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Zimmer Zwölf

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19.06.2001
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Zimmer Zwölf

ZIMMER ZWÖLF

Der Typ in dem vornehmen Anzug und mit dem Koffer in der Hand betrat genau elf Minuten nach Mitternacht das kleine Motel, das gut eine Meile außerhalb der Stadt etwas abseits des dicht befahrenen Highways lag. C.J. Anderson schaltete den Pornokanal aus, wischte sich mit einem dreckigen Handtuch die Schweißperlen aus dem Gesicht, legte seinen inneren Hebel von mürrisch auf freundlich, stand auf und ging zum Tresen, um seinen potentiellen Gast zu begrüßen. Es kam nicht mehr oft vor, dass Gäste sich in das ‚Funny In‘ verirrten. Auf dem kurzen Weg zum Tresen rechnete C.J. nach: Genau genommen hatte er seit drei Monaten keine Gäste mehr gehabt. Ein Wunder, dass er sich überhaupt noch seine tägliche Ration von sieben Flaschen Budweiser leisten konnte. Der Typ in dem vornehmen Anzug und mit dem Koffer in der Hand sah merkwürdig aus. Irgendwie... zerknirscht. C.J. schielte kurz zu dem geladenen Gewehr, welches griffbereit unterhalb des Tresens angebracht war. Er steckte sich sein von öligen Flecken übersätes Hemd in die Hose und schenkte mit einem zahnlosen Lächeln dem Ankömmling seine volle Aufmerksamkeit. „Ja, Sir!“ Er deutete mit einer kaum wahrnehmbaren Handbewegung zum Fenster hinaus. „Ein prima Wetter haben wir heute, was? Suchen Sie ein Zimmer? Glauben Sie mir, ich hab jede Menge Zimmer frei. Bei dem Regen da draußen...“ C.J. nickte kurz und zog die Augenbrauen hoch. „Ja, Sir. Da ist ein Dach über dem Kopf mehr als angenehm.“
Der Mann im Anzug zuckte mit den Schultern. „Geben Sie mir einfach ein Zimmer.“ Er griff in die Hosentasche und holte ein dickes Bündel Geldscheine hervor. „Ich zahle bar.“
„Ja...“ C.J. starrte auf das Bündel. „Pro Übernachtung bekomme ich fünfundzwanzig Dollar. Essen gibt es nicht, aber die Dusche ist im Preis mit drin. Wir haben sogar fließend warmes Wasser.“
„Sehr schön“, antwortete der Mann und legte fünfundsiebzig Dollar auf den Tresen. „Drei Tage. Geben Sie mir das sauberste Zimmer, einverstanden?“
Anderson griff, ohne sich umzudrehen, nach hinten und nestelte einen Schlüssel von der Wand. „Zimmer Zwölf. Groß, geräumig... und sauber.“ Er legte den Schlüssel auf den Tresen. Als der Mann den Schlüssel zu sich nehmen wollte, zog er den Schlüssel zurück. „Moment.“ Er ging etwas in die Hocke und langte unter den Tresen. „Sie müssen noch unterschreiben. Ist im Grunde genommen egal... Naja, Scheiße. Formalitäten, nicht wahr?“ Grinsend schob er ein Buch rüber. „Wenn Sie sich dann bitte noch eintragen würden... Da unten rechts, wo die freie Stelle ist.“ Er legten einen am oberen Ende abgelutschten Bleistift neben das Buch.
Der Mann stellte den Koffer ab und nahm ohne zu Zögern den Bleistift in die Hand, drehte das Buch in seine Richtung um und unterschrieb. „Sie haben nicht viel Besuch, oder?“ Lächelnd schob er das Buch zurück zu C.J.
„Nun, die Wirtschaft ist lahm...“ sagte Anderson schulterzuckend.
„Ja, möglich.“ Der Mann nahm den Schlüssel in die linke, den Koffer in die rechte Hand und ging dann die Treppen hoch zu den Zimmern.
„Schlafen Sie gut!“ Kopfschüttelnd drehte C.J. das Buch wieder um. „Na, was haben wir denn da?“ Interessiert las er den Namen, den der Mann in das Buch eingetragen hatte. „Charlton Prayers?“ Der kleine Wecker, der auf dem Fernseher stand, fing zu piepsen an. „Oh...“ Schnell ging C.J. rüber zum Fernseher und schaltete den Wecker aus. „Wußte ich doch, dass es einen Scheißgrund gab, den verdammten Wecker zu stellen“, murmelte er leise und fletzte sich in den alten Sessel. Er griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Anderson betete Trasca Orleander an, die ungekrönte Königin der zweitklassigen Trashpornoindustrie. „Oh ja...“, murmelte er zufrieden, als die ersten auf und ab wippenden Silikontitten im Bild zu sehen waren. „Oh ja...“ Der Titel des Films wurde eingeblendet. „Das Buch der Träume? Wer hat sich denn so eine Scheiße ausgedacht?“

