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Zeitenwechsel

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26.08.2010
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Zeitenwechsel

Manchmal sehe ich Dinge, die da nicht sind. Ich betrachte den Körper vor mir, der Professor sagt „Ausdehnung des Tumors im Thorax…“, aber ich kann ihm nicht folgen. Ich fühle einen Druck auf meinen Ohren, als wäre ich tief hinabgetaucht und die Szenerie, der Saal voll Studenten, verliert an Schärfe, wird aus dem Wasser heraus betrachtet. Ich lege mein Skalpell ab, es klackt auf dem Stahltisch, und laufe die Treppe nach oben, ins Freie. Der Professor ruft meinen Namen, ich schließe die Tür hinter mir und trete ins Gras des Schlossgartens. Ich steuere die erste Bank an und lasse mich darauf fallen.


Wenn wir einen Film ansahen und das Klassenzimmer verdunkelt wurde, packte er meine Hand, hielt sie am Gelenk fest und rieb mit einer Münze so schnell und fest über die Handfläche, dass sich darauf Brandblasen bildeten. Wenn ich schrie oder bettelte, brüllte der Lehrer „Ruhe!“ und Maxim rieb noch schneller.
Er war aus dem Jahrgang über uns durchgefallen. Den ersten Tag in unserer Klasse setzte er sich in die vorderste Bankreihe, lehnte sich mit dem Rücken an den Tisch und musterte alle Mitschüler. Durch seine hellen, beinahe unsichtbaren Brauen wirkten seine Augen wie ins Gesicht geklebt. Er lächelte nicht, sah jeden an und ging zum nächsten über. Auf meinem Gesicht verweilte er sehr lange.

Ich hatte in fünf Jahren Gymnasium keine Freunde gefunden, er hatte nach fünf Tagen die ganze Klasse für sich. Ich weiß nicht, ob ihn alle mochten, aber zumindest schmeichelten sie ihm. Er saß nicht mehr in der ersten Reihe, sondern neben Lars, der bisher das Sprachrohr der Klasse gewesen war. Sie hatten die Bank hinter mir. Als ich eine Minute nicht aufpasste und ins Träumen geriet, hielt mir Maxim sein Feuerzeug unters Ohr. Ich zuckte weg und flog vor Schreck vom Stuhl. Die Klasse johlte.

Ich näherte mich dem grauen Gebäude morgens erst, wenn das Geraune der Stimmen verstummte. Ich versuchte, die Klasse nie mehr vor dem Gong, und am besten gemeinsam mit dem Lehrer zu betreten. Meine Bank rückte ich so weit wie möglich nach vorne.

Als eine Frage über das politische System der Bundesrepublik gestellt wurde, meldete ich mich. „Arm runter“, zischte Maxim. Ich tat, als hätte ich es nicht gehört und beantwortete dem Lehrer die Frage. In der Pause lief ich nicht meine gewöhnliche Runde, vorbei am schwarzen Brett, durch das Obergeschoss. Sicherheitshalber steuerte ich das Tor zur Straße an. Aber dort warteten Maxim, Lars und zwei Leute aus einer höheren Klasse.
„Stehenbleiben, Ruhländer.“
Während ich wieder so tat, als hörte ich nichts, gingen mir zwei Dinge durch den Kopf. Es war schrecklich, dass Maxim mein Verhalten vorausgeahnt hatte. Er war offenbar nicht nur ein Arschloch sondern auch intelligent. Zweitens wunderte ich mich, warum er mir immer noch keinen Spitznamen gab. Er hatte für alle in der Klasse Spitznamen, sogar für seine neuen Freunde. Aber bei mir verlängerte er lediglich das Ruhland zu einem Ruhländer, was mir nicht besonders entwürdigend erschien – weiter kam ich nicht, denn da erhielt ich einen Tritt in den Rücken und landete auf dem Gehsteig. Bevor ich aufstehen konnte, presste ein Stiefel meinen Hals auf den Asphalt. Ich bekam keine Luft. Die Richtung von Maxims Stimme ließ vermuten, dass ihm der Stiefel gehörte. „Bist du taub, Ruhländer?“, sagte er. Ich antwortete nicht. Er drückte sehr fest mit dem Stiefel zu.
„Ich frag dich noch einmal, Ruhländer, bist du taub?“ „Nein“, keuchte ich. Der Stiefeldruck blieb unverändert. „Warum folgst du dann nicht meinen Anweisungen, Ruhländer?“ Was sollte ich darauf sagen? Der Stiefeldruck nahm weiter zu. Ich versuchte den Schuh mit meinen Händen wegzuschieben, aber sofort bog mir jemand die Arme auf den Rücken. „Ich weiß nicht“, rief ich, „ich weiß es nicht!“
„Er weiß es nicht“, sagte Maxim. „Unwissender Ruhländer, siehst du diese Bordsteinkante? Soll sie deine Freundin werden? Möchtest du sie ablecken?“
„Nein“, sagte ich. Ich spürte, wie Tränen meine Wange hinabliefen.
„Dann widersetze dich nicht den Anweisungen“, sagte Maxim. Sein Schuh lockerte sich. „Troll dich, Ruhländer“, rief er, „troll dich!“

