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Zu spät
Zu spät
Samantha stand wie angewurzelt, das Ohr an ihre Schlafzimmerwand gepresst und lauschte gebannt wie so oft dem Streit ihrer Nachbarn. Doch diesmal war er fast nicht zu ertragen. Die Schreie, das auftreffen von Händen auf einen gebrechlichen Körper und das hörbare aufschlagen eines Kopfes auf massiven Beton. All das konnte sich Samantha nur zu gut vorstellen, auch wenn ihr Geist sich dagegen wehrte und sie den Streit nur hörte und nicht sah.
*
Am nächsten Morgen traf Samantha Frau Weiger im Treppenhaus. „Guten Morgen“, sagte Samantha. Frau Weiger zuckte zusammen, fuhr herum und wäre fast die Treppe heruntergefallen, wäre da nicht das Geländer gewesen. „G-g-uten Morgen“, erwiderte sie den Gruß. Ihre dunkle Sonnenbrille und die lange Kleidung, mitten im August ließen nur unschwer die blauen, geschwollenen Augen und die blauen Flecken erraten. Sie hastete die Treppe herunter und verließ eilig das Treppenhaus. Samantha blickte ihr nach während sie ihren Briefkasten öffnete. Es viel ihr unheimlich schwer über den Streit hinweg zusehen, denn dieser ging nun schon ein gutes halbes Jahr und das mindestens dreimal die Woche. Herr Weiger war Alkoholiker und ließ offenbar seine Aggressionen an seiner Frau aus. Wie gerne würde Samantha ihr helfen, aber wie?
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Sie drückte den Klingelknopf. Frau Weiger war allein, denn Samantha hatte durch das Küchenfenster beobachtet wie ihr Mann das Haus verließ. Frau Weiger öffnete. „Hallo, Frau Weiger, darf ich hereinkommen?“, fragte sie. Diese bejahte und bat sie ins Wohnzimmer. „Setzen Sie sich doch, ich mache uns derweil einen Kaffee, sagte Frau Weiger. Samantha setzte sich. Als sie sich gegenüber saßen sagte Samantha: „Ich bin übrigens Samantha.“ Mein Name ist Maike, erwiderte diese.“ Samantha räusperte sich. „ Ich will dir ja nicht zunahe treten, aber ich bekomme seit einiger Zeit mit das dein Mann dich schlägt.“ Ich..ich, Maike begann zu weinen und dann sprudelte es regelrecht aus ihr heraus. Die ganze Geschichte wie ihr Mann zum Alkohol kam und anfing sie zu schlagen. „ Ich bin so froh das du zu mir gekommen bist, seit wir hierher gezogen sind habe ich nämlich keine neuen Freunde gefunden, sagte Maike.“ Schon okay ich dachte nur das du vielleicht Hilfe brauchst, aber wie soll das weiter gehen, hast du schon mal daran gedacht ihn anzuzeigen oder zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen?“, sagte Samantha. Diese stand vor dem Fenster und blickte sie erschrocken an. „Mein Mann kommt, du musst sofort gehen“, stotterte sie aufgeregt. Beim herausgehen drückte Samantha Maike einen Zettel mit der Adresse von einem Freund, der bei der Polizei arbeitet und sich mit solchen Fällen von Gewalt auskennt in die Hand. „ Danke, ich werde gleich morgen vorbeigehen, danke du hast mir sehr geholfen“, sagte Maike mit glasigen Augen.
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Kaum war Samantha in ihrer Wohnung verschwunden, hörte sie auch schon Peter, so hieß Herr Weiger, die Treppe hinaufpoltern. Kaum war auch er in seiner Wohnung verschwunden, begann er wieder Maike zu schlagen. Doch diesmal heftiger denn je.
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Am nächsten Tag, es war Samstag, sah Samantha wieder wie Peter das Haus verließ. Sie beschloss hinüber zu Maike zu gehen. Sie klingelte. Nach einigen Minuten als niemand ihr öffnete, wollte sie gerade wieder zu ihrer Wohnung zurückgehen, als ihr auffiel, dass die Tür nicht verschlossen war, sondern nur angelehnt. Samantha beschloss hineinzugehen. „Maike, Maike“, rief sie vom Flur aus. Im Wohnzimmer konnte sie, sie nicht finden. Sie ging in die Küche. Auch diese Tür war angelehnt. Beim öffnen verspürte sie einen Widerstand, sie dachte sich nichts dabei. Als sie jedoch sah was sich hinter der Tür verbarg, schlug sie die Hände vors Gesicht und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Heute hatte Maike zur Polizei gehen wollen, heute! Da lag sie nun, die Augen vor Schreck und Überraschung weit aufgerissen. Blut tropfte von dem Messer herab, das aus ihrer Brust herausragte, auf den gefliesten Küchenboden. Es war zu spät.