Als er gerade seine schleimige Zunge in Trasca Orleanders Rachen stecken wollte, wachte C.J. durch ein lautes Geräusch auf. Er saß breitbeinig im Sessel. Seine vor vielen Tagen einmal weiß gewesene Unterhose war feucht. „Oh Scheiße, verdammt!“, fluchte C.J. Wieder war das Geräusch zu hören. C.J. zuckte zusammen. Was war das? Es klang so, als ob jemand mit einem harten Gegenstand auf etwas einschlug. Dumpf. Seltsam. Unrhythmisch. Und es kam aus Zimmer Zwölf. „Was macht der Penner da oben?“, fragte sich C.J. und stand auf. Sein Blick fiel auf den kleinen Wecker. Vier Uhr morgens! „Ja, spinnt der?“ Jetzt war Anderson sauer. Nicht nur, dass er während des Pornos eingeschlafen war. Nein, ausgerechnet aus einem heißen Traum mußte ihn dieser Prayers mit merkwürdigen Geräuschen herausreißen. „Blöder Wichser!“ Er knüpfte die Hose zu und ging schnell zum Tresen, wo er das Gewehr an sich nahm. Behutsam überprüfte er die Munition und lud anschließend durch. Im Grunde genommen war eine Überprüfung nicht notwendig. Wenn es eine Sache gab, die er gewissenhaft tat, dann war es der tägliche Test auf Funktionsweise des Gewehrs hinterm Motel an leeren Bierflaschen. „Okay, Mister Prayers. Dann werde ich Ihnen mal einen schönen Morgen wünschen.“ Die Schläge, oder was es auch immer war, kamen nun in schnelleren Abständen. Als C.J. die Treppe erreicht hatte, verstummten die Schläge plötzlich. Er blieb stehen und überlegte. Nur ganz kurz. Dann ging er die Treppe nach oben. „Niemand hindert mich daran, diese gottverdammte Schlampe zu küssen!“, flüsterte Anderson. „Und wenn es auch nur im Traum ist.“

„He, Prayers!“ C.J. klopfte gegen die Tür. „Was ist da los bei Ihnen?“ Er hörte, wie jemand auf die Tür zuging. „Prayers?“ Der Lauf des Gewehrs zeigte in die Richtung, wo er Prayers Bauch hinter der Tür vermutete.
„Es ist alles in Ordnung“, sagte Charlton Prayers. Seine Stimme klang etwas komisch.
„Wirklich? Es ist Vier Uhr morgens. Da kamen Geräusche aus Ihrem Zimmer... Schläge, oder was anderes.“ Anderson schluckte. „Lassen Sie mich rein! Ich will nachsehen!“
„Es ist wirklich alles in Ordnung, Mister Anderson. Kein Grund zur Sorge.“ Prayers Stimme klang nun nicht mehr nur komisch, sondern auch angespannt, fast panisch.
Ich habe ihm nicht meinen Namen gesagt, dachte C.J. Er ging einen Schritt zurück. „Machen Sie die Tür auf! Das ist mein Motel! Ich werde nicht zulassen, dass kranke Spinner absurde Dinge anstellen, ist das klar!?“ Er wartete auf eine Reaktion. Nichts geschah. „Verdammt, Prayers! Machen Sie die Scheißtür auf!“
„Es ist wirklich alles in...“
C.J. Anderson, vierundvierzig Jahre alt, ledig und bei Intelligenztests überdurchschnittlich unterbegabt, hob das Gewehr etwas nach oben und drückte den Abzug. Es gab einen lauten Knall. Putz und Holzspäne rieselten von der Decke. „Machen... Sie... die... Scheiß... Tür... auf!“
„Ja, einverstanden.“
„Das ist schön zu hören“, murmelte Anderson zufrieden. Die Tür ging einen Spalt auf. „Warum nicht gleich so, Mister?“ Er stieß mit dem vom Schuss immer noch qualmenden Lauf des Gewehrs die Tür ein Stückchen weiter auf und betrat Zimmer Zwölf. „Ich kann zwei Dinge nicht leiden. Nummer Eins: Stress am frühen Morgen. Nummer Zwei: Wenn ich...“ Anderson sah zum Bett. „Ach du heilige Scheiße!“
Charlton Prayers lächelte nervös. „Glauben Sie mir, das hat nichts zu bedeuten. Alles in Ordnung!“
„Was?“ C.J. richtete das Gewehr auf ihn. „Da liegt ein Kopf auf dem Bett! Der Kopf von Freddy Mugrande! Auf meinem Bett! In meinem Motel! Was, bitteschön, ist daran in Ordnung?“