Es war eine schlimme Zeit. In der Schule erhielt ich Flecken, Schrammen und zerrissene Hosen, zuhause musste ich mich für sie rechtfertigen. Ich log für Maxim Demartini. Was für ein beschissener Name eigentlich. Aber bei ihm machte nicht einmal ein beschissener Name etwas.
Eine seiner Anweisungen war, dass ich mich nicht mehr melden durfte. Wenn mir ein Lehrer eine Frage stellte, musste ich den genauen Wortlaut „S.O.S., ich weiß es nicht“ sprechen. Dann lachten sich alle kaputt.
Morgens hatte ich Bauchschmerzen. Ich ging eine Woche nicht in die Schule, dann musste ich wieder. Der Arzt, den meine Mutter rief, fand ja nichts. Nur die blauen Flecken beäugte er komisch, sagte aber kein Wort.
„Deine Entschuldigung, Ruhländer“, sagte Maxim, als ich mich auf meinen Platz setzte. Er sprach es ganz ruhig und so laut, dass es jeder in der Klasse hören konnte. Ich fragte nicht nach, ich verstand inzwischen immer was er meinte. „Bauchschmerzen“, las er laut vor. „Komm mir nicht wieder mit so einem Zeug.“ Er faltete den Zettel einmal in der Mitte, legte ihn zusammen und gab ihn mir freundlich zurück.
An vielen Tagen ließ er mich auch in Ruhe. Vielleicht hatte er da eigene Sorgen, war mit etwas anderem beschäftigt. Mag sein, dass man nicht jeden Tag in Stimmung ist, die Gefangenen zu foltern. Ich beobachtete dann, wie er rauchte und mit Schülern aus höheren Klassen scherzte. Wenn ich ihn ansah oder gar seinen Worten lauschen konnte, wurde mir deutlich, wie sehr ich ihm unterlegen war. Er war intelligent, witzig, schön. Ich in allem das Gegenteil. Er hätte mir schon wegen meiner Schwerfälligkeit, meiner Plumpheit tausend Spitznamen geben können. Es war nicht so, wie ich es aus anderen Klassen mitbekommen hatte: Die kräftigen Dummen quälen die Schlauen, dafür wissen die Schlauen, dass sie eines Tages den Spieß umdrehen können. Ich war ihm in nichts, in gar nichts überlegen. Ich war sinnlos neben ihm. Ich denke, ich war nicht mal besser als er. Wenn ich zu seinen Freunden gehört hätte, hätte ich mich kaputtgelacht über seine Witze.

