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Zickennasen-Lesung: Eine Obduktion
Erster Teil
Ich hatte Netzwerkabend mit meiner Battle- Group, und wir zogen gut vom Leder.
Während ich schlafwandlerisch einen klobigen Bolivianer beim Playstation-Eyetoy-Sackhüpfen klar machte, klickte ich mit der freien Hand auf die @-Taste meiner schnurlosen Multifunktionstastatur.
Eine PM schnalzte hervor: Lesung in Gelsenkirchen, irgendwann in der FLORA, 20.00 Uhr.
Ich tippte »jasicherleseichpapperlappkinderkram« ein, und fünf Sekunden später hatte Uwe Post.
Dann vergaß ich es wieder.
Ich tat monatelang Dinge, die ein Erwachsener nun mal so tut: Margarine in Butterfolie einschlagen (Selbstbetrug, schon gut), als HARK DER UNHEIMLICHE der Videopiraterie im Netz das Handwerk legen, abends mit der Freundin nen schönen Film ansehen (Wenn Brad Pitt wirklich n Beindouble in TROJA hatte, fress ich n Besen), den Wortschatz meines Sohnes erweitern (»Ich bin dein Vater, Luke«, total süß).
Ich dachte nur nicht mehr an irgendwelche Lesungen oder PM`s.
Weihnachten kam, es rumpelte im Kamin, falscher Alarm jedoch.
Neujahr kam, es rumpelte im Gedärm, ebenfalls falscher Alarm, aber ich bekam schon gut das Geräusch einer Bombensirene hin, als ich mich im Morgenlicht eines neuen Jahres auf meine Anrichte erbrach.
Mein Hirn war völlig defragmentiert.
Lesung?
Was?
Irgend ein Samstag, irgendwo in Dortmund, irgendwie so Ende Januar oder Februar.
Ich trug mich mit dem Gedanken, einen Bademantel aus Hermelin-Imitat zu ersteigern und gab meinem Rechner die Sporen. So ein weich fließendes Kleidungsstück würde sich gut ins Ambiente meiner Dachgeschosswohnung einfügen, ahnte ich. Wenn ich schon in einer Welt voller Schrägen mein Dasein fristete, wollte ich wenigstens wie Helmut Berger gekleidet sein.
»Kriegt mal den Arsch hoch, ihr Säue«, keifte ich die 400 Megahertz an, während meine Grafikkarte winselnd versuchte, gelbe Farbe in das E von Ebay zu bekommen.
»Herrgott! Wozu hab ich eigentlich den Bitmap-Scan des Bravo-Starschnitts von KISS gelöscht?«
Natürlich, weil ich nur einen Nadeldrucker besaß, weswegen die Bandmitglieder anschließend aussahen wie das durchgepauste Turiner Leichentuch Christi, aber ich wollte mich einfach aufregen.
»Vergiss es.«
Ich klickte mich stattdessen auf Kurzgeschichten.de, und aus dem Innern des Rechnergehäuses kam ein leises Seufzen.
Sparsame Grafik, schneller Aufbau.
Wenn ich jetzt irgend einem frischen Autoren übers Maul fahren könnte, weil er »Das« nicht mit Doppel-S schrieb, würds mir besser gehen.
Dann wurde mein Leben plötzlich hektisch:
Eine PM flappte auf.
Die Lesung.
Heute.
Erscheinen.
Erster Leser.
»Welche Lesung?«
Silvestergeschichte, stand noch da.
Die war doch von mir, verdammt.
Wer sollte die denn lesen?
Dann explodierte die Hindenburg in meinem Kopf; gleichzeitig fiel der Turmbau zu Babylon, Nixon erklärte, dass er ein bisschen geflunkert hatte, ein fettes Kind rutschte auf etwas aus, dass vermutlich Speiseeis war, Monika Lewinski zeigte Flecken auf einem Kleid, die vermutlich kein Speiseeis waren, und dann- nach all den verschütteten Gedankenfragmenten- kamen mir zwei unangenehme Erinnerungen:
1. Ich hatte Flurwoche.
2. Ich hatte schriftlich erklärt, dass ich meine Geschichte lesen würde. Persönlich. Heute.
Mein Unterbewusstsein wies offenbar noch bedeutend mehr Schrägen als meine Wohnung auf.
In der Rumpelkammer meines Rechners fand ich noch eine Word-Version der Silvestergeschichte; ich hatte sie allerdings aus Langeweile in einer derart perversen Frakturschrift abgespeichert, dass sie nun wie der Vorspann eines Films mit Bela Lugosi daher kam.
Der Nadeldrucker erbrach brüllend ein Exemplar der Story, und ich verbrachte den restlichen Nachmittag damit, den nur aus Löchern bestehenden Text mit Kugelschreiber nachzuziehen.
19.45 Uhr, Gelsenkirchen.
Mein Ibiza setzte direkt neben der Flora auf, wo die Lesung stattfinden sollte.
Es war ein harter Spätnachmittag gewesen:
Meinen schwarzen Smoking aus Nappaleder hatte ich einem befreundeten Trinkhallenbesitzer geborgt, der eine Butterfahrt nach Rumänien unternahm, und so hatte ich meine einzige Jeans gewaschen.
Damit war es nicht getan: Es war eine stonewashed Palomino, und ich entfernte das Glöckchen mit einer Rohrpumpenzange.
Dann trennte ich das Etikett aus dem Bund und nähte eines von ARMANI hinein, falls jemand im Publikum »BUCHSE RUNNA!« brüllen würde. Schwarzes T-Shirt- hinten aufgeschnitten wie ein Leichenhemd, denn ich neige zur Transpiration-, Bikerboots und ein Jackett komplettierten das Outfit.