Das Zimmer sah katastrophal aus. Als ob ein auf zehn Quadratmeter begrenzter Wirbelsturm gewütet hatte. Bis auf das Bett waren sämtliche Möbel kurz und klein geschlagen worden. Andersen entdeckte den Baseballschläger. Aluminium. Die Wände waren mit unzähligen Löchern verziert. Und dann dieser Kopf auf dem Bett... „Okay.“ Er versuchte ruhig zu bleiben. Es kostete ihn sehr viel Anstrengung und noch mehr Nerven, aber er versuchte es. Kopfschüttelnd sah er zu Prayers. „Also... Bevor ich dich Arschloch gleich erschießen werde, hätte ich da einige Fragen...“
Prayers hob abwehrend die Hände nach oben. „Ich verstehe, dass Sie wütend sind. Aber ich kann Ihnen alles erklären, Mister Anderson.“
„So? Kannst du das?“ C.J. fiel das dicke Geldbündel ein, was der Typ bei sich gehabt hatte. „Erst einmal legst du das Geld auf das Bett...“ Er runzelte die Stirn. „Nein! Wirf es zu mir rüber!“
„Wenn Sie es so wollen.“ Prayers holte seufzend das Bündel aus seiner Hosentasche und warf es zu Anderson.
Gekonnt fing C.J. es auf und grinste. „Sehr schön.“ Er schätzte das Bündel auf etwa fünftausend Dollar. Damit konnte man viel Bier kaufen. Schnell stopfte C.J. das Geld in seine Hosentasche. „Und jetzt geh da rüber! Los! Rüber zum Bett!“ Mit dem Geld konnte man nicht nur viel Bier kaufen, sondern auch Zimmer Zwölf und die Decke draußen im Gang wieder herrichten. Prayers stand neben dem Bett. „Na los, pflanz deinen kranken Arsch auf die Matratze!“ Man konnte nicht nur viel Bier kaufen und Zimmer Zwölf und die Decke draußen im Gang wieder erneuern. Einen Teil des Geldes könnte er sogar auf das Konto von Rachel überweisen. Rachel war sein Patenkind. Irgendwann vor zig Jahren hatte er diese beknackte Patenschaft angenommen, warum auch immer. Ach Scheiße, dachte C.J. Vergiss Rachel! „Sehr schön!“
„Mister Anderson.“ Charlton Prayers saß auf dem Bett und hatte seine linke Hand auf den Kopf gelegt. „Vielleicht dürfte ich Ihnen einiges erklären, bevor Sie versuchen, mich zu töten?“
Warum sprach der Wichser von ‚versuchen‘? „Klar“, sagte C.J. „Nur zu! Ich bin gespannt, was für eine kranke Geschichte du mir zu bieten hast.“
Prayers räusperte sich. „Es wird Ihnen nicht gefallen, Mister Anderson.“
„Abwarten, Arschloch!“