Abends las ich The Stand von Stephen King. Aber Fiktion erfüllte bald den Zweck nicht mehr. Ich suchte im Netz nach Geschichten, die mir klar machten: Es geht dir nicht schlecht. Es geht immer noch tausend Stufen tiefer.
Ein Kinderschänder, der in der Zelle mit einem Tauchsieder vergewaltigt wird.
Ein Typ, der zwanzig Jahre im Scheinkoma liegt und alles mitbekommt.
In einer Zeitschrift meiner Mutter fand ich einen Artikel über eine psychisch kranke Frau, die einen so starken Juckreiz verspürte, dass sie sich durch den Schädelknochen hindurch kratzte, bis das Hirn hervortrat.
Das tat gut. Verglichen mit ihr, hatte ich Pralinés-Sorgen. Ich schnitt den Artikel aus und klebte ihn an die Wand neben meinem Bett.
Wenn es sehr schlimm war surfte ich auf freitod-forum.de und diskutierte mit anderen Usern die verschiedenen Möglichkeiten. Die meisten schlugen schmerzfreie, stille Abschiede vor. ‚SoonInHeaven’ warnte vor Metaldehyd, bei dem schnell körperliche Lähmung eintrete, aber man den Kampf bewusst erleben müsse.

Wir hatten Philosophie & Sozialkunde und unser Lehrer war verrückt. Seine Brille hatte nur ein Glas und es war vollkommen unmöglich zu verstehen, was er brabbelte. Ich klappte die letzte Seite meines Kalenders auf und überschrieb sie mit meinem und Maxims Namen. Dann teilte ich das Blatt vertikal mit einem Strich und nannte den linken Teil ‚Gemeinsamkeiten’ und den rechten ‚Unterschiede’.
Bei ‚Unterschiede’ trug ich ein: Kleidung (Basecap). Frisur. Musikgeschmack?
Bei ‚Gemeinsamkeiten’ schrieb ich: Körperstatur. Armut. Allein bei Mutter aufwachsen. Wut.
Ich betrachtete die Liste als sich von hinten eine Hand über meine Schulter schob und den Kalender packte. Ich hielt ihn fest, aber Maxim zog und zog, bis es klang, als ob er zerreißen würde. Da ließ ich los.
Maxim passte mich in der Pause ab und hielt mir die Tür zur Damentoilette auf. „Hier geht’s rein, Ruhländer.“ Ich wich aus, aber er packte mich sofort, schubste mich durch die Tür und in die erste Kabine. Am Nacken hielt er mich fest. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass auch seine Freunde nach und nach eintrafen. „Ruhländer, was haben wir denn gerade gelernt?“ Seine Stimme klang schärfer, nervöser als gewöhnlich. Bevor ich antworten konnte tauchte er meinen Kopf in die Toilette. Über mir hörte ich, wie die Spülung betätigt wurde. Wasser rauschte in meine Nase, meinen Mund, ich versuchte nach oben zu kommen, aber hatte keine Chance. Es dauerte lange.
Dann fischte er meinen Kopf aus der Schüssel und sagte: „Du musst dich wehren. Du musst kämpfen. Was durften wir soeben von Machiavelli hören? Du musst deinem Feind schmeicheln oder ihn vernichten. Für eine kleine Kränkung kann er sich rächen. Aus dem Grab heraus rächt sich niemand.“ Mein Kopf flog wieder nach unten. Dabei prallte meine Nase gegen das Becken und gab ein furchtbares Geräusch von sich. Maxim ließ sich nicht stören und betätigte die Spülung. Wieder und wieder. Meine Beine zappelten sinnlos umher. Als ich aufwachte, waren alle fort, ich lag in einer Lache aus Blut und Wasser auf dem Boden.

Aus meinem Bett konnte ich lauschen, wie meine Mutter mit dem Schulpsychologen stritt.
„Nicht fliehen? Die Unterlegenheit nicht zementieren? Aber was, wenn er das nächste Mal gar nicht mehr nach hause kommt?!“

Ich wollte nicht die Schule wechseln. Ich hatte nur diffuses Zeug im Kopf, aber ich wusste, dass ich bleiben wollte. Ich betrachtete im Spiegel meine abgetapte Nase, hängte mir meinen Rucksack über die Schulter und machte mich auf den Weg zum Unterricht.
„Deine Entschuldigung, Ruhländer.“ Ich drehte mich zu ihm um, sah ihn an und gab sie ihm. Er blickte mir noch eine Weile ins Gesicht, dann las er das Attest vor, faltete es in der Mitte und gab es mir zurück. „Ausnahmsweise akzeptiert“, sagte er.

