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Zimmer mit Meerblick

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30.01.2005
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Zimmer mit Meerblick

Zimmer mit Meerblick

Langsam öffnete sie ihre Augen und blinzelte dem grellen Sonnenlicht entgegen. Ihr Blick schweifte zum anderen Ende des Bettes. Sie setzte sich abrupt auf. Wer war dieser Mann neben ihr?
Sie fing an zu zittern und schaute hilfesuchend aus dem Fenster. Das Meer, ja genau das Meer! In ihrer Aufregung zog sie sich was über und hastete durch die grosse Glastür ins Freie hinaus. Sie atmete die salzige Luft tief ein und rannte Richtung Meer. Sie fühlte den schon vom Sonnenschein aufgewärmten Sand, wie er sachte ihre Füsse kitzelte. Wieder schaute sie in die Weite des tiefen Blaus und begann hastiger zu rennen. Ihr Blick immer nach vorne gerichtet, stolperte sie plötzlich über etwas Spitzes. Sie beachtete den stechenden Schmerz, der langsam ihr Bein hinauf kroch, nicht und rannte weiter, stur geradeaus.
Als ihre Füsse das salzige Meerwasser berührten, schien ihr ganzer Körper zu brennen. Wieder ignorierte sie den Schmerz, aber diesmal ging eine schüchterne Träne in einer kleinen Welle unter. Unbeirrt schritt sie weiter vorwärts, so schnell, wie es mit dem immer stärker werdenden Wasserwiderstand möglich war.
Da, sie hatte etwas gehört, jemand rief nach ihr! Ihr Blick schweifte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

Still stand er da. Seine Arme schienen das einzig Bewegliche am Ganzen zu sein, sie baumelten einfach an ihm herunter. Sein Gesichtsausdruck erschien ihr fremd, unheimlich.
Das Rauschen des Meeres - tosend, wild. Sie hatte Kopfschmerzen, spürte die Sonne im Rücken und doch fröstelte sie. Ihr Fuss pochte, sie befeuchtete ihre trockenen Lippen mit der Zunge und schmeckte das Salz. Sein weisses Hemd reichte ihr bis zu den Knien – es klebte an ihrem Körper, sie rupfte daran herum, kurz darauf klebte es wieder feucht und kalt an ihrer Haut.
Dann entwich die Schwäche aus seinem Körper und er sackte zusammen, wie eine Marionette, deren Faden man durchgeschnitten hatte, fiel er mit den Knien voran in den Sand. „Ich wollte das nicht“ stotterte er, während ihr Blick stur aufs Meer gerichtet war. Sie rührte sich nicht, gab keine Antwort. Doch er schien auch keine zu erwarten. Trotzdem hoffte er auf ein Zeichen, ein klitzekleines Zeichen. Ein Blick, eine Berührung, irgendwas. Doch er wusste, dass er auch das nicht erwarten durfte. Eigentlich musste er froh sein, rannte sie nicht weg. Vielleicht war sie einfach zu schwach dazu. Doch er hoffte, dass sie ihm die eine Chance geben wollte, es zu erklären. Er hatte ja nicht einmal damit gerechnet, dass sie am Morgen noch da sein würde. Wahrscheinlich war sie auch nur aus Schwäche geblieben, war zu kaputt gewesen um nach Hause zu fahren. Und als sie schliesslich aufgewacht war, hatte sie das Gefühl gehabt in einem bösen Traum zu stecken, es war so unwirklich gewesen. Sie hatte nicht gewusst wer er war, wo sie war, warum sie da war, konnte sich nicht mehr erinnern, was vorgefallen war, hatte die ganzen vergangenen Stunden verdrängt, sie wusste zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mehr richtig, wer sie selbst war.
Doch jetzt stand sie da, die Beine halb im kalten Meerwasser, schaute immer noch aufs Meer hinaus, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Und er sass kniend hinter ihr, wartete. Hoffte, dass es vielleicht wirklich nur ein böser Traum war, aus dem er so schnell wie möglich aufwachen wollte.

