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Zu den Sternen

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21.01.2003
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Zu den Sternen

‘Per aspera ad astra’, ‘Zu den Sternen, zu den Sternen’! Hinter funkelndem Blech einer Militärkapelle wächst ein Sternenschiff in den Himmel, als wolle es mit seiner Spitze den Kosmos aufbrechen.
Gegen diese Konkurrenz kommt Edith nicht an. Das weiß sie. Sie steht mit Hans vor dem Zaun, und als ihr Mann seinen Blick von dem Raumschiff löst, sieht er Edith so ergriffen an und ihr Magen zieht sich zusammen.
Glitzernde Punkte bewegen sich auf dem dunklen Band, das sich zur Luke des Raumers hinzieht. Hans sieht auf die Uhr. “Es ist soweit.”
Sie setzen sich in den Wagen und fahren am Checkpoint vorbei auf ein flaches Gebäude zu. Frauen kommen mit ihren Männern aus Fahrzeugen hervor. Linda, Mary, Elizabeth. Edith läuft auf sie zu, umarmt sie. Linda schluchzt, Mary starrt ins Leere, während Elizabeth ihrem Mann hinterher sieht und ruft: “Ich kann es nicht fassen. Er hat mir gesagt, es sei besser, wenn ich mich scheiden ließe. Ich hätte das ganze Leben noch vor mir.” Sie weint. “Und er? Und er?”
Hans zieht Edith zur Seite und fasst ihr Gesicht mit beiden Händen. “Edith, du weißt, es ist stärker als ich. Ich kann nicht anders.” Sein Gesicht hat sich gerötet. “Edith, nun sag doch was. Ich liebe dich.”
Tränen suchen ihren Weg. Wer weint von ihnen? Es ist nicht wichtig.
“Edith warte auf mich. Mach es wie die Seefahrerfrauen. Vertraue mir. Wir werden uns wieder sehen.”
Edith sieht den Männern, den Frauen nach, die in dem Flachbau verschwinden. Sie opfern sich für einen Traum, denkt sie. Dann geht auch Hans in das Gebäude und die Stahltüren schliessen sich hinter ihm.
“Bitte hier entlang.” Edith findet sich mit einigen Zurückgebliebenen in einem Wartezimmer. Andere haben sich von ihren Partnern getrennt. Edith kann das nicht. Einige schweigen, einige schluchzen und alle warten, lange. Sekunden werden zu Minuten, Minuten zu Stunden und Stunden zu Mühlsteinen. Immer und immer wieder gehen sie zum Fenster. Die graue Außenwand des Sternenschiffes verdeckt die Aussicht auf das Flugfeld. Roboter bewegen sich schleppenden Schrittes die steile Rampe zur Luke empor. Die ununterbrochene Folge der Märsche wird zur Folter. Ein korpulenter Mann geht hinter dem Fenster auf und ab, raucht eine Zigarette nach der anderen. Seine Frau ist unter ihnen, denkt Edith. Im Warteraum plärrt ein Fernseher. Der vogelartige Kopf eines Mannes füllt den Bildschirm.
“Die Raumfahrer begeben sich in die ‘Endeavour’. Wie lange werden sie unterwegs sein? Wann werden sie auf intelligentes Leben stoßen? Welche Generation von uns wird Antworten auf diese Fragen erhalten?”
Elizabeth springt auf und rennt nervös auf und ab. “Ich halte es nicht aus. Ich will zu meinem Mann.” Sie stürzt zum Ausgang, rüttelt an der Tür.
“Während ihre Körper auf der Erde bleiben, begeben sich die Sendboten der Erde mit der ‘Endeavour’ tausende von Jahren auf die Suche nach intelligentem Leben.”