Die kommenden Wochen ließ er mich in Ruhe. Auf meinen Runden durch die Schule sah ich ihn stets im Rauchereck stehen. Meist waren seine Freunde bei ihm, manchmal war er allein. Dann verlangsamte ich meine Schritte. Er schien stets in Gedanken versunken und zugleich nervös. Dabei zog er an seiner Zigarette und sah hundertmal cooler aus, als alle anderen.

In Erdkunde wurden wir in einem anderen Klassenraum unterrichtet, wo die Tische in Hufeisenform angeordnet waren. Maxim saß mir genau gegenüber, nur drei Meter entfernt. Wenn er zur Tafel sah, konnte ich ihn betrachten. Er musste sein ganzes Geld für Kleidung ausgeben, seine Sachen waren zwar verwaschen und abgewetzt, aber ausschließlich von teuren Marken. Seine Frisur war immer verstrubbelt doch nie ungepflegt. Alles passte perfekt zueinander. Ich hatte das Gefühl, sogar das Parfum riechen zu können, das er auf der Haut trug. Er entdeckte, dass ich ihn ansah und zischte: „Gaff mich nicht an, Ruhländer.“
Aber er verprügelte mich nicht. Er tat mir nichts. Ich konnte es nicht verstehen. Als es ein Uhr war, verließ er das Gebäude, durchschritt den Hof genau in der Mitte und begrüßte mit Umarmung einen Freund, den ich noch nie gesehen hatte. Sie überquerten die Straße zum Park und verschwanden. So ging es Tag um Tag und Maxim erschien mir immer abwesender im Unterricht. Er starrte aus dem Fenster, grinste wenn ihn jemand ansprach, aber wirkte wie betäubt.

Am Ende des Schuljahrs wartete ich bis Maxim den Typ begrüßt hatte und sie in Richtung Park losspazierten, dann folgte ich ihnen. Ich nahm den Rundweg, der durch Büsche von den Bänken abgetrennt war und blieb hinter ihnen stehen.
Sie saßen ganz nah beieinander und man hätte sie für ein Liebespaar halten können. Maxim holte seine Schachtel Gauloises aus dem Rucksack, klopfte zwei Zigaretten heraus und gab eine ab.
Sie rauchten, Maxim erzählte, der andere erzählte, beide lächelten.

Und das war es eigentlich. In der Oberstufe waren wir in verschiedenen Kursen. Ich hatte noch immer das Gefühl, als ob jeder Ort dieser Welt doppelt existierte, einmal leergefegt für mich und einmal für die anderen Menschen. Aber sie ließen mich in Ruhe.

Als wir unsere Abiturzeugnisse abholten, verabschiedeten sich alle voneinander. Noch drei Hände, noch zwei bis zu Maxim. Was er wohl sagen würde? „Mach’s gut, Mann. Alles Gute.“?
Das war vielleicht zu viel verlangt. Doch er verließ nicht die Reihe, er blieb vor mir stehen und schüttelte meine Hand.

Ich verbrachte zwei soziale Jahre bei den Johannitern, bis die Wartezeit für Medizin verstrichen war, dann schrieb ich mich in Erlangen ein. Manchmal googelte ich Maxims Namen und als ich einmal Lars in der Mensa traf, fragte ich nach den Leuten von früher.
„Und was macht Maxim?“, sagte ich.
Lars sah mich an und zuckte mit den Schultern. „Den hab ich seit dem Abi nicht mehr gesehen.“


Zunächst höre ich es auf die Blätter über mir tropfen, dann spüre ich es auf meinen Händen. Es beginnt zu regnen.

