- Beitritt
- 03.07.2004
- Beiträge
- 1.619
Zoff im Heim
"Er hat schon wieder gekleckert!" Herr Weber schaute angewidert auf den Kleiderschutz seines Nebenmannes, auf dem sich die Nudeln verteilten.
"Sie wissen doch, dass Herrn Gauger leicht etwas vom Löffel fällt. Darauf müssen Sie nicht extra hinweisen." Schwester Christiane beließ es bei dieser Antwort und kümmerte sich weiter um andere Bewohner.
Herr Gauger saß wie viele andere Bewohner im Rollstuhl. Am liebsten stellte er sich mitten in den Gang und wartete, dass ihn jemand weiterschob. Er konnte auch alleine den Rollstuhl vorwärts bewegen. Aber Kurven zu fahren, hatte er bisher nicht gelernt und auch das Rückwärtsfahren war ihm ein Rätsel. Also fuhr er durch den Gang des Pflegeheims, bis sein Weg vor einer Wand endete. Es dauerte kaum eine Minute, dann merkte er, dass er nicht weiterkam und er begann zu rufen: "Hallo!" schallte es durch das Heim. Herr Gauger hatte eine sehr laute Stimme und setzte sie auch ein. Ein lautes 'Hallo' reihte sich an das nächste, aber die Pflegekräfte ließen ihn schreien, da sie andere Bewohner betreuen mussten. Störend wurde sein Geschrei, wenn er mit seinem Rollstuhl in der Mitte des Heims auf dem 'Marktplatz' stand in einer Reihe mit anderen Bewohnern, die hier saßen und den Tag vorbeiziehen ließen. Wenn Herr Weber auch hier saß, blieb es nicht lange friedlich. Er hatte wenig Geduld und schon ging es los: "Hören Sie endlich auf zu schreien. Sie nerven!"
Keine Reaktion. Jetzt fing Herr Weber auch an zu brüllen: "Hören Sie endlich auf zu schreien."
"Ich schreie doch gar nicht", erwiderte Herr Gauger. Er war schwerhörig und merkte gar nicht, wie laut er rief.
"Natürlich schreien Sie. Sie sind so laut, dass die Fensterscheiben wackeln. Sie brüllen wie der Elefant im Zoo."
Herr Gauger konnte längere Sätze nicht aufnehmen und so blieb ihm nur der Schluss im Gedächtnis. "Ich bin doch kein Elefant!", schrie er. "Was soll denn der Quatsch!" Und er fing an mit seinen Armen herumzufuchteln. Auch dieser Körpereinsatz war wohlbekannt und die anderen Bewohner hielten einen Sicherheitsabstand zu Herrn Gauger.
Aber diesmal schien die Toleranzschwelle von Herrn Weber überschritten. Er rollte auf Herrn Gauger zu und boxte ihm mit einem gezielten Schlag in die Rippen.
"Aua, er haut mich." Herr Gauger brüllte wie ein angestochenes Schwein und versuchte, zurück zu boxen.
Auch die Pflegekräfte waren von dieser Eskalation überrascht, aber sie waren schnell zur Stelle und schoben die Streithähne auseinander. Während Schwester Ulrike mit Herrn Weber sprach, wandte sich Schwester Christiane an Herrn Gauger: "Haben Sie Schmerzen?"
Herr Gauger schüttelte den Kopf.
"Sie sind sicher aufgeregt."
Herr Gauger nickte und meinte dann "Helfen Sie mir."
"Was soll ich Ihnen denn helfen?"
"Bestellen Sie mir eine Taxe. Ich möchte nach Hause fahren."
Schwester Christiane strich Herrn Gauger kurz über die Schulter: "Ich bringe Sie in Ihr Zimmer. Da können Sie sich ausruhen."
Bei dem Übergabegespräch am Abend berichtete sie: "Herr Gauger hat drei Stunden in seinem Zimmer geschrien. Aber jetzt schläft er."