Sie drehte sich um, sah langsam vom Boden auf und blickte in diese wunderbaren grünen Augen, unfähig etwas zu sagen oder zu tun. Wie gut sie diese Augen doch kannte, wie vertraut sie ihr waren. Und nun blickten sie sie an, so voller Reue, Wehmut und Scham. Hätte dieser Morgen nicht diese alten, tiefen Wunden wieder zum Bluten gebracht, wäre sie diesem Blick wohl erlegen. Ihr wurde übel, nicht wegen dem stechenden Schmerz im Fuss, sondern beim Gedanke daran, wie ihr Freund, der nun so schuldvoll wie auch verwirrt vor ihr kniete, seine Zuneigung, sein Begehren einer anderen Frau geschenkt hatte. Lange war es her und nie hatten sie mehr darüber gesprochen, sie hatte nur immer geschluckt – bis zu diesem Morgen, an dem alles in ihr wieder hochkam. Sie fühlte sich von den Berührungen dieses ihr plötzlich so fremd vorkommenden Mannes überfordert. Wie er sie anfasste, so hatte er auch diese Frau berührt. Es waren die gleichen Hände, die gleichen zärtlich streichelnden Bewegungen, der gleiche Blick. Sie musste sich übergeben.

Sie fühlte sich leer. Kalt war ihr ebenfalls, da das salzige Wasser noch nicht von der Sonne aufgewärmt war. Der feine kühle Wind versetzte sie in leichtes Zittern. Doch woher kamen eigentlich diese pochenden Kopfschmerzen? Und wieso befand sie sich eigentlich bei ihm? Wollte sie nicht nach Hause fahren, nachdem sie ihn aufgesucht hatte und er gar nicht da war? Ihr Blick wandte sich von ihm ab. Sie suchte Zeichen, Anhiebspunkte. Doch der eklige Geschmack im Mund lenkte sie zu stark ab. Sie wollte etwas trinken. Genau, trinken, sie hatte gestern getrunken. Doch jetzt musste sie einen Tee trinken, oder einfach nur Wasser. Keinen Alkohol. Den einen Fuss vor den andern setzend lief sie langsam Richtung Haus. An ihm vorbei. Ganz ruhig kniete er dort auf dem Sand, doch ruckartig stand er auf und griff nach ihrem Arm. Er zog sie zu sich und hielt sie mit einem Druck fest, dass es ihr beinahe wehtat. „Wo willst du hin? Es gibt kein Zurück mehr, wir stecken da beide mit drin.“ Sein Gesicht war kalt und ausdruckslos. „Wir sollten verschwinden, die Zeit wird knapp.“ Der Sonne nach zu deuten musste kurz nach neun sein. In ihrer Trance nickte sie devot und er zog sie an der Hand zurück ins Hotelzimmer. Während er völlig gestresst und planlos die Koffer füllte, probierte sie sich an letzte Nacht zu erinnern. Sie wusste, dass sie etwas Schreckliches getan hatte, aber es war ihr nicht mehr gegenwärtig. Gestern Abend, dass war nicht sie gewesen, und auch nicht er, was hatten sie nur getan? Ihr wurde wieder übel und sie fühlte sich, als ob sie sich erneut übergeben müsste. Sie ging ins Badezimmer, schloss die Tür und kniete sich mit dem Kopf über die Kloschüssel. Doch die Übelkeit verflog wieder als ihr der Geruch von seinem Rasierwasser, welches offen auf dem Lavabo stand in die Nase stieg. Sie richtete sich auf und bemerkte ein Laken welcher unter dem Deckel des Abfalleimers hervortrat. Sie nahm in heraus. Es war zur Hälfte mit Blut verschmiert.
Unfähig noch eine ihre Gefühle entsprechende motorische Reaktion durchzuführen, startete ihr Hirn den Versuch ihr etwas mitzuteilen. Das Blut erinnerte sie an ihren roten Lippenstift, den sie gestern aufgetragen hatte, bevor sie sich vergangene Nacht zu ihm auf den Weg gemacht hatte. Eine Blitzerinnerung. Doch Moment, nicht nur sie hatte vergangene Nacht einen roten Lippenstift aufgetragen. Da war noch eine junge Frau gewesen. Wo war sie? Ihr wurde es wieder übel, da sie beim Durchgehen ihrer Gedankenkette mechanisch das blutverschmierte Laken zu ihrem Gesicht herangezogen hatte. Sie musste sich wiederholt übergeben. Sie richtete sich mit Mühe auf und beim Aufstehen wurde es ihr schwarz vor Augen, sodass sie sich auf den Lavabo stützen musste. Nachdem ihre Sinne nach kurzem Ausfall wieder funktionsfähig waren, blickte sie in den Spiegel. Was sie jedoch in diesem Spiegelbild sah, war nicht ihr eigenes, sondern den der jungen Frau. Sie schreckte auf, und so schnell wie das fremde Spiegelbild erschienen war, verschwand es auch wieder. Nun stand sie vor dem Spiegel, wenigstens nahm sie es an. Was war mit ihr geschehen? Sie war blass und ihre Wangen waren vom aufgetragenen Make-up verschmiert und beinahe bedeckt. Sie konnte es nicht umgehen sich mit einer Leiche zu vergleichen. Eine Leiche.
Sie erinnerte sich jetzt mit jeder Sekunde besser an das Gesicht dieser jungen Frau, an ihre schönen blauen Augen, fast so blau wie das Meer, und an den roten Lippenstift, der ihren Mund leuchten liess. Ja, der rote Lippenstift, blutrot war er, die Haut so blass wie die einer… Nein! Wieso? Warum sah sie die junge, bildhübsche Frau durch die Maske einer Toten?
Sie versuchte sich krampfhaft zu erinnern, was geschehen war, nachdem sie das Hotel betreten hatte, nachdem sie das Zimmer endlich gefunden hatte. Die Nummer 4056 war es, sie erinnerte sich genau. Aber danach? Langsam drehte sie den Wasserhahn auf, wartete einen Moment, bis das Wasser eiskalt aus der Leitung spritzte, und hielt ihr Gesicht einen Moment darunter. Ein Handtuch. Sie packte es. Sie schreckte hoch, knallte mit dem Kopf gegen den Wasserhahn und setzte sich auf den Toilettendeckel. Wieder hatte sie sie für den Bruchteil einer Sekunde gesehen, ihr Gesicht, ihre Hände, blutverschmiert, wie ein Blitz, der gleich darauf wieder verschwand. Gestern, sie versuchte ihre Gedanken wieder zu ordnen… Sie hatte vor der Zimmertür gestanden, die Tür hatte sich langsam geöffnet, doch nicht ihr Freund stand dahinter, nein. Die Frau hatte geöffnet. Ihre Augen waren vor Angst geweitet gewesen und mit diesem erschrockenen Blick hatte sie sie durchdringend angestarrt. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber…
“Hey, kommst du da bald raus?!“ „Ich bin am duschen“, rief sie schnell, stellte die Dusche an, und sprang unter das kalte Wasser.