Charlton Prayers packte den auf dem Bett liegenden Kopf und hob ihn hoch. „Erkennen Sie ihn? Das ist der Kopf von Freddy Mugrande! Kennen Sie den Namen?“
„Selbstverständlich“, antwortete Anderson. „Hier gibt es keinen, der diesen Namen nicht kennt.“ Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt, dachte er. „Dafür, dass du den Kopf von Mugrande mit dir rumschleppst, solltest du Gott danken, dass du nicht schon längst tot bist.“
„Nein! Mit Gott hat das überhaupt nichts zu tun!“
„He, ich...“
„Früher war ich ein ganz normaler Bürger“, fuhr Prayers fort. „Ich hab Familie gehabt. Hab Steuern gezahlt. Ich war glücklich als Teppichverkäufer in New Orleans. Aber dann...“ Er verstummte und legte Mugrandes Kopf zurück auf das Bett. Verstohlen blickte er kurz zu C.J. „Sie wissen doch, was man über New Orleans und Umgebung sagt, oder?“
Anderson zuckte mit den Schultern. „Was meinen Sie? Voodoo und der ganze Scheiß? So etwas gibt es nicht! Nur Märchen und Legenden! Und überhaupt: Scheiß auf New Orleans!“
„Sie sagen es, Mister Anderson. Aber fast jeder Mensch glaubt daran. Auch ich war überzeugt, dass es gewisse Dinge gibt, die den geistigen Horizont eines Menschen bei weitem überschreiten. Dinge, deren bloße Andeutung Gänsehaut verursachen. Verstehen Sie das? Und dann, einfach so...“ Er schnippte mit den Fingern. „Plötzlich schleppe ich den Kopf vom gefürchtetsten Mann der Unterwelt mit mir herum.“ Lächelnd fuhr Prayers mit seinen Fingern durch das pechschwarze Haar Mugrandes. „Ich hab meine Familie geliebt, meinen Job, meine Stadt, aber dann... Jackpot!“
C.J. senkte das Gewehr. „Was ist passiert?“, fragte er neugierig.
„Es war an einem schwülen Morgen. Montag, oder Dienstag... Ich weiß es nicht mehr genau. Ich zeichnete meine Teppiche mit neuen Preisen aus. Und dann, wie aus dem Nichts, stand Freddy Mugrande in meinem Laden. Allein. Ich meine, er war völlig allein. Als Normalbürger sollte man annehmen, dass ein Mann wie Mugrande von hunderten Leibwächtern umgeben ist. Aber er war wirklich allein. Mugrande ging durch den Laden und sah sich meine Verkaufsware an. Und wissen Sie was?“
Anderson zuckte zusammen. „Was?“
„Wissen Sie, wie er die Teppiche auswählte, die er kaufen wollte?“
„Nein, wie?“
„Er machte Brandlöcher hinein. Verstehen Sie? Brandlöcher! Er hat Teppiche im Wert von mindestens achttausend Dollar einfach so abgewertet. Ohne ein Wort zu sagen. Eine kurze Handbewegung... Ein schnelles Zischen... Ein seltsamer Geruch... Tja, und dann?“
„Was ist dann passiert?“
Prayers stupste den Kopf etwas an, so dass dieser nach hinten umkippte. „Er kam an einem Regal vorbei. Ich hatte Metallregale im Laden. Billige Teile. Scharfe Ecken und Kanten. Nun...“ Er grinste etwas. „Mugrande zündete sich eine neue Zigarette an, um einen weiteren Teppich zu markieren. Und da geschah es... Zack!“ Wieder schnippste er mit den Fingern. „Das Regal fiel um und begrub Mugrande mit samt den Teppichen unter sich. Sein Kopf wurde sauber abgetrennt.“ Er richtete den Kopf wieder auf.
Anderson starrte angeekelt auf Mugrandes Kopf. „Also war es ein Unfall, Mister?“
„Ja und nein.“
„Was?“
„Sie und ich wissen, dass es ein Unfall war. Aber die anderen glauben das nicht.“
„Das kann ich gut verstehen“, sagte C.J. und kratzte sich am Kopf. „Okay, und was war mit den Geräuschen? Den Schlägen? Was zum Teufel ist hier vorgefallen?“
Mugrandes Kopf öffnete die Augen und sagte mit einer tiefen Stimme: „Charlton und ich haben Baseball gespielt, Wichser!“
C.J. ließ vor Schreck das Gewehr fallen und kippte um.
Prayers stand auf und ging zu Anderson. „Ohnmächtig...“ Er nahm das Gewehr zu sich. „Also gut, dann wollen wir mal.“

Trasca Orleander vergnügte sich direkt vor seinen Augen mit einer anderen Frau. Stöhnend vor Lust trieben sie sich zum Höhepunkt. Er saß grinsend auf einem Ledersessel vor ihnen, roch nach teurem Parfüm und war bereit, den beiden Schlampen den verdienten Rest zu geben. Lächelnd stand C.J. auf und ging zum Wasserbett, wo Trasca und die andere Nutte feucht und geil vor Lust bereits auf ihn warteten. „Ladies? Jetzt werdet ihr die Bekanntschaft mit Anderson Junior machen.“ Langsam zog er seine Hose auf. „Oh ja... Euch werde ich es zeigen!“ Gedanklich die wildesten Stellungen ausprobierend stieg er auf das Bett, ließ sich nach vorne fallen. Plötzlich hörte er einen Schuß und wachte auf... „Oh Scheiße, was...“ C.J. stöhnte vor Schmerzen.