Die Roboter haben die Luke erreicht, drehen sich um und sehen auf sie hinab. Edith steht am Fenster und hebt die Hand.
‘Auf auf, ins All’, ‘Der Kosmos ruft’! Die Kapelle spielt, der Fernseher plärrt: “Unser Dank gilt den Ehefrauen und –männern, die das Opfer bringen, ihre Liebsten ziehen zu lassen.”
Die Tür wird geöffnet. In ihr steht ein hagerer Mann im weißen Kittel. “Ich heiße Ben. Bitte kommen Sie.” Ein langer Korridor. Sie passieren eine andere Tür. Menschliche Hüllen in gläsernen Särgen, in bleicher tiefgekühlter Nackheit auf summenden Aggregaten. Auf der Suche nach dem Partner stoßen sich die Menschen zur Seite. Ben steht in der Mitte des Raumes. Wie ein Fels in der Brandung. Emotionen schwappen über ihn hinweg, finden keinen Widerhall bei denen, die darauf warten, dass ihnen in tausenden, millionen von Jahren ihr Bewusstsein zurückgegeben werden würde.
Hans liegt dort, eingefroren wie alle anderen, und dann gibt es den, in dessen Silikongehirn sein Bewusstsein residiert.
“Die Prozedur ist irreversibel.”
“Was heißt das?”, hatte Edith gefragt.
“Warte auf mich.” Auf wen? Auf was? Auf einen Hans aus Metall?
“Warte auf mich.” Ich, Edith, tapfere kleine Raumfahrerfrau.
“In wenigen Minuten wird die Endeavour abheben.” Aus einem Fernseher unter der Decke sieht der vogelköpfige Reporter auf Edith herab.
Hans. “Wenn ich zurückkehre, werden die Menschen Techniken besitzen, meinen Willen, meine Gedanken, meine Erinnerungen und Gefühle in meinen Körper zurück zu transportieren.”
Ein paar Techniker kommen in den Raum. “Bitte entscheiden Sie sich”, sagt der Mann im weißen Kittel. “Diejenigen, die sich nicht einfrieren lassen wollen, gehen jetzt bitte. Beachten Sie das Schild mit den Besuchszeiten vor dem Gebäude.”
Mit einem letzten ängstlichen Blick auf gläserne Särge, auf bewusstlose Körper, drängen sich die Menschen aus dem Raum. Doch Edith bleibt.
Ben klappte den Deckel eines leeren Sarges hoch. “Bitte entkleiden Sie sich und legen sich in die Wabe.”
“Der Count-Down wird unterbrochen. Was ist passiert?” Edith vernimmt nicht mehr, wie der Reporter ruft. “Die Rampe wird wieder herangefahren. Die Luke öffnet sich. Einer der Astronauten kommt hervor und geht die Rampe hinab.”
Der Metallmensch hört den Reporter. Es interessiert ihn nicht. Er dringt in das flache Gebäude ein, geht durch das Wartezimmer, durch den langen Gang, öffnet die Tür und stellt sich vor Ediths gläserne Wabe. Sie wartet. Auf ihn. Und er ist da. Nicht in tausend, millionen oder noch mehr Jahren. Der Reporter sagt: “Der Count-Down wurde wieder aufgenommen. 3, 2, 1, We have a Lift-off. In majestätischer Langsamkeit hebt die ‘Endeavour’ vom Boden ab und verschwindet im Blau des Himmels mit dem Ziel, der Menschheit einen gebührenden Platz unter interstellaren Intelligenzen zu verschaffen.”
Hans schaltet einen Schaltkreis nach dem anderen ab.
“Wenn ich zurückkehre, werden die Menschen Techniken besitzen, meinen Willen, meine Gedanken, meine Erinnerungen und Gefühle in meinen Körper zurück zu transportieren.” Er musste zu Edith zurück. Zu früh. Doch es war stärker als er. Hans steht auf Stand-by und wartet.