Das eisige Wasser hatte ihre benebelten Sinne wieder etwas belebt, ihre Sicht auf die Dinge geklärt, doch als sie aus der Dusche stieg, sich aus den nassen Kleidern schälte und ihren Körper in ein weiches Frottiertuch hüllte, fiel ihr Blick wieder auf das blutige Laken. Es war still, totenstill. Abermals kroch Panik wie eine garstige Spinne ihren Nacken hoch, doch sie redete sich selbst gut zu und versuchte sich soweit zu beruhigen, dass sie die Tür einen Spalt weit öffnen konnte. Vorsichtig lugte sie heraus. In ihrem Blickfeld lag das grosse Bett, die weissen Laken zerwühlt, einen Teil der breiten Glasfront, durch die sie das lange Strandgras sehen konnte, das sich sanft im Wind wiegte, und ein schwarzer Koffer, der wie vergessen auf dem Boden lag. Er weckte ihre Neugier, und so streckte sie den Kopf weiter durch die Tür, blickte nach links und nach rechts, um sich zu vergewissern, dass sie alleine war. Sie war es. Trotz ihrer Angst wagte sie sich, die Hände um das Handtuch geklammert, einige Schritte, ganz leise und vorsichtig, aus dem Bad. Ein schwacher Duft lag in der Luft, sie schnüffelte, um ihn genauer erfassen zu können, und es war nicht derjenige des Rasierwassers im Bad. Dieser hier war herb, würzig und hatte doch eine süssliche Note, wie der Wind, der an einem Sommerabend vom Meer her wehte. Ihre nackten Füsse klebten am Boden und machten ein hässliches, schmatzendes Geräusch, als sie einige weitere Schritte auf den Koffer zu machte. Als sie ihn erreicht hatte, kniete sie sich auf den Boden. Den Deckel konnte man mit einem Reissverschluss öffnen, ganz schnell und schmerzlos, und doch hatte sie Angst, fürchtete sich von dem, was sich im Innern des Koffers verbergen könnte. Die ehemals blauen Augen der Frau, im Anblick des Todes vor Schreck geweitet, die roten Lippen verwelkt und eingefallen, das wächserne Gesicht zu einer Fratze verzerrt und zur Maske erstarrt, die weizenblonden Haare, vom eigenen Blut braunrot gefärbt. Nein, sie konnte das einfach nicht. Doch sie musste! Insgeheim wusste sie genau, dass ihre Neugier im Endeffekt doch stärker sein würde als ihre Furcht. Eine Hand hatte sie auf den Koffer gelegt, als ob er sich dann auf magische Art und Weise selbst öffnen würde. So kniete sie da, hin und hergerissen, als sie plötzlich ein Geräusch hörte und das Gefühl hatte, nicht mehr alleine zu sein.
Sie blickte abrupt nach hinten, stand blitzschnell auf den Beinen. In ihrer Hast löste sich der Zipfel des Badetuchs oberhalb ihrer Brust aus der Verankerung. Ihre Finger versuchten das Tuch irgendwie noch festzuhalten, sie nicht völlig zu entblössen. Sie stolperte rückwärts, konnte sich gerade noch, eine Hand auf die Kommode stützend, auffangen. „Habe ich etwa irgendwas vergessen?“ Sie wusste nichts zu antworten. Sie wusste eigentlich gar nicht, was ihre Neugier an diesem Koffer geweckt hatte. Was hatte sie erwartet darin zu finden? Wahrscheinlich hatte sie nur gehofft. Gehofft auf einen gepackten Koffer wie der jedes anderen, der zu verreisen gedenkt. Völlig normal, völlig ordinär. Sie hätte sicher auch nichts anderes vorgefunden. Auf der einen Seite beruhigend. Auf der anderen Seite erschreckend. Erschreckend, dass man ihnen in der Öffentlichkeit nicht ansehen wird, was sie getan hatten. Was sie getan hatte und was er zu vertuschen versuchte. Sie hatte getötet, doch er fühlte sich genauso schuldig. Jedoch nicht der Toten gegenüber. Sie starrte ihn immer noch an, die Finger um die Kante der Kommode geklammert. Die andere Hand hielt krampfhaft das Frottiertuch an seinem Platz. Plötzlich brach sie in Tränen aus. Tiefe Schluchzer hoben und senkten ihre Brust, liessen sie hyperventilieren. Er eilte zu ihr, nun auf den Boden, nahm sie in den Arm und wiegte sie wie ein kleines Kind.