„He, Mann! He! Anderson! Los, aufstehen!“, schrie eine Stimme, die durch Mark und Bein ging.
Anderson merkte, dass er auf dem Boden lag. Und der Boden war feucht, irgendwie klebrig. „Scheiße, Mann! Was ist passiert?“ Er hatte Kopfschmerzen, furchtbare Kopfschmerzen. „Einen Moment mal...“ Da war dieser Kopf...
„He, Arschloch!“, schrie die Stimme.
Anderson richtete sich langsam auf. Da war dieser Kopf... Freddy Mugrande. „Oh Scheiße!“ Er sah zum Boden und stellte fest, dass die verschimmelten Holzdielen vor lauter Blut kaum mehr zu erkennen waren. „Verdammt!“ Schnell sprang er auf und warf sich auf das Bett. Prayers lag seltsam da, irgendwie... „Zerknirscht“, murmelte C.J. leise. Und ziemlich am Arsch. Tot. Mist, dachte er. Der Lauf des Gewehrs lag neben Prayers Kopf, der Rest der Schusswaffe ungefähr einen halben Meter entfernt. „Mist!“ Da liegt alles mögliche rum, registrierte er geschockt. Gehirnstückchen, Zähne, und was war das? Eine Zunge?
„He, Anderson!“
Wie in Zeitlupe drehte er seinen Kopf etwas nach links. „Oh Gott! Das ist kein Traum!“
Freddy Mugrande grinste. „Nein, ist es nicht. Und jetzt hör mir zu, klar!?“
„Ich...“
„Hör... mir... zu...!“ Mugrande verdrehte etwas die Augen. „Gott, wenn ich nur einen Körper hätte! Also, hörst du mir zu?“
„Was?“, stammelte C.J. hilflos. „Was soll ich?“
„Du sollst mir verdammt noch mal zuhören! Ach, Scheiße! Machen wir es auf die einfache Tour!“ Die Augen Mugrandes begannen plötzlich zu leuchten und sein Kopf wackelte etwas.
Panisch kroch Anderson zur Tür. „Oh Gott... Oh Gott... Oh Gott... Oh Gott...“ Er hörte die Stimme von Mugrande und sah nach hinten. „Oh nein! Nein...“ Der Kopf schwebte auf ihn zu. „Oh Gott...“
„Denkst du immer noch, es ist kein Traum?“, fragte Mugrande mit diabolisch funkelnden Augen. „Oder glaubst du, gleich aufzuwachen und dir einen runterzuholen vor lauter Schreck? Glaubst du das? Denkst du das? Denkst du das, kleiner unbedeutender Mann?“ Die pechschwarzen Haare tanzten einen eigenartigen Tanz, sahen aus wie kleine kopflose Schlangen, die sich um Mugrandes Kopf schlängelten.
C.J. schlug gegen die Tür und winselte. „Ich hab doch nichts getan! Was willst du von mir? Was?“ Während er vor Angst sich in die Hosen machte, kreuzte er seine beiden Zeigefinger. „Weiche, Dämon! Weiche von mir!“
Mugrandes Kopf zuckte etwas zurück. „Oh nein! Es ist das Zeichen!“
Anderson schöpfte etwas Hoffnung, seine völlig beschissenen Situation halbwegs unbeschadet zu überstehen. „Weiche, Dämon! Weiche, Dämon!“
„Also gut!“, sagte Mugrande. „Okay, es war ein Scherz! Ehrlich gesagt, wird es dir nichts nützen.“ Laut lachend schoss er auf Anderson zu, dieser duckte sich, und Mugrande verfehlte ihn nur knapp. Es gab ein unangenehmes Geräusch, als der Kopf gegen die Tür prallte. Dabei hinterließ er eine tiefe Delle im Holz. Mugrande gab ein rasselndes Geräusch von sich und fiel zu Boden, wo er bewegungslos liegen blieb.
Deshalb die vielen Löcher in der Wand, dachte C.J. und kroch stöhnend zurück zum Bett. Oh bitte, lieber Gott, das kann nur ein Traum sein! „Oh Gott, nein!“ Der Baseballschläger! „Ich...“ Der Schläger lag direkt vor ihm. Er umfaßte den Griff und stand langsam auf. Mugrandes Kopf lag auf dem Boden vor der Tür. „Blödes Arschloch“, keuchte Anderson und schleppte sich zur Tür. „Jetzt zeig ich dir, was es bedeutet, früher einmal Schlagmann gewesen zu sein.“ Er hob mit beiden Händen den Schläger nach oben, wartete drei Sekunden und ließ ihn dann mit einem archaischen Schrei nach unten sausen, Das Aluminium krachte in das Holz, das unter der wütenden Wucht Andersons in tausende kleine Stücke zersplitterte. Zitternd ging C.J. einen Schritt zurück. Sein Schlag hatte Wirkung gezeigt. Mugrandes Kopf war nur noch eine undefinierbare Masse aus... „Scheiße, Mann! Was ist das für eine verfluchte Wichserei?“ Fassungslos starrte C.J. zu den Schrauben, kleinen Elektromotoren, Drähten, Leuchtioden, Glasfaserkabeln und was es sonst noch alles in der moderen Welt der Technik gab. „Was soll das?“ Er hörte, wie sich hinter ihm jemand räusperte. C.J. Anderson, größter Fan der achtklassigen Pornodarstellerin Trasca Orleander, drehte sich um und starrte verblüfft zu Charlton Prayers, der ihn mit blutverschmierter Visage angrinste.

