Zu spät
Charles Mc Custard fuhr schweißgebadet aus seinem Schlaf hoch. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er sich befand. Doch dann fiel es ihm wieder ein. Er war, zusammen mit seiner Frau, die in einem anderen Zimmer schlief, in dem alten Haus im Wald, das er von seinem kürzlich verstorbenen Vater, geerbt hatte und um das sich die Legende eines düsteren Fluches rankte, demzufolge alle Bewohner getötet werden sollten, die es wagten, in dem Haus zu wohnen. Doch Mc Custard glaubte nicht an solchen Hokus-Pokus.
Seine Frau und er hatten den ganzen Tag damit verbracht, das Haus wieder auf Vordermann zu bringen und waren dann sehr früh zu Bett gegangen.
Charles wusste, dass ihn ein Abtraum aus dem Schlaf gerissen hatte, doch um was genau es in diesem Albtraum gegangen war, wusste er nicht mehr.
Mc Custard nahm ein Taschentuch von seinem Nachttisch und tupfte sich sein schweißnasses Gesicht trocken. Danach ließ er sich wieder in sein Kissen zuruecksinken und schlief sofort wieder ein...
Er lief, nur mit einer Laterne in der Hand, durch einen Gang des Hauses. Er öffnete die Tür des Zimmers, das seine attraktive Frau bewohnte. "Darling, schläfst du..." Er erstarrte vor Schreck.
Seine Frau lag auf ihrem Bett. Die Augen waren gebrochen und weit aufgerissen. Zwischen ihren Rippen steckte ein Messer. Das weiße Bettlaken war blutbefleckt. "Oh, mein Gott!" stieß Mc Custard hervor, drehte sich panikerfüllt um…und blickte in die Augenhöhlen eines Skeletts, das mit seinen Konochenhänden gerade die Tür schloss. Er nahm deutlich den Verwesungsgeruch wahr, der von dieser Kreatur ausging. Die Kleidung hing ihr in Fetzen von den Knochen. Mit den linken Knochenfingern umklammerte das Wesen ein Messer. "IHR HÄTTET NIEMALS HIERHERKOMMEN UND DIE RUHE DIESES ORTES ENTWEIHEN SOLLEN" ertönte eine weibliche, krächzende Stimme, die von überall her zu kommen schien. "JETZT WIRD DER FLUCH, DEN IHR SELBST AUSGELÖST HABT, DICH TÖTEN. ZUM FLIEHEN IST ES ZU SPÄT!" Plötzlich stürzte sich das Skelett auf ihn. Mc Custard konnte ihm gerade noch ausweichen. Das Messer verfehlte ihn nur knapp. Haken schlagend gelang es ihm die Tür zu öffnen, auf den Gang hinauszurennen und die Tür hinter sich zuzuschlagen. Doch der Gang hatte sich verändert. Er war jetzt nicht mehr sauber. Spinnenweben waren wie Vorhänge über den ganzen Gang gespannt und auf dem Boden lag eine 1 Zentimeter hohe Staubschicht. Mit schnellen Schritten und schweratmend rannte Charles Mc Custard den Gang etlang, mit seinen Händen die Spinnenweben fortwischend, die, wie er sich einbildete, mit ihrer bloßen Anwesenheit, seine Flucht zu verhindern versuchten, verfolgt von dem schaurigen Totenskelett, dessen Knochen bei jedem Schritt, den es machte, klapperten. Mc Custard stieß die Tür auf, hinter der sich das Wohnzimmer befand. Dort würde er sich vor diesem todbringenden Wesen verstecken können. "Aber das kann doch nicht..." rief er erstaunt.
Das Wohnzimmer hatte sich völlig verändert. Die Möbel, die er und seine Frau mitgebracht hatten, waren einfach verschwunden. In dem Raum standen ein kleiner Holztisch und Regale, von denen einige mit Flaschen, deren Inhalt aus verschiedenfarbigen Flüssigkeiten bestand, angefüllt waren. In den Anderen, so erkannte Custard, waren fein säuberlich aufgereihte Totenschädel. Im obersten Fach, eines der Regale standen zwei Schädel, die noch keinerlei Anzeichen von Verwesung zeigten. Es waren die Schädel eines Mannes und einer Frau. Alles an ihnen war noch erhalten. Haare, Augen, Haut, einfach alles, als schienen sie eben erst dort hingestellt worden zu sein. Voller Schrecken erkannte Charles, dass diese Köpfe der seiner Frau und sein eigener waren. "Nein, nein, nein…" sagte Charles Mc Custard mit einem Anflug höchster Panik in seiner Stimme.
Da packte ihn eine Knochenhand an der Schulter und drehte ihn langsam herum. Er konnte sich nicht wehren, der Griff war einfach zu fest. Und wieder blickte er in die leeren Augehöhlen des Untoten, bekam den beißenden Verwehsungsgeruch in die Nase und sah das blankpolierte Messer aufblitzen. "Gott, steh mir bei." dachte er nur bei sich. Das teuflische Skellett holte zum Todesstoß aus und...
Charles Mc Custard schrie wie noch nie in seinem Leben und sein Körper bäumte sich im seinem Todeskampf im Bett kurz auf. Er spührte das Blut, das sich auf der Stelle zwischen seinen Rippen ausbreitete, in der ein Messer steckte. Mit letzter Anstrengung wandte er den Kopf nach links und erkannte die Umrisse eines Knochenskeletts, das durch eine Geheimtür in sein Zimmer eingedrungen war.
Er merkte, wie ihm mit einem plötzlichem Ruck das Messer aus dem Körper gezogen wurde, dann wurde es um ihn herum schwarz.
Ganz weit entfernt hörte er die weibliche, krächzende Stimme. "Zu spät, zu spät..." Und dann war auch sie verklungen.
Der grausame Fluch hatte sich erfüllt.
Ende
Autor: Christian Seyffarth