Einen Mörder erkennt man nicht an seinem Aussehen. Man erkennt ihn nicht an seinem Gang, seiner Kleidung. An der Art, wie er sich die Haare aus dem Gesicht streicht, wie er mit dem Kragen seiner Bluse spielt.
Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt sie auf der gepolsterten Bank im Raucherabteil und beobachtet die Landschaft, wie sie leer und ausgetrocknet an ihr vorbeifliegt. Die Sonne überzieht den allgegenwärtigen Sandstein mit einem goldenen, öligen Film; es ist Abend, und immer noch krallt sich die Hitze im zersprungenen Boden fest. Das Licht ist gleissend, vor ihren Augen tanzen weisse Flimmerringe, doch sie wendet sich nicht ab von der schmierigen Fensterscheibe. Es ist schwül und stickig, der Rauch lässt es in ihrem Kopf hämmern. Sie hat Durst. Ihre Finger trommeln auf den kleinen schwarzen Stoffkoffer auf ihrem Schoss. Vergessen?
„In sechs Minuten fährt unser Zug, da drüben auf Gleis zwei, Liebes. Bald sind wir hier raus.“ Er war beinahe in Hochstimmung gewesen, den ganzen verfluchten Weg vom Strand hatte er nicht aufgehört, zu reden. Doch dann, als nähme er sie erst jetzt richtig wahr, bemerkte er ihren leeren Blick, langte nach ihrem Arm. „Hör mir zu“, flüsterte er in eindringlichem Ton. All sein Getue war von ihm abgefallen. Seine Hand klebte vor Schweiss. „Wir haben beschlossen, es zu vergessen, ich war ein Idiot, sie dorthin zu bringen, es tut mir leid!“ Leute schoben sich an ihnen vorbei, wie ein Fluss eine Sandbank umfliesst. Sie standen still, und alles um sie herum bewegte sich. Im Kreis. „Wir vergessen es, wir vergessen es ganz einfach, reden nicht darüber, hörst du? Ich liebe dich…Hörst du mich?“ Ihre Knie hatten zu zittern begonnen und sie sackte zusammen. Er führte sie zur Sitzbank, hiess sie dort warten, ging „Etwas zu trinken“ holen, liess sie allein, inmitten seiner Koffer, inmitten des Menschenstrudels.
Vergessen? Das konnte sie nicht. In vier Minuten fuhr der Zug auf Gleis zwei. Ihre Hand wanderte zum Kragen ihrer Bluse, zwirbelte daran herum. Vergessen?
Er kam zurück, mit einer Cola in jeder Hand, fand die Bank leer und einen wächterlosen Kofferstapel vor.