Ja, der Tote. Er sah gut aus, zu dünn natürlich und mit einer bizarren Auswölbung auf der rechten Brust. Die Augen geschlossen in dem haarlosen, symmetrischen Gesicht.
Ein nackter Körper, hunderten Blicken im Vorlesungssaal preisgegeben.

Ich betrachte den Fluss, der den Park teilt und schüttle den Kopf. Das Wasser sieht dunkelbraun aus, beinahe schwarz, und die in der Strömung tanzenden Blätter kündigen schon den Herbst an.

 

Ich finde dieses Projekt super. Da wollte ich mich nicht lumpen lassen :)


Der Titel ist eine kleine Anspielung auf ein Gedicht von Brecht, das ich liebe:

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.
Am Grunde der Moldau wandern die Steine.
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

 

Hallo T. Anin

Meines Erachtens hast Du ein echt tolles sprachliches Talent – Du schaffst es, dass sich deine Sätze „leicht“ anfühlen. Ich hoffe, Du verstehst was ich meine. Deine Geschichten (hab jetzt schon mehrere von Dir gelesen) haben einen sehr angenehmen Erzählfluss. Nirgends bleibt man (ich) mit den Augen hängen oder „blättert“ gar ans Ende, um zu sehen, wie viel es noch ist.
Ganz im Gegenteil, irgendwie schaffst Du es den Leser einfach so einzupacken und mitzunehmen. Toll! (Übrigens wäre ich Dir sehr verbunden, wenn Du mir Deinen Trick verraten könntest.)
Ganz besonders gefällt mir, dass in Deinen Geschichten immer ein paar Fragen oder Rätsel auf raffinierte Art offen bleiben. Ebenso hier: Wieso lassen Maxims Quälereien plötzlich nach? Zeichnet sich da bereits die Erkrankung ab?
Die Frage bleibt ungelöst, womit bis zum Ende eine innere Spannung erhalten bleibt. Denn solange das Rätsel besteht, solange findet auch der Gequälte keine Ruhe. (So habe ich es zumindest verstanden) Finde ich speziell für die Geschichte recht pfiffig.

Einen Kritikpunkt habe ich aber dennoch. Thema und Herangehensweise der Geschichte fand ich leider etwas banal. Eigentlich ist das, was Du beschreibst, das Erste was einem einfällt, wenn man sich Gedanken zum dem Chillaxed-Thema macht. Was ich jedoch an der Stelle wieder bewundere ist, dass ich Deine Geschichte trotzdem bis zum Ende mit Vergnügen gelesen habe. Sprich, obwohl nichts Innovatives drin steckte, hielt ich dank Stil und Sprache locker bis zum Ende durch.
Wenn jetzt da noch ein genialer Einfall wäre, hättest Du jetzt die nächste Empfehlung.

Noch ein kleiner Kritikpunkt. Das ganze Anatomie-Gedöns hat mich nicht wirklich überzeugt. Ohne es genauer begründen zu können fand ich das irgendwie aufgesetzt. Obwohl die Absicht dahinter natürlich klar ist: Der Sieger von früher liegt plötzlich als Verlierer vor einem. Das gibt natürlich Anlass über das „Früher“ nachzudenken und die Geschichte nochmals für den Leser aufzurollen.
Sorry, wenn ich das jetzt so sage, aber das ist ein bisschen billig bzw. klischeehaft. Einziger Unterschied ist eigentlich nur der, dass der Quäler aus Kinderzeit nicht als Penner im Rinnstein liegt, sondern gleich als Leiche auf dem Seziertisch landet und als Studienobjekt herhalten muss.
Na ja, wie gesagt hat mich das nicht überzeugt.
Speziell der Schluss wäre stärker gewesen, wenn du den letzten Satz weggelassen hättest und am Ende nur noch die Frage „Warum bin ich so traurig?“ im Raum stünde.
Mein Vorschlag: Streich das Anatomiezeug. Wenigstens am Ende.