„Ich kann Ihnen alles erklären, Mister Anderson“, sagte Prayers freundlich und holte ein sauberes Taschentuch aus seiner Hosentasche, mit dem er sich das Blut aus dem Gesicht wischte. „Sie sind jetzt natürlich etwas... überrascht.“ Er sah sich das Taschentuch an und zeigte es dann Anderson. „Sehen Sie? Alles Kunstblut.“
C.J. ging einen Schritt zurück und lehnte sich an die Wand an. Es verhinderte, dass er einfach so umfiel. „Was... Was geht hier vor?“
„Klar.“ Prayers warf das triefende Taschentuch achtlos zu Boden. „Keine Sorge. Wir werden Ihnen natürlich den entstandenen Schaden ersetzen. Also, die Wände und alles. Und natürlich bekommen Sie noch einen Anteil aus den Einnahmen.“
Anderson stützte sich auf den Baseballschläger ab. „Was zum Teufel geht hier eigentlich vor?“ Wo war er? Wo befand er sich? In was befand er sich? Und dann erkannte er, wer wirklich hinter Charlton Prayers steckte. „Verdammt, Sie sind doch dieser irre Wichser von Kanal Sechs, oder? Clarence Shooter, oder? Richtig?“
„Ja“, sagte Shooter. „Willkommen bei ‚Damit rechnet keiner‘, Mister Anderson. Oder darf ich Sie C.J. nennen?“
„Der Kopf... Was ist mit Mugrande?“, fragte Anderson.
Shooter zuckte mit den Schultern. „Ich habe beim Sender freien Spielraum. Und wenn Sie wissen wollen, wer Hauptaktionär des Senders ist... Na? Ja, genau. Freddy Mugrande. Ohne sein Einverständnis könnte ich ein solches Format natürlich nie einer degenerierten Zielgruppe präsentieren.“
„Degenerierte Zielgruppe?“
„Ja.“ Shooter ging in die Hocke und zog den Koffer unter dem Bett hervor. „Okay, dass Sie den Kopf zerstören, das konnte ich natürlich nicht wissen. Das wird Ihnen wohl abgezogen werden...“
„Wissen Sie was?“ C.J. ging auf Shooter zu.
„Ja, Mister Anderson?“
C.J. holte aus und zerschmetterte mit einem gewaltigen Schlag Shooters Kopf. „Ich lass mich nicht gern verarschen!“ Zufrieden betrachtete er das echte Blut, das sich über die alten Holzdielen verteilte. „Ich lass mich weiß Gott nicht gern verarschen!“