Langsam schritt sie durch die Strassen der Stadt, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich ging. Die Welt erschien ihr grau und irgendwie verschwommen, unwirklich. Sie kämpfte mit dem Schmerz, als sich die Gegenwart auflöste und sie zurück in die Vergangenheit geschleudert wurde.
Sie stand wieder vor dem Hotelzimmer mit der Nummer 4056, wühlte kurz in ihrer Handtasche und nahm eine Schachtel Tabletten hinaus. Antidepressiva. Sie nahm zwei und steckte sie sich in den Mund, bevor sie sie mit Wasser, welches sie immer in einer kleinen Flasche dabei hatte, herunterspülte. Dann strich sie sich mit einer fahrigen Bewegung die Haare aus der Stirn, griff wieder in ihre Tasche und ihr Finger klammerten sich um die Pistole darin. Dann klopfte sie. Die junge Frau – Sarah war ihr Name –, die Frau, von der sie gehofft hatte, sie nie wieder sehen zu müssen, die Frau, mit der ihr Freund sie schon vor drei Jahren betrogen hatte, öffnete und wurde bleich als sie sah, wer davor stand. Trotzdem bat Sarah sie hinein und schloss die Tür hinter ihnen beiden. Sie ging zur Minibar und nahm ein Glas heraus, füllte es mit Baileys und reichte es ihr. Sarah selbst zündete sich mit zittrigen Händen eine Zigarette an. Eine Weile sagte keine von ihnen ein Wort, doch schliesslich wandte sie sich an die junge Frau: „Meine Freundin arbeitet hier. Sie hat mir gesagt, dass Sie hier sind – und dass er auch hier war vor zwei Tagen.“ Ihre Stimme war voller Wut. Wut, die sie lange Zeit unterdrückt hatte, die nun aber an die Oberfläche drängte. Sie holte ihre Waffe hervor, entsicherte sie und zielte auf Sarah.
„Ich wusste, dass Sie kommen würden.“ sagte diese leise und lächelte bitter.
Sie schwiegen. Dann sagte Sarah: „Es tut mir leid. Alles tut mir leid.“
„Mir auch.“, antwortete sie und drückte ab. Dann setzte sie sich auf das Bett und schreib ihm eine SMS, er solle ins Hotel kommen. Sie wartete. Wartete, bis er kommen würde.

Geschockt lag sie auf dem Bett. Sie schaute aus dem Fenster und sah das klare, blaue Meer. Sie zitterte und konnte nicht fassen, was sie gerade getan hatte. Sie traute sich kaum auf die andere Seite des Hotelzimmers zu schauen, denn sie wusste genau, was sie dort sehen würde. Doch sie konnte nicht anders und drehte ihren Kopf vorsichtig. Was sie dort sah, liess sie erschaudern. Da lag sie- Sarah. Starr und der ganze Körper mit Blut beschmiert lag sie auf dem Parkettboden des Zimmers. Die Augen starrten zur Decke hoch und aus ihrem geöffneten Mund quoll Blut.
Ihr wurde schlecht. Was hatte sie nur angestellt? Sie hatte getötet. Ja, getötet hatte sie. Sie war eine Mörderin. So wie sie jeden Tag in den Zeitungen las, von Mord und Totschlag, von Familiendramen. Und jetzt gehörte sie auch zu dazu. Sie war zur Mörderin geworden. Aber war das nicht nur Notwehr? Diese Frau hatte ihre Beziehung und auch ihr Leben zerstört.
Was würde er wohl dazusagen? Er würde sie sicherlich für immer verlassen. Er wollte doch nicht mit einer Mörderin zusammen sein...
Von einem Geräusch wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Sie hörte Schritte auf dem Korridor des Hotels und kurz darauf klopfte es an der Tür. Sie horchte auf. Es hatte geklopft, zweifellos. Ihr Blick fiel auf Sarah. Immer noch lag sie tot vor der Fensterfront, draussen tanzten die Gräser im Wind und in der Ferne sah sie ein Pärchen mit einem Hund das am Meer entlangspazierte und der Hund rannte. Es klopfte erneut. Gut möglich, dass er es war, er war ihrer Nachricht gefolgt, bitte komm sofort zu mir, eilig in die Tasten gehackt und jetzt war er da, vor der Tür, und wunderte sich. Doch was, wenn er es nicht war? Hastig packte sie die Bettdecke und Sarah war versteckt, blütenweiss rein und unschuldig versteckt und als sie sah, dass ein Schuh noch unter der Decke hervorlugte, ein hässlicher Schuh, wie sie fand, ihr Freund hatte bei der Wahl seiner Geliebten keinerlei Geschmack bewiesen, als sie also diesen Schuh unter der Decke hervorlugen sah, ging sie nochmals zurück und liess auch ihn verschwinden. Sie schwankte zur Tür, das Herz klopfte ihr bis zum Hals, so das sie das Gefühl hatte es würde nächstens aus ihrer Kehle schnellen. Vor der Tür stand eine Frau und sie trug eine Schürze und lächelte sie breit an. Auf ihrer üppigen Brust prangte ein kleines Schildchen mit ihrem Namen-Rosa- und Rosa lächelte immer noch und sagte: “Room service!“
Sie wurde ganz blass und ihre Kräfte schienen zu schwinden. Wie gelähmt lehnte sie sich an den Türrahmen, hatte keine Kraft mehr Rosa zu hindern, einzutreten.
Rosa lächelte immer noch ganz freundlich und fragte, ob es ihr gut gehe, sie sei ganz bleich, doch sie konnte nicht antworten. Ihr wurde schlecht. Gerade noch schaffte sie es bis zur Toilette. Wie gut das tat. Alles raus. Einfach alles raus. Doch da, ein Schrei aus dem Schlafzimmer. Spülung drücken, rausrennen und nachschauen was los war. Rosa lächelte nicht mehr, nein, diesmal war es sie, die aschfahl war. Ein Blick vor Rosas Füsse, wo Sarahs Schuhe, diese hässlichen Schuhe, unter dem weissen Laken hervorblitzten, erklärte alles.
Gerade hatte sich Rosa auf das Bett gesetzt, konnte sich weder bewegen, noch ihren geschockten Blick von der Leiche abwenden und schon im nächsten Moment sah und fühlte sie nichts mehr. Und sie, sie stand abermals da wie angewurzelt. In der Hand die Scherben der wunderbar bemalten Vase, die sie sich vom Nachttisch ergriffen hatte. In ihrem Kopf dröhnte es und ihr Herz schien aus der Brust springen zu wollen... Plötzlich hatte sie es eilig, sie wollte weg, einfach weg, raus aus diesem Hotelzimmer, einfach raus...