Viele Grüsse

Mothman

 
Zuletzt bearbeitet:

Mann,

Du machst mich wirklich sehr froh mit Deinen Kommentaren.. Also, wenn Du diese Dinge wirklich so meinst, freut mich das ungemein.

(Übrigens wäre ich Dir sehr verbunden, wenn Du mir Deinen Trick verraten könntest.)
Das ist wirklich ein wahnsinnig schönes Kompliment, zum zweiten Mal. Ernst wirst Du’s nicht meinen und könnt ichs auch nie nehmen, schon weil ich mir meist wahnsinnig unzulänglich vorkomme und die richtigen Worte nicht finde und am Ende nie das übrig bleibt, was ich wollte etc.
Aber, wenn ich es schaffen würde, das, was Du ein wenig in meinen Texten siehst zu vervollkommnen und bei den Lesern auszulösen, wäre ich der glücklichste Mensch der Welt. Bisher mühe ich mich recht verzweifelt und oft ohne Zeit ab, um für etwas Langes, das mir seit zehn Jahren wahnsinnig am Herzen liegt, zu üben. Damit das dann gelingt.

So, nun zu Deiner berechtigten Kritik: Ich denke, Du hast vollkommen recht. Inspiriert hat mich bzgl. Anatomiesaal zwar eine ähnliche wahre Sache, aber das ist ein mieses Argument, und das hab ich sogar schon mal jmd. in diesem Forum geschrieben. Es geht ja um Vertiefung der Wirklichkeit und wenn nur Ungläubigkeit und Klischee übrig bleiben hat man es halt derbe vergeigt, weil der Leser an den dummen Autor denkt und nicht mehr ans Werk.
V.a. hab ich eine Regel missachtet, die ich mir eigentlich immer selbst aufstelle.. Nicht zu viel! Bleib vage, vage... Also wissen, was man meint, aber es um Gottes willen nicht deutlich aussprechen. Ich gelobe, ich werde weiter üben.

Also, wenn jetzt nicht irgendjemand protestiert (!!?), werd ich den Anfang und das Ende etwas abändern.

Wie auch immer, tausend Dank für Lob und Kritik, ich freu mich wahnsinnig

Nachtrag:
O.K., es ist geschafft, jetzt gefällt es mir ganz gut.

 

Hallo T,

Ist das jetzt immer noch der alte Mobber auf dem Seziertisch? Nein, oder?

Also ich fand dein Text auch sehr angenehm zu lesen, sehr flüssig. Ich finde man spürt die Distanz des Schreibers zu dem Geschehnissen, sprich man merkt, dass es schon einige Jahre her ist. Das könnte auch ein Kritikpunkt sein, denn dabei geht wohl auch etwas Unmittelbares verloren, aber hier passt es irgendwie, weil du es gut kannst. Ich finde da schwingt beinahe etwas Nostalgisches mit in seiner Stimme, als würdest er seinen alten Peiniger doch irgendwie respektieren.
Auf eine Art bewunderst dein Prot ihn ja auch. Er sieht so cool beim Rauchen aus, er hätte auch über seine Witze gelacht…

Dann fischte er meinen Kopf aus der Schüssel und sagte: „Du musst dich wehren. Du musst kämpfen. Was durften wir soeben von Machiavelli hören? Du musst deinem Feind schmeicheln oder ihn vernichten. Für eine kleine Kränkung kann er sich rächen. Aus dem Grab heraus rächt sich niemand.“ Mein Kopf flog wieder nach unten. Dabei prallte meine Nase gegen das Becken und gab ein furchtbares Geräusch von sich. Maxim ließ sich nicht stören und betätigte die Spülung. Wieder und wieder. Meine Beine zappelten sinnlos umher. Als ich aufwachte, waren alle fort, ich lag in einer Lache aus Blut und Wasser auf dem Boden.

Diese Stelle finde ich interessant. Er gibt ihm sogar Ratschläge mit auf den Weg. Das könnte man auch übersetzen mit: Sei nicht so eine Pussy, und verteidige dich endlich du Schwuchtel!

