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Zelle 217
„Ich gehe noch einmal durch den Block und mache dann Feierabend“, sagte Frank Göskens und verlies die Zentrale. Frank war ein großer dunkelhaariger Mann in den Vierzigern, der schon seit 20 Jahren für Ordnung in der JVA Werl sorgte. Wie an jedem Diensttag, kontrollierte er vor der Übergabe an seinen Kollegen noch einmal die Zellen.
„Zelle 217 hat noch einen Wunsch“, knisterte es plötzlich aus seinem Funkgerät. „Ja, ich kümmere mich darum“, antwortete Frank und schritt zielstrebig voran. Heute musste er mal pünktlich zu Hause sein, denn seine Frau erwartete wichtigen Besuch. Sie verfasste gerne Kurzgeschichten und las diese bei kleineren Veranstaltungen vor. Auch hier in der JVA hatte sie schon eine Lesung. Beim letzten Mal hatte sie ein Verleger angesprochen und genau dieser kam heute Abend zum Essen. Seine Frau hatte ihn schon die ganze Woche eindringlich gemahnt, dass er bitte pünktlich kommen soll. Frank lächelte, hoffentlich hatte seine Frau Erfolg mit dem Gespräch.
An der Zelle angekommen blickte Frank durch den Spion und rief „Zurücktreten“! Er beobachtete wie der Gefangene sich mit dem Rücken vor das Fenster stellte und die Hände aus den Taschen nahm. „So ist es genau richtig“, sagte Frank und steckte den Schlüssel in das Schloss. Mit geübtem Griff öffnete er die Zellentür und hakte seinen Schlüsselbund wieder an die Hose. „So, Insasse Kolb was gibt es“? „Sie müssen mir helfen, ich bin unschuldig“. „Das behaupten sie alle“, sagte Frank und lachte. „Also was möchten sie nun? Ich habe es eilig“. “Bitte Herr Göskens, glauben sie mir! Ich bin unschuldig, ich kann auch gar nicht schuldig sein“. Langsam wurde Frank sauer. „Diesen Quatsch muss ich mir wirklich nicht anhören, sprechen sie morgen mit ihrem Phsychater“. Frank drehte sich um und… Plötzlich wurde es gleißend hell in der Zelle. Verwirrt drehte sich Frank um und traute seinen Augen nicht. Der Gefangene leuchtete in einem hellen Licht und auf seinem Rücken hatte er zwei riesige Flügel aus Gold. Frank schüttelte den Kopf. „Wie sie sehen, bin ich ein Engel und Engel können keine Sünden begehen“, sagte der Gefangene mit sanfter Stimme. Frank blickte geschockt auf die Gestalt und bekam Panik. Hastig rannte er aus der Zelle und knallte die Tür ins Schloss. Jetzt noch schnell abschließen und dann nichts wie weg, dachte er und wischte sich den Angstschweiß aus dem Gesicht.
Auf dem Nachhauseweg überschlugen sich seine Gedanken. Hatte er heute vielleicht aus Versehen zu viele Blutdrucktabletten genommen? Er musste gleich unbedingt in die Packungsbeilage gucken, er hatte dort doch mal von Wahnvorstellungen gelesen. Ganz bestimmt liegt es an den scheiß Tabletten, fluchte er vor sich hin. Den Kollegen hatte er natürlich nichts von dem Vorfall erzählt, die hätten ihn wahrscheinlich gleich zum Seelsorger geschickt. Als Frank den Wagen in die Einfahrt lenkte hatte er sich schon wieder beruhigt, schließlich musste er jetzt einen guten Eindruck machen. Morgen würde er gleich zum Gefangenen Kolb gehen um sich für seine Panikattacke zu entschuldigen, nicht das dieser noch Gerüchte über ihn verbreitete. Wenn die Gefangenen anfangen, sich über einen Wärter lustig zu machen, dann haben sie schnell keinen Respekt mehr vor ihm.
„Wie siehst du denn aus, Schatz?“, begrüßte ihn seine Frau besorgt. „Heute war ein stressiger Tag“, antwortete Frank schnell und machte sich auf den Weg zum Schlafzimmer. Hastig pellte er sich aus seiner Uniform. und warf das schweißnasse Oberhemd sofort in den Wäschekorb. Als Frank den Duschknopf betätigte und das lauwarme Wasser über seinen Körper lief, entspannte er sich langsam. Am besten nehme ich nächste Woche mal ein paar Tage Urlaub, dachte er. Ich habe in der letzten Zeit doch zu viele Schichten übernommen. Bei dem Gedanken an einen kleinen Urlaub mit seiner Frau, huschte ein Lächeln über Franks Gesicht.
Der Abend war ein voller Erfolg. Der Verleger hatte Franks Frau sogar angeboten ihre Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Die große Freude über diesen Erfolg ließ Frank den Vorfall im Gefängnis ganz vergessen.