Wenige Augenblicke später betrat er das Hotel und ahnte Schreckliches. Er rannte die Treppe hoch, durch den Korridor und vor dem Zimmer 4056 blieb er keuchend stehen. Mit dem Horror im Nacken klopfte er heftig an die Tür und wartete darauf, dass sie öffnete. Doch es tat sich nichts. Er rief ihren Namen und bat sie zu öffnen.
Für ihn gab es nur noch eine Lösung. Um keine Zeit zu verlieren rammte er sein volles Gewicht gegen die Zimmertüre und prompt öffnete sie sich wie von selbst.
Sein Blick fiel direkt auf die riesige Blutlache neben der Unbekannten. Schnell fühlte er ihren Puls am Handgelenk und realisierte, dass jede Hilfe zu spät kam. Nervös schaute er sich im Hotelzimmer um und suchte auch im Bad nach seiner Freundin.
Doch sie war wie vom Erdboden verschwunden, geflüchtet vor ihren grausamen Taten und wahrscheinlich auch vor ihm. Bestürzt und sichtlich verwirrt hielt er seinen Kopf unter das kalte Wasser, um endlich wieder klar denken zu können. Er befand sich in einem trance-ähnlichem Zustand und traute sich kaum mehr ins Zimmer zurück, dorthin, wo die Leiche, die das Namensschild Rosa trug, lag. In sich zusammengesunken setzte er sich auf den Wannenrand und versuchte seine wirren Gedanken zu ordnen.
Auf einmal wurde ihm heiss. Schweisstropfen liefen ihm über das Gesicht. Nach einigen Minuten wurde ihm klar, dass er etwas machen musste. Nichts tun half ihm nichts. Mit zitternder Hand griff er zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Die Leiche war noch da. Hatte er doch gehofft, dass er nur geträumt hatte. Doch dem war nicht so. Als er vorsichtig durch den Türspalt guckte, erspähte er einen Schuh, der unter einem Bettlaken auf dem Fussboden hervorlugte. „Nein“, schrie er, riss die Tür auf und rannte aus dem Badezimmer zu dem Bettlaken. Er blieb stehen. Er hatte Angst. Doch seine Neugier nach der Wahrheit war stärker. Er zog das blutverschmierte Tuch weg, in der Hoffnung, darunter nicht seine Freundin vorzufinden. Und zu seiner Beruhigung, war nicht sie es, die vor ihm auf dem Boden lag. Es war eine junge Frau. Der ganze Körper war blass. Ihre leuchtend blauen Augen starrten zur Decke. Irgendwie kannte er dieses Gesicht, diese blauen Augen. „Sarah“!