Der Interesse halber hatte sich C.J. ein paar Stunden Kanal Sechs angetan. Kein Wort über Clarence Shooter. „Blöder Wichser!“ Er setzte an und trank zügig die Flasche Budweiser leer. Er hatte Shooter im Wald vergraben. Die Kassette hatte er ebenfalls dem Feuer überlassen. Die Kamera hingegen, die auf dem Schrank postiert worden war, hatte er behalten. Und Mugrandes Kopf erst! Klar, so ein voll automatischer, künstlicher Kopf war schon eine feine Sache. Vielleicht würde er sich irgendwann aufraffen und dieses Kunstwerk genauer untersuchen. Bis es soweit war, lagen alle Überreste des Kopfs im Lager, ordentlich in einem Karton. „Die hätten sich verdammt nochmal jemanden anderen aussuchen sollen!“, murmelte C.J. und schaltete um. Trasca Orleander wartete. „Oh ja...“ Seufzend stellte er die leere Bierflasche zu den anderen auf den Boden und zog sich dann langsam die Hose aus. „Oh ja...“ Ob der echte Freddy Mugrande bei ihm auftauchen würde? Oder dessen Handlanger? C.J. war zwar dumm, aber dennoch Realist. „Red kein Scheiß, C.J.! Nicht wegen so einem Blödmann wie Shooter. Und schon gar nicht wegen einem Tunichtgut wie dir!“ Er holte ächzend eine neue Flasche Budweiser aus der Kühlbox neben dem alten Sessel und grinste zufrieden, als Trasca Orleander ihre Bluse auszog und ein mächtiges Paar Titten präsentierte. „Oh ja...“

ENDE


copyright by Poncher (SV)

19.03.2003

 

Hi Poncher.

Hab deine Story aufmerksam durchgelesen und muss sagen, dass sie mir sehr gut gefallen hat. Einsame Motels sind eh schöne Schauplätze.
Am Ende gab es dann zwei Überraschungen, die ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Obwohl ich erst dachte, es sei alles real, ist es dann plötzlich nur eine Fernsehsendung. Und dann dachte ich Anderson ist froh darüber, aber er bringt kaltblütig den Moderator um. Echt gut gelungen.

Hab auch nen Fehler entdeckt:

Wußte ich doch, dass es einen Scheißgrund gab(...)
Wußte -----> Wusste
Scheißgrund ---besser---> scheiß Grund

Gruß,
FLOBO

 

Moin!

Danke fürs Lesen. "scheiß Grund" klingt irgendwie merkwürdig, von daher belibe ich bei "Scheißgrund".

Gruß,
Poncher

 

Hi Poncher!

Ich definitiv komme nicht hinterher, deine Stories zeitnah zu lesen. Hinke immer etwas hinterher, habe dadurch aber mehr Zeit für die Vorfreude.

Man ist schnell gefesselt von dem Geschehen, ganz einfach, weil du es verstehst, plastisch zu berichten. Dadurch zwingst du den Leser praktisch hinein in die Geschichte. Du baust geschickt eine Spannung auf, indem du eine kleine schwarze Tür schaffst, die du allerdings hier ziemlich schnell öffnest. Ist eher untypisch für dich, möchte ich meinen.

Der Schluss war meiner Meinung nach nicht weltbewegend, aber angemessen. Wie schon öfter erwähnt, wenn man dich kennt, weiß man, was einen erwartet, und man ist im ersten Moment nicht enttäuscht.

Allerdings hat diese Geschichte hier eher den Anstrich einer Episode, eines Zwischenfalls, den man sich abends in einer kalten Winternacht am Kamin erzählt, mit Whisky und Zigarre in der Hand zu Besuch bei guten Freunden. Man lacht ein bisschen drüber, man gruselt und man wundert sich etwas. Am anderen Morgen hat man sie aber wieder vergessen.

Trashpornoindustrie

Zeig mir mal Pornoindustrie, die nicht Trash ist!


Einen Teil des Geldes könnte er sogar auf das Konto von Rachel überweisen. Rachel...

Hier, ganz plötzlich, bekommt C.J. eine symphatische Seite, obwohl er doch bis zu diesem Zeitpunkt als Karrikatur daherkam (wenn ich böswillig wäre, würde ich sagen, als Klischee). War unnötig, dieser Einschub in meinen Augen.

Aber ansonsten, wie gesagt, eine ganz appetitliche Zwischenmahlzeit.

Grüße von hier!

 

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