgen wieder fit zu sein!“
Hektisch drehte sich die Zehn um und fuchtelte mit den dünnen Ärmchen. „Ach. Mein lieber Herr Neun! Stellen Sie sich vor: Die Elf ist eine Stunde in der Zeit zurückgereist. Ist das nicht Wahnsinn? Der pure Wahnsinn?“
„Hm“, brummte die Neun und überlegte nur kurz, da keine Zeit für lange Denkpausen war. „In der Tat! Was hast du dir dabei gedacht, Elf? Du stellst die Ordnung der Dinge auf den Kopf. Nicht auszudenken, was das für Konsequenzen haben könnte!“
„Wieso? Ist doch nix passiert“, entgegnete die Elf flapsig.
„Noch nicht“, sagte die Neun und fügte belehrend hinzu: „Aber du hast das kosmische Gleichgewicht gestört. Stell dir nur mal vor was passieren würde, wenn du auf dich selber treffen würdest.“
Die Elf zuckte ihre Serifen. „Keine Ahnung. Was würde denn passieren?“
Die schwarze Neun lief violett an. Mit dieser Gegenfrage hatte sie nicht gerechnet.
„Herr Neun?“, bohrte die Zehn nach.
Peinlich berührt kratzte sich die Neun am Loch. „Ehrlich gesagt weiß ich das selber nicht so genau. Vielleicht sollten wir jemanden fragen.“
Die drei Ziffern blickten einander schweigend an.
„Ich weiß!“, rief die Zehn aus. „Ich werde die Sekunde da drüben fragen. Hallo? Sekunde? Hast du dich mal kurz selber Zeit?“
Die Sekunde nickte und lauschte geduldig den Ausführungen. Dann runzelte sie ihre kleine Stirn und sagte: „Das ist doch ganz einfach! Ihr müsst nur –“
Mitten im Satz verschwand sie.
„O nein!“, stöhnte die Zehn auf. „Sie hätte gewusst, was wir tun müssen. Wir sind verloren! Weh uns! Wir sind dem Untergang geweiht!“
„Übertreiben Sie mal nicht“, knurrte die Neun. „Die Elf soll in ihre Zeitmaschine einsteigen und in ihre Gegenwart zurückkehren.“
„Geht nicht“, meinte die Elf. „Ich weiß nicht mehr, wo ich die Zeitmaschine geparkt habe.“
„Geparkt? Zeitmaschinen parkt man nicht!“
„Woher wissen Sie das? Schon mal eine gebaut?“
„Nein“, gab die Neun zu. „Aber sie muss ja wohl ganz in der Nähe sein, richtig?“
„Vermutlich. Nur vergessen Sie, dass wir nicht die Zeit haben, sie zu suchen.“
„Es bleibt uns nichts anderes übrig“, sagte die Neun, beugte ihren Kopf und inspizierte den Boden. „Wie groß ist die Zeitmaschine eigentlich?“
„Eher klein“, antwortete die Elf und deutete mit ihren Armen die Größe des Apparats an. „Ich habe sie extra so klein gemacht, damit ich sie in einer Schuhschachtel unterbringen und überall hin mitnehmen kann. Ganz schön schlau, wie?“
Die Neun, völlig in die Suche vertieft, stieß sich den Kopf an der Kuckucksuhr und fluchte laut.
„Keine Angst, Herr Neun. Die Zeit heilt alle Wunden“, sagte die Elf und kicherte ausgelassen.
„Wir sind verloren!“, rief die Zehn aus und kreischte. „Es wird elf Uhr!“
Die Elf und die Neun starrten das Ziffernblatt an, auf welchem der Stundenzeiger elegant vorrückte. Ein kleines Türchen öffnete sich und der Holz-Kuckuck preschte nach draußen, um die Stundenzahl zu verkünden.
„Kuckuck!“, dröhnte es durch die Gehäuse der Zeit.
„Was machen wir jetzt?“, jammerte die Zehn, erhielt jedoch keine Antwort. Schweiß trieb ihr heiß über die Stirn. Diese vermaledeite Elf mit ihren verrückten Erfindungen!
„Wir müssen verhindern, dass der Vogel die richtige Zeit verlautbart und Zeit schinden“, schlug die Neun vor. Mit seinen Händen formte er einen Trichter vor dem Mund. „Hallo! Herr Kuckuck?“
„Nicht stören! Ich arbeite!“, rief der Vogel verärgert. „Kack-Kack! Ach, Mist. Da, jetzt haben Sie’s geschafft!“
Die Neun ließ nicht locker und hakte nach: „Tut mir Leid. Aber wissen Sie vielleicht, warum die Eins zur Stoßzeit die Straße überquert hat?“
„Weil Sie sich einen Bruch holen wollte“, antwortete der Vogel.
„Er weiß die Antwort“, sagte die Neun verwundert. „Die Schwarzwälder wissen tatsächlich alles.“
„He!“, sagte die Elf, während der Kuckucksruf zum achten Mal erschallte. „Ich habe meine Zeitmaschine gefunden. Sie war in der Schuhschachtel.“
„Welche Schuhschachtel?“, wollte die Zehn wissen.
„Na, die, die ich am linken Fuß trage, weil mir Schuhe nicht passen.“
„Schwinge keine Reden. Benutze sie, schnell!“
„Ja, Herr Neun“, entgegnete die Elf und verschwand augenblicklich.
„Kuckuck!“, machte der Vogel zum elften Mal und zog sich wieder in sein Häuschen zurück.
Die Neun und die Zehn blickten ihm schweigend nach. Dann meinte die Zehn: „Das war haarscharf. Auf den Schreck hin gönne ich mir erst mal eine Wurzel.“
In diesem Augenblick rief eine vertraute Stimme: „Hallo! Da bin ich wieder.“
Neben der Elf stand eine andere Zahl. „Ich war noch auf einen Abstecher in der Zukunft. Darf ich vorstellen? Frau Zehn, Herr Neun – das ist meine Verlobte: Die Zwölf.“