Es wurde schon langsam dunkel, als sie immer noch durch die Gassen irrte, völlig verwirrt, ohne Ziel. Von weit her drang Musik aus einer typisch spanischen Bar, von welchen es hier an jeder Ecke wimmelte, zu ihr. Als sie das Lokal mit der Aufschrift „Tropicana“ näher betrachtete, verschnellerten sich ihre Schritte, bis sie schliesslich davor stand. Jetzt war sie sich sicher, es war das Lokal in welchem sie ihn das erste Mal getroffen hatte. Ihn, der sie ein Jahr später das erste Mal betrogen hatte und jetzt, nach weiteren drei Jahren, wieder. Dieses verfluchte Lokal.
Nach dem dritten Tequila fühlte sie sich schon besser. Die Musik liess ihre Stimmung ansteigen und der Alkohol zeigte allmählich seine Wirkung. Sie zündete sich eine Zigarette an, wippte ihre Schultern im Takte der Musik und grinste leise vor sich hin. Sie fühlte sich frei von ihren Gedanken und schien vergessen zu haben, was noch vor ein paar Stunden passierte. Doch tief in ihr drin war ein mulmiges Gefühl, welches sich auch nicht wegtrinken liess. Sie wusste warum, doch wollte sie es sich nicht eingestehen. Aber je mehr sie trank, desto schlimmer wurde es. Plötzlich, als sie es nicht mehr ertrug, ihr Unbehagen in ihr wie zu einem Geschwür anschwoll und auch der Alkohol nur noch raus wollte, fasste sie einen Entschluss.
„Taxi!“ Sie taumelte zum Auto, das Ausmass ihres vorangegangenen Alkoholexzesses fing immer mehr an, Wirkung zu zeigen. Langsam öffnete sie die Wagentür und stieg ein. Im Taxi roch es nach Schweiss und nassen Kleidern, sie spürte, wie ihr langsam übel wurde. Vielleicht wäre es besser auszusteigen und die Nacht… „Wo soll’s denn hingehen?“
Die Frage des Taxifahrers schreckte sie aus ihren Gedanken. Sie blickte auf. „Zum Hotel Meerblick.“ Mit einem Ruck setzte sich das Auto in Bewegung und liess ihre Übelkeit von neuem aufkommen. Jetzt hatte sie noch die Möglichkeit umzukehren, den Fahrer zu bitten anzuhalten, aus dem Taxi auszusteigen und wegzurennen. Wegrennen? Wohin? Hatte sie überhaupt die Möglichkeit wegzurennen, diese Sache einfach zu vergessen?
„Zu viel getrunken?“ „Ein bisschen“, antwortete sie leise und versuchte zu lächeln. Es misslang ihr. Egal. Sie war jetzt nicht in der Lage, mit dem Taxifahrer Smalltalk zu führen, über das Wetter und die Benzinpreise fachzusimpeln. Nein, das konnte sie jetzt wirklich nicht.
Zum Glück war der Fahrer für den Rest der Fahrt still, und sie konnte sich darauf vorbereiten, was auf sie zukommen würde. Insgeheim wünschte sie, die Fahrt würde ewig dauern, dass sie nie ankommen würde. „Wir sind da. Hotel Meerblick.“ Mit starrem Blick drückte sie dem Taxifahrer das Geld in die Hand und stieg aus dem Auto. Doch was sie sah, liess sie wie angewurzelt stehen bleiben. Es war niemand da. Keine Polizei. Keine zehn Autos, die rund um das Hotel standen und keine hundert Beamten, die Spuren aufnahmen. Der Parkplatz war leer und ganz ruhig. Nur das Rauschen der Wellen war zu hören. Langsam und immer noch ein wenig unsicher in ihren Schritten betrat sie den Empfangsraum. Die Rezeptionsdame lächelte ihr freundlich zu. Wenn die wüsste. Sie stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf, den Gang entlang. Dann stand sie davor. Zimmer 4056. Vorsichtig drückte sie die Türklinke hinunter und betrat das Zimmer. Sofort packte sie die Angst. Sie rannte durch das Zimmer, durchsuchte jeden Winkel, sah in alle Ecken, dann alles wieder von vorne. Doch vergeblich. Die Leichen waren verschwunden.