Womit wir auch wieder beim Thema Homosexualität wären… und plötzlich einen Grund für die Aggressionen unseren Top-gestlyten Mobbers haben.

Hat mir gefallen,

JuJu

 

Der Aufbau ist klar und übersichtlich, ich kann da jetzt nichts kitschiges erkennen. Was mir gefehlt hat, bzw. was ruhig sehr viel klarer rüberkommen müsste/könnte, ist die Tatsache, dass der Sezierte wirklich der Bully von früher war. Die Andeutung von Homosexualität war vage, dezent und lässt den Leser denken.
Paar Fehler sind noch drinnen - in dem Satz, wo sich die Frau das Hirn rauskratzt.
...sich durch die Schädeldecke hindurch und Teile ihres Gehirns heraus kratzte. ....
Das "und" dürfte nicht passen
Mir hat die späte Rache gefehlt, ich hätte ihn den Leichnam grausam zerstückeln lassen, so als kleinen krassen Einstieg :)

 

Hallo JuJu,

der Du ja offenbar dieselbe Lektüre schätzt, wie mein armer Protagonist,

Ich freu mich sehr, dass es Dir gefallen hat, wirklich! Und Deine Gedanken zu dem Text sind sehr stimmig!

2.
Ob der Mobber der Sezierte ist

und damit gleich die Überleitung zu

phiberoptic,

da Ihr das beide angesprochen habt, und es Dich, phiberoptic ggf. auch gestört hat, nichts genaueres zu wissen.

Ich wollte das genau so. Als der Text noch ganz frisch war hat Mothman gesagt, dass die damalige Deutlichkeit zu kitschig ist und ich finde, er hatte völlig recht.
Ich liebe es so, wie es jetzt ist, vage, möglicherweise ja, vielleicht nein. Vielleicht ist der Prot auch ein bisschen verrückt geworden, vielleicht gehen ihm einfach düstere Gedanken durch den Kopf. Aber wahrscheinlich, wahrscheinlich, dafür spricht ja immer noch viel, liegt da ein alter Bekannter auf dem Stahltisch vor ihm.


ich kann da jetzt nichts kitschiges erkennen.

scheint also, als wäre es erflgreich eliminiert worden, puh.

Mir hat die späte Rache gefehlt, ich hätte ihn den Leichnam grausam zerstückeln lassen, so als kleinen krassen Einstieg

Nein, nein, das geht nicht, obwohl natürlich der erste Impuls die Idee fröhlich begrüßt :lol:

Aber der Protagonist ist nicht so (zum Glück?). Er hasst nicht, vielleicht nicht mehr, vielleicht noch nie. Er ist sogar traurig.

der Hirn-Satz ist geändert…

Ich danke Euch beiden und ich freue mich riesig über das Feedback!!

 

Mensch Thomas,

du bist ein äußerst talentierter Erzähler und wenn du einen Roman veröffentlichen würdest, müsste ich ihn haben, weil ich dir so gerne in deine Welten folge. Dass diese Welten so normal sind, macht meine Achtung nur größer. Was ich damit meine: Du könntest wohl auch über einen Samstagseinkauf im Aldi schreiben und ich würde es ohne Mühe zu Ende lesen.

In der Pause lief ich nicht meine gewöhnliche Runde, vorbei am schwarzen Brett, durch das Obergeschoss
das ist ein leichter Satz, der gleichzeitig den Prot. charakterisiert, zur Handlung gehört und Gefühle auslöst. und das kannst du hervorragend. Die Leichtigkeit in deiner Sprache, die trotzdem bedrückende Gefühle auslösen kann, weil für mich immer dieser leicht dunkle Unterton mitschwingt. Ich mag das sehr.

Wir hatten Philosophie & Sozialkunde und unser Lehrer war verrückt. Seine Brille hatte nur ein Glas und es war vollkommen unmöglich zu verstehen, was er brabbelte
find ich witzig.