„Zurücktreten!“, sagte Frank und blickte durch den Spion der Zelle 217. Genau wie am Vorabend schritt der Gefangene an das Fenster und nahm die Hände aus den Hosentaschen. Frank war etwas mulmig zumute, als er den Schlüssel ins Schloss steckte und die Zellentür öffnete. Doch er riss sich zusammen und betrat gewohnt lässig die Zelle. „Ich muss mich für mein seltsames Benehmen gestern entschuldigen, meine Augen hatten mir einen Streich gespielt und… Warum lächeln Sie so komisch“? „Ich wollte sie gestern nicht erschrecken“, sagte der Gefangene mit ruhiger Stimme. „Ich bin ein Engel, gefangen in einem menschlichen Körper. Vielleicht hätte ich ihnen das etwas dezenter beweisen sollen“. Frank atmete tief durch. „Dann habe ich mir das gar nicht eingebildet“? „Ich kann es ihnen noch mal zeigen“, sagte der Gefangene und seine Augen leuchteten gold. „Nein, stopp! Lassen sie das mit den Flügeln, ich glaube ihnen ja. Und was soll ich jetzt mit ihnen machen“? „Lassen sie mich frei“, sagte der Gefangene und seine Stimme klang wieder so sanft. „Nur in Freiheit kann ich diesen Körper verlassen und zu meinesgleichen aufsteigen. Wenn sie mir helfen, werde ich sie reich belohnen“. Frank schluckte. „Ich muss da noch mal da drüber nachdenken. Ich komme morgen Abend noch mal zu ihnen“. Hastig verschloss Frank die Zelle und lief mit schnellen Schritten zum Ausgang. Er brauchte jetzt viel frische Luft!
Unruhig wälzte sich Frank auf seinem Kissen hin und her. Er hatte sich nicht getraut mit seinen Kollegen oder seiner Frau über sein Erlebnis zu sprechen, so war er mit der Entscheidung jetzt ganz allein. Langsam begannen seine Schläfen zu schmerzen. Frank war ein sehr gläubiger Mensch, aber dieses Erlebnis erschütterte ihn doch sehr. Im Morgengrauen schlief Frank endlich ein, doch sein Gehirn hatte mit dem Thema noch längst nicht abgeschlossen. Er träumte von Engeln und Dämonen, von Feuer und vom Tot.
Völlig gerädert und erschöpft trat Frank am nächsten Abend seinen Dienst an. „Du bist heute alleine“, sagte sein Kollege und deutete auf den Dienstplan. „Der Ritter hat eben angerufen, dass das seine Frau Wehen hat. Er fährt sie jetzt ins Krankenhaus, vielleicht kommt er später noch. Ist aber unwahrscheinlich. Ich habe den Anderen gesagt, dass du hier heute alleine bist“. „Kein Problem, ich komme schon klar“, sagte Frank und steckte sich seine 9mm Maschinenpistole ins Halfter. „Wenn einer von den schweren Jungs heute Nacht was will, dann lass dir bitte Unterstützung aus Block C kommen. So, ich mache jetzt mal Feierabend. Bis morgen Frank“!
Die Nacht war ruhig gewesen und so hatte Frank genug Zeit um über den Gefangenen in Zelle 217 nachzudenken. Gegen drei Uhr morgens hatte er sich entschieden, wenn Gott diese Prüfung für ihn vorgesehen hatte, dann würde er ihn nicht enttäuschen. Frank hatte sich schon genau überlegt, wie er den Gefangenen aus dem Gefängnis schmuggeln würde. Es würde für die Anderen wie ein Ausbruch aussehen. „Zurücktreten!“ rief Frank und späte durch den Spion. Auch heute ging der Gefangene Kolb wieder zum Fenster und nahm die Hände aus den Hosentaschen. Als Frank die Zelle betrat lächelte sein Gegenüber wissend. „Ich habe mich entschieden ihnen zu helfen“. Frank ärgerte sich insgeheim über den unsicheren Ton seiner Stimme. „Ich weiß“, sagte der Gefangene ruhig. „Einem Diener Gottes muss ich als gläubiger Mensch ja helfen“, sagte Frank und versuchte krampfhaft seine Unsicherheit zu verbergen. „Können wir jetzt gehen“, fragte der Gefangene. „Ja sicher“, sagte Frank und ging auf die Zellentür zu. „Wie heißen sie eigentlich wirklich?“, fragte er. Ein stumpfer Schlag auf seinen Hinterkopf ließ Frank zu Boden sinken. Hart prallte er auf das Linoleum. Warmes Blut rann seine Wangen entlang. Plötzlich baute sich der Gefangene vor ihm auf. Sein Gesicht hatte sich zu einer grauenvollen Fratze verzogen und in seiner Klaue hielt er ein Eisenrohr. Frank sah sein Blut, das in dünnen Fäden am Metall entlang lief. „Meinen Namen möchtest Du wissen?“, spottete der Gefangene. „Ich heiße Luzifer“!
Der gefallene Engel! schoss es Frank durch den Kopf, dann wurde es dunkel.
-ENDE-