Die Halle war in warmes Licht getaucht.
Flora soft, dachte ich benommen, und dann bekam ich meinen ersten, zur Einrichtung passenden Blackout.
Ich bat Paranova, eine Flasche Dimples, Strohhalme und ein starkes Betäubungsmittel aufzutreiben und gab ihm 50 Euro.
Er kehrte allerdings mit einer Kiste Bier zurück und schüttelte den Kopf, als ich nach Restgeld fragte.
»Die hatten diese Pannini-Klebebilder. Ich hab jetzt Digimon, Kackemon, Monstermon, Elektromon, Hackbratenmon, Saurusmon, Analogmon... und das hier«, er klatschte einer blässlichen Blondine auf die Schulter, »ist Ursela Monn.«
»Hallo«, sagte ich und nahm mir ne Flasche Warsteiner.
20.01 Uhr.
Uwe Post sagte mich an, und ein verhaltener Applaus erklang aus den Untiefen des Publikums.
Meine Darmzotten spielten mir das Lied vom Lampenfieber, während ich überhaupt nicht reagierte und hocken blieb.
»Torsten Sträter!«
»Torsten Sträter!«
.....
»Torsten Sträter!«
Den Namen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche, hatte mein hirnloser Wirtskörper schon mal gehört.
Ich ging zur Bühne, als wäre der Boden aus Magerquark, stieg die Stufen empor und hockte mich an den Tisch.
Zweiter Teil
Wie man lesen sollte
Wir blicken zuversichtlich ins Nichts und produzieren ein lässiges Intellektuellengesicht.
Schlaffe Mundwinkel, dämonische Augenbrauen, ein Blick, welcher »Na gut, lese ich eben, wenn’s euch Freude macht« ausdrückt.
Dann totale Versunkenheit ins Manuskript. Minutenlang. Bis alle Anwesenden atemlos des ersten hervorgestoßenen Wortes des Autoren harren.
Die Stimme muss kraftvoll sein, wenn sie dann kommt: Kinski hat das brillant rübergebracht. Wispern, murmeln, brüllen! Dazwischen immer mahnende Blicke ins Publikum, auch wenn man »Kalle Wirsch« liest.
Vorteilhaft, weil unfassbar lässig, ist es, die Schuhe wegen der Lesung abzustreifen, um den Leuten zu demonstrieren, dass man so entspannt ist, dass man jeden Moment wegsacken könnte.
Gut ist es auch, russische Au Pair-Mädchen in dünnen T-Shirts anzuheuern, die »Isch will ein Kind von dir!« brüllen, was man tunlichst mit einem zornigen »MEIN LEIB GEHÖRT DER POESIE!« erwidert.
Kommt man zum Schluss, starrt man vor dem letzten Satz eine Minute in den dunklen Raum.
Und wartet.
Dann das letzte Wortmonument.
Wie ich las
All die Leute waren verschwunden.
Stattdessen knallte mir ein Spot in die Fresse, der augenblicklich jede Gesichtspore verschloss und mich käsig anlaufen ließ. Die Kapillargefäße meiner Nase klappten ebenfalls das Visier runter- und ein, einer Scheinschwangerschaft nicht unähnlicher Spontanschnupfen bemächtigte sich meiner, in dem er mein Stammhirn bis zur Kante mit Glibber voll laufen ließ.
Ich wollte eine lässige Begrüßung installieren, brachte aber nur etwas zustande, dass ungefähr wie »Nabend, geht’s gut?« klang und rüberkam, als würde ein zum Tode verurteilter »Macht hin-ich hab nicht den ganzen Tag Zeit« sagen.
Dann hechelte ich los, während ich Rotz hochzog und alle drei Sekunden ins Publikum starrte, um zu sehen, ob einer lacht, und wenn ja, wer. Es lief gut, und zwar an allen Ecken und Enden.
Nach Blatt zwei folgte dann auch gleich Blatt fünf, und ich nahm mir eine einsekündige Auszeit, um zu überlegen, ob ich die Geschichte irgendwann gestrafft hatte, und wenn nicht, was dann, zum Teufel?
Ich blickte in den gleißenden Spot und dachte an die Hutzeldame aus POLTERGEIST, die »geh nicht ins Licht, Kleiner« wimmerte.
Dann, sehr aus der Hüfte, schoss ich irgendeinen Stumpfsinn ab, dessen Inhalt sich umgehend löschte- die Alternativen allerdings habe ich behalten, keinen Dunst, warum.
1.»Danke für Ihre Aufmerksamkeit.«
2.»Sorry- habs auf dem Klo durcheinander geworfen- ich hatte zwar nur eine Hand frei, aber Höllenakustik da unten.«
3.»Ihre Augenlider werden schweeeeer. Sie sind unfassbar müüüüde...«
4.»Zeit für eine Werbepause: Autohaus Schlawinski in Wattenscheid hat Sonntag Tag der offenen Tür! Sie können den Polo Probe fahren, Bratwurst fressen und für die Kleinen ist ne Hüpfburg....«
Jedenfalls ging es irgendwie weiter, obwohl meine Nase mittlerweile Geräusche machte wie das Wunderauto von David Hasselhof.
Ich kam zum letzen Satz, nass geschwitzt wie nur was, und dann brandete Applaus auf.
Es war die Sorte Klatschen, die auch bei der Landung eines Mallorca-Fliegers gern produziert wird, aber keiner war glücklicher als ich, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und an die Tränke zu dürfen.
Der Rest des Abends ist mir komplett entfallen.
So oder so:Wie man nun liest, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Aber es ist immer gut, die eigene Nase auf seiner Seite zu haben.