Irgendwie kam mir der Prot beinahe schwärmerisch in der Art vor, wie er von Maxim erzählte. Dabei kann es sich um Bewunderung für die Stärke des Peinigers handeln bzw. den Wunsch ihn zu kennen, um zu erfahren, was ihn so verdammt cool macht. Auf der anderen Seite klingts ja manchmal fast zärtlich und dann spioniert er den beiden nach.....Es sind die geschickten Andeutungen, die so subtil sind, dass es vielleicht auch gar keine Andeutungen sein sollen.

Ich werde den Kommentar eventuell noch etwas ausbauen, aber jetzt geh ich schlafen. Also meinen Respekt hast du. Gute Nacht

Jan

 

Hallo T Anin,

auch ich finde den Text wie schon meine Vorredner ganz gut gelungen. Das Einzige, was mich irgendwie stört, ist der (zumindest bei mir) eingetretene Effekt, dass ich eine raffiniert eingestreute homosexuelle Note heraus gelesen habe, die ich auch sehr spannend fand und dabei das (Chillaxed)Kernthema trotz eindeutiger Beschreibung nicht wirklich erfassen konnte. Und alles in allem blieben mir alle Personen inklusive der zwei Hauptprotagonisten zu nebulös.

Trotzdem sehr gelungener Text
lg
lev

 

Lieber Jan,

wie schön, dass Du das so siehst! Ich freue mich wahnsinnig über Dein Lob, wirklich wahnsinnig..


Hallo Lev, auch Dir vielen vielen Dank für Deinen Kommentar und Deine positive Bewertung!!

Nicht ganz verstehe ich, wieso Du das chillaxed-Thema nicht genau getroffen siehst. Das wäre hart, wenn ich so dermaßen an meinem Plan vorbeigeschrieben hätte, immerhin entstand der Text extra dafür:

Die Geschichte ist aus der Sicht eines Gemobbten geschrieben, sein Leiden wird deutlich gemacht (wenn auch nicht jammernd), was ich schon deswegen passend finde, weil ja diese Hineinversetzen in den anderen, die Welt aus seinen Augen sehen können so wichtig ist, um Gewalt zu verhindern (also die Hoffnung auf Erlernen von Empathiefähigkeit).
Der Prot antwortet nicht mit Hass, es wird eben nicht der Teufelskreis der Gewalt in Gang gesetzt.
Mit der „Vergeleichs“liste, die der Prot im Unterricht verfasst, wird ein zentraler Fakt des Mobbens und Gemobbtwerdens behandelt: Die Ähnlichkeit von Täter und Opfer. (In allen nicht nur oberflächlichen Bereichen sind die beiden nämlich verdammt ähnlich..) Da ist sehr oft eine Austauschbarkeit, d.h. ehemaliges Opfer wird zu Täter; gleicher Background etc.
Und das, was mir am meisten am Herzen lag: So furchtbar auch alles aussieht für den Gequälten, nichts bleibt gleich. Mit dem Verstreichen der Monate kann die Welt so anders werden..

 

Irgendwie fühle ich mich dieser Tage missverstanden.

Ich habe in meinem letzten Kommentar deutlich angemerkt, dass bei meiner Lesung deines Textes der seltsame Effekt eingetreten ist, dass Protagonisten und Kernhandlung, eben Chillaxed, zu Lasten der unterschwelligen Homosexulitätsebene des Textes für mich nicht so gut wahrnehmbar waren.
Ich sehe schon, schwer zu erklären und leicht falsch zu verstehen.
Nochmal anders:
Deine Geschichte ist eindeutig eine Chillaxed-Geschichte, doch meine Lesart hat etwas anderes herausinterpretiert.

Alle Klarheiten endgültig beseitigt? :confused:
lg
lev

 

:)

Hallo Lev,

jetzt habe ichs gerafft... Ich war ein schlechter Leser Deines Kommentars!

Also, für mich ist eine mögliche Homosexualität da drin als weitere Gemeinsamkeit von Täter und Opfer. Die man aber nicht unbedingt sehen muss, soll offen bleiben...

Ich dank Dir sehr für Dein Doppel-Feedback!!

 

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