Weg! Die Leichen waren weg!
Eigentlich wollte sie nun alles zu einem Schluss führen. Der Entscheid, den sie vor einer halben Stunde in der Bar sich mühsam, mit Hilfe des Alkohols abgerungen hatte, war nun nicht mehr Gegenstand ihrer Gedanken. Konzeptlos fühlte sie sich im Luftlehren, in einem Loch ohne Boden.
Sie wollte nicht mehr wissen wo die Leichen waren, sie wollte nicht mehr wissen wo ihr Freund war, was er mit den beiden Körpern gemacht hatte, sie wollte nicht mehr. Sie wollte nichts mehr!
Ihre Hand glitt in die Tasche. So einfach, so selbstverständlich. Sie befühlte das schwarze, kalte, metallene Ding, ohne dabei die Schritte auf dem Gang zu hören. So vertraut und selbstverständlich zog sie die Waffe hervor. Die Schritte kamen näher. Das letzte Mal war es schwerer gewesen, sie war nervös gewesen, doch nun war es einfach. Nun war sie müde und als sie das kalte Rund auf ihrer Schläfe spürte, fröstelte sie ein wenig, aber Angst hatte sie nicht mehr.
Energisch klopfte es gegen die Tür.
Schock! Die Schusswaffe fiel auf den Boden und unter das Bett ohne ihren Zweck erfüllt zu haben.
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und eine Frau in weisser Bluse und dunkelblauem Hosenanzug betrat das Zimmer. Das Schild auf ihrer Brust verriet „Celia Dominguez, Hotelmanager“.
„Verzeihen Sie die Störung, aber wir müssen aus reiner Vorsichtsmassnahme ein paar Fragen an sie richten!“
„Ja?!“
„Das Zimmermädchen, welches für diesen Stock verantwortlich ist, wird vermisst.“
Zu viel. Ihr schwanden die Sinne und sie fiel.
Sie fiel und fiel, müde, kaputt, ausgelaugt von dem in so kurzer Zeit Erlebten.
Sie fiel und es dunkel um sie herum.

Langsam öffnete sie die Augen und blinzelte dem grellen Sonnenlicht entgegen. Ihr Blick schweifte zum anderen Ende des Bettes. Sie setzte sich abrupt auf. Wer war dieser Mann neben ihr?

 

Hallo Liadan,

wenn du beim Schreiben dieser Geschichte nur halb so wirr gewesen bist, wie der Text es ist, dann wundert mich zumindest nicht, dass es kaum einen roten Faden gibt.

Das Prinzip, eine Geschichte aus dem Gedanken einer Frau zu erzählen ist ja gut. Aber diese Gedanken kommen so sehr von Hundertsten ins Tausendste, setzen irgendwo ein, hören wieder auf, setzen an anderer Stelle wieder ein, dass ich irgendwann entnervt aufgegeben habe.

Sprachlich tippe ich mal auf ein dreizehnjähriges Mädchen. Nicht, in dem was du erzählst, das liest sich teileweise sogar gut. Aber der Slang, den dieses Mädchen drauf hat, passt eben nicht zu einer erwachsenen Frau, die eine Frund inklusive Eifersucht hat. Der Genitiv existiert für dich anscheinend gar nicht. Jedenfalls weigerst du dich hartnäckig ihn zu verwenden. Oft scheinen mir ganze Wörter zu fehlen. Das verwirrt natürlich zusätzlich. Das deine Protagonistin verwirrt ist, ist in Ordnung. Das machst du auch gut spürbar. Aber als Leser möchte ich nicht den Eindruck haben, dass die Protagonisttin nur die Verwirrung der Autorin lebt. Denn dadurch entsteht das Gefühl, du wusstest manchmal selber nicht mehr, was du zu Beginn mal geschrieben hast.

Ich sehe viele gute Ansätze in der Geschichte. Nur für mich fehlt es ihr auf Grund der Wirrniss an Spannung. Da wäre etwas weniger ausreichend gewesen.

Achja, warum eigentlich Gesellschaft? Wo ist der politische Bezug? Wären Romantik/Erotik, Sonstige oder (kommt ja ein Mord drin vor) Spannung nicht besser?

Lieben Gruß, sim

 

hey sim
erst mal vielen dank, dass du dir überhaupt die zeit genommen hast zu antworten.
also... ich muss etwas gestehen: ich habe diese geschichte nicht alleine geschrieben; ingesamt waren es ca. 20 personen, die der reihe nach einen teil hinzugefügt haben - wir haben das in der klasse gemacht und wollten wissen, wie ein unbeteiligter die geschichte beurteilt, und da ich diese seite kannte, habe ich unser 'werk' halt hier präsentiert. ich hoffe, das ist nicht verboten...?!
aber eben, überrascht hat mich deine kritik irgendwie nicht :)

well then
liadan

 

jaja, das Sprichwort mit den vielen Köchen. :)

 

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