 

Hi Claudio,

Die Idee ist passabel und sprachlich ist das Ganze gar nicht schlecht.

Aber ein paar Unklarheiten hab ich da noch...

"per aspera ad astra", wurde mir eingeprügelt heißt ja soviel wie,
"durch das Rauhe (also: über rauhe Wege), zu den Sternen".
Das würde mir als Übersetzung in deinem Text viel besser gefallen, weil es das traurige Schicksal der beiden Liebenden schöner wiedergibt.
Nach dem Motto, Pionierarbeit ist etwas für rauhe Burschen!
Um die Menschheit voranzubringen, gibt's daher rauhe Einzelschicksale.

Was mir auch nicht ganz klar ist: wieso können die körper und geist trennen, den geist überspielen, aber das ganze nicht mehr rückgängig machen? ich meine, so ein unidirektionaler weg ist irgendwie seltsam.
weil wenn man technisch so weit ist, die biologische basis an perfektion zu übertreffen, daß sie das bewußtsein aufnehmen kann, wäre der weg zurück ja ein kinderspiel. ein downgrade sozusagen!
Aber das ist mein bescheidenes Unverständnis :)

der schluß ist mir ein bisserl zu kurz gefaßt. das geht alles so abrupt und schnell. er steigt aus, rumpelt in die kammer und steht vor ihr. da hätte ich mir mehr atmosphäre gewünscht.

wie dem auch sei. nur meine meinung.
ansonsten mal ein schöner neuer aufbruchsgedanke,

bg LE

 

LE,

Danke.

>"per aspera ad astra", wurde mir eingeprügelt heißt ja soviel wie,
"durch das Rauhe (also: über rauhe Wege), zu den Sternen".
Das würde mir als Übersetzung in deinem Text viel besser gefallen, weil es das traurige Schicksal der beiden Liebenden schöner wiedergibt.


War alles ziemlich knapp gehalten, daher der Interpretationsspielraum. In diesem Fall waren es zwei Marschtitel und keine Übersetzung.


>Was mir auch nicht ganz klar ist: wieso können die körper und geist trennen, den geist überspielen, aber das ganze nicht mehr rückgängig machen? ich meine, so ein unidirektionaler weg ist irgendwie seltsam.

Bevor ich pseudowissenschaftlich werde <g>, aber Schaltkreise und Gehirnzellen, nun, ich sag’s mal so. Die im menschlichen Gehirn aufgebauten Verbindungen der Informationen sind mit in die Schaltkreise übertragen worden und im menschlichen Gehirn verloren gegangen. Die Rücküberführung der Verbindungen hat bei Tests an Menschenaffen nicht funktioniert.

>der schluß ist mir ein bisserl zu kurz gefaßt. das geht alles so abrupt und schnell. er steigt aus, rumpelt in die kammer und steht vor ihr. da hätte ich mir mehr atmosphäre gewünscht.


Stimmt. Wenn mir dazu noch was einfällt, werde ich es ändern.

Gruss,

Claudio

 

aha...

Hi Claudio,

interessante überlegung mit dem informationsschleifen kopieren.

wenn man von der these der synaptischen bahnung ausgeht, sprich oft verwendete nervenbahnen werden verstärkt und bevorzugt genutzt, wäre es mal spannend nachzuschauen, ob das auch für elektrische schaltkreise gilt.

ich meine, hat man 3 Leiter und es wir einer immer öfters benutzt wie die anderen, würde dann bei einem einmaligen stromstoß der öfters beanspruchte schneller reagieren?
hat mal wer einen physiker zur hand?

bg, LE

 

LE,

So haut das sicher nicht hin. Aber im Schaltkreis könnte man mit Indizes arbeiten, die sagen, wo und wie oft die Information von welcher Stelle zur anderen wandert. Interessant wäre auch eine Story, in der die Infos und Verbindungen nur kopiert werden, also der Mensch so bleibt wie er ist und der Roboter bzw. Android die Frau dann für sich haben will und dem Menschen Hans das Leben zur Hölle macht. Oder gab es so was schon?

Gruss,

Claudio

 

Claudio - Scherzkeks ;)

LE - Blödi :D

p.s.: aber das mit den Indices klingt interessant. wo kann man sowas nachlesen?

 

Nun, das ist was Allgemeines aus der Datenverarbeitung. Kann man ja ausspinnen. :)

Gruss,

Claudio

 

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